Warum die Lesekompetenz sinkt – und was jetzt wirklich helfen würde
geschrieben von Redakteur | November 16, 2025
Neue Studien zeigen: Fehlende Bildungsqualität, falsche Fördermaterialien und schwierige Lebensbedingungen bremsen Kinder beim Lesenlernen aus
Ob IQB, IGLU, PISA, LEO oder PIAAC – alle internationalen und nationalen Erhebungen kommen seit Jahren zum gleichen Ergebnis: Die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen sinkt, besonders im deutschsprachigen Raum.
Das Erstaunliche daran:
Die Zahl der Fördermaßnahmen ist in den vergangenen 25 Jahren explodiert.
Wir wissen wissenschaftlich heute alles über das Lernen.
Der Abgleich dieser beiden Punkte führt zu einer unbequemen Wahrheit: Viele Förderprogramme, Materialien und Trainings wirken nicht – manche schaden sogar. Der Grund liegt häufig weniger in mangelnder Forschung als in kommerziellen Interessen von Herstellern.
Dass diese Materialien trotzdem massenhaft eingesetzt werden, offenbart ein strukturelles Problem: Es fehlt vielerorts an pädagogischer und entwicklungspsychologischer Kompetenz – bei Eltern, in Einrichtungen und teilweise sogar in der fachlichen Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte.
Sprachkitas und Förderprogramme: Wertvoll, aber nicht annähernd ausreichend
Durch Bundes- und Landesprogramme – insbesondere die „Sprachkitas“ – wurde die sprachliche Bildung gestärkt. Diese Initiativen haben zweifellos bewirkt, dass Erzieherinnen und Erzieher ihre Rolle als Sprachvorbilder besser verstehen und bewusster mit Kindern sprechen.
Doch: Für die Breite des Problems reicht das nicht.
Viele Schulen könnten enorm profitieren, wenn sie sich an innovativen Konzepten orientieren – etwa an jenen Schulen, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurden. Der Weg dorthin erfordert jedoch Mut, Kompetenz und die Bereitschaft zu echter Reformarbeit. Allzu oft scheitern notwendige Veränderungen am Widerstand von Behörden, Interessengruppen oder Ministerien.
Der Einfluss der Pandemie: Schulschließungen sind nur ein Teil des Problems
Eine neue Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) zeigt, dass die pandemiebedingten Schulschließungen erheblich zum Leistungsrückgang beigetragen haben. Besonders drastisch ist der Befund:
In Europa sind etwa ein Viertel der Einbußen beim Lesen darauf zurückzuführen.
In Deutschland sogar mehr als die Hälfte.
Doch die Forscherinnen und Forscher betonen: Schulschließungen allein erklären den Negativtrend nicht. Die Studie zeigt erstmals deutlich, dass Verschlechterungen der außerschulischen Lernbedingungen eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören insbesondere:
zunehmende Mehrsprachigkeit ohne ausreichende sprachliche Unterstützung,
Digitalisierung, die lesebezogene Freizeit reduziert,
fehlende Vorbilder, die selbst zu wenig lesen.
Beim Wegfall des Präsenzunterrichts verschärfen sich diese Nachteile – besonders für Kinder aus ohnehin benachteiligten Haushalten.
Strukturelle Ursachen: Was Kinder am Lesen hindert
Neben schulischen Faktoren wirken gesellschaftliche Entwicklungen negativ auf den Leseerwerb:
1. Veränderte Kindheit Viele Kinder haben heute weniger Zeit für freie Entwicklung. Statt altersangemessen zu spielen, werden sie früh in MINT-Kurse, Lerntrainings oder Förderprogramme gesteckt. Manche Entwicklungsschritte bleiben dadurch auf der Strecke.
2. Unpassende Medien und Materialien Die Medienwelt vieler Kinder ist nicht entwicklungsangemessen. Auch bei Büchern greifen Erwachsene häufig zu Titeln, die ihrer eigenen ästhetischen Vorliebe entsprechen – nicht dem Entwicklungsstand des Kindes. Viele Verlage tragen dem heute Rechnung und produzieren etwa künstlerisch gestaltete oder gar abstrakte Pappbilderbücher. Selbst die Stiftung Lesen bietet inzwischen nicht mehr verlässlich die fundierte Orientierung, die Familien bräuchten.
3. Fehlende Wertschätzung für Kindheit und Jugend Kindheit wird oft wie eine „Vorstufe“ zum Erwachsenenleben betrachtet, die man möglichst effizient gestalten müsse. Doch Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – ihre Entwicklung braucht Zeit, Wertschätzung, Zuwendung und sinnvolle Anregungen.
Was jetzt wirklich nötig ist, um die Lesekompetenz zu stärken
Damit Kinder nachhaltig und erfolgreich Lesen lernen können, braucht es ein systematisches Umdenken. Entscheidend sind:
1. Finanzielle Unterstützung für Familien Stabile Lebensumstände erleichtern Lernen – emotional wie praktisch.Armut ist einer der stärksten Risikofaktoren für niedrige Lesekompetenz.
2. Orientierung an wissenschaftlichen Erkenntnissen Pädagogik muss sich konsequent an der Lern- und Entwicklungsforschung orientieren.Das betrifft Unterricht, Förderkonzepte und die Auswahl geeigneter Materialien.
3. Bessere Ausbildung von Fach- und Lehrkräften Professionelles Sprach- und Leseförderwissen gehört in die Grundausbildung – nicht in optionale Fortbildungen.
4. Wiederentdeckung der Bedeutung von Kindheit Echte Leseförderung braucht Zeit, Ruhe, Bindung, Vorlesen, Gespräche und entwicklungsangemessene Materialien. Kinder müssen wieder lesen dürfen, nicht nur lesen sollen.
