Studie warnt: früh am Smartphone – später in der Krise

Trotz eindeutiger Forschungsergebnisse setzen viele Kitas in Deutschland weiterhin auf Tablets – und ignorieren damit gravierende Risiken für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen

Es ist immer einfacher, dem eigenen Kind das Smartphone in die Hand zu drücken, während man sich der Präsentation für den nächsten Arbeitstag widmet. Doch nach und nach wird aus dem gelegentlichen Ablenken ein immer häufiger geäußerter Wunsch – und schließlich ein nicht selten dramatisch inszenierter Anspruch. Auf Social Media kursieren inzwischen unzählige Clips, in denen Kleinkinder wütend oder gar hysterisch reagieren, wenn ihnen Smartphones oder Tablets verwehrt werden.

Dass es sich hierbei nicht nur um kurzfristige Erziehungskrisen handelt, zeigt nun eine aktuelle, internationale Langzeitstudie, die im Journal of Human Development and Capabilities veröffentlicht wurde. Die Forschenden rund um Dr. Tara Thiagarajan, Chefwissenschaftlerin der gemeinnützigen Organisation Sapien Labs, haben Daten von über 130.000 jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren aus weltweit mehr als 60 Ländern ausgewertet – darunter allein 14.000 in Indien.

Der frühe Smartphone-Zugang hinterlässt Spuren

Das zentrale Ergebnis der Untersuchung: Wer bereits vor dem 13. Lebensjahr ein Smartphone besaß, zeigte als junger Erwachsener deutlich häufiger Symptome schwerer psychischer Belastungen. Betroffen waren nicht nur depressive Verstimmungen und Angstzustände, sondern auch Realitätsverlust, Halluzinationen, Aggressionen und Suizidgedanken. Bei Frauen, die bereits mit fünf oder sechs Jahren ein Smartphone nutzten, lag der Anteil derjenigen mit suizidalen Gedanken bei alarmierenden 48 Prozent – bei gleichaltrigen Männern immerhin bei 31 Prozent.

Die Studie stellt zudem klar: Dieser Trend ist kulturübergreifend und unabhängig vom Herkunftsland konsistent – was die These untermauert, dass der Einfluss digitaler Geräte auf das sich entwickelnde Gehirn tiefgreifend und global vergleichbar ist. Die vollständige Studie ist öffentlich zugänglich über Sapien Labs (PDF) sowie auf EurekAlert.

Trotz Warnungen: Digitale Medien in deutschen Kitas auf dem Vormarsch

Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu paradox, dass es in Deutschland weiterhin Krippen und Kindertageseinrichtungen gibt, die gezielt Tabletzeiten für Krippen- und Kindergartenkinder einführen, statt Eltern über die langfristigen Risiken digitaler Mediennutzung im frühen Kindesalter aufzuklären.

Wissenschaftliche Warnungen gibt es längst nicht nur von Sapien Labs. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF weisen seit Jahren auf die negativen Folgen übermäßiger Bildschirmnutzung bei Kindern hin – insbesondere auf emotionale Belastungen, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und soziale Rückzugsverhalten.

Doch anstatt klare Präventionsmaßnahmen zu treffen oder medienfreie Räume zu schaffen, wird vielerorts weiterhin die sogenannte digitale Teilhabe auch im U3-Bereich als pädagogischer Fortschritt verkauft. Eine kritische Debatte über die tatsächlichen Kosten dieser Frühdigitalisierung findet bislang kaum statt.

Besonders bemerkenswert ist, dass Deutschland – gemeinsam mit Norwegen – offenbar eine der wenigen Ausnahmen bildet: Während in Schweden, Finnland, Estland und Dänemark der Einsatz von bildschirmgestützten Lernmitteln in Krippen nicht zum Standard gehört und teilweise durch Empfehlungen oder gesetzliche Einschränkungen ausdrücklich vermieden wird, experimentieren deutsche Träger sogar in U3-Gruppen mit Touchscreens, Tablets und digitalen Bildungsangeboten. Damit steht Deutschland international nahezu allein da – und das, obwohl viele der genannten Länder als Vorreiter einer wissenschaftlich fundierten Frühpädagogik gelten.

