Warum die Motivation an Schulen oft nicht gelingt

Worauf Lehrkräfte und Eltern achten sollten, damit sich Kinder entwickeln können

Können Sie sich vorstellen, dass eine Schülerin so etwas sagt? „Wenn ich an die Schule denke, weine ich. Ich habe dort alles gefunden, was ich brauche: Freunde, Familie…“ Sollte das für Sie zum Alltag gehören, brauchen Sie hier nicht weiter zu lesen. Im anderen Fall kann Ihnen dieser Artikel vielleicht ein Stück weiterhelfen.

Die begeisterte Äußerung stammt von einer Schülerin der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg, die vor einiger Zeit den Deutschen Schulpreis gewonnen hat. Neben ihr ist das in den vergangenen Jahren noch 91 weiteren Schulen gelungen. Und im Vergleich zu anderen Schulen mit den üblichen Schulproblemen sind diese Bildungseinrichtungen nicht bessergestellt.

Die Stadteilschule in Hamburg ist eine öffentliche Gesamtschule mit 1600 Schülerinnen und Schülern in dem wenig privilegierten Stadtteil Dulsberg. Sie ist eine Schwerpunkt Schule für Inklusion und die Kinder und Jugendlichen stammen aus 86 Nationen.

Der Unterschied zu vielen anderen Schulen besteht in einer durchweg motivierten Schülerschaft und dem Kollegium.

Es fängt beim Verständnis von Schule und Bildung an

Woran liegt das und was machen andere Schulen anders? Das fängt schon beim Verständnis von Schule und Bildung an. Für den Schulleiter Björn Lengwenus, an seiner früheren Arbeitsstätte hat er die Schülerinnen und Schüler seiner Abschlussklasse schon mal für eine Currywurst nach Dänemark reisen lassen – ohne Geld und irgendwelche Transportmittel –, ist Bildung „viel mehr als nur Deutsch, Mathe und Englisch“. Der Grundgedanke, der seine Haltung und sein pädagogisches Handeln prägt ist „Schule ist Heimat“. „Die Schule muss spürbar eine herzliche Willkommenskultur haben.“, sagt Eckhard Feige, der viele Jahre lang in Bremen als Schulleiter aktiv war und heute in der Lehrerausbildung tätig ist. „Die Schüler müssen vom ersten Tag an das Gefühl haben, hier komme ich gerne hin. Hier gibt es eine schöne Umgebung und Lehrer, die sich für mich interessieren“.

Was sich so selbstverständlich anhört, ist vielerorts Mangelware. Angefangen bei heruntergekommenen Treppenhäusern, kaputten Heizungen, stinkenden Toiletten und kahlen Räumen bis hin zu Lehrkräften, die der Meinung sind, immer die falschen Schüler zu haben. Ein schönes Beispiel dafür bietet etwa die Stadt Freiburg im Breisgau. Hier sollen aktuell rund 3,3 Millionen Euro in die Überwachung von Park + Ride Parkplätzen investiert werden. Aber Geld für die dringende Sanierung der maroden Schultoiletten hat man hier nicht genug. Seltsame Prioritäten.

Das Lernumfeld trägt zur Motivation bei

Selbstverständlich trägt das Lernumfeld, in dem sich Schülerinnen und Schüler den ganzen Tag aufhalten, erheblich zur Motivation bei. „So eine Schule als Ganzes vom Gebäude bis zum Personal muss irgendwie eine positive Ausstrahlung haben.“ erklärt Feige. „Ja, hier ist es toll, hier möchte ich sein. Es ist wichtig, dass ein Klassenraum ein angenehmes Aussehen und eine Struktur hat, damit sich die Kinder zurechtfinden. Kinder brauchen Struktur und gleichzeitig die Möglichkeit für Kreatives.“ Feige beklagt auch, dass das viele Kolleginnen und Kollegen nicht sähen. Da gäbe es dann Stuhlreihen und kahle Wände. Anders sieht es etwa im Hamburger Stadtteil Barmbek aus, auf dessen Schulhof Lengwenus einst gegen viele Widerstände einen Klassenraum in einen Baum bauen ließ.