Ein Schlusswort – und ein notwendiger Weckruf
Wenn wir als Gesellschaft Kinder und deren Familien in ihren Lebensbedingungen schwächen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn ihre Leistungen sinken. Lesekompetenz fällt nicht vom Himmel. Sie entsteht aus individueller Entwicklung, Wertschätzung, echter pädagogischer Qualität und alltagsnahen Vorbildern.
Lesen ist mehr als eine Kulturtechnik – es ist ein Schlüssel zur Welt. Damit Kinder ihn nutzen können, braucht es unseren Mut zur Veränderung: in Familien, Schulen, Kitas und politischen Strukturen.
Nur wenn wir Kinder und Kindheit ernst nehmen, klappt es auch mit dem Lesen besser.
Gernot Körner
Wie Pappbilderbücher die Lesefreude von Anfang an fördern
geschrieben von Redakteur | November 16, 2025
Schon Babys und Kleinkinder lesen mit allen Sinnen: Sie sehen, hören, fühlen und begreifen ihre Welt. Pappbilderbücher unterstützen die natürliche Lesefähigkeit – wenn sie entwicklungsgerecht gestaltet sind und an die Lebenswelt der Kleinsten anknüpfen
Kein Mensch wird der These widersprechen, dass schon das neugeborene Kind außer zu schlafen und Milch zu trinken, nichts anderes tut, als zu lesen. Natürlich kann es noch keine Buchstaben und Wörter entziffern, aber es beobachtet und erfasst ganz genau, was um es herum geschieht. Diese Aneignung findet auf allen Ebenen der Sinneswahrnehmungen statt und ist eine grundlegende Form von Lesen.
Das Kind begreift Schritt für Schritt seine Umwelt
Das Baby riecht die Nahrungsquelle, die Muttermilch und ist schon nach wenigen Tagen Lebenszeit in der Lage, die eigene Mutter mit dem Geschmack der begehrten Milch in Verbindung zu bringen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das 72 Stunden alte Kind durch Mimik und sogar durch Verweigerung alternativer Milch auf der einen einzigen zu ihm gehörenden Milch mit ihrem für dieses Kind unverwechselbaren Geschmack besteht. Glücklicherweise ist das Kindchen bestechlich und kann zum Milchersatz verführt werden, wenn auch in der Regel unter gehörigem Protest.
Dass es seine Mutter ebenso durch den Geruch, wie auch akustisch erkennen kann, ist eine grandios komplexe Leistung des Gehirns. Man weiß, dass das Kind schon während der Schwangerschaft das Sprechen der Mutter aufgenommen hat und nun jenseits der Fruchtwasserblase die Satzmelodie und den Sprachrhythmus der Mutter als vertraut erkennt, wenngleich es die Bedeutung der Wörter noch nicht kennt, sondern erst lernen muss.
Ebenso verhält es sich mit dem Aussehen der ersten Bezugspersonen. Die kitzelnden Haare der Mutter beim Stillen werden mit dem Klang der Stimme, dem Duft ihrer Haut verbunden, desgleichen der kratzende nicht frisch rasierte Vater, mit seinem ebenfalls unverwechselbaren Geruch und seinem Tonfall. Das alles ergibt ein Bild, das als Basis festgeschrieben sein wird im Gedächtnis eines sich entwickelnden Menschen. Der Säugling ist dabei ständig in Bewegung und begreift Schritt für Schritt seine Menschen und seine Umwelt. Das Ertasten, das Sehen, das Hören, das Fühlen und Schmecken sind also unverzichtbare Grundformen des Lesens.
Entwicklung findet sowohl analog, als auch systematisch statt
All diese ersten Erfahrungen werden einzeln aufgenommen und gleichzeitig im Gehirn mit seinen reichen Verzweigungen eingeordnet. Welterfahrung ist also ein systemisches Geschehen, das die Ordnung und Kategorisierung der unterschiedlichen Bereiche bestätigt. Das alles geschieht durch ein sich Erlesen der einzelnen Phänomene, an denen sich inhaltlich genau bestimmte Begriffe bilden, die dann zu Sätzen oder ersten kleinen Erzählungen werden.
Alle Informationen werden über die Sinnesorgane ins Gehirn transportiert
Wie ein großer Baum, der durch die Wurzeln über den Stamm alle lebenswichtigen Nährstoffe in die Äste und einzelnen Zweige transportiert, so werden beim Menschen alle Informationen über die Sinnesorgane ins Gehirn transportiert, wo sich durch ständiges Wiederholen und Überprüfen die zu Begriffen gewordenen Eindrücke an ihrem Platz im Gehirn eingeschrieben werden. Es ist absolut faszinierend, wie Kinder mit der im Laufe der ersten zwei Jahre gewonnenen und ausgebildeten Sprache immer wieder die Richtigkeit ihrer Erkenntnisse bekunden. Sie erzählen in Dreiwortsätzen oder auch schon mit komplexen Formulierungen kleine Geschichten und beweisen damit gerne, was sie alles schon begriffen haben. Diese Übersetzung von Phänomenen und Erlebnissen in Begriffe und Erzählungen ist ein Prozess der Analogie als Grundlage für die Entstehung von systemischen Zusammenhängen.
