Konzeptionsentwicklung: Grundlage für eine ­Innen- und Außenqualität

Kindergarten

Von der Bestandsaufnahme über die Entwicklung bis zum fertigen Konzept

Die Elementarpädagogik ist in den vergangenen 30 Jahren wie kaum ein anderer Wissenschaftszweig in Unruhe versetzt worden. War es in den 90er-Jahren vor allem die Qualitätsentwicklung, die sich erstmals in der Frühpädagogik konsequent bis heute immer mehr durchsetzte, so waren es einige Jahre später die bahnbrechenden Erkenntnisse der Hirn-, Bildungs- und Bindungsforschung, die für die Elementarpädagogik immer mehr in den Vordergrund rückten. Dann forderten die länderspezifischen Bildungskonzepte, Orientierungspläne und Bildungsprogramme die ganze Aufmerksamkeit der elementarpädagogischen Fachkräfte und weitere Neuerungen kamen ins Gespräch: eine bilinguale Pädagogik, Dokumentation von Lerngeschichten, Portfolios, Veränderung klassischer Kindertagesstätten in Familienzentren etc. Damit wird eines deutlich: Die Elementarpädagogik war und ist in einem ständigen Entwicklungsprozess. Insofern fühl(t)en sich landauf, landab ungezählte Kindertageseinrichtungen dazu aufgefordert, bisherige Sichtweisen, Standpunkte und Gewohnheiten zu hinterfragen und aufgrund neuer Erkenntnisse bzw. Notwendigkeiten zu verändern.

Zielbestimmungen geben die Richtung für Konzepte, Konzeptionen und die Praxis der gesamten Pädagogik vor

Es gibt eine altbekannte Weisheit in der Lernzieltaxonomie, die lautet: „Wer nicht weiß, wohin er will, darf sich nicht wundern, dort zu landen, wohin er in keinem Fall wollte.“ Übertragen auf die Elementarpädagogik bedeutet(e) dies, dass es jederzeit notwendig war/ist, für das gesamte Arbeitsfeld und die damit verbundenen Arbeitsbereiche eine Bestandsaufnahme vorzunehmen (Ist-Analyse), um die Ergebnisse mit den sogenannten Soll-Vorhaben zu vergleichen.

Der besondere Sinn liegt vor allem darin, eigene Standpunkte selbstkritisch zu hinterfragen und immer wieder festzustellen, inwieweit die bisherigen Arbeitsmerkmale den aktuellen Notwendigkeiten einer bildungsorientierten und zugleich bindungsstarken Elementarpädagogik sowie den gültigen Verpflichtungen entsprechen. Des Weiteren hilft es, immer wieder eine Grundlagenorientierung herzustellen, um nicht unreflektiert modernistischen Strömungen zu folgen oder persönliche, subjektiv geprägte Vorlieben/Abneigungen zum Ausgangspunkt der realisierten Pädagogik zu erklären. Mit einer solchen Qualitätsevaluation ergibt sich die GRUNDLAGE für das besondere PÄDAGOGISCHE KONZEPT der Einrichtung. Sie wird später wie eine Richtschnur die Ausrichtung des pädagogischen und berufspolitischen (Selbst-)Verständnisses sowie die pädagogische Orientierung vorgeben.

Eine Bestandsaufnahme verfolgt zunächst die folgenden neun Ziele:

(Abb. 1: Ziele einer Bestandsaufnahme zur Herstellung/Verbesserung/Aufrechterhaltung einer Qualität und zur Festlegung konzeptioneller Eckwerte)

Um diesen Zielen möglichst nahezukommen, bietet es sich an, folgenden Fragen nachzugehen:

Beispielhafte Fragen zur Überprüfung des bisherigen KONZEPTS, zur Grundlagenklärung und zur Festlegung/Erarbeitung/Überarbeitung einer Konzeption:

  • Nach welchem pädagogischen Ansatz (unter Berücksichtigung der wesentlichen Merkmale) wird in der Einrichtung gearbeitet? Warum?
  • Wann wurde das letzte Mal eine umfangreiche „Situationsanalyse“ durchgeführt? Sind die Ergebnisse deckungsgleich mit den Zielen des pädagogischen Ansatzes?
  • Gibt es eine pädagogische Konzeption? Wie aktuell, umfassend und konkret ist sie und wann wurde sie das letzte Mal überarbeitet?

