Matheunterricht: Mehr Sprechen fördert das Verstehen

Sprachbildender Mathematikunterricht hilft schwachen wie starken Schülerinnen und Schülern

Nicht mehr rechnen, sondern mehr reden kann Schülerinnen und Schülern dabei helfen, ihre Mathekenntnisse zu verbessern. Gestalten Lehrkräfte den Unterricht so, dass mathematische Ideen häufiger diskutiert und begründet werden sollen, profitieren Schülerinnen und Schüler auf allen Leistungsniveaus davon. Das zeigt eine neue Studie mit knapp 600 Kindern und Jugendlichen, die von einem Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Technischen Universität Dortmund und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) durchgeführt wurde. Sie erschien im „Journal for Research in Mathematics Education“.

Sprachkompetenz entscheidend

Ziel der neuen Studie war es zu untersuchen, ob sich durch eine gezielte Sprachförderung die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler verbessern lassen. „Aus früheren Studien wissen wir, dass es einen Zusammenhang zwischen der Sprachkompetenz der Kinder im Deutschen und ihrer Leistung im Mathematikunterricht gibt. Die Sprachkompetenz hatte dabei einen größeren Einfluss als etwa der sozioökonomische Status der Kinder“, sagt die Mathematikdidaktikerin Prof. Dr. Kirstin Erath von der MLU. Die Forscherinnen unterscheiden dabei zwischen einer Alltags- und einer Bildungssprachkompetenz. „Viele Schülerinnen und Schüler, die Probleme im Matheunterricht haben, sind im alltäglichen Sprachgebrauch sehr erfolgreich. Im Bildungsbereich fehlen ihnen dann aber die passenden Kompetenzen, um beispielsweise zu mathematischen Erklärungen im Unterricht beizutragen“, sagt Erath weiter.

589 Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 7

Im Rahmen der groß angelegten Studie mit 589 Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 7 untersuchten die Forscherinnen der MLU, der TU Dortmund und des IPN diesen Zusammenhang. Die Schülerinnen und Schüler wurden zufällig in drei Gruppen aufgeteilt: In einer Gruppe wurde mathematisches Verständnis gefördert, indem die Lernenden immer wieder zum Erklären und Begründen aufgefordert wurden. Eine zweite Gruppe erhielt zusätzlich so genannte lexikalische Lerngelegenheiten, zum Beispiel Informationen zu Satzbausteinen wie „der Teil vom Ganzen“. In einer dritten Kontrollgruppe wurde der Standardunterricht ohne zusätzliche Lernangebote durchgeführt. Vor und nach den Unterrichtseinheiten testeten die Forscherinnen die mathematischen Fähigkeiten der Kinder.

Sprachbildender Mathematikunterricht

Das Ergebnis: Die Schülerinnen und Schüler profitierten von dem sprachbildenden Mathematikunterricht – ihre Leistungen verbesserten sich stärker als im Vergleich zu der Kontrollgruppe. „Wenn Schülerinnen und Schüler miteinander ins Gespräch gebracht werden, miteinander interagieren und über den Stoff diskutieren, dann passiert vertieftes Mathematiklernen. Die in der zweiten Gruppe angebotenen Satzbausteine können allerdings einige besser nutzen als andere“, fasst Erath zusammen.

Gute Nachrichten für die Inklusion

Aus Sicht der Projektpartnerin Prof. Dr. Susanne Prediger von der TU Dortmund ist das wichtigste Ergebnis, dass alle Schülerinnen und Schüler von den speziell entwickelten Lerneinheiten profitierten, also auch solche mit guten Leistungen: „Bisher wurde Sprachbildung meist für mehrsprachige Lernende und solche mit Leistungsproblemen als lernwirksam gezeigt. Es freut uns sehr, dass wir zeigen können, dass auch diejenigen, die die Förderung aufgrund ihrer bisherigen Leistungen eigentlich nicht brauchen, davon mathematisch profitieren. Das ist eine gute Nachricht im Hinblick auf Inklusion“, fasst Prediger zusammen. Die neue Studie solle dazu beitragen, möglichst für alle Schülerinnen und Schüler einen Zugang zu Mathematik zu ermöglichen und die Chancen auf eine wirkliche Teilhabe zu verbessern.

Mathematiklehrerinnen und -lehrer könnten ihren Klassen helfen, indem sie solche Lerngelegenheiten häufiger in den Unterricht integrieren und nicht nur die Lösungen abfragen. „Wie es am besten gelingt, die Gespräche unter den Schülerinnen und Schülern anzuregen, hängt auch von den Klassen ab, es gibt keine Patentrezepte“, sagt Erath. Die Erkenntnisse der Didaktikerinnen sollen auch in die Ausbildung angehender Mathematiklehrerinnen und -lehrer einfließen. Außerdem bietet das Team im Rahmen des Deutschen Zentrums für Lehrkräftebildung Mathematik am IPN auch Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer an Schulen an.

Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.


Originalpublikation:
Studie: Prediger S., Erath K., Weinert H. & Quabeck K.. Only for Multilingual Students at Risk? Cluster-Randomized Trial on Language-Responsive Mathematics Instruction. Journal for Research in Mathematics Education (2022). doi: 10.5951/jresematheduc-2020-0193
https://doi.org/10.5951/jresematheduc-2020-0193




Dreidimensionales Denken fördert das Mathematikverständnis

Forschende der Universität Basel entdecken Zusammenhänge zwischen räumlichen Denken und mathematischem Verständnis

Kleinkinder sollten nicht nur in ihrer sprachlichen Entwicklung, sondern vor allem auch in Bezug auf das räumliche Denken möglichst früh gefördert werden. Laut Forschern um Dr. Wenke Möhring der Universität Basel http://unibas.ch ist dies der Schlüssel dazu, dass Kindern Mathematik später erheblich leichter fällt. Die Schweizer Wissenschaftler haben 586 Kinder aus Basel untersucht.