Erste Bücher müssen für das kleine Kind lesbar sein und sollten die Lebenswelt des Kindes widerspiegeln
Weil die Fähigkeit, mit Gegenständen sorgfältig umzugehen, noch nicht abschließend ausgebildet ist, braucht das ganz kleine Kind Bücher, die so stabil sind, dass sie die hunderte Male, die sie gelesen werden wollen, überstehen können. Dicke Pappseiten so zum Buch gebunden, dass das geöffnete Buch auch wirklich offen liegen bleibt, ist deshalb die ideale Form. Diese Bücher müssen auch essbar sein, denn alles muss durch Lutschen und Knabbern in seiner Funktion getestet werden. Der Buchmarkt bietet diesbezüglich ein unüberschaubares Angebot und genau hier liegt ein Problem. Eltern, die ihr Kind in seiner Entwicklung unterstützen und fördern wollen, sind gerne bereit, viele dieser ersten Bilderbücher zu erwerben und vorzulesen. Zu viele Bücher im Kinderzimmer können allerdings leicht zur Überflutung werden und bloßes Vorlesen ist in dieser Entwicklungsphase nicht für die Ausbildung von Selbstbewusstsein geeignet, denn das noch so kleine Kind will bereits selber lesen. Es will sogar richtig lesen.
Das bedeutet, dass die Bilder, die es auf diesen wunderbaren Pappseiten findet, so gezeichnet und gemalt sein müssen, dass sie das Bild als Abbildung des Abgebildeten verstehen können. Es ist eine große Kunst, Gegenstände, aber auch die Mimik und Gestik von Lebewesen so zu malen, dass sie diese Notwendigkeit erfüllen. Der moderne Buchmarkt, der mit seiner Massenproduktion und der Möglichkeit mit digital erstellten Bildern billige Endprodukte drucken zu können, und auch die postmoderne Egozentrik vieler KünsterInnen, die sich vor allem selbst verwirklichen wollen und nicht darauf achten, dass sie Bücher für kleine Kinder mit ihren spezifischen Bedürfnissen machen. Beides ist eher schädlich für das, was Leseförderung von Anfang an ausmacht. Die begeisterten Jubeläußerungen der kleinsten Kinder, die richtig gelesen haben, könnten aber durchaus auch alle Erwachsenen, die das erleben davon überzeugen, dass ihre Kinder „altmodische‘‘ Bücher brauchen.
Welche Bücher brauchen Kinder als Grundlage für ihre Lesekompetenz
Schon im Krabbelalter interessieren sich Kinder für Bücher, wenn sie sich von ihnen angesprochen fühlen. Ein dicker grau gefüllter Kreis mit einem Haken dran stellt nicht zwingend einen Elefanten dar, sondern ist eine Totalabstraktion, die bestenfalls für kunstinteressierte Erwachsene gemeint sein kann. Auch wenn das Wort „Elefant‘“ unter diesem Zeichen steht, ist es für das Kind eine große Verwirrung, ja sogar eine Lüge, auf jeden Fall aber eine falsche Information. Sogar ein noch so realistisch einzeln abgebildeter Elefant ist nur dann interessant, wenn das Kind schon mal im Zoo durch das Tröten und Posaunen dieser Tiere auf sie aufmerksam geworden ist. Bücher mit solchen Illustrationen sind eher als Kontraproduktiv zur Leseförderung einzuordnen.
Viel interessanter sind für das Kind Abbildungen von Tassen, Tellern, Löffeln, Fläschchen, Bananen, Äpfeln und eben all der Dinge, die es aus seiner Umgebung kennt. Sie müssen so gezeichnet sein, dass man das Material der glänzenden gusseisernen Pfanne und das bruzzelnde Spiegelei darin genau erkennen kann, dass man die Banane zu fühlen glaubt und am liebsten schälen und essen möchte. Vor allem aber ist wichtig zu bedenken, dass Kinder ganz andere Dinge und Leute interessant finden, als Erwachsene sich das vorstellen.
Viel vertrauter als ein Elefant ist also eine Fliege, ein Schmetterling, ein Vogel, eine Katze, ein Hund, oder ein Huhn, das aber erst dann, wenn es auch ein Ei gelegt hat, oder als Familie mit Hahn und vielen kleinen Küken angetroffen werden kann. In den allerersten Büchern dürfen diese Lebewesen eine ganze Seite für sich beanspruchen und können so immer wieder besucht und bewundert werden – was für ein Wunder: ein sonst bellender, springender, lustiger Hund sitzt hier ganz artig und wartet darauf gestreichelt zu werden.
Und obwohl diese Pappseiten immer und immer wieder untersucht werden, ob sie nicht doch plötzlich lebendige Spielfreunde entlassen, entwickelt sich das Kind in rasender Geschwindigkeit. Bald braucht es, noch immer auf fester Pappgrundlage, tatsächlich schon erste Handlungsabläufe. Das Futterhäuschen im Winter bietet Platz für an- und abfliegende Vögel, da wird in den Körnern gepickt und gesungen. Wichtig ist auch hier, dass die einzelnen Tiere korrekt in ihrem Kontext vorgestellt werden. Wenn von einer Blaumeise die Rede ist, dann sollte nicht der blaue Hintergrund gemeint sein, sondern ihr unverwechselbares Aussehen, das sich von Kohlmeisen unterscheidet.
Das Gedächtnis gleicht Sedimentgestein
Leider sind solche Fehler nicht selten in schnell und unwissend gemachten Büchern zu finden. Kinder stört das sehr, denn sie sind ausgesprochen ehrlich und wollen, dass alle Leute den richtigen Namen haben, schließlich nehmen sie sie mit in ihr ganzes Leben. Gedächtnis muss man sich vorstellen wie Sedimentgestein. Alles was ganz unten liegt, geht nie mehr verloren. Es wird sicher überdeckt von vielen Schichten immer neuer Daten, Informationen, Geschichten. Noch im hohen Alter lieben Greise es, Verstexte aus ihren allerersten Bilderbüchern zu zitieren. Vielleicht sollten auch deshalb die ersten Bücher freundliche, auf Verstehen ausgerichtete Inhalte vermitteln. Auf jeden Fall ist es wichtig, ohne Zweideutigkeiten in Bild und Wort für Kinder davon zu erzählen, was sie lieben können.
