Wie die Inklusion in deutschen Schulen stockt

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Barrieren in deutschen Schulen: Warum inklusiver Unterricht nicht vorankommt

Eine repräsentative forsa-Umfrage unter 2.737 Lehrkräften zeigt: Zwischen inklusiven Ansprüchen und schulischer Realität klafft weiterhin eine große Lücke. Seit der letzten Erhebung 2020 hat sich in Sachen Inklusion kaum etwas bewegt.

Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des VBE, kommentiert: „Die Inklusion in der Schule ist in den letzten fünf Jahren kaum vorangekommen“ Die Befragung offenbart strukturelle Defizite: 41 % der Lehrkräfte berichten, dass ihre Schule nicht barrierefrei sei — ein alarmierendes Zeichen. Barrieren betreffen nicht nur Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, sondern auch Lehrkräfte und Eltern. Sie verstoßen gegen das Grundrecht auf Teilhabe und freie Berufswahl.

Hohe Zustimmung – aber Zweifel an der Durchführbarkeit

Die grundsätzliche Zustimmung zur Inklusion ist groß: 62 % der Lehrkräfte (2015: 57 %) bewerten inklusiven Unterricht als sinnvoll – bei Lehrkräften mit praktischen Erfahrungen sind es sogar 69 %. Doch nur 28 % sehen die aktuelle Umsetzung als realistisch an – Gründe sind Personalmangel, große Klassen und fehlende individuelle Förderung. Als Konsequenz befürwortet fast die Hälfte den mehrheitlichen Erhalt von Förderschulen, ein Drittel sogar deren vollständige Beibehaltung. Lediglich knapp 20 % sprechen sich für ihre Abschaffung aus.

Personalknappheit und fehlende Unterstützung

In zwei Dritteln der Fälle reduziert sich die Klassengröße nicht, wenn inklusionsbedürftige Kinder hinzukommen. Zwar arbeiten inklusiv tätige Lehrkräfte häufig mit sonderpädagogischen Fachkräften zusammen – dies ist aber nur für die Hälfte der Befragten gegeben. Nur 20 % berichten von effektiven Unterstützungsmaßnahmen. Laut Neckov führt das zu Überlastung und Frustration. Die Politik ist gefordert: schnelle und wirkungsvolle Entlastung notwendig.

Qualifikation und Austausch fehlen

Viele Lehrkräfte fühlen sich ungenügend vorbereitet: Zwei Drittel erhielten keine Inklusions-Ausbildung, fast die Hälfte besitzt kein sonderpädagogisches Wissen. Fortbildungen werden zwar von über der Hälfte besucht, doch Angebots- und Zeitmangel blockieren eine flächendeckende Weiterbildung. Feste Koordinationsstrukturen würden zwar zunehmen, bleiben aber unzureichend — mit fatalen Folgen für die Motivation.

Digitale Mittel unterstützten, ersetzen aber nicht den Unterricht

75 % der Lehrkräfte nutzen digitale Endgeräte zur individuellen Förderung — häufiger an Grund‑ und Förderschulen, als an Gymnasien. 50 % verwenden Lern-Apps und ähnliche Tools mindestens wöchentlich. Digitale Medien erleichtern differenziertes Lernen und Zugänge für Kinder mit körperlichen Einschränkungen. Neckov mahnt jedoch: Technik ist ergänzend, kein Ersatz für zwischenmenschliche Unterstützung.

Fazit: Jetzt ist ein echter Aufbruch für Inklusion nötig

Neckov zieht ein nüchternes Fazit: „Auf die Lehrkraft kommt es an. Und wenn die nicht angemessen unterstützt wird, kann Inklusion nicht gelingen.“ Bislang ist das nicht der Fall — die Zufriedenheit mit der Inklusionspolitik bleibt niedrig, besonders bei Lehrkräften in inklusiven Settings (44 % sehr unzufrieden). Die Forderung: mehr Personal, bessere Qualifikation, mehr Zeit für Kooperation und barrierefreie Infrastruktur, damit Inklusion zur Norm wird.

Inklusion an Schulen aus Sicht der Lehrkräfte in Deutschland –
Meinungen, Einstellungen und Erfahrungen
Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Lehrkräften

Ergebnisse der Befragung als PDF

Quelle: Pressemitteilung VBE




Neue Autorität: Wenn Lehren auf Beziehung statt Bestrafung baut

Martin Lemme, Bruno Körner: „Neue Autorität“ in der Schule – Präsenz und Beziehung im Schulalltag

Wenn die Zeit für umfangreiche Fachliteratur fehlt, sind die Spickzettel für Lehrerinnen aus dem Carl-Auer Verlag eine willkommene Alternative: kompakt, praxisnah und inhaltlich dicht. Band 16 der Reihe, „Neue Autorität in der Schule“ von Martin Lemme und Bruno Körner, ist ein solches Büchlein – und hat es in sich.