Das Team hat gezeigt, dass bei Kindern ein Zusammenhang zwischen ihrem räumlichen Vorstellungsvermögen mit drei Jahren und ihren mathematischen Fähigkeiten in der Grundschule besteht. „Aus früheren Studien wissen wir, dass Erwachsene sich im Umgang mit Zahlen ein räumliches Bild machen – beispielsweise kleine Zahlen links verorten und große rechts“, erklärt Möhring. „Aber es ist kaum erforscht, ob frühes räumliches Denken beeinflusst, wie Kinder später Mathematik lernen und begreifen.“

„Robuster Zusammenhang“ zwischen 3D und Mathematik

Laut der im Fachjournal „Learning and Instruction“ erschienenen Studie gibt es einen „robusten Zusammenhang“ zwischen räumlichen Fertigkeiten und dem späteren mathematischen Verständnis. Auch konnten die Experten ausschließen, dass dieser Zusammenhang durch andere Faktoren wie den sozioökonomischen Status oder die Sprachfertigkeiten zustande kommt. Wie genau die räumlichen und mathematischen Fähigkeiten bei Kindern zusammenhängen, ist derzeit noch ungeklärt, aber die räumliche Vorstellung von Zahlen könnte eine Rolle spielen.

Die Ergebnisse beruhen auf der Auswertung der Daten von 586 Basler Kindern, die im Rahmen eines Projekts zum Thema Spracherwerb von Deutsch als Zweitsprache erhoben wurden. Die Forschenden stellten den zu Anfang dreijährigen Kindern eine Reihe von Aufgaben zu kognitiven, sozio-emotionalen und eben auch räumlichen Fähigkeiten. Dabei sollten die Kinder beispielsweise farbige Würfel zu bestimmten Formen legen. Diese Tests wiederholten die Forschenden viermal im Abstand von rund 15 Monaten, und sie verglichen die Ergebnisse mit den schulischen Leistungen der Kinder mit sieben Jahren im ersten Schuljahr.

Entwicklungsgeschwindigkeit spielt keine Rolle

Im Fokus der Forschenden stand auch, ob die Entwicklungsgeschwindigkeit – also eine besonders schnelle Entwicklung der räumlichen Fähigkeiten – auf spätere mathematische Fähigkeiten hindeutet. Frühere Studien mit geringeren Teilnehmerzahlen hatten von einem solchen Zusammenhang berichtet. Möhring und ihr Team konnten dies mit ihrer Auswertung nicht bestätigen. Kinder, die mit drei Jahren mit geringeren räumlichen Fertigkeiten starteten, entwickelten diese in den Folgejahren zwar schneller, schnitten aber mit sieben Jahren in Mathematik immer noch schlechter ab. Auch gelang es diesen Kindern trotz der schnelleren Entwicklung nicht, die Kinder mit einem besseren räumlichen Denken bis zum Schuleintritt komplett einzuholen.

Einfaches „Fördermaterial“: Schon das Spiel mit Bauklötzen unterstützt die Entwicklung des räumlichen Denkens

„Eltern sind oft sehr um die sprachliche Förderung ihrer Kinder bemüht“, sagt Möhring. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, wie wichtig auch die frühe Förderung des räumlichen Denkens ist.“ Dafür gebe es einfache Mittel wie den Gebrauch „räumlicher Sprache“ (wie grösser, kleiner, gleich, oben, unten) und Spielzeug wie Bauklötze, die das räumliche Denken fördern.

Räumliches Denken und die Geschlechter

In ihrer Auswertung stellten die Forschenden fest, dass sich Jungen und Mädchen mit drei Jahren im räumlichen Denken praktisch nicht unterschieden. In den Folgejahren entwickelt sich dieses bei Mädchen jedoch langsamer. Möhring und ihre Kollegen vermuten, dass Jungen womöglich mehr „räumliche Sprache“ hören und typische Jungen-Spielsachen oft das räumliche Denken fördern, während auf Mädchen ausgerichtete Spielsachen vor allem soziale Fertigkeiten ansprechen. Hinzu kommt, dass Kinder womöglich die Erwartungshaltung Erwachsener verinnerlichen und damit aufwachsen, Klischees zu entsprechen – wie zum Beispiel dem Klischee, dass Frauen im räumlichen Denken und Mathematik schlechter abschneiden.

Hier geht es zur Originalpublikation:

Wenke Möhring, Andrew D. Ribner, Robin Segerer, Melissa E. Libertus, Tobias Kahl, Larissa Maria Troesch, Alexander Grob
Developmental Trajectories of Children’s Spatial Skills: Influencing Variables and Associations with Later Mathematical Thinking
Leaning and Instruction (2021), doi: 10.1016/j.learninstruc.2021.101515

Weitere Auskünfte erteilt Dr. Wenke Möhring, Universität Basel, Fakultät für Psychologie, Tel. +41 61 207 05 85, E-Mail: wenke.moehring@unibas.ch

Quelle: Universität Basel und pressetext.com