Kulturelle Bildung beginnt im Elternhaus – oder im Jugendzentrum
Auswertung von Daten des Nationalen Bildungspanels durch das DIPF
Inwieweit Kinder und Jugendliche an Angeboten kultureller Bildung teilnehmen, hängt in erheblichem Maße vom Elternhaus ab. Das betrifft insbesondere Museums-, Konzert- und Theaterbesuche sowie Kurse außerhalb der Schule. Einzig kreative Angebote in Jugendzentren werden unabhängig vom familiären Hintergrund wahrgenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung von Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), die am DIPF/Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Studie sind in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft erschienen.
Breiter Begriff der kulturellen Bildung
Für ihre Studie wählten die Forscher einen besonders breiten Begriff der kulturellen Bildung, um möglichst umfassend die vielfältigen Sparten und Formen darzustellen. „Abseits vom Unterricht in der Schule findet kulturelle Bildung ja nicht nur in der Kunstausstellung oder beim Instrumentalunterricht statt, sondern auch in einem Verein, der Brauchtum pflegt, oder beim Streetdance-Workshop im Jugendzentrum“, erläutert Jannis Burkhard, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DIPF-Abteilung „Struktur und Steuerung des Bildungswesens“ und Erstautor der jetzt vorliegenden Veröffentlichung. „Gerade die Teilnahme an kreativen Aktivitäten in kulturellen Vereinen und in Jugendzentren ist bislang nur wenig empirisch erforscht.“ Diese Lücke konnte das wissenschaftliche Team nun durch eine Sekundäranalyse von NEPS-Daten schließen, die das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe der Wissenschaft zur Verfügung stellt.
Befunde passen zum bisherigen Forschungsstand
Die dabei erschlossenen Befunde reihen sich gut in den bisherigen Forschungsstand ein. So stellten die Autoren fest, dass das Elternhaus einen starken Einfluss darauf hat, ob Kinder Museen, Theater, klassische Konzerte sowie Kurse in der Musikschule besuchen. Auch beim Besuch von Schulen mit einem künstlerischen Profil und kulturellen Angeboten in Vereinen zeigte sich ein zumindest moderater Effekt der Eltern. Lediglich bei der Teilnahme an künstlerischen Angeboten in Jugendzentren gab es keinen Zusammenhang mit dem Elternhaus, unterstreicht DIPF-Forscher Jannis Burkhard. „Jugendzentren bieten offenbar einen Zugang zu kultureller Bildung, der unabhängig vom familiären Hintergrund ist. Aus bildungspolitischer Sicht können Jugendzentren also als Orte betrachtet werden, die insbesondere den Jugendlichen kulturelle Teilhabe ermöglichen, denen diese nicht schon durch die Eltern mitgegeben wird“, so der Wissenschaftler.
NEPS-Daten von rund 6.000 Schüler*innen ausgewertet
Für die Studie werteten die DIPF-Mitarbeiter NEPS-Daten von rund 6.000 Schüler*innen der 7. bis 9. Klassen sowie von über 4.000 Eltern aus. In den Datensätzen sind rund 12.000 offene Antworten zu den außerschulischen Kursen der Schüler*innen enthalten, die für die aktuelle Studie kodiert und ausgewertet wurden. In insgesamt zehn Sparten kultureller Bildung wurden diese Aktivitäten erfasst, beispielsweise Tanz, Schauspiel, bildende Kunst und Mediengestaltung. Bei Weitem am häufigsten gaben die Jugendlichen musikalische Aktivitäten an.
Orientierung am Begriff des kulturellen Kapitals
Neben diesem breiten Verständnis von kultureller Bildung betrachteten die Autoren auch den familiären Hintergrund differenzierter und orientierten sich dabei am Begriff des kulturellen Kapitals, der durch den französischen Soziologen Pierre Bourdieu geprägt worden ist. Somit bezogen sie nicht nur die Bildungsabschlüsse der Eltern in die Untersuchung mit ein, sondern auch Daten zu hochkulturellen Aktivitäten wie Konzertbesuchen und zu kulturellen Besitztümern im Elternhaus, zum Beispiel Kunstgegenstände und die Anzahl der Bücher.
Ergebnisse nur bedingt vergleichbar
Durch die teilweise unterschiedlichen Messweisen bei den einzelnen Formen kultureller Bildung sind die jeweiligen Ergebnisse nur bedingt vergleichbar. So gingen die Museums-, Konzert- und Theaterbesuche als quantitative Messgrößen in die Studien ein (1 = „nie“, 2 = „einmal“, 3 = „2 bis 3 mal“, 4 = „4 bis 5 mal“ 5 = „mehr als 5 mal“ – jeweils bezogen auf die letzten 12 Monate). Die anderen Formen kultureller Bildung hingegen wurden lediglich binär (ja/nein) gemessen. Die geschätzten Effekte sind daher zwischen den einzelnen Formen kultureller Bildung nur bedingt miteinander vergleichbar. Die skizzierten Befunde zur Abhängigkeit vom Elternhaus lassen sich dennoch ableiten.
Über das DIPF:
Das DIPF ist das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation mit Standorten in Frankfurt am Main und in Berlin. Es will dazu beitragen, Herausforderungen in der Bildung und für das Erforschen von Bildung zu bewältigen. Dafür unterstützt das Institut Schulen, Kindertagesstätten, Hochschulen, Wissenschaft, Verwaltung und Politik mit Forschung, digitaler Infrastruktur und Wissenstransfer. Übergreifendes Ziel seiner Aktivitäten ist eine qualitätsvolle, verantwortliche, international anschlussfähige und Gerechtigkeit fördernde Bildung, die zudem bestmöglich erforscht werden kann. www.dipf.de
Anke Wilde
Originalpublikation:
Burkhard, J., Kühne, S., Scharf, J., Maaz, K. (2024). Kulturelle Bildung – hausgemacht? Zum Effekt elterlichen kulturellen Kapitals auf die kulturellen Aktivitäten von Jugendlichen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. https://link.springer.com/article/10.1007/s11618-024-01219-6