Erste Bildergeschichten für die Entwicklung der Sprachvielfalt
Von Dreiwortsätzen war schon die Rede. Nun braucht das Kind einen nächsten Schritt. Nach einzelnen Abbildungen müssen nun erste Bildergeschichten die Entwicklung der Sprachvielfalt locken. Es geht jetzt nicht mehr nur darum, dass ein kleiner Bär in einem Zug sitzt, sondern um die unterschiedlichen Möglichkeiten, sich fortzubewegen, angesaust zu kommen. Das wird nun durchgespielt: man kann Fahrrad oder Roller fahren, den Leiterwagen ziehen, hüpfen, rennen, auf Stelzen gehen, man muss tanken, zurückwinken und stolpern und so viel mehr. Kinder wollen auch gerne helfen: beim Kochen, beim Putzen, beim Wäsche aufhängen, beim Blumengießen.
Dabei kann es zu verschiedenen Pannen kommen:
man kann hinfallen, etwas fallen lassen, etwas kaputt machen, die Tomatensuppe überkochen lassen usw. All diese Beschäftigungen sind Kindern bestens bekannt, und sie in einem Buch zu finden, ist sehr interessant. Großes Vergnügen bereitet es Bekanntes und aufregend ist es Neues zu entdecken. Wichtig ist dabei nur, dass Neues in vertraute Zusammenhänge eingebettet ist.
Eine große Doppelseite zum Thema „Fleißige Handwerker“ erzählt in Bildern, dass man mit dem Bagger Steine transportieren kann; das kann man auch mit dem Lastwagen tun; aber ein Gebäude zu mauern, das hat man im Zweifel noch nicht selber gemacht. Auf jeden Fall braucht man nun Gesprächspartner, die mitlesen und viel davon erzählen können, wie sich die Bilder zu kleinen Geschichten ausbauen lassen. Sinnvoll ist es, Motive aus vorhergehenden in weiterführenden Büchern zu finden. Wenn also auf Doppelseiten verschiedene Räume einer Wohnung, wie Küche, Badezimmer, Kinderzimmer usw. mit ihren Utensilien vorgestellt wurden, dann ist es herrlich, in einem neuen Buch Spiel- und Tätigkeitsszenen in ebendiesen Zimmern mit ersten kleine Versen begleitet, vorzufinden.
Und schon braucht das Kind weitere Bücher, die nun nicht mehr zwingend dicke Pappseiten brauchen. Idealerweise schließen sie aber mit ihren Inhalten an das bisher Entdeckte an und legen damit eine Leiter, auf der das begeistert lesende Kind nun immer weiter nach oben klettert, bis es irgendwann Bücher auch ohne Bilder zur Hand nehmen wird im Vertrauen darauf, dass es darin wunderbare Welten für sich entdecken wird. Wer als ganz kleines Kind die richtigen Pappbilderbücher angeboten bekommt, wird Bücher niemals als etwas Fremdes empfinden, sondern ganz selbstverständlich in allen weiteren Entwicklungsphasen gerne danach greifen.
Leseförderung geht so ganz organisch den Weg der Freude und Bereicherung. Die Bücher selbst sind es dann, die für Leser zum Leben gehören.
Einige Empfehlungen von unverzichtbar wichtigen Titeln:
Gabriele Hoffmann, Diplom-Pädagogin und Entwicklungspsychologin, sammelt seit 1968 professionelle Erfahrungen mit Kinderbüchern als Buchhändlerin, Inhaberin „Leanders Leseladen” (1980-2014), Rezensentin (u.a. im „Buchmarkt”, „Harry und Pooh bei Libri” 2000-2013, Kataloge „Leanders Lieblinge” Kleinkind, Grundschule, Jugendliche). Sie hat etliche Vorträge und Fortbildungsseminare für Erzieherinnen, Schulen, Buchhändlerinnen, Autor*innen und Verlage gehalten. 2004 gründete sie LeseLeben e.V. zur Förderung der Sprach- und Lesekultur mit inzwischen über 200 Video- Buchempfehlungen. (Mehr dazu unter: https://www.leseleben.de/)
Runter vom Gas 3 – Abstrakte Zeichen und Symbole entdecken
geschrieben von Redakteur | November 16, 2025
Die echte, bunte, dreidimensionale Welt muss neben der Papierwelt der abstrakten Zeichen einen festen Platz im Unterrichtsvormittag haben
Im Verstand ist aber nichts, wenn es nicht vorher im Sinn gewesen ist. […] Da es nun gewöhnlich in den Schulen vernachlässigt wird und die Schüler einen Lernstoff vorgesetzt bekommen, der weder verstanden noch den Sinnen richtig präsentiert wird, kommt es dazu, dass die Arbeit des Lehrens und Lernens mühsam vorangeht und geringe Frucht trägt.
(Johann Amos Comenius, Orbis sensualium pictus, aus dem Vorwort der ersten Auflage 1658, aus dem Lateinischen übersetzt und neu herausgegeben von Uvius Fonticola, Frankfurt am Main 2012)
Die dreidimensionale Welt der Vorschulkinder
Im Kindergarten haben die Kinder – zumindest bisher noch – die Möglichkeit, sich mit echten Sachen zu beschäftigen. Es gibt eine Puppenecke, eine Bauecke, einen Sandkasten und viele echte, bunte Dinge, die man anfassen und bewegen kann, mit denen sich etwas machen lässt. Was diese Sachen bedeuten, ist intuitiv und ohne Unterricht zu verstehen: Ob es sich um eine Holzeisenbahn, Bauklötze, waren im Einkaufsladen, Puppen, Töpfe in der Puppenküche oder Stofftiere handelt: niemand muss den Kindern erklären, was sie da gerade vor sich haben. Zwar sind auch hier in den letzten Jahren vermehrt Bemühungen zu beobachten, den Kindern so früh wie möglich eine verschulte „Förderung“ zu verpassen, aber es gibt dort auch immer noch Gelegenheiten zum echten Spielen und damit auch zum echten Lernen durch Spielen.