Was jetzt gebraucht wird

Dr. Thiagarajan fordert angesichts der Studienergebnisse nichts weniger als einen strikten Ausschluss von Smartphones für Kinder unter 13 Jahren – sowie umfassende politische und bildungssystemische Reformen, um Kinder und Jugendliche in digitalen Umgebungen besser zu schützen. Sie betont: „Wir sehen in den Daten eine sehr klare Altersgrenze, unterhalb derer der Zugang zu Smartphones massiv mit psychischer Instabilität im späteren Leben korreliert.“

Die Frage, die sich nun stellt: Wie viele wissenschaftlich fundierte Warnsignale braucht es noch, bis auch im deutschen Bildungswesen gehandelt wird? Und wie lange wird die Verantwortung für psychische Belastungen bei Heranwachsenden noch allein den Eltern zugeschoben – während Bildungseinrichtungen selbst aktiv zur digitalen Frühprägung beitragen?

Weiterführende Quellen:

Gernot Körner

cover-krenz-medienkompetenz

Medienkompetenz beginnt bei den Erwachsenen

Kinder jeden Alters erleben die vielfältige digitale Mediennutzung überall in ihrem Lebensalltag. Da bleibt es nicht aus, dass sie sich ebenfalls der Faszination digitaler Medien nicht entziehen können. Gleichzeitig gehört es zu den >Lebenskompetenzen< eines Menschen, mit den unübersehbaren und besonders verlockenden Angeboten in einer stark konsumorientierten […]weiterlesen

Armin Krenz: Medienkompetenz beginnt mit der Sach- und Medienkompetenz bei den Erwachsenen und nicht zuvorderst „am“ Kind! Heft, 28 Seiten, 5 €.




Seniorinnen in Kitas einsetzen?

Mitteilung des Verbandes der Kita-Fachkräfte in Baden-Württemberg

Die Misere in der Kitalandschaft ist mittlerweile keine Neuigkeit mehr. Auch das ehemalige Musterland Baden-Württemberg schafft den Spagat zwischen Bildung und Betreuung, Realität und Wunsch schon lange nicht mehr. Was allerdings neu ist, sind die vielen Akteure und Lösungssucher, die sich aktuell mit diesem Thema beschäftigen. Als pädagogische Fachkraft könnte man sich wundern: „Warum erst jetzt? ”. Doch wenn man die aktuelle Entwicklung beobachtet, dann erkennt man, warum. Es hagelt Klagen von Eltern, der Aufschrei der Arbeitgeber ist groß, da ihnen aufgrund von Kitaschließungen das Personal fehlt. Die Medien berichten immer mehr von den Missständen. Doch nicht alle Ideen tragen zu guten Lösungen bei.

Kürzung von Betreuungszeiten und Einrichtung von Notgruppen

Mittlerweile werden immer häufiger Betreuungszeiten gekürzt oder Notgruppen eingerichtet, da pädagogisches Fachpersonal krank und erschöpft wegbricht oder ganze Stellen unbesetzt bleiben. „Die Lösung für dieses bundesweite Problem kann aber nicht sein, auf unqualifiziertes fachfremdes Personal zu setzen und diese dann auch noch auf den sowieso schon knapp bemessenen und nicht mehr zeitgemäßen Personalschlüssel anzurechnen“, führt Anja Braekow vom Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg aus. „Es würde allerdings schon eine Entlastung bringen zusätzliches Personal im Hauswirtschaftsbereich und der Verwaltung einzusetzen“, unterstützt Heide Pöschel, ebenfalls Vorstandsmitglied, Braekows Forderung.

Optimale Schulung als Voraussetzung

Mit einer optimalen Schulung könnten Zusatzkräfte eine gewinnbringende Bereicherung sein und in der Verwaltung sowie Hauswirtschaft entlasten. Auch bei alltäglichen Angeboten wie Vorlesen oder Brettspiele spielen können solche Kräfte eine Unterstützung darstellen, aber niemals dürfen sie aus entwicklungspsychologischer und neurobiologischer Sicht als Ersatz von pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden.

