Wie Kinder und Erwachsene lernen, sich richtig zu verstehen

Ein Interview mit Joanna Faber über Konflikte und demokratische Erziehung:

Adele Faber und Elaine Mazlish haben das erfolgreichste Elternbuch aller Zeiten geschrieben. Ihre Methoden wurden oft kopiert. Jetzt hat Adeles Tochter Joanna einen eigenen Ratgeber verfasst. In den USA ist er längst ein Bestseller und nun ist er auch in Deutschland erschienen. Im Interview spricht sie über ihr Buch und gibt viele praktische Tipps.

Weil sie nie zuhören…

Sie hören nie zu – ist die häuftigste Klage, die wir von fast allen Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräften über Kinder zu hören bekommen. Aber mit einigen cleveren Tools können wir diese Problematik angehen und uns Gehör verschaffen. Darüber haben wir mit Joanna Faber, der amerikanischen Pädagogin und Autorin von „Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht“ gesprochen.

Joanna hatte nicht vor, eine Fortsetzung des Bestsellers „So sag ich’s meinem Kind“ zu schreiben, den ihre Mutter, Adele Faber gemeinsam mit Elaine Mazlish verfasst hatte. Tatsächlich wehrt sie sich dagegen.

„Das sind große Fußstapfen, die es zu füllen gilt“, sagt Joanna, selbst Erziehungsexpertin und Pädagogin, die das „So sag ich’s meinem Kind“-Konzept in Erziehungsworkshops selbst praktiziert. Das Buch, das detaillierte Methoden der Eltern-Kind-Kommunikation beschreibt, verkaufte sich mehr als drei Millionen Mal und ist damit das erfolgreichste Elternbuch weltweit.

Aber Joanna wollte gemeinsam mit ihrer Freundin aus Kindertagen, Julie King, praktische Ratschläge anbieten, die sich speziell an kleine Kinder richten. „Wir hörten von so vielen Leuten, die sagten: ,Ich liebe diesen Ansatz, aber was mache ich, wenn mein Zweijähriger sich die Schuhe nicht anziehen will?’“ berichtet Faber. „Es ist schwer, die Theorie in die Tat umzusetzen, besonders wenn man mittendrin ist.“

(Foto: Joanna Faber und Julie King bei einer ersten Kooperation)

Das Ergebnis ist ihr neues Buch, Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht –  Ein Überlebenshandbuch für Eltern mit Kindern im Alter von 2 bis 7 Jahren“. Wir sprachen mit Joanna darüber, warum Kinder ihre Eltern manchmal ignorieren, über die Kraft des Spielens und darüber, warum Kommandos nach hinten losgehen können.

Ihre Mutter hat das weltweit meistverkaufte Erziehungsbuch geschrieben. Es ist in Deutschland unter dem Titel „So sag ich’s meinem Kind“ erschienen. Warum haben Sie „Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht“ geschrieben? Wie unterscheidet es sich von dem Buch deiner Mutter?

Joanna: Wir haben dieses Buch für all die Leute geschrieben, die sagen: „Ich liebe diesen So-sag-ich’s-meinem-Kind-Ansatz zur Kindererziehung, aber… was mache ich, wenn mein Zweieinhalbjähriger schreit, weil er das Hundefutter nicht essen darf… oder nicht auf die Kühlschrankregale klettern darf… oder sein batteriebetriebenes Feuerwehrauto nicht mit in die Badewanne nehmen darf…“

Joanna und Julie bei der Arbeit an ihrem Buch

Kleine Kinder leben nun mal in ihrem eigenen Reich. Sie sind voller großer Ideen und großer Gefühle. Aber sie haben noch nicht ganz begriffen, wie die Welt funktioniert. Es braucht eine besondere Mischung aus Geduld, Festigkeit und Humor, um das Leben mit Kleinkindern zu überleben. Julie und ich dachten, es wäre eine großartige Idee, ein Buch zu schreiben, das zeigt, wie Erwachsene diesen wunderbaren So-sag-ich’s meinem Kind-Ansatz in ganz konkreten Situationen anwenden können, die für kleinere Kinder typisch sind. Wir ordneten das Buch nach typischen Herausforderungen wie Essen, Schlafen, Geschwisterrivalität und so weiter. Wir haben 100 Prozent reale Geschichten von Eltern aus unseren Workshops und aus unserem eigenen Leben als Eltern und Lehrer verwendet, um die Methode zu illustrieren. Das Buch ist also nicht akademisch und belehrend. Es spiegelt die Verrücktheit des tatsächlichen Lebens mit kleinen Kindern wider.