Fragen zum Personal:

  • Welche Visionen und Perspektiven bezüglich der Arbeit hat das Kollegium zurzeit?
  • Wie hoch sind die Merkmale Engagement, Arbeitsmotivation, Anstrengungsbereitschaft, Lebendigkeit und Arbeitsfreude ausgeprägt?
  • Wird die Arbeit regelmäßig und strukturiert fachlich reflektiert? Auf welche Art und Weise?

Fragen zur Praxis der Elementarpädagogik:

  • Wie sieht der Tagesablauf aus und wie begründet sich diese Aufbaustruktur? Wird thematisch oder projektorientiert gearbeitet?
  • Wie entstehen pädagogische Projekte bzw. wie ergeben sich thematische Schwerpunkte? Wie werden diese aufgebaut, durchgeführt und ausgewertet?
  • Beziehen sich die Projekte/Themen auf reale Lebenssituationen der Kinder und werden diese in künstlichen Situa­tionen oder Realwelten erfahren?
  • Wie werden Selbstständigkeit, Autonomie, Verantwortlichkeit und Initiative der Kinder praktisch angeregt und unterstützt? Welche Rolle spielen Partizipation, Inklusion und Genderorientierung?

Fragen zur Zusammenarbeit mit den Eltern:

  • Welche Dokumentationsformen zur Erfassung kindeigener Entwicklungsverläufe werden im Kollegium genutzt? Wann/wie oft werden die Ergebnisse mit Eltern besprochen?
  • Wie werden Widersprüche und kritische Äußerungen der Eltern vom Kollegium aufgenommen?
  • Erfahren die Eltern praktische Hilfestellungen bei Erziehungsfragen? Wie?

Weitere bedeutsame Fragen zu anderen Qualitätsfeldern:

  • Existiert eine vertrauensvolle, wertschätzende und arbeitsintensive Teamarbeit oder gibt es Spannungen? Werden Konflikte geklärt oder „unter den Tisch gekehrt“? Wie wird die Teamarbeit gepflegt?
  • Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen (Grundschulen, anderen Kitas, Beratungsstellen …) aus? Kann die Elementarpädagogik ihr eigenes Profil verdeutlichen?
  • Welche Formen aktiver Öffentlichkeitsarbeit werden regelmäßig in Angriff genommen?

Fragen zur Qualitätssicherung

  • Welche Qualitätsinstrumentarien sind bekannt? Für welches Qualitätsmanagement hat sich die Kindertagesstätte entschieden? Warum? Welche Qualitätsinstrumentarien werden abgelehnt? Aus welchen Gründen?
  • Welche Arbeitsschwerpunkte wurden bisher gezielt bearbeitet, mit welchem Ergebnis und welche Bereiche stehen als Nächste zur Bearbeitung an? Gibt es ein Qualitätshandbuch?
  • Was hat die Qualitätsevaluation bisher an praktischen Veränderungen mit sich gebracht?

Der Aufwand für eine Bearbeitung dieser und entsprechend weiter­führender Fragen ist der Mühe immer wert. Neben inhaltlichen Grundlagenklärungen entsteht ein professionelles Verständnis für eine qualitätsgeprägte Pädagogik sowie eine gemeinsame Einrichtungsidentität. Dies ist die wohl wichtigste Basis für einen gelingenden Alltag. Die Mitarbeiter/-innen der Kindertagesstätten bemerken dann selbst – wenn Grundlagen neu definiert/besprochen, Ziele neu/punktgenau angesteuert, Strukturen neu geordnet, Arbeitsvorhaben neu/kompetent entworfen und Arbeitsvorgänge neu aufgebaut/durchgeführt werden –, wie sich das eigenständige und unverwechselbare Profil dieser Einrichtung immer stärker herausbildet.