Der Wechsel in die zweidimensionale Papierwelt der Schule
Dann treten die Kinder durch die Tür des Schulhauses in eine neue Welt, aufgeregt und voller großer Erwartungen. Für uns Lehrer bedeutet das die Herausforderung, diese großen Erwartungen nicht zu enttäuschen und die kleinen „Lern-Anwärter“ behutsam in die Welt der abstrakten Zeichen und Symbole einzuführen. Das gelingt am besten, wenn die echte, bunte, dreidimensionale Welt neben der Papierwelt der abstrakten Zeichen ebenfalls einen festen Platz im Unterrichtsvormittag hat. Das zu bewerkstelligen, gibt es sowohl im Deutsch- als auch im Rechenunterricht viele Möglichkeiten (Siehe hierzu auch: Christina Buchner, So lernen alle Kinder rechnen, 2012, Weinheim und Basel; Christina Buchner, Lesen lernen mit links, 2022, Norderstedt).
Die Schulwirklichkeit sieht allerdings häufig so aus, dass bereits nach kurzer Zeit Ernüchterung einsetzt und die Kinder sich zwischen Langeweile einerseits und Überforderung andererseits bewegen.
Langeweile deshalb, weil etwa im Rechnen der behandelte Zahlenraum zunächst sehr klein ist, bis zehn, manchmal sogar nur bis 5, und in diesem kleinen Zahlenraum die immer gleichen Rechnungen geboten werden. Oder im Lesen deshalb, weil die Fibeltexte auf den ersten 30, 40 oder noch mehr Seiten jegliche Spannung vermissen lassen. Dazu kommen wir noch ausführlicher.
Überforderung aber deshalb, weil von Anfang an vorausgesetzt wird, dass die hochkomplexe Zeichensprache der Mathematik mit Plus, Minus, Ist-gleich, Größer und Kleiner (+ – = > <) auf Anhieb ebenso verstanden wird wie das abstrakte System unserer Buchstabenschrift.
Wir haben es hier mit einer klassischen Doppelbotschaft zu tun, also mit etwas, was nach allen Regeln der pädagogischen Kunst tunlichst vermieden werden sollte: Lernen ist langweilig und trotzdem verstehe ich es nicht richtig.
Lesen lernen – spannend von Anfang an
Fragst du ABC-Schützen, was sie in der Schule denn lernen wollen, dann steht bei den meisten an erster Stelle der Wunsch, lesen zu lernen. Dabei denken die Kinder sicher nicht an derart banale Pseudo-Geschichten wie:
Wenn der Leseunterricht so langweilig beginnt, dann bietet das für die meisten Kinder – davon bin ich überzeugt – nicht genügend Anreiz, um sich dafür besonders anzustrengen. Kinder leben in der Gegenwart. Das Argument, dass sie „später“ einmal ganz, ganz tolle Geschichten lesen können, wenn sie nur jetzt genügend Arbeit investieren, zieht nicht.
Kinder wollen es „jetzt“ schön haben. Und unsere pädagogische Kunst besteht darin, dieses „Jetzt“ attraktiv und kindgemäß zu gestalten und dennoch nicht auf konsequente, langfristige Arbeit zu verzichten.
Das Lagerfeuer-Gen – ein Erbe aus der Steinzeit
Das Erzählen von und die Freude an Geschichten sind uns Menschen eingeschrieben. Die großen Mythen der Menschheit wurden mündlich weitergegeben, lange bevor sie aufgeschrieben werden konnten. Aber das war sicher nicht alles, was am Lagerfeuer erzählt wurde. Die Anthropologin Polly Wiessner hat ein halbes Jahr lang das Leben von Buschmännern in der Kalahari erforscht und berichtet, dass am Abend auch spannende oder lustige Geschichten aus dem gemeinsamen Leben und aus der Vergangenheit erzählt werden. (https://www.tagesspiegel.de/wissen/lagerfeuer-trieb-kulturelle-evolution-voran-4391089.html)
Der Neurowissenschaftler Uri Hasson (https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=Uri+Hasson+Princeton#fpstate=ive&vld=cid:42c84031,vid:CTsStZqxPwY,st:0) von der Universität Princeton hat Gehirnscans mit Magnetresonanztomografie (fMRT) gemacht, während Geschichten erzählt wurden und hat dabei festgestellt, dass beim Erzählen einer Geschichte, die bei den Zuhörern ankommt, die verschiedenen Gehirne die gleichen Muster zeigen, sozusagen im Gleichklang schwingen.
Wenn wir uns nun vorstellen, dass wir mit dem Geschichtenerzählen in der Schule sowohl die seit der Steinzeit vorhandene Lust an Geschichten als auch die wissenschaftlich belegte Stärkung der Gruppenkohäsion – etwas anderes ist der „Gleichklang der Gehirne“ ja nicht – nutzen können, so spricht doch überwältigend viel dafür, das auch zu tun.
Steinzeit meets Neuroscience
Damit sind wir wieder beim Lesen. Um es nochmal festzuhalten: Texte wie oben zitiert (Lisa! O Leo! … usw.) eignen sich hier ganz und gar nicht. Über die Banalität gängiger Fibeltexte urteilte Bruno Bettelheim schon vor vielen Jahren negativ, wobei er sich dabei auf amerikanische Fibeltexte bezog:
Inzwischen hat man mehrere Generationen amerikanischer Grundschulkinder um die Entdeckung betrogen, daß das Lesen die anregendste, lohnendste und sinnvollste Erfahrung ist, die die Schule zu bieten hat. Aber um den Schulanfängern dieses Erlebnis zu ermöglichen, müssen die Texte, aus denen das Kind lesen lernt, anregend, lohnend und vor allem sinnvoll sein. […] Es ist nicht nur so, daß die Geschichten, aus denen das Kind lesen lernen soll, nichts taugen – durch ihre belanglosen Sätze und ihre entsetzlich langweiligen Wiederholungen der gleichen wenigen Wörter regen sie das Kind nicht nur nicht an, sie verdummen es geradezu.