Das Buch ist also nicht akademisch und belehrend. 
Es spiegelt die Verrücktheit des tatsächlichen 
Lebens mit kleinen Kindern wider.
Sie haben auch viel über Kinder mit Autismus geschrieben. Warum das?

Joanna: Die Eltern dieser Kinder sehen sich in den typischen Kindererziehungsbüchern oft nicht repräsentiert. Also haben wir alle Geschichten von Eltern mit nicht-neurotypischen Kindern gesammelt und gezeigt, wie sie diese Methoden an die Entwicklungsbedürfnisse ihres jeweiligen Kindes anpassen können.

Nun zur Kernfrage: Warum hören Kinder nicht auf ihre Eltern? Sollten wir uns in den letzten paar tausend Jahren nicht so entwickelt haben, dass wir kooperative Kinder haben?

Joanna: Ja, das wäre doch zu schön! Das Problem ist, dass wir Erwachsenen uns intensiv für eine ganze Reihe von Dingen interessieren, die unseren Kindern völlig egal sind. Zum Beispiel sind wir besessen von der Zeit. Wann haben Sie das letzte Mal gesagt: „Wir werden zu spät kommen!?“ Wahrscheinlich heute Morgen. Kinder kümmern sich nicht um die Zeit. Sie kümmern sich um das, was sie gerade tun. Und sie mögen es nicht, gehetzt zu werden. Wir Erwachsenen machen uns ständig Sorgen um die Sauberkeit – „Du musst dir die Hände waschen, ein Bad nehmen, deine Haare waschen…“
Die meisten Kinder wären vollkommen zufrieden damit, mit klebrigen Fingern, schmutzigen Knien, stinkenden Füßen und Haaren, die mit Haferflocken und Joghurt verklumpt sind, durchs Leben zu gehen. Wir möchten, dass sie ihre Spielsachen wegräumen und ihr Zimmer sauber halten. Sie würden gerne mit ihren Lastwagen und ihren Buntstiften im Bett schlafen. Und so weiter. Kinder können sich das vorstellen. Wir haben somit radikal unterschiedliche Vorstellungen.

Die meisten Kinder wären vollkommen zufrieden damit, 
mit klebrigen Fingern, schmutzigen Knien, stinkenden
Füßen und Haaren, die mit Haferflocken und Joghurt
verklumpt sind, durchs Leben zu gehen.
Warum sagen wir unseren Kindern nicht einfach, dass sie ihre Jacke aufhängen sollen oder, dass sie aufhören sollen zu quengeln?

Joanna: Stellen Sie sich mal vor, Sie kommen von der Arbeit nach Hause und Ihr Partner sagt: „Oh, gut, du bist zu Hause. Zieh deine Jacke aus, häng sie auf, setz dich hin und iss dein Essen. Beeil dich, hast du mich gehört, ich sagte, setz dich hin.‘ Selbst wenn das Essen gut riecht und Sie müde sind, gibt es etwas in Ihnen, das sich dagegen sträubt, weil niemand gerne gesagt bekommt, was er tun soll. Kinder bekommen den ganzen Tag lang gesagt, was sie tun sollen, und sie haben die gleichen nachtragenden Gefühle, die Erwachsene bekommen, wenn man uns sagt, was wir tun sollen.

Kinder bekommen den ganzen Tag lang gesagt, was sie tun
sollen, und sie haben die gleichen nachtragenden
Gefühle, die Erwachsene bekommen, wenn man uns sagt, was
wir tun sollen.
Wie sollen wir also unsere Kinder dazu bringen, zu kooperieren?