Insgesamt geht es bei einer Konzeptfindung, -erörterung, -festlegung immer um die folgenden Schwerpunktbereiche:

(Abb. 2: Die 14 Schwerpunkte zur Findung/Festlegung eines Konzepts und zur späteren Ausführung einer Konzeption)

Eine Konzeptentwicklung sorgt für tragfähige und verbindliche Eckpfeiler, damit im Anschluss eine Konzeption gestaltet oder die bisherige Konzeption umgeschrieben werden kann/muss. Damit entwickelt sich eine Konzeption zum schriftlich formulierten „Spiegelbild der Praxis“.

Die Konzept(ions)entwicklung dient auch zur gezielten Öffentlichkeitsarbeit

„Tue Gutes und rede darüber.“ Diese Aussage trifft auch für eine ­qualitätsgeprägte Öffentlichkeitsarbeit elementarpädagogischer Einrichtungen zu.
Leider hat sich bis heute in der breiten Öffentlichkeit immer noch nicht deutlich genug herumgesprochen, dass Kindertageseinrichtungen eigenständige FACHINSTITUTIONEN und die dort tätigen Mitarbeiter/
-innen FACHKRÄFTE weder liebevolle „Kinderbeschäftigungskräfte“ noch als Hilfskraft eingesetzte „Vorschullehrer/-innen“ sind. Das kann viele unterschiedliche Hintergründe haben. Wahrscheinlich liegt es daran, dass elementarpädagogische Fachkräfte bisher zu wenig für eine breit angelegte und offensiv gestaltete Öffentlichkeitsarbeit beigetragen haben. Umso bedeutsamer ist es daher, dass Kindertageseinrichtungen ihr eigenständiges, unverwechselbares Profil, ihren überaus bedeutsamen Beitrag für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung, ihre nicht zu ersetzende Wertigkeit im Hinblick auf die Persönlichkeits- und nachhaltige Bildungsentwicklung der Kinder sowie ihren Anspruch auf Wertschätzung zum Ausdruck bringen: deutlich, unmissverständlich, kontinuierlich und aussagestark formuliert.

Öffentlichkeitsarbeit verfolgt 3 Zielsetzungen

  1. Herstellung einer Transparenz der Aufgaben und hohen Wertigkeit,
  2. Steigerung des Ansehens der Einrichtung in der Öffentlichkeit und
  3. Aufbau, Ausbau und Pflege eines Vertrauens zur Öffentlichkeit.

Wenn auf der einen Seite von Mitarbeiter/-innen des Öfteren der Umstand beklagt wird, dass die Kita in der Öffentlichkeit entweder noch immer als „Aufbewahrungsstätte/Beschäftigungsort für Kinder“ angesehen oder wenn elementarpädagogische Fachkräfte im Vergleich zum „Bildungssystem Schule“ entweder einen untergeordneten Wert oder eine völlig unberechtigte „Zuarbeiteraufgabe für die Grundschule“ zugeschoben bekommen, dann muss es die Elementarpädagogik schaffen, ihre Aufgaben und ihren eigenständigen Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag kompetent nach außen zu tragen. Daher geht es um die Transparenz!

Elementarpädagogische Einrichtungen sind eine besonders bedeutsame gesellschaftspolitische Institution mit einer nachhaltigen Wirkung. Dieser Stellenwert hat sich jedoch in der Öffentlichkeit immer noch nicht deutlich genug durchgesetzt. Insofern kann eine offensive Öffentlichkeitsarbeit dabei helfen, diese Situation zu verändern.

Daher geht es um die Steigerung des Ansehens!

Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wird nur dann erreicht, wenn bestimmte Aktionen auffallen und damit der Öffentlichkeit deutlich ins Auge springen. Dabei geht es in der Öffentlichkeitsarbeit selbst nicht um irgendwelche punktuellen „Spots“, bei denen nur dann die Öffentlichkeit gesucht wird, wenn aktuelle Notwendigkeiten dazu drängen, bestimmte Aktionen in Gang zu setzen. Öffentlichkeitsarbeit lebt aus einer qualitätsgeprägten Kontinuität heraus – fachlich fundiert und beziehungsfreundlich in die Öffentlichkeit transportiert. Daher geht es um den Aufbau und die Pflege eines Vertrauensverhältnisses zur Öffentlichkeit mit langfristigen Wirkungen!

Öffentlichkeitsarbeit zeigt sich in einer breiten Vielfalt

Eine qualitätsgeprägte Elementarpädagogik verfolgt das Ziel, ihr PROFIL mit vielfältigen Dokumentationsbelegen transparent zu machen. Dabei nutzen die elementarpädagogischen Fachkräfte möglichst viele unterschiedliche Formen der Öffentlichkeitsarbeit, um die hohe Bedeutung der pädagogischen Arbeit für die Entwicklung der Kinder (und deren Familien) sowie ihre gesellschaftspolitische Wertigkeit zu dokumentieren. Kindertagesstätten präsentieren dabei ihre konzeptionellen Grundsätze/Richtlinien und ihre aktuelle, schriftlich fixierte Konzeption, ihre regelmäßigen Projektdokumentationen und ihre neuesten Jahresberichte.

Sie arbeiten an Fachpublikatio­nen mit und sorgen durch ihr öffentliches Engagement auch auf politischer Ebene für ein kinderfreundliches (entwicklungsförderliches) Umfeld. Ihre Teilnahme an Fachsymposien und Kongressen, ihre Kontaktpflege mit den Ausbildungsstätten (Fach-/Hochschulen) und die vielfältigen, öffentlichen Darstellungen (Ausstellungen/Mitwirkungen bei Aktionen), die Außenrepräsentanz bei Projekten und die Mitwirkung bei kommunalen/gemeindlichen Aktionen prägen ein Bild von der Institution, die das Selbstverständnis klar, nachvollziehbar und offensiv auf den Punkt zu bringen versucht. Nicht zuletzt dadurch schaffen es die Fachkräfte, das traditionell geprägte Bild einer „Kindergärtnerin“/eines „Kindergärtners“ aufzuheben und das einer professionellen Fachkraft mit einem hohen Fachwissen und einer gut ausgeprägten Handlungskompetenz zu stabilisieren.

Literatur

  • Bendt, Ute; Erler, Clauia (2008): Aus bewährter Praxis die eigene Kita-Konzep­tion entwickeln. Eine Anleitung in 8 Schritten. Mühlheim: Verlag an der Ruhr
  • Jacobs, Dorothee (2009): Die Konzeptionswerkstatt in der Kita. Weimar/Berlin: Verlag das netz
  • Krenz, Armin (Hrsg.) (2010): Kindorientierte Elementarpädagogik. Göttingen: Vandenhoeck + Ruprecht
  • Krenz, Armin (2009): Professionelle Öffentlichkeitsarbeit in Kindertagesstätten. Troisdorf/Köln: Bildungsverlag EINS
  • Krenz, Armin (2008): Konzeptionsentwicklung in Kindertagesstätten. Troisdorf: Bildungsverlag EINS
  • Krenz, Armin (2001): Qualitätssicherung in Kindertagesstätten. München: Ernst Reinhardt Verlag
  • Lill, Gerlinde (2007): Begriffe versenken. Sinn und Unsinn pädagogischer Gewohnheitswörter. Weimar/Berlin: Verlag das netz
krenz grundlagen

Diesen Beitrag haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Krenz, Armin

Grundlagen der Elementarpädagogik
Unverzichtbare Eckwerte für eine professionelle Frühpädagogik

192 Seiten,
ISBN: 978-3-944548-03-6
24,95 €




Leitbilder geben der Einrichtung qualitative Ziele vor

Ein werteorientiertes Leitbild bildet die Grundlage für eine qualitätsgeprägte Einrichtungskultur