In klar strukturierten, aufeinander aufbauenden Kapiteln skizzieren die Autoren einen Leitfaden für den professionellen Umgang mit herausforderndem Verhalten an Schulen. Die dahinterliegende Haltung ist geprägt von den Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation und aktuellen psychologischen Erkenntnissen. Aufbauend auf Haim Omers Konzept der „Neuen Autorität“ aus den 1980er-Jahren, übertragen Lemme und Körner dessen Kerngedanken überzeugend auf die schulische Praxis.

Dabei gelingt ihnen etwas Seltenes: Sie stellen bestehende Routinen nicht anklagend infrage, sondern nehmen gängige pädagogische Verhaltensweisen auf, reflektieren sie und transformieren sie behutsam. Wo der Schulalltag oft mit Strafen und „Konsequenzen“ auf abweichendes Verhalten reagiert, plädieren die Autoren für eine neue Form von Autorität – eine, die auf innerer Ruhe, Präsenz und Beziehung basiert. Selbst im „Schweigenden Gespräch“, das drei Minuten Stille aushält, bleibt diese Haltung spürbar zugewandt.

Lesende werden sich dabei nicht selten an Lehrpersonen erinnert fühlen, die sie selbst erlebt haben – im Positiven wie im Negativen. Gerade deshalb bietet dieses Buch wertvolle Impulse, um im Kollegium gemeinsam über bestehende Praktiken nachzudenken.

Insbesondere der verbreitete Umgang mit Entschuldigungen, Verträgen oder Sanktionen wird kritisch beleuchtet. Die Autoren zeigen auf, wie solche Maßnahmen, so gut gemeint sie sein mögen, oft an der Integrität der Schüler*innen vorbeizielen. Hier knüpfen sie an Jesper Juuls Werteverständnis an und entlarven manche gängige Praxis als pädagogisch fragwürdig.

Zwar hätten einige praxisnahe Fallbeispiele den Text anschaulicher gemacht – dennoch bleibt das Büchlein ein überzeugender, gut lesbarer Leitfaden. Es liefert Anregungen zur Selbstreflexion und eröffnet Wege aus Eskalationsspiralen – ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit Haltung.

Daniela Körner (Lehrkraft, nicht mit dem Autor verwandt oder verschwägert)

Martin Lemme, Bruno Körner
„Neue Autorität“ in der Schule
Präsenz und Beziehung im Schulalltag
Spickzettel für Lehrer
Band 16,
6. Auflage,
Softcover, 123 Seiten
ISBN 978-3-8497-0429-2
Carl-Auer Verlag
Heidelberg 2022
16,95 €

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Lehrkräftemangel an Grundschulen bald überwunden?

Berechnungen der Bertelsmann Stiftung sagen Entspannung an Grundschulen voraus

Seit Jahren leiden die Grundschulen in Deutschland unter dem Mangel an Lehrkräften, doch einer neuen Prognose zufolge wird sich dieser Trend bis Mitte des Jahrzehnts umkehren. Wie der Bildungsforscher Klaus Klemm gemeinsam mit dem Bildungsexperten der Bertelsmann Stiftung, Dirk Zorn, berechnete, dürften von 2023 bis 2035 insgesamt rund 96.250 fertig ausgebildete Lehrkräfte fürs Grundschullehramt zur Verfügung stehen. Der Bedarf an neuen Einstellungen im selben Zeitraum wird jedoch voraussichtlich nur etwas mehr als 50.000 Personen umfassen. Bis zum Jahr 2035 werden also zusammengenommen 45.800 Grundschullehrer:innen mehr bereitstehen, als erforderlich wären, um den Unterricht abzudecken. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte in ihrer Prognose aus dem vergangenen Monat noch einen Gesamtüberschuss von nur 6.300 Absolvent:innen ermittelt.

Verantwortlich für diese Abweichung ist die Trendwende in der demografischen Entwicklung: Während 2021 in Deutschland noch 795.500 Kinder geboren wurden, waren es 2022 noch 738.800 und 2023 hochgerechnet nur noch 689.300. Dieser deutliche Rückgang um mehr als 100.000 Geburten führt dazu, dass auch die Anzahl der Schüler:innen ab 2028 stärker zurückgehen wird, als in der KMK-Prognose angenommen. Auch für die Folgejahre gehen die Studienautoren von geringeren Geburtenzahlen aus. Laut den Berechnungen wird der Bedarf an Grundschullehrkräften im Jahr 2025 mit mehr als 213.000 seinen Höchststand erreichen und dann bis 2035 auf rund 180.000 abnehmen. Der Bedarf an Neueinstellungen wird voraussichtlich in den Jahren 2029 bis 2032 besonders stark sinken, danach allerdings wieder etwas ansteigen, da mehr Lehrkräfte in den Ruhestand eintreten.