Joanna: Kinder werden tagsüber viel herumkommandiert. Es gibt so viele Dinge, die wir sie tun lassen müssen. Und natürlich mag niemand das Gefühl, herumkommandiert zu werden. Kein Kind und kein Erwachsener. Es gibt uns das Gefühl, trotzig zu sein. Befehle erzeugen automatisch Widerstand. Wenn wir also einen Befehl raushauen, arbeiten wir gegen unsere eigenen Interessen.
Um ein einfaches Beispiel zu geben, ist einer unserer Vorschläge, einen Befehl oder eine Drohung durch eine Wahlmöglichkeit zu ersetzen.
Anstelle von „Zieh jetzt deinen Schlafanzug an, sonst gibt es keine Gute-Nacht-Geschichte für dich!“ könnten wir sagen: „Willst du deinen Schlafanzug auf die normale Art und Weise anziehen… oder von innen nach außen?“ Oder: „Willst du ihn mit offenen Augen anziehen, oder willst du es mit geschlossenen Augen versuchen?“

Die dem Buch zugrunde liegenden Basisdaten, auf denen die praktischen Beispiele, Impulse und Sprachvorschläge aufgebaut sind, stimmen mit bedeutsamen Forschungsergebnissen aus den Feldern der Konfliktpsychologie sowie der Kommunikationswissenschaft überein und damit ist diese Publikation zugleich auch für elementarpädagogische Fachkräfte ein lesenswertes Praxislehrbuch zur weiteren Verbesserung der eigenen Sprachkompetenz.  

Prof. Dr. Armin Krenz auf kindergartenpaedagogik.de

Das hört sich danach an, als würden Sie dazu raten, dass Eltern ein bisschen albern sein sollten, wenn sie wollen, dass ihre Kinder etwas tun…

Es stimmt, dass dem eine humorvolle Grundhaltung zugrunde liegt. Viele der Vorschläge in unserem Buch haben spielerische Elemente. Kinder reagieren sehr stark auf Verspieltheit. Das kann fast magisch sein. Ein übler Konflikt lässt sich so in eine freudige Aktivität verwanden.
Ich hatte eine Mutter in meinem Workshop, die berichtete, dass sie mit ihrem Sohn erbitterte Kämpfe wegen des Aufräumens der Bauklötze hatte. Sie hatte mehrfach gedroht, sie wegzuwerfen, ohne erkennbaren Erfolg. Sie hatte ihn gezwungen, sie aufzuräumen, indem sie seine Hand über jeden einzelnen Klotz klemmte, seine Hand in die Klotztasche zwang und dann seine Finger von dem Klotz abzog. Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, wie unangenehm diese ganze Tortur war!
Nach unserer Workshop-Sitzung über Alternativen zu Befehlen und Drohungen beschloss sie, dass der Klotzsack mit einer schroffen, „klotzigen“ Stimme sprechen sollte. „Ich habe Hunger! FÜTTERE MICH MIT KLÖTZEN!“ Plötzlich rannte ihr Kind durch den Raum, um leckere Klötze aufzusammeln… Und auch sein älteres Geschwisterchen kam zur Hilfe. Der Klotzsack war vollgestopft mit Klötzchen, und er machte viele Kommentare über die verschiedenen Geschmacksrichtungen und den Zustand seines Verdauungstraktes. Eine neue Aufräumroutine war geboren.
Natürlich sind wir nicht immer in der Stimmung für Spiele, aber wenn wir die Energie aufbringen können, ist es ein mächtiges Werkzeug!

Bei unser Methode finden sich Wege, die Kinder dazu
bringen, sich kooperativ zu FÜHLEN, so dass das
Familienleben harmonischer verläuft, anstatt
Wege zu benutzen, die Kinder wütend und trotzig machen.
Manche Eltern vertreten schlicht die Meinung, ihre Kinder sollten einfach gehorchen, ohne sich immer Spiel und Spaß ausdenken zu müssen. Was können Sie diesen Eltern sagen?

Joanna: Es ist mehr als nur Spaß und Spiel. Es ist schon richtig. Wir wollen, dass unsere Kinder gut erzogen sind. Bei unser Methode finden sich Wege, die Kinder dazu bringen, sich kooperativ zu FÜHLEN, so dass das Familienleben harmonischer verläuft, anstatt Wege zu nutzen, die Kinder wütend und trotzig machen, während sich die Eltern frustriert fühlen. Letztlich schätzen wir alle den Geist der Kooperation und Fürsorge mehr als blinden Gehorsam, der meist nur auf Gewalt beruht.
Wir wollen, dass unsere Kinder auch noch kooperativ sind, wenn sie größer sind als wir. Und indem wir die Werkzeuge in diesem Buch verwenden, einschließlich der Problemlösung und das Erkennen und Anerkennen von Gefühlen, modellieren wir für unsere Kinder auch fürsorgliche und respektvolle Wege, um Konflikte mit anderen Menschen in ihrem Leben zu lösen.

