Schneller, fairer und transparenter zum Kita-Platz

Wie ein Algorithmus Kommunen helfen kann, das Vergabeverfahren zu verbessern

Die Vergabe von Kita-Plätzen kann für Jugendämter, Kita-Leitungen und Eltern herausfordernd und aufwändig sein. Verschärft wird die Situation dadurch, dass vielerorts die Nachfrage nach Plätzen das Angebot übersteigt. Wer dabei leer ausgeht, stellt schnell die Methodik des Verfahrens infrage. Wie die Platzvergabe transparenter und gerechter erfolgen kann, zeigen Kommunen wie der Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen. Dort kommt seit 2019 die vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung entwickelte, Algorithmen-gestützte Software „KitaMatch“ zum Einsatz. Die Bertelsmann Stiftung hat das ZEW Mannheim unterstützt, unter der Web-Adresse www.kitamatch.comein frei zugängliches Informationsportal einzurichten, das einen ausführlichen und verständlichen Leitfaden zur Nutzung der kostenlosen Software bereitstellt. Jugendämter und Kita-Leitungen können mit dieser Hilfe Schritt für Schritt nachvollziehen, wie sie „KitaMatch“ selbstständig einführen und nutzen können.

„Digitale Anwendungen können Kommunen bei Aufgaben unterstützen, für die sie das womöglich noch gar nicht in Betracht gezogen haben. Die Vergabe von Kita-Plätzen per Algorithmus ist ein gutes Beispiel dafür. Der neue Leitfaden erleichtert es insbesondere Kita-Leitungen und Jugendämtern, vorhandene Kita-Plätze fairer, schneller und transparenter zu vergeben“, sagt Felix Sieker, Digitalexperte bei der Bertelsmann Stiftung.

Verbindliche Kriterien sorgen für Überprüfbarkeit und Akzeptanz

Der Fokus des Leitfadens liegt darauf, die Funktionsweise des Algorithmus, die schrittweise Anleitung zum Einsatz der Software durch die IT sowie die notwendigen Prozesse im Projektmanagement zu erläutern. Besondere Bedeutung kommt dem Kriterienkatalog zu, der vor Beginn eines Vergabeverfahrens zu erstellen ist. Der Katalog bildet die Grundlage für die Vergabe, denn er führt einheitliche, konkrete und verbindliche Kriterien auf, die festlegen, in welcher Priorität die Kinder einen Platz bekommen sollten. Die Eltern wiederum hinterlegen, welche Kita sie sich für ihr Kind wünschen. Der Algorithmus gleicht diese Informationen ab und errechnet für jede Kita, in welcher Reihenfolge eine Platzzusage erteilt werden sollte. Kita-Leitungen können von den Empfehlungen der Software abweichen und Ausnahmen vornehmen – zum Beispiel, um zu garantieren, dass Geschwisterkinder in derselben Kita untergebracht werden. Das Verfahren läuft so lange, bis alle verfügbaren Plätze verteilt sind. Im Kreis Steinfurt beispielsweise dauert der Vergabeprozess nicht länger als eine Stunde.

Neben der Zeitersparnis kann der Algorithmus auch zu mehr Chancengerechtigkeit in der Platzvergabe führen. Wenn ein Kind, das laut Kriterienkatalog vorrangig einen Platz bekommen sollte, diesen auch erhält, lässt sich Benachteiligung ausschließen. Zudem profitieren auch jene Kinder, für deren Eltern die Anmeldeverfahren eine große Hürde darstellen. Aufgrund seiner zentralen Bedeutung für den gesamten Prozess ist es wichtig, dass der Kriterienkatalog zwischen Jugendamt, Trägern und Kitaleitungen ausgehandelt und offen gegenüber Eltern kommuniziert wird. Das erhöht die Transparenz, Überprüfbarkeit und letztlich auch die Akzeptanz von Zu- oder Absagen. Am Problem fehlender Kitaplätze in vielen Kommunen könne die Software natürlich nichts ändern, betont Thilo Klein, Advanced Researcher im ZEW-Forschungsbereich „Marktdesign“. „Aber der Algorithmus stellt sicher, dass alle vorhandenen Plätze bedarfsgerecht vergeben werden können. Kommunen erhalten zudem verlässliche Daten über die tatsächlich fehlenden Plätze vor Ort. Das hilft ihnen, den Bedarf der Eltern zu decken und damit den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz zu erfüllen.“