Mehrangebot an Lehrkräften bedeutet pädagogische Chance und politische Verantwortung

„Der Lehrkräftemangel in der Grundschule wird schon bald vielerorts überwunden sein. Angesichts der schlechten Nachrichten für das deutsche Bildungssystem in den vergangenen Monaten, vom IQB-Bildungstrend bis PISA, ist das eindeutig ein Lichtblick“, sagt Dirk Zorn, Director Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung. Allerdings bleibe die Lage in anderen Schulstufen und in bestimmten Fächern weiterhin angespannt, merkt der Experte an. Vor allem in den nicht-gymnasialen weiterführenden Schulen sowie in den MINT-Fächern herrscht noch auf absehbare Zeit ein großer Mangel an Lehrkräften.

Das zu erwartende Mehrangebot an Lehrkräften im Grundschulbereich – schon für das laufende Jahr 2024 rechnen die Studienautoren mit einem Überschuss von rund 2.300 Personen – stellt an die Schulpolitik aber zugleich die Herausforderung, den Absolvent:innen verlässliche Perspektiven zu bieten. Zorn: „Durch die zusätzlichen ausgebildeten Lehrkräfte besteht eine große Chance, in die pädagogische Qualität an den Grundschulen zu investieren, was aufgrund des Personalmangels lange Zeit kaum möglich war. Dieses Potenzial sollte die Politik unbedingt nutzen.“

Einsatzmöglichkeiten für die zusätzlichen Lehrkräfte

Die Studienautoren empfehlen, drei Bereiche besonders in den Blick zu nehmen: Erstens könnten die zusätzlichen Lehrkräfte das ab dem Schuljahr 2024/2025 von Bund und Ländern geplante Startchancen-Programm verstärken. Es soll dazu dienen, 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler:innen gezielter zu fördern, davon ca. 2.400 Grundschulen. Die Experten raten dazu, zusätzliche Lehrkräftestellen für das Programm einzurichten, die aktuell nicht vorgesehen sind. „Es besteht die seltene Gelegenheit, die Schulen mit den größten Bedarfen personell deutlich besser auszustatten“, betont Zorn.

Zweitens könnten die Lehrkräfte im Grundschul-Ganztag zum Einsatz kommen. Hier besteht Handlungsdruck, da ab 2026 der Rechtsanspruch auf eine ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter greift. Im Rahmen multiprofessioneller Teams könnten die Lehrer:innen den großen Zusatzbedarf an pädagogischen Fachkräften zumindest teilweise abfedern. Drittens erscheint es sinnvoll, einen Teil der Lehrkräfte in den Jahrgangsstufen fünf und sechs einzusetzen, wo weiterhin viele Lehrer:innen fehlen. Dazu bedarf es allerdings einer zusätzlichen Qualifizierung, etwa bereits im Zuge des Lehramtsstudiums. 

Angesichts des zu erwartenden Mehrangebots an regulär ausgebildeten Lehrkräften stellt sich auch die Frage, welche Rolle Quereinsteiger:innen an Grundschulen künftig spielen. Dirk Zorn geht davon aus, dass sie punktuell nach wie vor benötigt werden. Das gelte etwa für Grundschulen in Regionen, in denen weiterhin mit einem Mangel an Lehrkräften zu rechnen ist.

Den Zyklus aus Mangel und Überschuss durchbrechen

Grundsätzlich regen die Studienautoren an, die Geburtenentwicklung aktueller zu berücksichtigen, um belastbarere Prognosen zur Schüler:innenzahl und damit auch den künftigen Bedarf an Lehrkräften zu treffen. Ausbildungswege sollten so flexibel gestaltet sein, dass sie besser auf demografische Schwankungen reagieren können, etwa durch Quereinstiegs-Masterstudiengänge. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, den schon oft beobachteten Zyklus aus Mangel- und Überschussphasen in der Ausbildung von Lehrer:innen zu durchbrechen.

Hier geht es zur Studie: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/weniger-geburten-mehr-lehrkraefte

Quelle: Bertelsmann Stiftung




Immer mehr Teilzeitkräfte an den Schulen beschäftigt

Über ein Drittel der Lehrkräfte ist über 50 Jahre alt – weniger Studenten

Angesichts des steigenden Lehrkräftebedarfs an Schulen wird häufig auch über den Beschäftigungsumfang von Lehrerinnen und Lehrern diskutiert. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren im Schuljahr 2022/2023 rund 724 800 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland tätig – davon 42,3 % in Teilzeit. Damit lag die Teilzeitquote bei Lehrkräften etwas höher als im Schuljahr zuvor (40,6 %) und wieder auf dem höchsten Stand der vergangenen zehn Jahre. Besonders Frauen reduzieren häufig ihre Arbeitszeit: Im Schuljahr 2022/2023 war die Teilzeitquote bei Lehrerinnen (49,9 %) mehr als doppelt so hoch wie bei Lehrern (21,8 %). 