Wie in unserer Gesellschaft existiert auch in Kindertageseinrichtungen ein weit gefasster Wertepluralismus, durch den teilweise übereinstimmende aber auch sehr unterschiedliche Ein- und Vorstellungen ihren Ausdruck finden. Auf der einen Seite werden gesellschaftliche sowie gesellschaftspolitische Erwartungen an frühkindliche Erziehungs- und Bildungseinrichtungen gestellt, auf der anderen Seite gibt es reichhaltige Träger-, Eltern-, Kinder- und weitere Außenerwartungen, mit denen sich die Mitarbeiter/innen täglich konfrontiert sehen. Schließlich sind es die Mitarbeiter/innen und Leitungskräfte selbst, die ihrerseits ihre Erwartungen mit in ihr Arbeitsfeld einbringen und nur in den seltensten Fällen wird es zu einer Übereinstimmung der Erwartungsvielfalt kommen.

Leitbilder sind mehr als Konzepte

Ein Leitbild erfasst mit seinen klar benannten Zielen, Tätigkeitsmerkmalen und Handlungsvorgaben Vorstellungen, welche Grundlagen in der Arbeit bestehen, welche Aufgaben zu erfüllen sind, wie die unterschiedlichen Aufgaben gestaltet werden, welche Besonderheiten die Einrichtung auszeichnet und vor allem welches Menschenbild der Arbeit und dem Selbstverständnis aller Mitarbeiter/innen zu Grunde liegt. Das heißt, dass im Leitbild die charakteristischen und unverwechselbaren Merkmale zusammengefasst und auf den Punkt gebracht werden. Im Gegensatz zu Konzepten, die lediglich Absichtserklärungen beinhalten, sind Leitbilder klar gefasste Formulierungen, die sich in der Realität widerspiegeln. Konzeptionen konkretisieren dann wiederum anhand differenzierter Erläuterungen und mit Hilfe von Beispielen die im Leitbild enthaltenen Grundlagen.

Leitbilder führen zu einer fassbaren Identität

Dadurch, dass in einem Leitbild alle wesentlichen Grundlagen sowohl zum unverwechselbaren Einrichtungsprofil als auch zum Selbstverständnis der Mitarbeiter/innen vorgestellt und benannt sind, trägt es zur Darstellung der eigenen Einrichtungsidentität bei und verdeutlicht damit, was Kinder, Eltern und die Öffentlichkeit in der vorgestellten Institution erwartet. Insofern erfüllt das Leitbild eine bedeutsame Außenpräsentation. Gleichzeitig – und das ist stets der erste und bedeutsamste Schritt – hilft es den Mitarbeiter/innen, ihre Einstellungen zur Arbeit, zu Kindern und Eltern, zu den mannigfachen Aufgabenstellungen, eigene Überzeugungen und Wertehaltung mit den formulierten Zielen, Aufgaben und Herausforderungen in Beziehung zu setzen, um einerseits Entsprechungen zu identifizieren und andererseits Widersprüche zu bemerken, die notwendigerweise und folgerichtig zu klären sind. Nur dadurch wird es möglich sein, eine nach außen präsentierte und nach innen gelebte Identitätshaltung umzusetzen.


krenz

Mehr von Prof. Dr. Armin Krenz:

Der situationsorientierte Ansatz – Auf einen Blick
Konkrete Praxishinweise zur Umsetzung
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548043
15,00 €