Auf die Haltung kommt es an

Und schon sind wir wieder bei der Person des Lehrers. Seit Jahren tobt die Diskussion um die Haltung der Lehrkräfte gegenüber den Kindern und Jugendlichen. Wenn wir die Situation einer Schulklasse mit der einer Fußballmannschaft vergleichen, zeigt sich das besonders deutlich. Ulf Häfelinger, bis vor kurzem Mentaltrainer des FC RB Salzburg bringt es auf den Punkt, wenn er danach fragt, ob sich die Lehrkraft von ihrer Klasse distanziert oder sich als Teil des Teams sieht, um Erfolg und Misserfolg zu teilen.

„Wichtiger als ein guter Fachdidaktiker zu sein, ist die Fähigkeit eine gute soziale und vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern aufzubauen.“, sagt Feige. „Man kann in zwei Fächern wunderbar ausgebildet sein. Wenn man dann aber in den Fächern 35 Jahre lang an den Kindern vorbei unterrichtet, hat man nichts erreicht, außer, dass man gut verdient hat.“ Lehrkräfte, die den Wert eines Menschen nach dessen Noten und Wohlverhalten beurteilen, sollten nach Meinung aller Fachleute längst Geschichte sein. Die Realität ist zu oft noch eine andere. Edgar Bohn, ebenfalls langjähriger Schulleiter und Vorsitzender des Grundschulverbandes kennt viele dieser Beispiele. So erzählt er etwa von einer Kollegin, die bei „schwierigen Schülern“ grundsätzlich Verhaltensauffälligkeiten diagnostizierte. Genauso weiß er aber auch von anderen Lehrpersönlichkeiten zu berichten.

Sorgen und Nöte auch bei den Lehrkräften

„Als Lehrer muss ich es bemerken, wenn ein Schüler nicht mehr mitkommt. Ich habe irgendwann mal festgestellt, dass viele meiner Schüler meine Fragen nicht richtig verstanden haben. Dann bin ich dazu übergegangen, bei Fragen, auf die nur wenig Reaktionen kamen, jene Schüler zu bitten, aufzustehen, die meine Fragen verstanden hatten. Diese bat ich zu erklären, was ich gefragt habe. Mit der Zeit standen so immer mehr Schüler auf. Manchmal dauerte es sehr lange, bis alle standen. Da musste ich meine Fragen präzisieren und habe gelernt, die Fragen richtig zu stellen,“ sagt Bohn.

Bohn kennt viele Sorgen seiner Kolleginnen und Kollegen. Der Kampf mit dem Regierungspräsidium, auf sich alleine gestellt zu sein bei teilweise enormen Herausforderungen, ein Berg von Überstunden aufgrund des Lehrkräftemangels, sind nur drei von den vielen, die er nennt. Er wünscht sich eine Behörde, die mehr unterstützt als zu kontrollieren, Vorgaben zu machen und zu verwalten. Gruppen von Kolleginnen und Kollegen, die sich gegenseitig im Unterricht besuchen, und miteinander darüber diskutieren, mehr Fortbildungsbereitschaft, mehr Freiräume für die Schulen und eine klare Vision von Schule, die auf die modernen Erkenntnisse der Wissenschaft baut. Der Grundschulverband hat natürlich eine (www.grundschulverband.de).

Wie kann ich ein Angebot machen, das Interesse weckt?

Aber was ist mit der Motivation der Schülerinnen und Schüler selbst? Häfelinger erklärt, dass er keinen Menschen wirklich motivieren könne, weil diese eigentlich schon motiviert seien. Wenn es hier einen Einbruch gebe, müsse man nach den Ursachen dafür suchen. So sieht es auch Bohn. „Die Fragestellung lautet nicht ,Wie kann ich jemanden motivieren?‘ Sondern die Fragestellung lautet ,Wie kann ich ein Angebot machen, das Interesse weckt?‘“

Mitte der achtziger Jahre entwickelten die beiden Psychologen Edward L. Deci und Richard Ryan ihre Selbstbestimmungstheorie. Ausschlaggebend für die Motivation eines Menschen sind danach Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Auch wenn diese Theorie heute allgemein anerkannt ist, ist die Realität meist anders.