Teilzeitquote bei Lehrkräften überdurchschnittlich hoch 

Im Vergleich zu anderen abhängig Beschäftigten ist die Teilzeitquote bei Lehrkräften mit 42,3 % überdurchschnittlich hoch. So arbeiteten im Jahr 2022 über alle Wirtschaftsbereiche hinweg 30,2 % der abhängig Beschäftigten in Teilzeit. Ein Grund für die höhere Teilzeitquote von Lehrerinnen und Lehrern ist der vergleichsweise hohe Frauenanteil: Während Frauen im Schuljahr 2022/2023 fast drei Viertel (73,1 %) des Lehrpersonals an allgemeinbildenden Schulen ausmachten, lag der Frauenanteil bei den abhängig Beschäftigten aller Wirtschaftsbereiche im Jahr 2022 bei 48,0 %. 

Rund die Hälfte der Lehrkräfte in Bremen und Hamburg arbeiten in Teilzeit 

Im Hinblick auf den Anteil der Teilzeitkräfte unter den Lehrerinnen und Lehrern zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während in Hamburg (54,4 %) und Bremen (49,9 %) im Schuljahr 2022/2023 rund die Hälfte des Lehrpersonals an allgemeinbildenden Schulen einer Teilzeitbeschäftigung nachging, traf dies nur auf fast jede vierte Lehrkraft in Thüringen (24,1 %) sowie gute jede fünfte (21,4 %) in Sachsen-Anhalt zu.

Mehr als ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer ist 50 Jahre und älter 

Wichtig zur Einschätzung des künftigen Bedarfs an neuen Lehrkräften ist die Altersstruktur innerhalb der Berufsgruppe. Gut ein Viertel (25,6 %) der Lehrkräfte im Schuljahr 2022/2023 war zwischen 50 und 59 Jahre alt, 10,6 % waren 60 Jahre und älter. Mehr als jede dritte Lehrkraft (36,2 %) war demnach 50 Jahre und älter. Demgegenüber fällt der Anteil der jüngeren Berufseinsteigerinnen und -einsteiger geringer aus: Die unter 35-Jährigen machten 21,1 % des Lehrpersonals an allgemeinbildenden Schulen aus. 

Auch hinsichtlich der Altersstruktur bestehen große Unterschiede zwischen den Bundesländern: In Sachsen-Anhalt waren 57,1 % der Lehrkräfte 50 Jahre alt und älter, in Thüringen 53,5 %. Am niedrigsten war dieser Anteil im Saarland (28,2 %) und in Bremen (30,4 %).

Erneuter Rückgang bei Studienanfängerinnen und -anfängern in Lehramtsstudiengängen 

Der Weg zum Beruf der Lehrerin und des Lehrers führt in der Regel über ein Lehramtsstudium. Die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger (1. Fachsemester), die ein Lehramtsstudium im Bachelor- oder Staatsexamensstudium beginnen, ist im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge gesunken. Im Studienjahr 2022 begannen knapp 45 400 Personen ein Lehramtsstudium (1. Fachsemester Bachelor oder Staatsexamen) – das waren 3,2 % weniger als im Vorjahr und 7,0 % weniger als zehn Jahre zuvor.

Zahl der Absolventinnen und Absolventen eines Lehramtsstudiums rückläufig 

Die Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen mit Master- oder Staatsexamensabschluss war ebenfalls rückläufig: Im Prüfungsjahr 2022 haben rund 28 700 Lehramtsstudierende entsprechende Abschlussprüfungen bestanden. Das waren zwar nur 0,7 % weniger Absolventinnen und Absolventen eines Lehramtsstudiums mit einem Masterabschluss oder dem 1. Staatsexamen als im Jahr zuvor (rund 28 900). Im Zehnjahresvergleich sank die entsprechende Zahl allerdings um 10,5 %.

Quelle: Statistisches Bundesamt




Immer mehr Kinder sorgen sich um die finanzielle Situation ihrer Familie

Das Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung zeigt, dass die Kinderarmut hierzulande wächst

Immer mehr Kinder und Jugendliche machen sich Sorgen um die finanzielle Situation ihrer Familie. Das geht aus dem heute veröffentlichten Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung GmbH hervor. Laut der repräsentativen Befragung von Lehrkräften hat Kinderarmut im Vergleich zum Schuljahr 2021/22 in allen Bevölkerungsschichten sichtbar zugenommen, in sozial benachteiligten Lagen wird das besonders deutlich.

Neben den Sorgen um die finanzielle Situation der Eltern (33 Prozent; in sozial schwieriger Lage: 48 Prozent) beobachtet jede dritte Lehrkraft häufiger, dass Schüler:innen Schulmaterialien fehlen (37 Prozent; in sozial schwieriger Lage: 64 Prozent) und sie ohne Frühstück in die Schule kommen (30 Prozent; in sozial schwieriger Lage: 54 Prozent). Auch besuchen weniger Kinder und Jugendliche Vereine (29 Prozent; in sozial schwieriger Lage: 51 Prozent) und nehmen seltener an Aufenthalten im Schullandheim teil (24 Prozent; in sozial schwieriger Lage: 37 Prozent).