Mehr dazu auf www.oberstebrink.de


Das Kollegium ist (nicht immer) ein Abbild der Leitkultur

Papier ist geduldig: diese Aussage kennt jeder und so zeigt sich immer wieder bei einem Vergleich von Leitbildaussagen und den zum Ausdruck gebrachten Verhaltensweisen von Mitarbeiter/innen, dass es große Diskrepanzen zwischen wohlfeil formulierten, wunderbar niedergeschriebenen Aussagen und der erlebbaren Einrichtungsrealität gibt. So ist beispielsweise von einer Partizipationspädagogik die Rede und gleichzeitig zeigt sich bei genauerem Hinschauen, dass Erwachsene den Alltagsablauf bestimmen, an traditionsorientierten, ja normierten (!) Strukturen festhalten und nur am Rande eine erwachsenengesteuerte, so genannte Kinderkonferenz mit pseudodemokratischem Charakter abhalten. An anderer Stelle wird davon gesprochen, dass „Kinder im Mittelpunkt der Arbeit stehen“ und bei einer sorgsamen Betrachtung eher Träger- oder Elternwünsche die Arbeitsschwerpunkte im Alltag vorgeben. Oder im Leitbild ist zu lesen, dass Kindertageseinrichtungen – lt. Landesgesetz und Bildungsrichtlinien – einen eigenständigen „Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsauftrag“ in Abgrenzung zur Schulpädagogik haben, dennoch werden immer wieder funktionalisierte Vorschultrainings angeboten bzw. Vorschulgruppen gebildet. Darüber hinaus bleibt die Frage unbeantwortet, warum einerseits im Leitbild immer wieder von einem „ganzheitlichen Ansatz“ gesprochen wird, andererseits schematische „Sprach- und Lerneinheiten“ den Kindern vorgesetzt werden. Hier treffen deutliche, widersprüchliche Aussagen aufeinander, die es in einer Leitbilddiskussion sorgsam und nachhaltig zu erfassen und zu klären gilt.

Werte bilden die Grundlage für Qualität, Professionalität und Identität

Mitarbeiter/innen sind die wichtigsten Vertreter/ Repräsentant/innen der im Leitbild formulierten Werte. Insofern beginnt jede zum Leben erweckte Leitbildkultur mit folgenden Fragen: wer bin ich/ wer sind wir und welche Einstellungen kennzeichnen mein/ unser Selbstverständnis als Fachkraft? Welche ethischen, moralischen, ästhetischen, religiösen, wissenschaftlichen Werte liegen meiner Haltung zu Grunde und welche Einstellungen/ Haltungsgrundsätze bestimmen mein Verhalten im Umgang mit mir selbst, mit Kolleg/innen, der Leitungskraft, dem Träger, den Kindern, den Eltern, den mit der Einrichtung verbundenen Menschen? Wie stehe ich zur Trägerphilosophie – welchen Aussagen kann ich zustimmen, welche Inhalte fordern meinen Widerspruch heraus und wie kann ich den Widerspruch klären? Was verstehe ich unter dem Begriff „Qualität“ und welche Anstrengungen unternehme ich ganz konkret, um klar definierte Qualitätskriterien zu erfüllen? Welches Menschenbild besitze ich und wie/ wodurch kommt es tag-/täglich im Umgang mit mir, mit Kindern, Eltern, Kolleg/innen, der Leitungskraft, dem Träger, der Öffentlichkeit zum Ausdruck? Welche konkreten Vorhaben und selbst gestellte Herausforderungen tragen dazu bei, meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln, meine Teamfähigkeit auszubauen, meine Konfliktlösekompetenz zu vergrößern sowie meine Visionen zu konkretisieren? Diese und viele weitere Fragen sind in einem Prozess zum Aufbau und zur Stabilisierung einer unverwechselbaren und in sich stimmigen Einrichtungskultur unverzichtbar und notwendig.

Gelebte Werte prägen die Einrichtungskultur

Werte und Wertehaltungen sind primär das Ergebnis frühkindlicher Sozialisationsbedingungen und –einflüsse, die den Menschen zu ganz bestimmten Sichtweisen und Einstellungen führen. Manche sind ihm bewusst, andere unterliegen dem >blinden Fleck< und wiederum andere sind Wunschvorstellungen, die zwar der eigenen Überzeugung entspringen, allerdings nicht der Realität entsprechen. So gehört es zu einer Leitbildentwicklung und –überprüfung dazu, zunächst einen >Wertekatalog< für sich zu erstellen, um diesen im Kollegium vorzutragen und bei jedem (!) geäußerten Wert konkrete Beispiele zu benennen, um Wunsch-, Phantasie-, Real- und Vermutungswerte zu sondieren. Diese Aufgabe bildet stets die Ausgangssituation für eine stimmig gelebte Umgangskultur, die wiederum für eine entwicklungsförderliche Einrichtungskultur sorgt und einer entwicklungshinderlichen Einrichtungskultur keine Entfaltungschance bietet.

