Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir

spurwechsel

Patrick Blumschein/Klaus Oehmann: Spurwechsel: Beispiele erfolgreicher Schulentwicklung

„Non vitae sed scholae discimus“ („Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“) Lucius Annaeus Seneca * etwa im Jahre 1 in Corduba; † 65 n. Chr.) Der römische Philosoph drückte damit aus, wie wenig sich die damalige Lehre in seinen Augen am praktischen Leben orientierte.

Doch sind wir heute viel weiter als damals? Mit Sicherheit. Aber da geht noch mehr. Wie das konkret aussehen könnte, versuchen Patrick Blumschein und Klaus Oehmann in ihrem Buch „Spurwechsel“ zu erklären. Im zweiten Buch des Autorenduos gibt es neben der Theorie nun auch praktische Beispiele einiger Schulen, die eine erfolgreiche Schulentwicklung durchlaufen haben. Gemeinsam ist den vorgestellten Schulen, dass sie sich mehr an der Lebenswirklichkeit und an den Kompetenzen der Lernenden orientieren und verstärkt auf deren Eigeninteresses setzen. So, wie es in der modernen Theorie vorgesehen ist. Dabei gehören Vorstellungen wie das Wissen eintrichtern zu können der Vergangenheit an

Wichtig für einen nachhaltigen Lerneffekt ist nach Meinung der Autoren, geeignete Lernaufgaben zu stellen, die wie echte Probleme aus dem Lebensalltag keinen vorgegebenen Lösungsweg haben, sondern die Kreativität und die Lernbereitschaft der Schüler*innen fordert und fördert. Kennzeichnend für diese Lernaufgaben ist die Problemvielfalt und dass es verschiedene Lösungswege gibt. Das für die Lösung notwendige Faktenwissen und die benötigten Fähigkeiten gilt es sich dann anzueignen. Wie genau solche Aufgaben gestaltet werden beschreiben Blumschein und Oehmann ausführlich in ihrem ersten Band.

Hier in Band zwei gibt es eine Kurzfassung zum Aufgabendidaktischen Kompass

Zu Beginn steht ein konkretes Problem. Dieses tritt in einer bestimmten Situation auf. – Und hier liegt der Unterschied zu herkömmlichen Aufgaben. – Die Aufgabe hat einen Bezug zu realen Situationen. Denn zahleiche Studien haben nachgewiesen, dass Lernen nachhaltiger ist, wenn es in Anwendungssituationen geschieht. Auf dem Weg und auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten, gilt es nun sich Kompetenzen anzueignen. Dann geht es daran aktiv zu werden und zu handeln, um das Problem zu lösen. Dabei eignen sich die Lernenden Wissen und Fähigkeiten an, die sie direkt anwenden und umsetzen können. So ist das Lernen keine Qual, sondern bietet Erfolgserlebnisse, wenn das Problem erfolgreich und im Idealfall im Team gelöst wurde.

Einige Schulen haben sich bereits auf den Weg gemacht ein anderes Lernen zu ermöglichen. Die konkreten Schwerpunkte bei den im Anschluss vorgestellten Schulen sehen unterschiedlich aus. Die Inselschule Borkum setzt auf Kompetenztests statt Klassenarbeiten. Die Fachoberschule München hat das Montessori-Konzept bis in die Oberstufe weiterentwickelt. Das Feedbackkonzept ersetzt die Noten. Lerncoaches sollen jedem/r Schüler/in ein positives Lernerlebnis ermöglichen. Das „inspire! Lab“ ein außerschulischer Bildungsträger verbindet Kreativität und Lernen. Und an der Landesberufsschule Emma Hellenstainer Südtirol geschieht Lernen in Eigenverantwortung.

Das sind nur einige Beispiele, die aber für viele Schulen interessant sein könnten und sollten, um eine Anregung für eine Weiterentwicklung zu geben, die sich mehr an der lebenswirklichen Realität, an den Schüler/innnen und deren Fähigkeiten, als an mittlerweile veralteten Schulmodellen orientiert.