„Arme Kinder werden zu oft zu armen Erwachsenen. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden“, sagt Dr. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung. „Fehlendes Geld im Elternhaus verhindert die Teilhabe junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben. Das hat auch Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit. Neben einer bedarfsdeckenden Kindergrundsicherung brauchen wir deshalb eine armutssensible Haltung der Pädagog:innen. Sie müssen nicht nur in der Lage sein, die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche zu erkennen, sondern auch Stigmatisierungen entgegenwirken.“

Lehrkräfte beobachten Konzentrationsprobleme und Ängste 

Das Verhalten der Schüler:innen (34 Prozent) und die eigene Arbeitsbelastung (31 Prozent) sind aktuell die größten Herausforderungen für die Lehrkräfte. Mehr als drei Viertel beobachten Konzentrationsprobleme in ihren Klassen (81 Prozent; 2022: 80 Prozent) und beklagen eine übermäßige Online-Nutzung (79 Prozent; an Grundschulen bereits 66 Prozent). Beinahe jede dritte Lehrkraft (31 Prozent) nimmt zudem Ängste bei den Kindern und Jugendlichen wahr. Motivationsprobleme (70 Prozent; 2022: 80 Prozent), aggressives Verhalten (27 Prozent; 2022: 39 Prozent) und unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht (15 Prozent; 2022: 38 Prozent) haben im Vergleich zu den Befragungen während der Corona-Pandemie abgenommen.  

Zwei Drittel der befragten Teilzeitkräfte sind grundsätzlich bereit aufzustocken

Seit Beginn des Jahres werden Maßnahmen gegen den akuten Lehrkräftemangel diskutiert. Als kurzfristige Lösung wird u.a. die Aufstockung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten vorgeschlagen. Vor diesem Hintergrund geben 38 Prozent der Befragten an, derzeit in Teilzeit zu arbeiten. Zwei Drittel dieser Teilzeit-Lehrkräfte sind grundsätzlich bereit, aufzustocken – bei den unter 40-Jährigen sind es sogar 73 Prozent. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. So fordern sie u.a. die Umstellung des Deputatsmodells auf ein Arbeitszeitmodell, das die tatsächliche Arbeitszeit abbildet und auch Aufgaben außerhalb des Unterrichts berücksichtigt (73 Prozent). Weniger private Sorgearbeit in der Familie (40 Prozent) und eine bessere Betreuungssituation für die eigenen Kinder (26 Prozent) sind weitere Voraussetzungen dafür, dass Lehrkräfte mehr Stunden arbeiten könnten. 

„In unserem aktuellen Schulsystem wird der Lehrkräftemangel nicht dadurch behoben, dass Teilzeit-Lehrkräfte mehr arbeiten“, sagt Wolf. „Der Arbeitsplatz Schule muss wieder attraktiver werden. Dazu gehört, die Sorgen der Lehrkräfte ernst zu nehmen und auf ihre Reformforderungen einzugehen. Eine umfassende Änderung des Arbeitszeitmodells kann Druck aus dem System nehmen und wäre ein erster Schritt zu einem zukunftsfähigen Bildungssystem.“

Über das Deutsche Schulbarometer 

Mit dem Deutschen Schulbarometer lässt die Robert Bosch Stiftung seit 2019 regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland durchführen. Für die aktuelle Ausgabe wurden zwischen dem 13. und 23. Juni 2023 insgesamt 1.032 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland vom Meinungsforschungsinstitut forsa befragt.

Weitere Informationen finden Sie hier: Und hier das Pdf zum Download

Quelle: Pressemitteilung Robert Bosch Stiftung




Keinen Bock auf Arbeit? Dann werden Sie doch Lehrer!

Baden-Württembergs Kampagne zur Gewinnung neuer Lehrkräfte fällt vor allem negativ auf

„GELANDET UND GAR KEINEN BOCK AUF ARBEIT MORGEN? HURRAAA! MACH WAS DIR SPAß MACHT UND WERDE LEHRER*IN.“, steht am Stuttgarter Flughafen in großen Lettern auf einem Plakat der Landesregierung Baden-Württemberg zu lesen. Auf der Website des Kultusministeriums im sogenannten „Ländle“ gibt es dann unter https://www.lehrer-in-bw.de/ einen „Quick-Check“, mit dem sich herausfinden lässt, wie die Angesprochenen möglichst schnell in den Schuldienst eintreten können. Auch für Menschen ohne Berufsausbildung gibt es einige tolle Angebote: „NIIICE! DU KÖNNTEST VERTRETUNGSLEHRKRAFT ODER UNTERSTÜTZUNGSLEHRKRAFT WERDEN ODER GEFLÜCHTETE UND NEU ZUGEWANDERTE KINDER UND JUGENDLICHE UNTERRICHTEN. – JETZT BEWERBEN“, steht hier zu lesen.