„Kitas sind für viele Kinder oft die erste Einrichtung, in der sie außerfamiliär betreut werden. Hier wird der Grundstein der institutionellen Bildung gelegt. In Kitas werden individuelle Bildungsentwicklungen und das soziale Miteinander der Kinder begleitet, Eltern werden unterstützt und es wird mit weiteren Kooperationspartnern gearbeitet. Dies kann nur mit einer qualitativhochwertigen Ausbildung geleistet werden“, stellt Braekow die Situation dar. Um den Kindern den bestmöglichen Start zu ermöglichen, reicht es nicht aus, das kleinere Übel zu wählen und Kitas mit einer Experimentierklausel zu Experimentierstätten zu machen. „Es kommt nun darauf an, welche Maßnahmen wie und wann genau umgesetzt werden sollen. Wenn, wie vom Städtetag behauptet, tatsächlich immer das Kindeswohl und frühkindliche Bildung hohe Priorität haben, ist es nun an der Zeit, die Situation zu entlasten, statt zu verschärfen. Dies wiederum würde mehr Personal bedeuten, statt Personal zu ersetzen, durch engagierte Senior*innen. In den letzten Jahren haben wir zu oft erlebt, dass ein einmal gesenkter Standard nicht mehr angehoben wird“, führt Pöschel weiter aus und unterstreicht die Anliegen des Verbands.

Nicht qualifiziertes Fachpersonal durch unqualifiziertes Personal ersetzen!

„Qualifiziertes Fachpersonal durch unqualifiziertes Personal zu ersetzen, heißt nicht nur noch mehr Abstriche in der Bildung zu machen, sondern auch, sich auf rechtlich dünnes Eis zu begeben. Wer trägt die Konsequenzen, wenn ein Unfall passiert? Sind pädagogische Fachkräfte gewillt, unter diesen Umständen zu arbeiten oder wird die Fluktuation dadurch noch verstärkt? Wie soll in einer solchen Situation Bildungsgerechtigkeit realisiert werden? Kann Kinderschutz so überhaupt noch funktionieren? All dies sind Fragen und Ängste unserer Mitglieder“, schildert Braekow die Situation.

„Wie sich alles entwickelt, ist nun noch unklarer als bisher. Das laugt aus und erschöpft. Viele pädagogische Fachkräfte können bereits nicht mehr, also muss alles unternommen werden, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, denn ohne gute Kitas fehlt den Kindern der Grundstein einer guten Bildungsbiografie und spätestens in der Schule und dem Berufsleben brauchen wir leistungsstarke, resiliente und lernbereite Charaktere für die Zukunft unseres Landes“, plädiert Anja Braekow vom Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg.

Anja Braekow/Verband Kitafachkräfte Baden-Württemberg




Projektförderung für die sozial-emotionale Begleitung ukrainischer Kinder

Kitas können sich noch bis zum 15. Dezember 2022 bei der Deutschen Liga für das Kind bewerben!

Im Zusammenhang mit der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine kommen zahlreiche Mütter und junge Kinder nach Deutschland. Sie haben es in mehrfacher Weise schwer: Sie mussten möglicherweise traumatisierende Erfahrungen machen und haben die Trennung oder den Verlust von Vätern, Verwandten und Freunden zu beklagen, bisherige Sicherheiten und Gewohnheiten, aber auch Haustiere, Spielzeug und vertraute Umgebungen zurücklassen müssen. In Deutschland stehen sie einer völlig neuen Situation gegenüber und müssen sich ohne Übergang in einer neuen Lebenswelt und Sprachumgebung zurechtfinden.

Geflüchtete Mütter und Kinder sind auf eine „Normalisierung“ ihres Alltags angewiesen, die ihnen Sicherheit gibt. Für die Mütter kann die Aufnahme ihres Kindes in einer Kindertageseinrichtung Entlastung und Hilfe bedeuten, wenn Informationen gut verständlich sind und pädagogische Fachkräfte wertschätzend und einfühlsam kommunizieren. Mit Kindergarten plus gibt es ein bewährtes, wissenschaftlich evaluiertes und wirksames Programm, um mit pädagogischen Mitteln im Kita-Alltag die emotionale Stabilität von Kindern zu verbessern oder wieder herzustellen, die Integration in eine (Kinder-)Gruppe zu erleichtern und den Erwerb gewaltfreier Konfliktlösungsstrategien zu fördern.

Die Zusammenarbeit mit Eltern sowie in der Erstsprache aufbereitete Informationen sind dabei wichtige Bausteine. Dank einer Spende der Junker-Kempchen Stiftung können Kitas, die ukrainische geflüchtete Kinder betreuen, eine kostenlose Teilnahme am Programm bei der Liga beantragen.  