Anja Lusch

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Klaus Oehmann, Patrick Blumschein
Spurwechsel: Beispiele erfolgreicher Schulentwicklung
hep verlag; 1. Edition (1. Mai 2024)
Taschenbuch, 264 Seiten
ISBN: ‎ 978-3035526448
Taschenbuch 27,00€
eBook epub 21,99 €


Klaus Oehmann, Patrick Blumschein
Schluss mit der Donut-Pädagogik! Lebensnahe Lernaufgaben leicht gemacht

Zur Besprechung vom ersten Buch der Autoren auf  literaturgarage.de




Handbuch „Transformatives Lernen durch Engagement“ frei zum Download

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Ein Handbuch für Kooperationsprojekte zwischen Schulen und außerschulischen AkteurInnen im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung

Das Handbuch „Transformatives Lernen durch Engagement – Soziale Innovationen als Impulsgeber für Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist eines der Ergebnissee eine Forschungsprojektes zum Thema. In diesem wurden in Kooperation zwischen Schulen und zivilgesellschaftlichen Nachhaltigkeitsinitiativen sogenannter Lernwerkstätten im Modus des Service-Learning initiiert, um Kinder und Jugendliche für ein Nachhaltigkeitsengagement zu begeistern.

Das Handbuch liefert theoretisches Hintergrundwissen, praktische Empfehlungen, Methoden und Materialien zur Durchführung solcher Lernwerkstätten im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es richtet sich an MultiplikatorInnen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit, sowie an PraxisakteurInnen eines sozial-ökologischen Wandels und möchte dazu ermutigen, innovative Lernformen zu erproben und sich für nachhaltigkeitsorientierte Lernkulturen einzusetzen. Weitere Informationen und Download der Broschüre als PDF

Transformatives Lernen durch Engagement

Autor(en): Jona Blum, Mareike Fritz, Janina Taigel, Mandy Singer-Brodowski, Martina Schmitt, Matthias Wanner




Kinder sind Forschende in ihrer eigenen Welt

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Das Bedürfnis, sich selbst und die Umwelt zu begreifen, liegt in der Natur des Menschen

„Ich hätte viele Dinge begriffen, hätte man sie mir nicht erklärt.“, beklagte einst der polnische Lyriker und Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec eines der zentralen Missverständnisse in der Erziehung und im Bildungsbetrieb. Seit vielen tausend Jahren verspüren Erwachsene das Bedürfnis, Kindern die Welt zu erklären und sie nach einem fiktiven Bild zu „formen“. Und fast ebenso lange existiert die Erkenntnis, dass das so nicht nur nicht funktioniert, sondern oftmals sogar den gegenteiligen Effekt hat. Die chinesischen Philosophen Laotzi und Konfuzius waren wohl die ersten, die vor gut 2500 Jahren darauf hingewiesen haben. Auch die antiken Griechen und Römer erkannten das Problem. So erklärte der berühmteste Redner Roms, Marcus Tullius Cicero: „Die Autorität der Lehrenden ist oft ein Hindernis für jene, die lernen wollen.”

Lernen von Anfang an

Und lernen will jedes Kind von Anfang an. Schließlich ist das überlebenswichtig. So sucht ein Säugling den Kontakt zu seinem Gegenüber, und erfährt dabei, ob er willkommen ist. Er erforscht seinen Körper und seine nächste Umgebung. Dabei begreift er, wie sie auf ihn reagiert. Heute sagen wir dazu, „er geht in Resonanz“.

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

Immanuel Kant

Fühlt sich ein Kind geborgen, macht es sich spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn es krabbeln kann auf den Weg, die Welt zu erobern. Dieses Streben nach Autonomie verstärkt sich, wenn es sein Selbst erkennt. Das Bedürfnis nach Autonomie ist etwas zutiefst Menschliches. Es steht ein ganzes Leben lang im Spannungsfeld zu dem Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit. Zur Autonomie gehört die Möglichkeit, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, Selbstwirksamkeit zu erleben. Das setzt von Anfang an nicht nur Beteiligung voraus, sondern ist auch die Voraussetzung für Forschergeist und Kreativität.

Keine Lust auf Bevormundung

Kein Wunder also, dass Kinder keine Lust darauf haben, sich ständig bevormunden zu lassen. Ihr Bedürfnis nach Autonomie ist nicht geringer als das von Erwachsenen. Andererseits sind sie auf einer ganz anderen Entwicklungsstufe, die nach einer anderen Form des „Lernens“ verlangt, als das von uns Erwachsenen. Für sie sind viele Dinge neu. Und darauf sind sie neugierig. Um ihre Welt verstehen zu können, wollen und müssen sie diese möglichst mit allen Sinnen begreifen.