Hauptsache auffallen

Laut Spiegel online erklärt ein Sprecher des Kultusministeriums in Baden-Württemberg zur Kampagne, dass man schließlich auffallen müsse. Die Slogans seien bewusst so gewählt worden, um Aufmerksamkeit zu erregen. „Man muss schließlich auffallen, und das tun etwa die Plakate. Das ist gut, und es funktioniert auch.“

Selbstverständlich wirft die Aussage in solch einem Zusammenhang die Frage nach dem Bewusstsein der gesamten Landesregierung im so genannten „Ländle“ auf, deren grüner Ministerpräsident (Foto), der Lehrersohn Winfried Kretschmann, selbst gelernter Gymnasiallehrer ist, aber eben schon lange nicht mehr unterrichtet hat.

Der Grundschulverband, der für die Interessen der Schülerinnen und Schüler eintritt, hat dazu eine Stellungnahme publiziert:

Das sitzt. „Da schlägt sie einem knallhart ins Gesicht, eine mangelnde Wertschätzung gegenüber Lehrerinnen und Lehrern, die gerade in Zeiten des massiven und lang anhaltenden Lehrkräftemangels täglich bis an ihre Grenzen und oft auch darüber hinaus gehen.

Ja, der Grundschulverband teilt uneingeschränkt die Sorge des Kultusministeriums im Hinblick auf die Mangelmisere. Und unterstützt den Ansatz, dass alles getan werden muss, um diesen Missstand zu beheben. Wirklich alles?

Berappelt man sich, nachdem es einem erst einmal die Sprache verschlagen hat ob dieser fragwürdigen Äußerungen der Werbekampagne, dann scheint es dringend geboten, zwei zentrale Fragen aufzuwerfen:

  1. Wer fühlt sich von dieser Kampagne angesprochen?
  2. Sind damit die Lehrkräfte angesprochen, die Grundschulkinder brauchen, die ihrerseits das Recht auf eine allseitige und grundlegende Bildung haben?

Bereits im Verteidigungsmodus angekommen, führt das Kultusministerium an, es hätten sich schon nach wenigen Tagen 8000 Interessierte auf die Kampagne hin gemeldet.

„Keinen Bock auf Arbeit morgen?“ Wollen wir ernsthaft Menschen an unseren Schulen wissen, die „keinen Bock auf Arbeit“ haben? Neben aller notwendigen pädagogischen und fachlichen Qualifizierung von Quer- und Direkteinsteigerinnen und -einsteigern kommt es zuvorderst auf die Haltung und Einstellung an, mit der die Aufgabe, den Bildungs- und Erziehungsauftrag für Kinder zu erfüllen, angegangen wird. Die Haltung, die mit den Plakaten der Kampagne angesprochen wird, kann und darf es ganz sicher nicht sein! Kinder – zumal im Nachgang zu Corona – brauchen Menschen und Lehrkräfte, die sich nach Kräften zugewandt und umfänglich um ihre allseitige Bildung und Erziehung bemühen. Das ist kein „Job“, den man im Schmalspurmodus nebenher erledigt!

Ja, es braucht die Anstrengung aller, die im Bildungssystem Verantwortung tragen, Möglichkeiten zu suchen, den Lehrkräftemangel zumindest abzusoften (behoben werden kann er mit allen bereits angedachten und noch folgenden Maßnahmen sehr wahrscheinlich ohnehin nicht). An dieser Suche beteiligt sich der Grundschulverband auch gerne weiterhin.

Und nein – so geht‘s nicht! Hier schließt sich der Grundschulverband der Kritik der anderen Verbände uneingeschränkt an. Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an edgar.bohn@gsv-bw.de.“

Anmerkung der Redaktion

Zum Vorgehen der grün-schwarzen Landesregierung ließe sich sehr viel sagen. Bietet sie doch einen tiefen Einblick in die Gemütslage dieser Politikerinnen und Politiker, vor allem der grünen Kultusministerin Theress Schopper (Foto). Immerhin sind der Landesregierung zwei Dinge gelungen. 1. Sie fällt auf. 2. Sie hat richtig gegendert. Ansonsten hat sie mit Ihrer Missachtung gegenüber Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften einen echten Skandal produziert, der vor allem einen enormen Dilettantismus im Bereich Bildung und Bildungspolitik offenbart.

Einerseits leistet sich „The Länd“ noch immer ein aufwendiges Lehrerstudium, in dem anders als in anderen Bundesländern, ein Referendar aufgrund der subjektiven Entscheidung zweier Prüfer an einem einzigen Tag durch eine Lehrprobe der Zugang zum Lehrerberuf verweigert werden kann. Andererseits bedarf es wohl aus Sicht dieser Landesregierung kaum einer Qualifikation, um Kinder zu unterrichten. Gerade bei Kindern, die eben zugewandert sind, scheint der Bedarf an Qualifikation besonders niedrig zu sein. Dabei bräuchten doch gerade die Schwächsten im Bildungssystem, eine besondere Aufmerksamkeit durch unsere Gesellschaft.

Eine wesentliche Kompetenz, die den Machern dieser Kampagne zudem zu fehlen scheint, ist „soziale Kompetenz“. Letztlich ist ihr Handeln aber auch nur das Ergebnis einer über viele Jahrzehnte hinweg kurzsichtigen Bildungspolitik, die es sich bis zum heutigen Tag leistet, an unseren wichtigsten Gütern, den Kindern und ihrer Bildung, zu sparen, um damit unser aller Zukunft zu verspielen. Das muss endlich aufhören.