Was anfangs nach mehr Arbeit aussieht, wird sich am Ende
als Erleichterung ihres Lebens herausstellen.
Die Eltern fühlen sich vielleicht zu müde und glauben nicht, dass sie das noch leisten können.

Joanna: Sie arbeiten für ein größeres Ziel. Und es ist nicht so schwer, wie es sich manchmal anhört. Sobald Eltern anfangen, solche Dinge zu tun, stellt sie fest, dass auch sie das Leben ein bisschen mehr genießen können, weil die Kinder kooperativer sind. Die Eltern und ErzieherInnen kommen mit weniger Kämpfen und mehr Spaß und mehr guten Gefühlen durch den Tag. Was anfangs nach mehr Arbeit aussieht, wird sich am Ende als Erleichterung ihres Lebens herausstellen.

Viele Eltern haben das Gefühl, dass alle anderen ihre Familiensituation besser im Griff haben. Kennen Sie das auch?

Joanna: Wir sitzen in unseren kleinen Kernfamilien fest und wissen nicht, was für Kämpfe es gibt. Jeder denkt, dass sein Kind das einzige ist, das zusammenbricht, wenn es vier Dinge malen muss, die mit einem B beginnen. Aber überall in der Stadt weinen Kinder hysterisch über ihren Hausaufgaben. In unserem Buch versuchen wir, dieses Gemeinschaftsgefühl wiederherzustellen, so dass man einen Blick auf all die Eltern werfen kann, die mit denselben Herausforderungen auf dieselbe menschliche, unvollkommene Weise umgehen.

In unserem Buch versuchen wir, dieses Gemeinschafts-
gefühl wiederherzustellen, so dass man einen Blick auf
all die Eltern werfen kann, die mit denselben Heraus-
forderungen auf dieselbe menschliche, unvollkommene
Weise umgehen.
Welchen Rat hast du für Eltern, die sich verzweifelt fühlen?

Joanna: Manchmal müssen sie sich eine Auszeit für sich selbst nehmen. Sagen sie sich: „Ich sehe, mein Kind will, dass ich mir sein Bild ansehe und es braucht das, aber ich kann das jetzt nicht. Ich brauche fünf Minuten, um mich hinzusetzen und meinen Tee zu trinken.‘ Ein Zweijähriger kann sie nicht verstehen. Aber ein Vierjähriger, der sich mit der Sprache der Gefühle beschäftigt hat, kann das schon. Sagen sie nicht: „Du bist böse, du belästigst mich, lass mich in Ruhe“. Sage sie: „Ich fühle mich mürrisch und müde und ich brauche ein wenig Zeit.“

Sei zu dir selbst so freundlich und nachsichtig wie zu
deinen Kindern und gib dir selbst genauso viele Chancen,
wie du sie deinen Kindern gibst.
Noch ein letzter Rat?

Joanna: Sei zu dir selbst so freundlich und nachsichtig wie zu deinen Kindern und gib dir selbst genauso viele Chancen, wie du sie deinen Kindern gibst. Behandle dich selbst liebevoll. Wenn dein Kind das sieht, bist Du ihm ein gutes Vorbild.

Das Buch von Joanna Faber und Julie King ist bei Oberstebrink unter dem Titel Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht – Ein Überlebenshandbuch für Eltern mit Kindern von 2 bis 7 Jahren“ erschienen, ISBN 978-3-96304-026-9, 24 €.