Entgegen dieser Erkenntnis existiert noch immer das Vorurteil, dass es darauf ankomme, Kindern möglichst viel zu erklären, damit sie im Leben gut vorankommen. Dass das so nicht funktionieren kann, hat im 19. Jahrhundert der Pädagoge Friedrich Wilhelm Fröbel erkannt und in dem Satz zusammengefasst: „Bei der Erziehung muss man etwas aus dem Menschen herausbringen und nicht in ihn hinein.“ Daraus ist seine Idee für den ersten Kindergarten entstanden. Im Gegensatz zu den damals bereits existierenden Kinderbewahranstalten und Kleinkindschulen sah er die Aufgabe des Kindergartens unter anderem darin, das Spiel der Kinder und deren Bemühungen, die Welt zu erfahren, durch Erwachsene zu unterstützen.

Interesse und Möglichkeiten

Kinder sind also ab einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung immer Forschende und Experimentierende – wenn man sie lässt. Maria Montessori schrieb dazu: „Das Interesse des Kindes hängt von der Möglichkeit ab, eigene Entdeckungen zu machen.“ Eine Erkenntnis, die durch die Neurobiologie längst belegt ist. Dafür brauchen Kinder nicht viel. Naturräume sind sicher die besten Forschungsräume. Aber auch eine vorbereitete Umgebung mit anregenden Materialien kann entsprechende Impulse geben.

Vor allem aber benötigen Kinder pädagogische Fachkräfte nicht nur mit jeder Menge Fingerspitzengefühl, sondern auch mit Vertrauen, Geduld und einem gewissen Maß an Leidensfähigkeit. Denn beim Forschen und Experimentieren haben wir Erwachsene immer schon „die Lösung“ im Kopf. Kinder müssen aber ihren eigenen Weg finden und stoßen oftmals auch auf ganz eigene Lösungen. Dabei ist es für uns, mit all unserer Erfahrung, unseren Vorstellungen und Vorurteilen oftmals nicht leicht, solche, manchmal sehr eigenwilligen und originellen Wege zu akzeptieren, geschweige denn wertzuschätzen. Aber „wer in den Fußstapfen eines anderen wandelt, hinterlässt keine eigenen Spuren“, bringt es Wilhelm Busch auf dem Punkt.

Echte Erkenntnis ist gefragt

Selbstverständlich sollten wir die Kinder dabei nicht dauerhaft in die Irre gehen lassen. Ein ordentliches Maß an Professionalität hilft uns, im richtigen Moment Impulse zu setzen und Orientierung zu bieten. Dennoch gilt immer Rousseaus Motto: „Kindererziehung ist ein Beruf, wo man Zeit zu verlieren verstehen muss, um Zeit zu gewinnen.‘‘

Denn wer echte Erkenntnis erlangen soll, muss dies in seiner eigenen Geschwindigkeit tun können. Darauf haben Kinder ein Recht. Sie zu drängen oder einseitig zu fördern, ist sicher der falsche Weg. Und mag manchmal das ein oder andere Angebot eine Abkürzung verheißen, handelt es sich oftmals um Abwegiges. Unsere Gehirne ticken noch immer wie die unserer Vorfahren vor hunderttausenden von Jahren. Es ist uns noch immer nicht gelungen, Bildung downzuloaden. Schließlich würde uns dabei auch die sinnliche Erfahrung fehlen, die Voraussetzung für das Begreifen ist.

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

Albert Einstein

Für Kinder hat Experimentieren und Forschen nichts mit Laboren und Bibliotheken zu tun. Ihr Spiel erfüllt den Zweck. Und wer sie dabei über längere Zeit beobachtet, weiß, mit wie viel Freude und Anstrengungsbereitschaft sie sich nahezu jeder Herausforderung stellen.

Das ist echte Lebenserfahrung. Denn die Welt braucht Menschen, die sich selbstbewusst unbekannten Herausforderungen mit Engagement und auf eigenen Wegen stellen, um sie zu lösen.