Gernot Körner




Besinnung auf die eigene Aufgabe stärkt die Haltung von Lehrkräften

Je mehr Lehrkräfte an ihre eigentliche Aufgabe glauben, desto motivierter und erfolgreicher sind ihre Schüler

Je weniger Lehrkräfte glauben, dass für Lernerfolge eine angeborene Begabung notwendig ist, desto motivierter und erfolgreicher sind ihre Schülerinnen und Schüler. Ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Anke Heyder aus der Psychologie der Ruhr-Universität Bochum hat eine einfache, kurze und wirkungsvolle Methode gefunden, wie man diese Haltung stärken kann: Sie baten Lehramtsstudierende, zu reflektieren und kurz aufzuschreiben, welche Mission sie mit dem Lehrerberuf verbinden, wie sie persönlich das Leben der Kinder in ihren Klassen positiv beeinflussen wollen. Noch eine Woche später waren die Teilnehmenden überzeugter davon, dass alle Kinder unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen lernen und schulisch erfolgreich sein können. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift „Learning und Instruction“ vom 28. März 2023.

Alle Kinder können sich entwickeln

Spaß und Erfolg in der Schule hängen stark von der jeweiligen Lehrkraft ab. Ihre grundlegenden Überzeugungen können sich auf die Lernenden übertragen. „Wichtig ist dabei, ob die Lehrkraft überzeugt ist, dass alle Kinder sich entwickeln und lernen können“, erklärt Anke Heyder. Die Psychologie nennt diese Überzeugung Growth Mindset. „Die Überzeugung, dass für den Lernerfolg ein Talent oder eine Begabung erforderlich seien, ohne die es eben nicht klappen kann, ist eher hinderlich.“ Dieses sogenannte Fixed Mindset trägt dazu bei, dass die Motivation vor allem bei leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern sinkt.

Obwohl diese Zusammenhänge aus vielen Studien bekannt sind, gab es bisher keine kompakte Maßnahme, die zu einer Stärkung des Growth Mindset bei Lehrenden führt. „Unsere Intervention ist neu, und sie ist bestechend kurz und subtil“, erklärt Anke Heyder. „Kern ist eine kurze Besinnung auf die eigene Mission: Warum bin ich Lehrerin oder Lehrer? Was will ich durch meine Tätigkeit bei meinen Schülerinnen und Schülern bewirken?“

Fragebogen zur inneren Haltung

Um die Intervention zu testen, gewannen die Forschenden insgesamt 576 angehende Lehrerinnen und Lehrer für ihre Studie. Die Teilnehmenden wurden in Gruppen eingeteilt. In der Interventionsgruppe sollten sie kurz über ihre Mission nachdenken und diese aufschreiben und nahmen dann an einer Befragung zu ihrer Haltung teil. In den Kontrollgruppen reflektierten sie nicht ihre Mission, sondern eine andere Frage, und füllte dann den Fragebogen aus oder umgekehrt.

„Wir konnten zeigen, dass die Haltung derjenigen, die sich mit ihrer Mission beschäftigt hatten, deutlich mehr in Richtung Growth Mindset tendierte als die der anderen Teilnehmenden“, berichtet Anke Heyder. Dieses Ergebnis war unabhängig vom Unterrichtsfach der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter. Eine Befragung eine Woche später zeigte dasselbe Ergebnis. „Das zeigt uns, dass der Effekt anhält – wenigstens eine Zeitlang“, so Heyder. Ob die Wirkung von Dauer ist, müssen weitere Arbeiten zeigen. „Ich kann Lehrkräften, aber auch Lehrenden an Universitäten und Führungskräften in der Wirtschaft, nur dazu raten, sich hin und wieder auf die eigene Mission zu besinnen“, sagt die Forscherin. „Davon profitieren nicht nur die Menschen, für die man verantwortlich ist, sondern es gibt auch Hinweise darauf, dass es die eigene Motivation und Berufszufriedenheit stärkt.“

Originalpublikation:

Anke Heyder, Ricarda Steinmayr, Andrei Cimpian: Reflecting on their mission increases preservice teachers’ growth mindsets, in: Learning and Instruction, 2023, DOI: 10.1016/j.learninstruc.2023.101770, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0959475223000397?via%3Dihub

Meike Drießen, Ruhr-Universität Bochum




Lehrkräftemangel deutlich gravierender als angenommen

Laut einer Umfrage des VBE sind mehr als 50.000 Lehrerstellen unbesetzt

Seit 2018 beauftragt der VBE das Sozialforschungsinstitut forsa damit, eine repräsentative Umfrage unter Schulleitungen durchzuführen und sie hinsichtlich ihrer Berufszufriedenheit zu befragen. Von Beginn an wird der Lehrkräftemangel von den teilnehmenden Schulleitungen als größtes Problem genannt. In der letzten Berufszufriedenheitsumfrage gaben dies fast 70 Prozent an. Dieses Jahr wurde erstmals erfragt, wie viele Stellen konkret zu Beginn des laufenden Schuljahres unbesetzt blieben. Das Ergebnis: im Schnitt 1,6 offene Stellen pro Schule. Gemessen an der Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulen in Deutschland, die das Bundesamt für Statistik für das zurückliegende Schuljahr mit 32.206 beziffert hat, ergibt dies einen Wert von über 50.000 unbesetzten Lehrkräftestellen bundesweit.