Richtig loben – Wie echte Anerkennung motiviert

Falsches Lob kann böse Folgen haben, echtes Lob motiviert:

Richtig loben will gelernt sein. Erst unlängst forderte der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, dass es Ältere doch mehr würdigen sollten, dass Jugendliche in Corona-Zeiten Verzicht üben und eben nicht auf Partys und in Clubs gehen würden. Was so manchem wie ein schlechter Witz erscheinen mag, meinte der Vorsitzende der Jugendorganisation jener Partei, die sich mit dem C auch die christlichen Werte ins Stammbuch geschrieben hat, völlig ernst. Hier wünscht jemand Lob und Anerkennung für das einhalten von Regeln. Etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte und von jedem erwartet werden darf. Sicher ist das ein prominentes Beispiel. Aber es ist auch keine Seltenheit.

Vorsicht – Lob kann demotivieren

Was ist da schief gegangen? Viele erinnern sich sicher noch an den Spruch „Hast Du Dein Kind heute schon gelobt?“. Das führte zu einer Flut von regelrechten Lobhudeleien, die Kinder aber weder bestärkten, noch motivierten. Ganz im Gegenteil: Es führte zu einer regelrechten Sucht nach Lob, um letztlich aber die von den Eltern erwarteten Aktionen zu blockieren. Um das zu verstehen, hilft es, sich Lob aus Erwachsenensicht anzusehen:

Stellen Sie sich vor, sie lernen gerade Tennisspielen. So sehr Sie sich auch mühen, Ihr Ball landet beim Aufschlag meist im Netz oder im Aus. Heute spielen Sie im Doppel mit einem neuen Partner. Ihr erster Aufschlag sitzt perfekt. Ihr Partner sagt: „Hey, Deine Aufschläge sind ja der Hammer!“

Wie fühlen Sie sich? Sind Sie stolz auf sich? Fühlen Sie sich selbstbewusster? Oder haben Sie vielleicht doch mehr Angst davor, dass Sie beim nächsten Mal den Ball nicht mehr so gut treffen?

„Lob ist kompliziert. Forschung und Beobachtung legen nahe, dass es nicht darum geht, wie viel wir loben, sondern wie wir Kinder richtig loben“, erklärt Joanna Faber. Sie ist die Tochter der berühmten amerikanischen Familienberaterin Adele Faber, mittlerweile selbst Pädagogin, Autorin und Mutter von drei Kindern. Sie hat anhand von etlichen praktischen Fällen festgestellt, dass falsches Lob zu Misstrauen, Demotivation, Verzweiflung und Angst führen kann. Eben hat sie in Deutschland das Buch „Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind sie versteht, herausgebracht. In den USA ist das Buch längst ein Bestseller. Der Grund: Obwohl ihr Buch auf dem wissenschaftlich neuesten Stand ist, sind die beschriebenen Tipps und Ratschläge vielfach erprobt und lassen sich direkt in die Praxis umsetzen.

Falsches Lob mit Folgen

Dabei wollen Eltern doch gerade das Gegenteil. Auf die Frage, warum sie ihre Kinder loben, antworten die meisten: „Wir versuchen, sie auf ihre eigenen Stärken aufmerksam zu machen.“, „Wir möchten sie dazu ermutigen, mehr von dem Gleichen zu tun.“, „Wir möchten, dass sie sich sicher fühlen … oder noch mehr versuchen“. „Es erscheint nur natürlich, dass wir unsere Kindern häufig und mit Begeisterung loben, wenn wir versuchen, ihr Selbstwertgefühl zu steigern: Sie sind großartig, klug, wunderbar, schön, das Beste!“

Laut einem Bericht über eine Studie des psychologischen Instituts der Universität Zürich ist mittlerweile erwiesen, dass ein Fähigkeitslob („Du bist so clever!) im Gegensatz zu einem Anstrengungslob („Da hast Du Dir aber Mühe gegeben“) dazu führt, dass Kinder herausfordernde Aufgaben in Zukunft künftig eher meiden. Der Grund dafür ist, dass Fähigkeiten im Gegensatz zur Anstrengung weniger veränderlich erscheinen. Und Kinder es eher vermeiden möchten, als „unfähig“ dazustehen. Auch ein Vergleichslob („Das hast Du besser gemacht als die anderen“) wirkt im Gegensatz zum Meisterungslob („Jetzt hast Du es geschafft“) auf die intrinsische Motivation eher negativ, stellt Dr. Martin Tomasik in diesem Bericht fest.