Gernot Körner




Ursprung kulturellen Lernens: Babys imitieren, weil sie imitiert werden

Der Ursprung sozialen Lernens beim Menschen liegt in der Interaktion von Säugling und seinen Bezugspersonen

Ohne darüber nachzudenken, lernt der Mensch laufend von anderen. Soziales Lernen vermeidet mühsames Ausprobieren, das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden. Doch woher kommt diese Fähigkeit, die Grundlage für kulturelles Lernen und damit den evolutionären Erfolg der menschlichen Spezies ist? Eine Studie unter der Leitung von Professor Markus Paulus, Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), belegt, dass sie in der frühesten Kindheit wurzelt. „Kinder erwerben die Fähigkeit zur Imitation, weil sie selbst von ihren Bezugspersonen imitiert werden“, sagt Markus Paulus.

Kinder sind Imitationswunder – ihre Eltern sorgen dafür, dass sie es werden

Für die Studie wurde die Interaktion zwischen Mutter und Kind über mehrere Monate untersucht. Zum ersten Mal kamen die Babys im Alter von sechs Monaten ins Labor, die letzte Untersuchung fand im Alter von 18 Monaten statt. Im Rahmen spielerischer Situationen wurden Interaktionen und Imitationen von Mutter und Kind analysiert.

Die Längsschnittstudie zeigt: Je feinfühliger die Mutter mit ihrem sechs Monate alten Kind umging und je öfter sie es nachahmte, desto stärker war bei diesem im Alter von 18 Monaten die eigene Fähigkeit ausgeprägt, andere zu imitieren.

In der Interaktion von Eltern und Kind ist das gegenseitige Nachahmen ein Zeichen von Kommunikation. Eltern gehen auf die Signale des Kindes ein, spiegeln und verstärken sie. Es kommt zu einer gegenseitigen Imitation von Handlungen und Gesten. „Über diese Erfahrungen verbindet sich das, was das Kind fühlt und tut, mit dem, was es sieht. Es bilden sich Assoziationen heraus. Das visuelle Erleben wird mit der eigenen motorischen Handlung verknüpft“, erläutert Markus Paulus den neurokognitiven Prozess.

Durch Nachahmung lernen Kinder zum Beispiel, Objekte zu nutzen, kulturtypische Gesten wie zum Beispiel das Winken ebenso wie den Erwerb von Sprache. „Kinder sind Imitationswunder. Das Nachahmen ebnet ihnen den Weg zu ihrer weiteren Entwicklung. Mit Imitation beginnt der kulturelle Prozess der Menschwerdung“, so Markus Paulus. Lange galt in der Psychologie die Theorie, dass die Fähigkeit zur Nachahmung angeboren sei. Die LMU-Studie ist nun ein weiterer Beleg dafür, dass sie erst erworben werden muss.

Auf der Nachahmung basiert die kulturelle Weitergabe von Wissen

Entscheidend dafür, wie gut Kinder lernen, andere zu imitieren, ist, dass Eltern feinfühlig auf ihr Kind reagieren. Als Feinfühligkeit wird die Fähigkeit einer Bezugsperson bezeichnet, Signale des Kindes wahrzunehmen und rasch und adäquat darauf zu reagieren. „Die Feinfühligkeit der Mutter ist ein Prädiktor dafür, wie stark sie ihr Kind nachahmt“, sagt Dr. Samuel Essler, Erstautor der Studie.

Die Studie zeigt zudem, was den Menschen als soziales Wesen ausmacht: Seine individuellen Fähigkeiten entwickeln sich erst durch die Interaktion mit anderen. Sie sind der besonderen Art zu verdanken, wie der Mensch seinen Nachwuchs aufzieht.

„Indem Kinder Teil einer sozialen Interaktionskultur sind, in der sie imitiert werden, lernen sie von anderen zu lernen. Dieses Wechselspiel hat über Generationen und Jahrtausende zur kulturellen Evolution des Menschen geführt“, sagt Markus Paulus. „Durch soziales Lernen müssen Handlungen oder bestimmte Techniken nicht immer wieder neu erfunden werden, sondern es gibt eine kulturelle Weitergabe von Wissen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Fähigkeit zur Imitation und damit zum kulturellen Lernen selbst ein Produkt kulturellen Lernens ist, insbesondere der Eltern-Kind-Interaktion”, sagt Markus Paulus.