Die Fortbildungsmodule planen Kindergarten plus so, dass die Zeiten und Formate den Bedarfen jedes Teams bestmöglich entsprechen. Dazu gehören:

•          Einführungstag, Grundlagen der sozial-emotionalen Entwicklung und Förderung. Kennenlernen und Vorbereiten von Kindergarten plus und START ab 2 sowie Erhalt der Programmaterialien.

•          Seminarmodul zur Arbeit mit geflüchteten Kindern und deren Familien mit Fokus auf ukrainischen Familien.

•          Prozessbegleitung und Auswertungsworkshop.

Kitas, in denen ukrainische geflüchtete Kinder betreut werden, und die die sozial-emotionale Entwicklungsbegleitung von Kindern im Fokus haben, können sich jetzt bis zum 15.12.2022 bewerben! Füllen Sie dafür unter diesem Link ein kurzes Online-Formular zur Interessensbekundung aus.: https://forms.office.com/r/S37jFjGKK5

Projektleiterin:  Stella Valentien

Kontakt und weiterführende Information: E-Mail: stella.valentien@kindergartenplus.de

Quelle: Information der Deutschen Liga für das Kind




Integration geflüchteter Kinder gelingt Kitas gut

Studie ReGES (Refugees in the German Educational System) analysiert Situation geflüchteter Kinder

Für die Analyse der Situation geflüchteter Kinder in Kindertageseinrichtungen wurden 2.405 Kinder im Alter von mindestens vier Jahren, die zum ersten Befragungszeitpunkt noch nicht eingeschult waren, und ihre Eltern befragt.

Besuch einer Einrichtung wichtig für Integration

79,2 % der Kinder besuchten eine Kindertageseinrichtung. Dabei erachten Dr. Jutta von Maurice und Dr. Gisela Will, die beiden Verfasserinnen des Transferberichts, den Besuch einer Kindertageseinrichtung gerade für Kinder mit Fluchthintergrund als sinnvoll und wichtig. Die Familien, deren Kinder keine Kindertageseinrichtung besuchten, gaben als Grund hierfür am häufigsten an, dass kein Betreuungsplatz verfügbar war. Die Problemlage von Geflüchteten geht aber darüber hinaus, so die Autorinnen des Transferberichts, da etwa einige Eltern hier von fehlenden Informationen berichten.

Fast alle ErzieherInnen halten Integration für gelungen

„Ein erfreuliches Ergebnis ist, dass 94,1 % der befragten Erzieherinnen und Erzieher die Integration der Kinder mit Fluchthintergrund in ihrer Einrichtung als gelungen einschätzen“, so Jutta von Maurice, Leiterin der ReGES-Studie. Es dürfe aber nicht unerwähnt bleiben, dass damit 5,9 % nicht von einer gelingenden Integration berichten.

Analysen verschiedener ForscherInnen zusammengefasst

ReGES ist eine Längsschnittstudie, die über 4.800 Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund begleitet. Sie ist im Juli 2016 am Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) gestartet und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Zum Abschluss des Projekts ReGES wurden nun die Analysen verschiedener Forscherinnen und Forscher in einem Transferbericht zusammengefasst. Dieser bietet einen umfangreichen Überblick über bisherige Befunde und zeichnet dabei ein differenziertes Bild über die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen an verschiedenen Punkten im deutschen Bildungssystem. Die Befunde reichen in ihren Implikationen deutlich über den formalen Bildungsbereich hinaus.

Neue Studie am LIfBi: „Bildungswege von geflüchteten Kindern und Jugendlichen“

Ende Januar wurde die Förderung eines neuen Projekts „Bildungswege von geflüchteten Kindern und Jugendlichen“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bewilligt, das auf dem Datenbestand der Studie ReGES aufbaut. Das Projekt untersucht mit längerfristiger Perspektive Bildungswege sowie Bildungsentscheidungen von jungen Geflüchteten an zentralen Schnittstellen des deutschen Bildungssystems.

Hier geht es zum vollständigen Bericht zum Projekt ReGES: https://www.lifbi.de/…/LIfBi-Forschung-kompakt_02_ReGES…