Der Grund: Es suggeriert Kindern, dass es wichtiger ist, besser zu sein als andere als etwas tatsächlich zu können. Auch übertriebenes Lob wie „Das ist das schönste Bild, das ich jemals gesehen habe“, statt „Das ist ein schönes Bild, das Du da gemalt hast“, schadet dem Kind. Besonders Kinder mit einem schwachen Selbstwertgefühl steigern daraufhin nicht ihre Anstrengungen, sondern suchen sich dann meist die einfachsten Aufgaben.

Besonders drastisch beschreibt der jüngst verstorbene dänische Familientherapeut Jesper Juul die Folgen übertriebenen Lobs in seinem Buch „Aus Erziehung wird Beziehung“. Auf die Frage, wie es dazu kommen kann, dass Jugendliche in Amerika, die aus sogenannten „guten Familien“ kommen, Gewalttaten begehen, antwortet er: „Was aber typisch für ,gute Familien’ … ist, dass sie die ganze Zeit Loblieder auf ihre Kinder anstimmen. Und was diese Kinder dann entwickeln, ist kein gesundes Selbstwertgefühl, sondern sie werden zu angeheizten, aufgeblasenen Egos. Da braucht nur eine Kleinigkeit vorzufallen, und schon lösen sich diese Egos in Nichts auf. Eine kleine Enttäuschung, dass die Zensuren nicht gut genug sind… reicht diesem jungen Menschen, um in Wut auszubrechen. Diese Kinder wurden zwar dauernd gelobt und mit großen Worten betört…, aber sie haben keine Wärme und authentische Nähe erfahren. Mit anderen Worten: Diese Kinder sind von ihren Eltern konsequent betrogen worden.“ Aus: Jesper Juul, Aus Erziehung wird Beziehung, ISBN 978-3-451-05533-1)

Kinder richtig loben und motivieren

Die beste Antwort darauf, hat der israelische Familienpsychologe Dr. Haim Ginott gegeben: „Das wertvollste Geschenk, das wir einem Kind machen können, ist ein positives und realistisches Bild von sich selbst. Nun, wie formt sich dieses Selbstbild? Nicht von einem Moment auf den anderen, sondern langsam, eine Erfahrung nach der anderen.“ Das trägt zu einem Bewusstsein der Kinder über sich selbst bei. Daraus entsteht: echtes Selbstbewusstsein.
Wer also richtig loben will, muss wissen, dass Lob nichts anderes als das Gegenteil von negativer Kritik ist. Und deshalb muss es realistisch und begründet sein. Echtes Lob ist ehrliche Anerkennung. Deshalb ist es nicht immer angemessen zu loben.
Aber es gibt eben auch Zeiten, zu denen Kinder ermutigende Sätze brauchen. Sie zeigen ihr gemaltes Bild und wollen wissen, ob wir es mögen. Was ist die beste Reaktion darauf? Gemeinsam mit Julie King hat Joanna Faber einige Regeln für echtes Lob in ihrem Buch „Wie Sie sprechen sollten, damit ihr Kind Sie versteht“ aufgestellt:

1. Beschreiben Sie, was Sie sehen

Wer richtig loben will, sollte nicht bewerten. Beschreiben Sie einfach, was Sie sehen. Statt: „Das ist ein schönes Bild!“ Versuchen Sie: „Ich sehe grüne Linien, die auf der Seite nach oben und unten laufen. Und sieh, wie sie all diese roten Formen verbinden!“ Anstelle von: „Gute Arbeit!“ Versuchen Sie: „Ich sehe, du hast alle Autos und Bücher weggeräumt und sogar die schmutzigen Socken mitgenommen! Ich sehe blanken Boden. Das war ein prima Job.“ Oder wenn Sie keine Lust auf viele Worte haben, können Sie einfach sagen: „Du hast es geschafft!“
Durch diese Aussagen versteht Ihr Kind, dass Sie es beachten und seine Leistung anerkennen, ohne eine Bewertung oder ein Urteil vorzunehmen, das es von künftigen Bemühungen abhalten könnte.