Originalpublikation: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0960982223011648?dgcid=coauthor

Quelle: LMU Stabsstelle Kommunikation und Presse/Ludwig-Maximilians-Universität München




Studie: Was Eltern von der Schule erwarten

Befragung der Universität Würzburg zur Ganztagsbetreuung im Grundschulalter

Familien wünschen sich eine bewegte Schule. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, die von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Befragung sollen der Stadt Würzburg helfen, sich besser auf den kommenden Rechtsanspruch vorzubereiten. Etwas überraschend steht für die Familien das Lernen am Nachmittag nicht unangefochten an erster Stelle.

1.154 Eltern befragt

Es ist die erste bundesweite Kommunalstudie zu Erwartungen an die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Insgesamt 1.154 Eltern gaben mittels Fragebogen Auskunft darüber, was ihnen an einer guten Ganztagesbetreuung wichtig ist. „Das ist eine sehr verlässliche Datengrundlage, wir haben alle strukturellen Stadtbereich abgebildet“, erläutert Studienleiter Professor Heinz Reinders vom Lehrstuhl Empirische Bildungsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) die Vorgehensweise der Studie.

Er betont: „Die Ergebnisse helfen bei der inhaltlichen Planung der Angebote. Es geht nicht nur einfach um die Anzahl notwendiger Plätze, sondern was sich die Familien an qualitativen pädagogischen Angeboten wünschen.“ Ein besonderer Clou der Untersuchung ist, dass nicht nur Eltern befragt wurden, die aktuell ein Kind in der Primarstufe haben, sondern auch jene Eltern, die bei Einführung des Rechtsanspruchs im Jahr 2026 eines ihrer Kinder an einer Grundschule in Würzburg haben werden.

Sport und Bewegung ist Eltern wichtig

Von den Ergebnissen zeigten sich diee Wissenschaftler zum Teil überrascht: „Häufig hören wir, das Erledigen von Hausaufgaben sei den Eltern mit Abstand besonders wichtig“, beschreibt Reinders. „Tatsächlich gibt es da aber keinen großen Abstand. Den Eltern ist Sport und Bewegung als Angebot in der Nachmittagsbetreuung ebenso wichtig wie das Büffeln für die Schule.“ Beide Angebote liegen in der Erwartungsgunst der Eltern gleichauf, so dass sich hier laut Reinders klare Hinweise für ein pädagogisch vielfältiges Angebot ergeben.

„Familien sehen Ganztagsbetreuung längst nicht mehr nur als reine Aufbewahrung mit Mittagessen und Hausaufgabenzeit. Sie möchten, dass ihre Kinder in der Zeit außerhalb der Familie ein anregungsreiches Umfeld erleben dürfen.“ Dazu gehören neben Sport und Bewegung auch musisch-kreative Angebote; auch wenn diese nicht ganz so häufig gewünscht würden. In Zahlen liest sich das so: 66 Prozent der Eltern erachten Sport und Bewegung als sehr wichtig. Ebenso viele betonen die Bedeutung der Hausaufgabenzeit. 54 Prozent können sich zudem musisch-kreative Anregungen für ihre Kinder gut als Bestandteil der Nachmittagsbetreuung vorstellen.

Höherer Stellenwert durch Corona?

Dass Eltern nicht nur Zeit zum Büffeln wollen, hatten die Würzburger Forschenden durchaus erwartet. Ein so klares Votum für zum Beispiel Sportangebote habe Reinders dann doch überrascht: „Wir erklären uns das mit der Corona-Erfahrung, als die Kinder viel zu Hause waren und wenig Bewegung hatten – das wird die Eltern geprägt haben.“

Hinzu komme, so Reinders, dass viele Familien berufstätig sind und es nicht immer schaffen, ihre Kinder im Vereinssport unterzubringen: „Da bieten sich Kooperationen zwischen Vereinen und Ganztagsangeboten an“, weiß Reinders, der im Ehrenamt selbst als Vereinsvorsitzender eine solche Kooperation initiiert hat. Gemeinsam mit der Grundschule Heuchelhof, seinem Lehrstuhl und dem Sportverein am Heuchelhof wurde vor zwei Jahren eine Gruppe im offenen Ganztag (OGS) mit Bewegungsschwerpunkt für Mädchen gegründet.