(Bruno Bettelheim, Kinder brauchen Bücher, München, 1985, S.251)
Neben den Forschungsergebnissen von Uri Hasson ist bereits seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die Gehirnforschung noch etwas anderes und für das Lernen überaus Nützliches belegt: Die funktionelle Hemisphärenasymmetrie, für deren Nachweis Roger Sperry 1981 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielt. (Richard F. Thompson, Das Gehirn, Heidelberg, Berlin, Oxford, 1994, S. 32) Diese funktionelle Hemisphärenasymmetrie lässt die beiden Großhirnhälften zwar baugleich aussehen, aber ganz unterschiedlich funktionieren. Es lohnt sich für alle Lehrer, sich damit intensiv auseinanderzusetzen, denn diese Forschungsergebnisse können „wissenschaftlich“ erklären, warum manches so gut funktioniert, obwohl es weder besonders neu noch besonders fortschrittlich erscheinen mag. Die Schlussfolgerung aus den Forschungsergebnissen Sperrys im Hinblick auf gutes und wirkungsvolles Unterrichten besagt nämlich nichts anderes als das, was Comenius bereits wusste und was jeder gute Lehrer in seiner pädagogischen Werkzeugkiste seit jeher als selbstverständliches Tool zur Verfügung haben sollte: Die Dinge landen dann gut und sicher im Gehirn unserer Schüler, wenn sie verknüpft sind mit Bildern, Geschichten, Reimen oder Liedern.
Wie aber kannst du vorgehen, wenn doch die Fibeln diese bunte Geschichtenwelt nicht hergeben? So schwierig ist das gar nicht. Du brauchst konkrete Vorschläge – die bekommst du – und die Bereitschaft, deine pädagogische Freiheit auch wirklich zu nutzen.
Der Leselehrgang, den ich dir jetzt vorstelle, verpflichtet dich didaktisch zu nichts: Du kannst völlig frei zwischen Fibel und den Möglichkeiten mit den Geschichten pendeln, du kannst dir eigene Geschichten ausdenken, wenn du eine Idee hast. Es geht eben gerade gar nicht darum, einen einzigen Weg einzuschlagen und dann unbedingt nur noch diesen Schritt für Schritt zu gehen, sondern du kannst alles, was hier vorgeschlagen wird, dazu benutzen, den Schulalltag bunter und anregender zu gestalten und zwar genauso, wie es dir richtig erscheint.
Eine bunte Geschichtenwelt
Kinder sollen für das Lesenlernen gewonnen werden. Ob das nun mit einzelnen Buchstaben oder mit Ganzwörtern geschieht, ist nachrangig, wenn es gelingt, zu erreichen, dass die Kinder wirklich wollen.
Das grundsätzliche Sich-Einlassen auf den Leselehrgang wird durch Geschichten gefördert, die den Kindern etwas bedeuten. Davon wirst du gleich einige Kostproben bekommen.
Wichtig ist, dass die Kinder sich Buchstaben merken und schnell benennen können. Die Benenngeschwindigkeit ist ein bedeutsamer Prädiktor für spätere Leseleistungen. Damit Kinder vor allem in der ersten Phase des Leselernprozesses sich schnell an Buchstaben erinnern und sie somit auch schnell benennen können, gibt es zu den Geschichten ganz spezielle Bilder, die nicht einfach die Geschichte illustrieren, sondern den Helden der Geschichte so mit dem Bild verbinden, dass damit zwingend die Form des Buchstaben verbunden ist.
Die Übungsarbeit, die jeweils im Anschluss an das Kennenlernen eines Buchstaben erfolgt, geschieht mit Hilfe von Wortkarten, Buchstabengedichten, Lautgesten, Knetebuchstaben und einigem mehr. (Christina Buchner, Lesenlernen mit links … und rechts, gehirnfreundlich und ohne Stress, Norderstedt, 2023)
Wichtig ist, dass dafür genügend Zeit zur Verfügung steht. Pro Buchstabe eine ganze Woche gibt den Raum für viele Aktivitäten.
Zu den erzählten Geschichten gibt es dann die Texte der Buchstabengedichte, aber auch kurze Texte, die einen Bezug zur Geschichte haben. Diese Texte müssen am Anfang auch noch nicht gelesen werden können, aber mit ihnen kann – wenn die Lehrerin sie zunächst vorliest – trotzdem gearbeitet werden: Es können bereits bekannte Buchstaben und Kärtchenwörter gesucht werden. Bald können diese einfachen Texte dann auch „echt“ gelesen werden. Dass sie sehr einfach sind, stört nicht, nehmen sie doch Bezug auf eine Geschichte, die die Kinder anspricht.
Doch nun ist Schluss mit der Theorie, es geht konkret zur Sache.
Anton mit dem langen Arm
Zur Antongeschichte wurde ich angeregt durch Erich Kästners Gedicht von Arthur mit dem langen Arm. Dabei geht es um einen Jungen, der seine Schwester zum Zug bringt, ihr zum Abschied die Hand ans Abteilfenster reicht und dann nicht loslässt, als der Zug anrollt. Als die Notbremse gezogen wird, ist Arthurs Arm bereits 30 Meter lang.