Kostenfreie Open-Source-Lösung

Ein weiterer Vorteil für Kommunen ist der Zugang zur Software: „KitaMatch“ ist eine Open-Source-Lösung und steht damit kostenfrei zur Verfügung. „Der Großteil an Software-Lösungen kommt aus der Privatwirtschaft und verfolgt zumeist kommerzielle Interessen. Angebote aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die auf gemeinwohlorientierte Zwecke ausgerichtet sind, sind hingegen Mangelware. ‚Kita-Match‘ kann dazu beitragen, diese Lücke auf einem für Kommunen sehr relevanten Problemfeld zu schließen“, erklärt Felix Sieker.

Der Leitfaden soll auch dazu beitragen, die Digitalkompetenz bei den potenziellen Anwender:innen zu stärken. Denn ein Grundverständnis für die Funktionsweise algorithmischer Systeme ist unverzichtbar für das Gelingen des Verfahrens. Zudem hilft es den Beteiligten bei der nötigen Aufklärungsarbeit innerhalb der eigenen Organisation sowie gegenüber den Eltern. Weitere Erfolgsfaktoren sind ein klarer Zeitplan, abgesteckte Zuständigkeiten zwischen Projektleitung und Jugendamt sowie eine ausreichende Anzahl an Mitarbeiter:innen für das Projektmanagement und die IT.

Die Bertelsmann Stiftung wird mit ihrer Expertise im Bereich der frühkindlichen Bildung auch künftig als Ansprechpartnerin für den Einsatz von „KitaMatch“ zur Verfügung stehen. Weitere Informationen unter: www.kitamatch.com.

Quelle: Pressemitteilung Stiftung Bertelsmann




Kita-Platzvergabe funktioniert mit Algorithmus besser

Laut Studie der Bertelsmann Stiftung verbessert Software das Vergabeverfahren

Zu wenige Plätze, komplizierte Anmeldeverfahren, intransparente Vergabekriterien – die Suche nach einer Kita-Betreuung sorgt bei vielen Eltern in Deutschland für Frust. 54 Prozent der Eltern mit Kindern unter sechs Jahren berichten von Problemen bei der Vergabe von Betreuungsplätzen in Kitas – das ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Auch für die Kita-Leitungen ist die Situation unbefriedigend, denn sie müssen viel Zeit investieren, um die Anmeldungen zu verwalten. Wie ein aktuelles Impulspapier der Bertelsmann Stiftung beschreibt, lässt sich mithilfe von Algorithmen die Vergabe von Kita-Plätzen nicht nur effizienter, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch gerechter gestalten. „Die bisherigen Praxiserfahrungen einzelner deutscher Städte und Gemeinden zeigen, dass der verantwortungsvolle Einsatz von digitaler Technologie einen Beitrag dazu leisten kann, dieses gesellschaftlich relevante Problem zu lösen“, sagt Julia Gundlach, Autorin des Impulspapiers und Digitalexpertin bei der Bertelsmann Stiftung.