Erfolgsmodell Sport-OGS

„In jedem Schuljahr können 20 Mädchen das Angebot nutzen, bei dem an jedem Nachmittag ein anderes Sportangebot durch erfahrene Trainerinnen gemacht wird“, erläutert der Fußballtrainer das Konzept. Mittlerweile sei die Warteliste allein am Heuchelhof auf 30 Mädchen angestiegen und andere OGS-Standorte seien ebenfalls an dem Modell interessiert, so dass das Angebot durchaus erweitert werden müsse. „In dem Konzept steckt sehr viel Potenzial und offensichtlich wünschen es sich die Würzburger Familien laut unserer Studie mehrheitlich“, ist sich der Bildungsforscher sicher.

Nachzulesen sind die detaillierten Resultate in der soeben erschienen Veröffentlichung in der Schriftenreihe des Lehrstuhls. Praktisch genutzt werden sollen die Ergebnisse von der Stadt Würzburg und ihren zuständigen Stellen, die bis 2026 die schrittweise Versorgung mit Ganztagsplätzen für Grundschulkinder zu bewerkstelligen haben. Damit werden die Studienergebnisse wertvolle Hinweise dafür liefern, wie diese Ganztagesbetreuung auch nach den Wünschen der Familien pädagogisch wertvoll gestaltet werden können.

Die Studie des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung mit dem Titel „Eltern-Erwartungen zur ganztägigen Betreuung im Grundschulalter“ können Sie hier einsehen.




Entspanntere Wege durch die Grundschulzeit finden

VNN startet Akademie zu Themen rund ums Lernen, Schule und Bildung

„Durch die Gespräche mit Eltern, Nachhilfelehrkräften und VNN-Mitgliedern wissen wir, dass es viele Fragen rund ums Lernen, die Schule oder den Unterricht gibt, auf die man nur schwer Antworten findet. Hier setzt die VNN-Akademie an“, erklärt Patrick Nadler, Erster Vorsitzender des VNN Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen e. V., die Motivation zur Gründung der VNN-Akademie.

Vom Umgang mit Schulangst und der Wahl der richtigen Schule

Im Fokus der Veranstaltungen für Eltern stehen Themen, die für den Schulerfolg der Jungen und Mädchen wichtig sind: Der Umgang mit Schulangst oder die Frage nach der Wahl der richtigen weiterführenden Schule, die optimale Vorbereitung auf den Elternsprechtag oder die Bedeutung des flüssigen Lesens und Schreibens für den Schulerfolg. Letzteres ist das Thema der ersten Elternveranstaltung der VNN-Akademie, die am 20.10.2022 um 19 Uhr stattfindet. „Wir kennen die Sorgen der Eltern und möchten ihnen Wege zeigen, wie sie und ihre Kinder entspannt und erfolgreich durch die Schulzeit kommen“, so Nadler.

Wie wichtig regelmäßige Weiterbildungen sind, wissen die Bildungsexperten aus ihrer Nachhilfeschulpraxis. Zumal zu unterrichten selbst erfahrene Lehrkräfte bisweilen vor Herausforderungen stellt. Die kompakten, anderthalbstündigen Veranstaltungen vermitteln wertvolles praktisches Wissen für die Arbeit in der Nachhilfeschule oder Schule. Zugleich sichern die Weiterbildungen die hohe Unterrichtsqualität in den Mitgliedsschulen des VNN. Für die VNN-Mitglieder gibt es Angebote zur Stärkung ihrer pädagogischen und unternehmerischen Kompetenzen.

Weitere Veranstaltungen sollen folgen

Alle zwei Monate gibt ein Experte oder eine Expertin für eine der Zielgruppen fundierte Einblicke in ein wichtiges Thema. Neben wertvollen Informationen und wegweisenden Impulsen erhalten die Teilnehmenden konkrete Tipps und Hilfestellung für den Alltag.

Alle Veranstaltungen finden digital statt und kosten pro Teilnehmer 5,00 €. Mehr Informationen auf der Website unter www.nachhilfeschulen.org.

Quelle: Pressemitteilung VNN




Weil Lernfreude einfach so wichtig ist!

