Frühe Bildschirmzeit – großes Risiko für Lesefähigkeit und Mathematikverständnis

Eine Langzeitstudie aus Kanada verknüpft viel Medienzeit im Vorschulalter mit schwächeren Leistungen in der Grundschule – ein Befund, der sich mit den jüngsten IQB-Bildungstrends deckt

Digitale Geräte gehören längst zum Familienalltag. Schon Zweijährige wischen sich durch Serien, Spiele und Clips – oft deutlich länger, als Kinderärzte empfehlen. Doch wie wirkt sich das auf das Lernen später aus? Eine große kanadische Langzeitstudie liefert nun Zahlen, die aufmerksam machen.

Forschende der TARGet-Kids!-Kohorte in Ontario begleiteten mehr als 5 000 Kinder über viele Jahre hinweg. Die Eltern gaben regelmäßig an, wie viel Zeit ihre Kinder vor Bildschirmen verbrachten – ob beim Fernsehen, mit Tablets oder Videospielen. Später wurden diese Angaben mit den standardisierten Testergebnissen in Lesen, Schreiben und Mathematik der dritten und sechsten Klassen verknüpft.

Leistungsniveau stagniert

Jede zusätzliche Stunde der gesamten Bildschirmzeit war mit einer um 9 bis 10 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit verbunden, in der dritten Klasse ein höheres Leistungsniveau in Lesen oder Mathematik zu erreichen“, heißt es in der im JAMA Network Open veröffentlichten Studie. Auch in der sechsten Klasse zeigten Kinder mit mehr früherer Bildschirmzeit niedrigere Ergebnisse – vor allem in Mathematik.

Fernsehen und digitale Medien wirkten sich ähnlich aus wie die Gesamtzeit. Besonders auffällig war der Zusammenhang bei Videospielen: „Die Nutzung von Videospielen war bei Schülerinnen der dritten Klasse mit geringeren Leistungen in Lesen und Mathematik verbunden“, schreiben die Forschenden. Bei Jungen ließ sich dieser Zusammenhang dagegen nicht eindeutig nachweisen.

Im Durchschnitt verbrachten die Kinder, deren Leistungen später ausgewertet wurden, schon im Alter von etwa fünf bis acht Jahren rund anderthalb Stunden täglich vor Bildschirmen. Die Studie zeigt damit, dass frühe Gewohnheiten im Umgang mit Medien offenbar Spuren hinterlassen können – nicht als Einzelfaktor, aber im Zusammenspiel mit Lern- und Lebensbedingungen.

Parallelen zu den IQB-Bildungstrends

Die Ergebnisse passen zu den jüngsten IQB-Bildungstrends, die bundesweit rückläufige Kompetenzniveaus in Deutsch und Mathematik zeigen. Besonders in Mathematik verfehlt laut IQB mittlerweile ein Drittel der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler den Mindeststandard. „In allen vier untersuchten Fächern werden die Regelstandards seltener erreicht und die Mindeststandards häufiger verfehlt als 2018“, so das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen.

Wenn schon im frühen Kindesalter Bildschirmzeit mit schwächeren Lese- und Rechenleistungen zusammenhängt, könnte das eine Erklärung für langfristige Trends liefern – nicht als Ursache, aber als begleitender Faktor in einer zunehmend digitalen Kindheit.

Zusammenhänge aufgezeigt – nicht Kausalitäten

Die Forschenden betonen, dass ihre Untersuchung keine Kausalität beweist, sondern Zusammenhänge aufzeigt. Dennoch empfehlen sie, „frühzeitige Interventionen zur Reduzierung der Bildschirmzeit zu entwickeln und zu testen, um gesunde Gewohnheiten zu fördern und die schulischen Leistungen in der Grundschule zu verbessern“.