2. Beschreiben Sie die Auswirkungen auf andere

Wir alle möchten, dass unsere Kinder gute Mitmenschen sind. Wir wollen sie ermutigen, anderen zu helfen. Hüten Sie sich vor der Versuchung, ihren Charakter zu beurteilen. Bleiben sie bei der Beschreibung!
Anstelle von: „Du bist ein gutes Mädchen!“, können Sie sagen: „Du hast diese Einkaufstüten bis zur Küche getragen. Das war eine große Hilfe!“ Anstelle von: „Du bist der beste große Bruder!“, können Sie sagen: „Das Baby liebt es, wenn du diese lustigen Geräusche machst. Ich sehe ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht.“

3. Beschreiben Sie den Aufwand

Lob ist mächtig. Auf falsche Weise eingesetzt, kann es Kinder von Aktivitäten und Verhaltensweisen abhalten, zu denen wir ermutigen wollten. So klingt es, wenn Sie Anstrengungen loben, anstatt das Kind zu bewerten: Anstelle von: „Was für ein kluger Junge du bist!“, können Sie sagen: „Du hast weiter an diesem Rätsel gearbeitet, bis du es herausgefunden hast.“ Anstelle von: „Du bist ein talentierter Turner.“, können Sie sagen: „Ich habe gesehen, wie du immer wieder auf diesen Schwebebalken geklettert bist, bis du den ganzen Balken entlanggelaufen bist, ohne herunterzufallen.“

4. Beschreiben Sie den Fortschritt

Ein Vorteil des beschreibenden Lobes ist, dass Sie es auch verwenden können, wenn die Dinge nicht besonders gut laufen. Wenn ein Kind Chaos fabriziert oder mit einer Aufgabe zu kämpfen hat, sind wir versucht zu sagen, was es falsch gemacht hat. Aber das hilft wirklich nicht. Andererseits kann unechtes Lob: „Mach dir keine Sorgen, du machst das gut!“, wütend machen: „Nein, es geht nicht gut!“.
Mit beschreibendem Lob können wir den Fortschritt auf eine Weise aufzeigen, die sich unterstützend und aufrichtig anfühlt. Anstatt darauf hinzuweisen, was los ist … „Diese Handschrift ist so schlampig, dass man sie kaum lesen kann.“, sollten Sie zunächst hervorheben, was richtig ist: „Seht euch diesen Buchstaben ,B’ an! Er ist Sieger des Schönheitswettbewerbs. Er steht so hübsch auf der Linie. Er geht nicht durch den Boden und stört die Nachbarn im Erdgeschoss.“
Manchmal müssen wir darauf hinweisen, was falsch ist. In diesem Fall ist es wichtig, das Positive zuerst zu würdigen. Wenn Sie möchten, dass Kritik angenommen wird, sollten Sie drei positive Dinge sagen, bevor Sie das Negative erwähnen. Und selbst dann ist es am nützlichsten, Ihre Kritik positiv zu formulieren. Sprechen Sie darüber, was „getan werden muss“ und nicht, was immer noch falsch ist.

5. Widerstehen Sie dem Drang, im Vergleich zu loben

Kinder auf Kosten anderer zu loben, führt letztlich dazu, dass sie lernen, dass es wichtiger ist, besser zu sein, als wirklich etwas zu können. Stattdessen sollten Sie bei der Beschreibung seiner Handlungen, seiner Bemühungen, seines Fortschritts und seiner Auswirkungen Ihr Kind darauf aufmerksam machen, welche Auswirkungen es auf andere haben wird: „Du hast deine Schuhe selbst angezogen. Ich weiß, wer dem Baby beibringt, seine Schuhe zu binden, wenn es etwas größer wird.“ Jetzt kann es sich selbst als Lehrer seines kleinen Bruders sehen und nicht als Rivale.

Indem wir beschreibend loben, halten wir unseren Kindern einen Spiegel vor, um ihnen ihre Stärken zu zeigen. So gestalten Kinder ihr Selbstbild und wir schaffen einen Vorrat an Erinnerungen, die nicht weggenommen werden können.

Unser Buchtipp: Joanna Faber, Julie King: Wie Sie sprechen sollten, damit ihr Kind Sie versteht – Ein Überlebenshandbuch für Eltern mit Kindern von 2 bis 7 Jahren, Oberstebrink 2020, 384 Seiten, ISBN 978-3-96304-026-9, 24 €.