Hans Berner, Rudolf Isler und Wiltrud Weidinger: Einfach gut lernen

Wie gelingt es Schülerinnen und Schüler für die Aufgaben im Unterricht zu interessieren? Denn Interesse und Neugierde sind ein Motor fürs Lernen. Die Frage nach der Aufgabenstellungstellung ist in der Didaktik schon länger ein Thema. Das nicht erst seit PISA und nicht nur bei Textaufgaben in der Mathematik so. Deshalb beleuchten Hans Berner, Rudolf Isler und Wiltrud Weidinger in Kapitel drei „Aufmerksamkeit und Konzentration“ in „Einfach gut lernen“ diesen zentralen Anker des Unterrichts näher.

Vier Schritte bis zur Praxis

Dabei stellen die Autoren und die Autorin in immer gleicher Abfolge in ihren Kapiteln vier Schritte vor. Zunächst holen sie uns bei unserem Vorwissen und unseren schon gewonnenen Erkenntnissen mit Einstiegsübungen ab, zeigen uns dann, was es Wissenswertes zu diesem Bereich gibt und stellen uns hier eine gute Auswahl an fundierten Erkenntnissen und Wissenswertem samt Literaturangaben zur Verfügung, die zum Nachforschen einladen ohne auszuufern. Sicher könnte das eine oder andere noch aufgenommen werden, so fehlt zum Arbeiten mit digitalen Medien wohl auch noch vertiefende Forschung, aber die Nachweise sind umfangreich und treffen den Kern. Im dritten Schritt stellen sie dann Anwendungsvorschläge vor, die an Breite und Tiefe nichts zu wünschen offenlassen. Der vierte Schritt rundet mit Übungen und Praxisbeispielen ab und ist so auch ein Beleg für die Machbarkeit. Es gibt hilfreiche Kopiervorlagen und Anregungen, die zeigen, wo Lehrende noch weiteres Material finden können. Durch ein strukturiertes Layout zeigen die Macher des Buches, dass es uns allen hilft, wenn Inhalte nicht langweilig präsentiert werden.

Facetten des Lernens

Die Facetten des Lernens haben Autorin und Autoren anschaulich zusammengefügt. Das Buch nähert sich dem Phänomen somit logisch an und bleibt ihm sorgfältig auf der Spur. In insgesamt neun Kapiteln werden die Bedingungen für gutes Lernen abgeklopft und es wird auch erklärt, warum der Ruf nach den guten alten Zeiten nicht hilfreich, ja sogar schädlich ist. Das zehnte Kapitel bietet dann ganz im Sinne der Themenzentrierte Interaktion (TZI) die Einbettung der neun zuvor bearbeiteten Bereiche in das große Ganze.

Ein solides Fundament im Bereich der Machbarkeit

Kritisch und akribisch, was sich in den vielen Literaturangaben am Ende jedes Kapitels zeigt, bündeln Berner, Isler und Weidinger die Erkenntnisse der vergangenen Jahre und sogar Jahrzehnte. Sie bleiben dabei nicht in einfachen Mustern stecken. Sie erklären auch, warum die Forderung nach mehr Lehrkräften und digitalem Equipment ohne solides Fundament nur wenig taugt. Dieses ist aber machbar. Und gerade weil ihnen die Lernfreude der Kinder und Jugendlichen am Herzen liegt, plädieren sie dafür, dass alle Lehrkräfte fragen: „Welchen Sinn- und Sachzusammenhang vermag ein bestimmter Inhalt zu vertreten oder zu erschließen?“

Unterrichten ist nun mal eine hochkomplexe Angelegenheit

Bei der Lektüre zeigt sich deutlich, dass das Unterrichten eine hochkomplexe Angelegenheit ist, die gut strukturiert und organisiert sein will. Dies ist dann auch nicht als Einzelkämpfer umsetzbar, dazu braucht es Teams, die erst einmal gefunden werden wollen. Und diese Teams müssen lernen eine Atmosphäre zu schaffen und die weit über den netten Umgang miteinander hinaus gehen muss. In Kapitel sieben wird diese Atmosphäre unter die Lupe genommen. Gleich danach könnten dann wohl einige Schulen erstmal ihre Tore schließen. Im achten Kapitel, das sich um die Lernräume kümmert, zeigt sich dann, dass auch aus den alten Strukturen Neues entstehen kann. Wie das ganze Buch überhaupt eine Anregung ist, sich das System um sich herum gut anzuschauen und mit den gewonnenen Erkenntnissen eine Lernumgebung zu schaffen, die auch die Unmotivierten anziehen und aktivieren kann. Nach der Lektüre möchte man dann gleich mal alle Kollegen zusammenholen und einiges in die Tat umsetzen. Das ist doch ein gelungener Ansatz.