Eine solche, werteorientierte Einrichtungskultur kann nur dort entstehen, wenn alle (!) Mitarbeiter/innen * für ein freundliches, aufgeschlossenes, solidarisches Miteinander sorgen, *arbeitsbedingte/ personorientierte Vermutungen oder eigene Ängste offen und direkt ansprechen, * Konflikte rechtzeitig und inhaltsorientiert, mit konkreten Beispielsbeschreibungen belegt konstruktiv klären (wollen), * die Gleichwertigkeit aller Kolleg/innen – unabhängig von ihrem Status/ ihrer Ausbildung, ihrer Ethnie  – akzeptieren, * sich selbst, ihr Arbeitsverständnis, ihre Arbeitsleistung, ihre Teamfähigkeit regelmäßig selbstkritisch hinterfragen, * auf egozentrische, unsoziale Einstellungen/ Erwartungen verzichten, * ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden besitzen, *Selbstdisziplin, Selbstmotivation und Anstrengungsbereitschaft an den Tag legen, * Besonnenheit in hektischen Situationen ausdrücken, * strukturiertes, qualitätsorientiertes Sachhandeln – gerade bei vielfältigen Erwartungen – zum Ausdruck bringen, * Wahrnehmungsoffenheit zur Differenzierung von Wesentlichem und Unwesentlichem besitzen, * sinnverbundenes Denken, ein kausales und logisches Denken praktizieren, * Zuverlässigkeit im Alltag ausdrücken, * Gewaltfreiheit zum unverrückbaren Gut ihrer Haltung erklären, * Kommunikationsfreude sowie Achtsamkeit und Wertschätzung sich selbst sowie anderen gegenüber zeigen, um für eine nachhaltige Wertekultur zu sorgen.          

Zusammenfassung

Werte, die im Leitbild einer Einrichtung formuliert sind, besitzen erst dann eine Bedeutung, wenn sie zur gelebten Realität geworden sind bzw. werden. Damit kommt es zu einer Wertekultur, die immer wieder – regelmäßig – hinterfragt, überprüft und verbessert/weiterentwickelt wird/werden muss. Dabei ist jede Fachkraft ein bedeutsamer Ausgangspunkt für eine allseitige, erfahrbare Einrichtungskultur, die eine nachhaltige Bedeutung für alle beteiligten Personen mit sich bringt.                            

Literaturhinweise:

Binder, E. (2020):Was für mich zählt. Lebensorientierung durch Werte. Paderborn: Junfermann
Frey, D. (2015): Psychologie der Werte. Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie. Wiesbaden: Springer
Herbst, D. (2009): Corporate Identity. Aufbau einer einzigartigen Unternehmensidentität, Leitbild und Unternehmenskultur, Image messen, gestalten, überprüfen. Berlin: Cornelsen
Krenz, A. (2008): Konzeptionsentwicklung in Kindertagesstätten – professionell, konkret, qualitätsorientiert. Köln: Bildungsverlag EINS
Krenz, A. (2007): Werteentwicklung in der frühkindlichen Bildung und Erziehung. Berlin: Cornelsen Scriptor 
Rütten, B. (2010): Auf dem Weg zum Leitbild. Prozessschritte, Gelingensbedingungen und Hemmnisse in der Leitbildentwicklung. München: Grin
Strunk, A. (Hrsg.) (2013): Leitbildentwicklung und systemisches Controlling. Baden-Baden: Nomos
Werther, D. (2015): Vision – Mission – Werte. Die Basis der Leitbild- und Strategieentwicklung. Weinheim: Beltz

Autor: Armin Krenz, Prof. h.c. Dr. h.c., Honorarprofessor a.D., Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik + Entwicklungspsychologie.