Mit der Idee zu Anton wurden auch die Weichen für künftige Geschichten gestellt: Sie haben fast alle etwas Phantastisches, behandeln aber gleichwohl echte Kinderprobleme. Diese Mischung muss es wohl sein, warum die Geschichten seit vielen Jahren und in vielen verschiedenen Klassen – in Bayern, Südtirol, Österreich – bei den Kindern ankommen, wie mir Kolleginnen immer wieder bestätigen.
Das Problem, das Anton in meiner Geschichte hat, ist, dass er gerne schon richtig groß wäre, aber immer wieder von seiner Mama gesagt bekommt, für dies oder jenes sei er noch zu klein. Darüber muss er sich maßlos ärgern. Und an einem solchen Ärgertag wünscht er sich beim Einschlafen einen Arm, der so lang ist, dass er damit alles erreichen kann. Im Traum erscheint ihm ein Zauberer, der ihn fragt, ob denn dieser Wunsch wirklich ernst gemeint sei. Und Anton bejaht das und wacht am nächsten Tag wirklich mit einem riesenlangen Arm auf, der aus dem Bett über den Fußboden bis zu seiner Zimmertür reicht du sie blockiert, sodass die Mama zum Wecken gar nicht herein kann.
Nun verlebt Anton mit seinem monsterlangen Arm einen sehr traurigen Tag: Er kann gar nichts machen, nicht in den Kindergarten gehen und auch nicht richtig spielen.
Am Abend weint er sich ziemlich verzweifelt in den Schlaf. Doch zum Glück erscheint ihm wieder der Zauberer und fragt, ob er den Arm behalten wolle. „Nein, nein, bloß nicht!“, sagt Anton. Und wirklich, am nächsten Tag wacht er mit zwei ganz normalen Armen auf und ist überglücklich. Anton und seine Mama haben aber etwas gelernt aus der Geschichte: Die Mama sagt nicht immer gleich, er sei noch zu klein für dies oder jenes und Anton sieht ein, dass er eben manchmal wirklich noch zu klein für etwas ist.
Mit dieser Geschichte wird der Buchstabe A thematisiert. Es gibt dazu ein Bild von Anton:
Du siehst, dass im Anton das A steckt, das nun von den Kindern auf ihrem Arbeitsblatt kräftig eingezeichnet wird.
Die Buchstabenwoche – vielfältig und abwechslungsreich
Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit dem aktuellen Buchstaben zu beschäftigen. Einige zähle ich hier kurz auf.
Das Buchstabengedicht
Es gibt zu jedem Buchstaben ein Lied oder ein Gedicht, hier ein Anton-Lied:
Mit Wortkarten können wir Wörter sammeln: Es wird von Anfang an das Abbauen geübt.
Zu jedem Buchstaben wird etwas gegessen:
Beim „A“ gibt es Ananas mit Sahne. Jeweils nach ca. 6 Wochen werden die verschiedenen Speisen für die Lesemappe in einer Speisekarte aufgelistet, die Kinder malen dazu, jedes hat seinen individuell gestalteten Speiseplan.
Großräumige Lautgesten zu jedem Buchstaben
So werden viele zusätzliche Neuronen aktiviert.
Wenn mehrere Buchstaben durchgenommen und die entsprechenden Lautgesten bekannt sind, können Wörter „geturnt“ werden.
Hier ein Beispiel:
Der aktuelle Buchstabe klebt mit Tesakrepp groß am Boden
Was riecht gut mit A?
Anis, Anisöl
Ein Wattebausch mit dem Duft getränkt kommt in ein kleines Schraubglas.
Übungstext
Der kleine Text steht an der Tafel und auf einem Arbeitsblatt. Die Lehrerin liest ihn vor. Es spielt keine Rolle, wenn die Kinder noch nicht mitlesen können.
Kärtchenwörter und der Buchstabe A a werden gesucht und markiert.
Arbeiten mit Knete
Die Knete hierfür mache ich selbst.
Hier ist das ultimative Kneterezept, geht gut in der Küchenmaschine:
Diese Knete ist weich und deshalb zum Buchstabenformen ideal geeignet. Zum Aufbewahren musst du sie in eine Plastiktüte oder eine Tupperdose geben, sonst wird sie hart.
Tipp: Jedes Kind kann seine eigene Knetedose mit Namen beschriftet haben, das erspart Stress.
Schreibübungen
Auf individuell erstellten Blättern:
Im Schwungheft:
Im unlinierten Heft:
Es gibt noch eine Reihe weiterer Möglichkeiten, aber einen Überblick konnte ich dir sicher verschaffen. Du siehst, dass du sehr viel machen kannst, ohne auf fertige Übungshefte angewiesen zu sein. Das verschafft dir Flexibilität und Freiheit und auch die Gelegenheit, den Kindern individuelle Übungsmöglichkeiten zu bieten.
Einige weitere Buchstabenfiguren
Diese möchte ich noch kurz vorstellen, damit du siehst, wie abwechslungsreich der Leselehrgang sein kann.
Roland
Hier siehst du Roland, den rasenden Rennfahrer. Er flitzt mit seinem Gokart so wild herum, dass ihn eines Tages ein Hinterrad überholt und dann aber glücklicherweise wieder an seinen Platz zurückrollt. Doch das mäßigt Roland in Zukunft beim Fahren. Das R ist leicht zu erkennen.
Roland rennt wie wild umher, rennen freut ihn gar so sehr. Es macht peng! Es macht krach! Rollt das Rad dem Roland nach.
Dora Dussel
Dora Dussel ist eine total schusselige Ente, die so gar nicht zu den anderen Enten passt und immer abseits steht. Eines Tages findet sie ein Märchenbuch und der schlaue Rabe Korax bringt ihr das Lesen bei. Nun wollen alle Enten von Dora vorgelesen bekommen, sie gründet sogar eine Entenschule und ist nun der Star.