Daniela Körner

Bibliographie

Hans Berner, Rudolf Isler und Wiltrud Weidinger
Einfach gut lernen
Softcover, 280 Seiten
hep verlag, 1. Auflage 2021
ISBN 978-3-0355-1888-7
32 €




Das Spiel ist die Arbeit des Kindes

Ein paar Überlegungen und ein Tipp für all jene, die es noch immer nicht glauben wollen

„Das Spiel ist die Arbeit des Kindes!“ Maria Montessori war sicher nicht die erste, die das erkannte, aber die erste, die das so treffend formulierte. Es ging ihr dabei darum, dass das Spiel auch eine entsprechende Würdigung findet. Laut Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind das Recht auf Spiel. Wörtlich heißt es hier:

„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben.“

Das Kind erfindet sein Spiel selbst

Dabei ist Spiel für Kinder nicht das, was viele Erwachsene versuchen Kindern einzureden, was Spiel sein soll. Kinder entwickeln ihr Spiel selbst und erschließen sich damit die Welt. Dabei haben wir Erwachsene, die Funktion, die Kinder dabei zu unterstützen – nicht zu leiten oder zu fördern. Wir sind auch keine „Götter“, die das Recht haben, „Menschen zu formen“, sondern wir sind Begleiter, die dem Kind die Möglichkeit geben, sich zu offenbaren.

Leider ist das in unserer Gesellschaft noch nicht angekommen. Trotz moderner bildgebender Verfahren, stehen viele seltsame Vorurteile und manchmal auch finanzielle Interessen im Weg. Und auch, wenn der ein oder andere Manfred Spitzer oder Gerald Hüther nicht mag: im Bezug auf das Spiel haben die beiden recht und können das auch wissenschaftlich belegen. Und nur auf diese Weise, können Kinder auch wirklich lernen.

Eine kleine Binsenweisheit

Leider fehlt uns allzu oft die Geduld und das Vertrauen eines Gärtners. Sonst würden wir nicht versuchen, Kinder gezielt zu fördern. Schließlich wächst das Gras auch nicht schneller, wenn man daran zieht. Das ist zwar eine Binsenweisheit. Das tolle an Binsenweisheiten ist aber, dass sie wahr sind. Und irritieren dabei ist, dass sie dennoch von vielen ignoriert werden.

Studien lesen und beurteilen, nicht nur schauen

Neulich berichtete mir eine Bekannte, sie habe eine Studie gesehen. Darin hätte man beschrieben, wie schon Kleinkinder durch Betätigen des Bildschirms eines Smartphones oder Tablets eine bessere Feinmotorik entwickeln würden.

Mal ganz abgesehen davon, dass man Studien nicht sehen, sondern lesen sollte, auch um ihren Ursprung zu kennen und ihre Repräsentativität beurteilen zu können, ist diese Erkenntnis nur wenig wert. Selbstverständlich verbessern Kinder ihre Leistungen, wenn sie in einem Bereich spezielle Förderung erfahren. Genauso ist aber auch festzustellen, wie das etwa die beiden oben genannten Hirnforscher getan haben, dass genau diese Kinder in anderen Bereichen große Defizite zu verzeichnen haben.

Körperverletzung statt Förderung

Wir greifen eben mit dem „Fördern“, das letztlich keines ist, in den individuellen Bauplan des Kindes ein, statt es zu unterstützen oder vorsichtig anzuregen. Ach so: Und wenn wir auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) schauen, gehört das Thema „Kleinkinder mit digitalen Bildschirmen spielen zu lassen“ wohl eher in den Bereich der Körperverletzung als der Förderung.

Apropos BZgA: eine der interessantesten Websites auch zum Thema Spielen für Laien und Fachkräfte bietet die Gesundheitszentrale unter https://www.kindergesundheit-info.de/. Wer es uns nicht glaubt, glaubt es vielleicht der BzgA. Viel Spaß beim Lesen!

Gernot Körner