Im Schnitt konnten bundesweit 11 Prozent der Stellen nicht besetzt werden. Auch wenn dieser Wert seit 2018 zu stagnieren scheint, offenbaren die Daten auf den zweiten Blick eine Verschlechterung der personellen Situation. Gab 2017 noch gut ein Drittel der Schulleitungen an, 6 bis 10 Prozent der Stellen nicht besetzen zu können, taten dies in der aktuellen Befragung 9 Prozentpunkte weniger. Stattdessen gaben 9 Prozentpunkte mehr an, 10 – 15 Prozent oder sogar mehr als 15 Prozent der Stellen nicht besetzen zu können. Dies bedeutet, dass sich die Situation an den betroffenen Schulen innerhalb des Betrachtungszeitraumes noch einmal verschlechtert hat. Deutlich dramatischer gestaltet sich die Situation an Grund- sowie an Förder- und Sonderschulen. Hier blieben sogar 14 bzw. 15 Prozent der Stellen offen. Insgesamt gehen 84 Prozent der Schulleitungen davon aus, zukünftig stark oder sehr stark vom Lehrkräftemangel betroffen zu sein.

Der VBE fordert:

  • Eine bundesweite Fachkräfteoffensive, die aus einer Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt und finanziert wird.
  • Deutliche Verbesserungen in der Planung und Durchführung der Lehramtsausbildung, um die hohen Abbruchquoten zu senken.
  • Die Attraktivität des Berufsbildes muss sichtbar gesteigert werden. Es braucht die gleiche Bezahlung unabhängig von Schulform und -stufe und eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Schule.
  • Den Einsatz multiprofessioneller Teams in den Schulen. Sie können Lehrkräfte von Aufgaben entlasten, für die sie nicht originär ausgebildet sind.

Neben dem Lehrkräftemangel wurden den Schulleitungen auch Fragen zum Thema Seiteneinstieg gestellt. Entsprechend der Antworten sind derzeit an 60 Prozent der Schulen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger beschäftigt. Dies stellt eine Steigerung von 23 Prozentpunkten im Vergleich zu 2018 dar. Laut Brand eine dramatische Entwicklung, wenn man sich vergegenwärtige, dass dies gerade einmal fünf Jahre seien. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen (75 Prozent) sowie Förder- und Sonderschulen (74 Prozent) kommen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sogar noch deutlich häufiger zum Einsatz. Gut die Hälfte von ihnen befindet sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis, wobei dies mit fast 60 Prozent an Grundschulen auftritt.

Hierzu Brand: „Was uns einst als Notlösung verkauft wurde, ist längst fester Bestandteil der Realität in den Schulen. Das dies besonders in den Schulformen deutlich stärker auftritt, deren Schülerinnen und Schüler einen erhöhten pädagogischen Bedarf mitbringen, sehen wir mit großer Sorge. Hier ist eine solide pädagogische Ausbildung umso wichtiger. Und dass wir besonders in den Grundschulen vermehrt befristete Arbeitsverhältnisse sehen, wo doch besonders in den ersten Jahren der schulischen Bildung eine kontinuierliche Beziehungsarbeit von besonderer Bedeutung ist, muss schnellstens korrigiert werden. Nicht nur, dass Menschen, die bereit sind in die Bresche zu springen, nicht mit derartigen Arbeitsverhältnissen abgespeist werden dürfen, es wirft auch ein zweifelhaftes Licht nach außen. Wen will man mit solchen Arbeitsverhältnissen für diesen großartigen Job begeistern? Hier muss dringend nachgebessert werden.“

Der VBE fordert:

  • Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger müssen eine mindestens sechsmonatige Vorqualifizierung durchlaufen, um grundlegende pädagogische und didaktische Grundkenntnisse erwerben zu können.
  • Bereits im Dienst befindliche Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger müssen darüber hinaus vollumfänglich und bis zur vollständigen Lehrbefähigung weiterqualifiziert werden.
  • Kolleginnen und Kollegen, die Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger bei der Einarbeitung begleiten, müssen für diese zusätzliche Aufgabe zeitlich entlastet werden.

Kontext: Die Berechnung der Schätzung erfolgte auf Basis der Aussagen der befragten Schulleitungen über die nicht besetzten Stellen an der Schule. Es ist zu beachten, dass die vorliegenden Ergebnisse der repräsentativen Umfrage lediglich mit einer möglichen Fehlertoleranz von +/- 3 Prozent auf die Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulen übertragen werden können.