Das D steckt im Flügel der gerade gründelnden Dora.
Dora Dussel ist ein Schussel, schaut gern in die Luft, Dora Dussel ist ein Schussel, hört nicht, wenn man ruft. Aber eines schönen Tages wird die Dora schlau, lernt das Lesen, lernt das Schreiben, alles ganz genau. Ja, die Dussel-Schussel-Dora ist kein Dussel mehr! Alle geh'n bei ihr zur Schule und das freut sie sehr!
Leo, das lustige Lama
Leo Lama lebt ganz alleine in einem Tiergehege. Immer, wenn jemand in seine Nähe kommt, spuckt Leo. Das findet sein Besitzer, der reiche Fabrikant Habersack, ziemlich unartig. Doch der kleine Benni findet heraus, warum Leo immer spuckt. Nun bekommt er einen Spielgefährten in sein Gehege und ist von da an ein richtig braves Lama.
Das L wird von Leos Hals und einem Teil des Rückens gebildet.
Seht nur, wie das Lama spuckt, wenn es um die Ecke guckt. Lieber Leo, spuck nicht mehr, trau mich sonst ja gar nicht her!
Vom Entziffern zum echten Lesen
Je mehr Buchstaben die Kinder gelernt haben, desto wichtiger werden Übungen zum echten Lesen und zum Zusammenlesen. Dazu findest du in meinem Buch viele Anregungen (Christina Buchner, Norderstedt, 2023).
Doch dann, wenn die Kinder kurze Geschichten sinnerfassend lesen können, muss der letzte Teil des Leselehrgangs in Angriff genommen werden. Diesem letzten Teil wird an unseren Schulen so gut wie keine Aufmerksamkeit gewidmet. Wenn die Kinder „im Prinzip“ lesen können, gilt der Prozess in den meisten Klassen als abgeschlossen. Diejenigen Schüler, die aus einem bildungsorientierten Elternhaus kommen, werden dann in vielen Fällen die Lesepraxis, die nötig ist, um ein wirklich versierter Leser zu werden, sozusagen auf eigene Faust erwerben. Was aber ist mit den anderen Kindern, die dringend Anleitung und Kontrolle bräuchten?
Es hat ja einen Grund, dass bei uns von so vielen Seiten über die mangelnden Lesefähigkeiten der Schulabgänger – übrigens auch der Abiturienten! – geklagt wird. Die Schule könnte hier sehr segensreich wirken, wenn sie sich auf die nachhaltige und langfristige Arbeit einlassen würde, den Schülern das nötige Lesetraining zu verschaffen.
Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft sind gefragt, um ein echter Leser zu werden.
Es ist eine wichtige und wunderbare Sache, den Kindern zu zeigen, dass es sich lohnt, das Lesen zu lernen und sich dafür auch anzustrengen. Die vielen schönen Übungsmöglichkeiten, von denen ich einige vorgestellt habe, bieten reichlich Gelegenheit, mit anderen Kindern zusammen aktiv zu sein. Das erzeugt gute Stimmung in der Klasse.
Doch es ist noch viel Arbeit nötig, bis der schulische Leselernprozess als abgeschlossen bezeichnet werden kann.
Für uns Lehrer ist es eine herausfordernde, aber auch beglückende Aufgabe, unsere Schüler gut durch das „Tal der Mühsal“ zu begleiten, sie zu ermutigen und ihre Erfolge sichtbar zu machen.
Ein nachhaltiger und langfristig angelegter Übungslehrgang ist für die Schule machbar. Ich habe reichlich Praxiserfahrung und kann das deshalb beurteilen. Wie du genau vorgehen kannst, findest du auf meiner Homepage (www.christina-buchner.de) und in meinem Buch (Christina Buchner, Norderstedt, 2023).
Das vorgeschlagene Verfahren kann natürlich genauso wie der vorgestellte Leselehrgang von dir abgewandelt werden. Auch hier geht es um ein Prinzip, nicht um eine genau einzuhaltende Eins-zu-Eins-Vorschrift. Ich wünsche vielen Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich auf einen Versuch einlassen. Es würde vielen Schülern eine Chance geben.
Zum Schluss möchte ich Stanislas Dehaene zitieren, der sich intensiv mit dem Lesen beschäftigt hat:
Man erweist dem Kind keinen Gefallen, wenn man ihm die Freuden des Lesens vorgaukelt, ohne ihm den entsprechenden Schlüssel an die Hand zu geben. (Stanislas Dehaene, Lesen, München, 2012, S. 250)
Die Autorin:
Christina Buchner arbeitete viele Jahre als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen. Und sie war 16 Jahre Rektorin an Grundschulen im Landkreis München. Sie ist in Oberbayern auf dem Land aufgewachsen. Ihre Kindheit war geprägt durch große Freiheit, Nähe zur Natur, Freude an Büchern und die Möglichkeit, kreative Einfälle in die Tat umzusetzen. Vor diesem Hintergrund war es ihr von Anfang an ein zentrales Anliegen, für ihre Schüler eine bunte und anregende Lernwelt zu schaffen.
Sie ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass in der Schule ohne Freude, Begeisterung und ohne Erfolgserlebnisse sehr wenig läuft. Die Mischung aus Pflicht und Freude, aus Begeisterung und konsequenter Übung, aus Disziplin und individueller Freiheit beim Lernen ist ihr Markenzeichen. Für diese Mischung wirbt sie in ihren Büchern und in Vorträgen und Lehrerfortbildungen in Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und Luxemburg. Christina Buchner entwickelte eigene Methoden für das Lesenlernen, für Rechtschreiben und Schreiberziehung, für den elementaren Mathematikunterricht und für das Theaterspielen mit einer Klasse. Ihr MatheBlog: www.die-rechentante.de Ihre Website: www.christina-buchner.de