Transparenz bei Prozess und Kriterien entscheidend für faire Platzvergabe

„Kita-Plätze mit Hilfe von Algorithmen zu vergeben, spart sowohl Eltern als auch Kita-Leitungen viel Zeit und Mühe. Die Planungsunsicherheit und emotionale Belastung, die oft mit der Suche einhergehen, lassen sich auf diese Weise ebenfalls verringern“, führt Julia Gundlach aus. Denn auf Basis eines vorab definierten Katalogs von Vergabekriterien und der elterlichen Angaben zu Wunsch-Kitas unterstützt die Software bei der Abstimmung, welche Kita welchen Eltern einen Platz anbieten sollte. Mehr Chancengerechtigkeit entsteht, wenn ein Kind, das laut Vergabekriterien vorrangig einen Platz bekommen sollte, diesen auch erhält. Vor allem Kinder aus benachteiligten Familien könnten davon profitieren, da die Anmeldeverfahren für ihre Eltern oft eine große Hürde sind. Deshalb ist es wichtig, dass der Kriterienkatalog unter Beteiligung der Kitas, ihrer Träger, Jugendämter und Eltern ausgehandelt und offen kommuniziert wird. Das erhöht die Transparenz, Überprüfbarkeit und letztlich auch die Akzeptanz von Zu- oder Absagen. „Algorithmen sorgen nicht automatisch für mehr Fairness. Die Empfehlungen einer Software sind nur so gerecht, wie die Kriterien, nach denen diese programmiert ist“, erläutert Gundlach.

Der Stellenwert menschlicher Entscheidungen spielt auch für die Betroffenen eine große Rolle. So geben in der Befragung des Allensbach-Instituts nur fünf Prozent der Befragten an, dass Kita-Plätze allein durch Software vergeben werden sollten. Zugleich zeigt sich eine hohe Aufgeschlossenheit gegenüber dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine: 43 Prozent der befragten Eltern mit Kindern unter sechs Jahren halten es demnach für eine gute Idee, Algorithmen als Unterstützung bei der Vergabe von Kita-Plätzen zu nutzen. Die Zustimmung zum Einsatz der Technologie in der Gesamtbevölkerung fällt umso größer aus, je jünger und formal gebildeter die Befragten sind. So halten 52 Prozent der 16- bis 29-Jährigen die Nutzung von Algorithmen für sinnvoll, in der Gruppe der über 60-Jährigen dagegen nur 38 Prozent. Während 53 Prozent der Befragten mit Abitur oder Studium dem Thema positiv gegenüberstehen, sind es bei denen mit Haupt- oder Volksschulabschluss nur 32 Prozent. 

Den Technologieeinsatz partizipativ gestalten

Der Einsatz von Algorithmen in gesellschaftlich relevanten Bereichen sowie seine Auswirkungen müssen umfassend und zielgruppengerecht kommuniziert werden, um Informationsunterschiede abzubauen, folgert die Stiftung. Vor allem Anwenderinnen und Anwendern in Kita-Leitungen und Jugendämtern brauchen ein Grundverständnis für die Funktionsweise algorithmischer Systeme. Das hilft ihnen auch bei der nötigen Aufklärungsarbeit. In der Allensbach-Umfrage geben fast zwei Drittel der befragten Eltern mit Kindern im Kita-Alter an, dass es für sie wichtig ist, zu wissen, wie die Software-gestützte Platzvergabe funktioniert. Deshalb sollten Behörden die Einführung eines algorithmischen Systems auch nicht von oben herab verordnen, sondern die partizipative Gestaltung der Technologie einfordern und ermöglichen. Entscheidend sei, die technischen Systeme immer an den jeweiligen sozialen Kontext und die Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen. 

„Auch der beste Algorithmus kann keine neuen Betreuungsplätze schaffen“, sagt Gundlach. „Es ist und bleibt unsere menschliche Verantwortung, die Ursachen für komplexe soziale Probleme zu ergründen und dabei Technologie nicht als Allheilmittel, sondern als möglichen Teil einer gesamtheitlichen Lösung zu begreifen.” 

Die komplette Studie können Sie hier downloaden.

Zusatzinformationen

Die in den Kitas eingesetzte Software heißt „KitaMatch“ und wurde 2017 vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung entwickelt. Sie steht zwar kostenfrei als Open-Source-Angebot zur Verfügung, ist aber in ihrer aktuellen Darstellungsweise eher etwas für Nerds. Einen ausführlichen Artikel zur Software hat Prof. Thilo Klein in seinem Blog geschrieben. Wir recherchieren dazu noch.

An der repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach nahmen 1.286 Personen teil. Die Befragung erfolgte mittels persönlicher Interviews im November 2020.