Blickkontakt und Bindung formen das Gehirn

Dr. Walter Hultzsch erklärt, wie Nähe, Blickkontakt und feine Signale die Entwicklung von Aufmerksamkeit, Selbstregulation und Persönlichkeit von Säuglingen fördern. Sein Buch verbindet neurowissenschaftliches Wissen mit alltagstauglicher Orientierung für Eltern, Großeltern, Paten und pädagogische Fachkräfte, die Babys in den ersten Lebensjahren achtsam begleiten wollen.

Dr. Walter Hultzsch
Hey Mama, schau mir in die Augen – und sprich mit mir – Bindung, Blickkontakt & frühe Kommunikation – wie sie das Gehirn deines Babys formen
120 Seiten, ISBN: 9783963040726, 20 €
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Wenn das Smartphone erzieht: Eltern im Mediendilemma

„Safe am Screen“ von freenet liefert Einblicke in den Alltag moderner Familien – und bietet Unterstützung statt Druck

Die digitale Mediennutzung von Kindern ist längst kein Randphänomen mehr – sie ist Teil des Familienalltags. Eine Initiative namens „Safe am Screen“, des Telekommunikationsunternehmens freenet hat eine Umfrage unter Eltern durchgeführt: Demnach empfinden es 36 Prozent als Erleichterung, wenn ihre Kinder digitale Inhalte nutzen – doch ein Viertel leidet dabei unter Schuldgefühlen.

Der Erhebung nach nutzt ein Drittel der Eltern die freie Zeit zumindest, um selbst etwas zu erledigen. 28 Prozent verwenden diese zur Motivation der Kinder und 24 Prozent zur eigenen Entspannung. 17 Prozent wünschen sich schlicht etwas ungestörte Freizeit.

Die von infas quo im Mai 2025 durchgeführte Umfrage mit 1.095 Eltern verdeutlicht die Ambivalenz vieler Erziehender. Digitale Medien werden bewusst eingesetzt – zur Überbrückung von Zeit, zur Motivation oder schlicht zur eigenen Entspannung. Gleichzeitig erleben viele einen Kontrollverlust oder fühlen sich von digitalen Trends überfordert.

Digitale Präsenz beginnt im Kleinkindalter

Schon in Familien mit Kindern unter drei Jahren sind digitale Geräte allzu präsent. In 61 Prozent der Haushalte spielen Smartphones, Tablets & Co. eine große Rolle – sogar ein Viertel der Eltern von Babys bis zwei Jahren berichtet von täglichem Medienkontakt.

Die Medienpädagogin Edina Medra mahnt zur bewussten Vorbildfunktion: „Eltern prägen durch ihr eigenes Medienverhalten entscheidend mit. Schon das Baby beobachtet – und ahmt nach.“

Zwischen Anspruch und Alltagsstress: Medienerziehung sorgt für Spannungen

Trotz guter Vorsätze sind viele Eltern in der Umsetzung inkonsequent: Zwar sind drei Viertel überzeugt, ihre Kinder gut begleiten zu können – doch fast die Hälfte gesteht, kein konsistentes Vorbild zu sein. Jedes fünfte Kind hat das Medienverhalten der Eltern bereits kritisiert, besonders häufig Kinder im Kitaalter.

Auch in der Familie sorgt das Thema für Konflikte: Ein Drittel empfindet die Diskussionen über Medienzeiten als belastend, knapp ein Fünftel sogar als stark stressend – vor allem, wenn unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen, etwa zwischen Elternteilen oder mit Großeltern.

Weitere Infos auf der Safe am Screen Website

Medienkompetenz beginnt bei den Erwachsenen

Kinder jeden Alters erleben die vielfältige digitale Mediennutzung überall in ihrem Lebensalltag Da bleibt es nicht aus, dass sie sich ebenfalls der Faszination digitaler Medien nicht entziehen können. Gleichzeitig gehört es zu den >Lebenskompetenzen< eines Menschen, mit den unübersehbaren und besonders verlockenden Angeboten in einer stark konsumorientierten […]weiterlesen

Armin Krenz: Medienkompetenz beginnt mit der Sach- und Medienkompetenz bei den Erwachsenen und nicht zuvorderst „am“ Kind! Heft, 28 Seiten, 5 €.