Soziale Eingebundenheit

Über die Bedeutung der sozialen Eingebundenheit, also eine gute Verbindung zu den Lehrkräften und zu den Mitschülern zu haben, sich willkommen zu fühlen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu haben, ist hier bereits einiges angeklungen. Aber wie sieht es mit der Autonomie aus. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wird, wie entscheidend das Gefühl der Autonomie schon von frühen Kindesbeinen an für die Entwicklung ist. Das Grundproblem sieht Bohn darin, wenn die Lehrkraft die Schulstunde so vordenkt, wie sie zu laufen hat, damit am Ende genau das herauskommt, was sie sich am Anfang vorgestellt hat. Mit der Autonomie ist es dann nicht mehr weit her. Um davon weg zu kommen, empfiehlt Bohn mehr Projektunterricht, in dem die Kinder und Jugendlichen auf sich gestellt oder in Gruppen mit Unterstützung der Lehrkräfte zu eigenen Ergebnissen kommen. Häfelinger empfiehlt ein Wegkommen vom 45-Minuten-Takt, damit Lehrkräfte und Schüler genügend Zeit haben. Feige, der Gymnasiallehrer und gleichzeitig Sonderpädagoge ist, betont die Notwendigkeit zu individuellen Förderung und einem differenzierten Unterricht.

Aus jahrzehntelanger Lehrerfahrung weiß er selbst, wie schwierig das ist, aber auch wie wertvoll. Chancen sieht er dabei vor allem in einer verbesserten Lehrerausbildung mit Bezug zur Inklusion und im vermehrten Einsatz von Sozial- und Sonderpädagogen im Schulbetrieb. Und schließlich setzt er erheblich stärker auf die Entwicklung sozialer Fähigkeiten und die Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen an der Schule. Dazu hat er jüngst ein Buch für Lehrkräfte mit dem Titel „Gemeinsinn in der Klasse schaffen“ geschrieben, das in diesen Tagen erscheint. Wenn es tatsächlich gelingt, dass sich mehr Menschen die Gefühle von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit haben, werden sie auch ihr Leben in die Hand nehmen und gestalten. Damit wäre eigentlich alles erreicht.

Wir dürfen die Eltern nicht vergessen

Wenn wir aber über Motivation reden, dürfen wir die Eltern nicht vergessen. Was können sie tun, damit ihre Jüngsten mit am Ball bleiben. Das Gespräch über Noten ist sicher nur dann gefragt, wenn die Kinder damit Probleme haben. Feige erinnert sich, dass er mit seinen Kindern genau zwei Mal über Noten gesprochen hat: „in der vierten Klasse und in der achten, als es gerade schwierig wurde.“ Dabei können Eltern ihre Kinder tatsächlich gut unterstützen, aber eben anders, als es sich viele oft vorstellen.

Eltern können die Schulleistungen und Motivation ihrer Kinder stärken, indem sie eine positive Erwartungshaltung vermitteln und sich an Aktivitäten der Schule beteiligen. Eine aktive Rolle beim Lernen zu Hause wirkt sich dagegen nur geringfügig aus und kann im Fall der Hausaufgabenkontrolle sogar schaden. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor ein paar Monaten mit der größten Forschungssynthese der Technischen Universität München (TUM) zum Einfluss der Eltern nachgewiesen. Dabei sind vor allem fünf Dinge wichtig:

  1. Eltern sollten sich am Lernen zu Hause beteiligen. Das verbessert zwar die Schulleitungen nicht, motiviert aber. Kinder entwickeln eine positivere Einstellung zum Lernen, wenn sie ermutigt werden, selbstständig zu arbeiten, zum Beispiel eigene Lösungswege auszuprobieren.
  2. Gute Leistungen können Eltern begünstigen, wenn sie zu Hause eine Umgebung schaffen, die zum Lernen geeignet ist. Hilfe bei den Hausaufgaben kann sich jedoch negativ auswirken, wenn sie sich darin erschöpft, die Kinder und Jugendlichen zu kontrollieren. Dies ist vor allem bei Schülerinnen und Schülern mittleren Alters der Fall.
  3. Eltern sollten Regeln festlegen, wann und wo die Aufgaben erledigt werden, Hilfestellungen anbieten und Feedback zur Genauigkeit der Bearbeitung geben.
  4. Eltern sollten ihren Kindern eine positive Erwartungshaltung zur Bildung vermitteln. Indem Eltern mit ihren Kindern über mögliche Leistungen, Schulabschlüsse oder Berufswege sprechen, indem sie Lernstrategien diskutieren oder Lob und Kritik möglichst differenziert auf einzelne Schularbeiten beziehen, können sie positiv darauf einwirken, was sich die Kinder in den einzelnen Fächern selbst zutrauen und inwieweit sie sich in der Schule engagieren. Dieser Effekt nimmt mit dem Alter der Jugendlichen zu. Weniger wirkungsvoll sind dagegen Diskussionen über die Bedeutung von Bildung im Allgemeinen.
  5. Offenbar hilft es auch, wenn sich Eltern an der Schule engagieren.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Beteiligung der Eltern die Leistung und Motivation der Schülerinnen und Schüler über alle Altersstufen hinweg und unabhängig vom sozioökonomischen Status stärken kann“, sagt die Studienleiterin Doris Holzberger, Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung. „Umso wichtiger ist eine gute und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Schulen und Eltern. Wenn Lehrerinnen und Lehrer die Väter und Mütter erreichen, können sie auch außerhalb des Unterrichts Kinder fördern, bei denen eine positiv wirkende Rolle der Eltern nicht selbstverständlich ist.“

Auch Eltern müssen Anregung geben

Feige ergänzt: „Eltern sollten versuchen, eine Vertrauensperson für ihre Kinder zu sein. Das hört sich so selbstverständlich an, ist es aber nicht. Wenn Kinder sich aufgehoben und sich gesehen und gehört fühlen und dadurch wirklich Vertrauen entsteht, können Eltern auch eine große Rolle dabei spielen, Kinder für alles Mögliche zu begeistern. Das ist nicht für alle selbstverständlich. Wir hören immer wieder, dass die Eltern keine Zeit für ihre Kinder haben oder wenn sie Zeit haben, diese nicht von Aufmerksamkeit, Interesse oder Wertschätzung geprägt ist.

Eltern sollten in der Lage sein, den Kindern Anregungen zu geben, die sie neugierig machen auf das, was sie umgibt. Neugierde wecken ist ansteckend. Ich habe ganz viele Kinder und Familien in meiner Amtszeit an der Schule erlebt, die sehr Reizarm aufgewachsen sind. Und die hatten unglaubliche Defizite.“

Und hier gilt es dann wieder, die Eltern zu unterstützten. Denn Armut, soziale Ungleichheit und der Mangel an Elternbildung führen nachweislich zu weniger Motivation und schlechterer Schulleistung.

Lange ließe sich noch über das Thema schreiben. Ganze Bibliotheken sind voll davon. Das größte Problem dürfte sein, dass wider besseres Wissen, Kinder in ihrer Entwicklung noch immer deutlich eingeengt und nicht in ihrer Entwicklung gefördert werden. Wie es anders geht, lässt sich an vielen positiven Beispielen ablesen. Einige finden sich auf der Website des Deutschen Schulpreises. Eines steht aber fest: Zu Anfang ihrer Schullaufbahn sind Kinder immer motiviert und bereit zur Kooperation.

Gernot Körner




Wie Sie Kinder fürs Lernen motivieren

Lob, das nicht herabsetzt, Kritik, die nicht verletzt

Adele Faber und Elaine Mazlish haben mit „So sag ich’s meinem Kind“ den erfolgreichsten Elternratgeber aller Zeiten geschrieben. Das Buch wurde weltweit bald 4.000.000 Mal verkauft. Dabei geht es um mitfühlende, gewaltfreie Kommunikation. Ihre Stärke liegt unter anderem darin, dass sie nicht nur vom Kind aus denken, sondern ebenso von den Erwachsenen aus. So verstehen sie beide Seiten und entwickeln ihr Konzept daraus. Der folgende Beitrag ist aus ihrem Buch „Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern“. Dabei handelt es sich um einen Ratgeber, der sich gleichermaßen an Eltern wie pädagogische Fachkräfte wendet. Er ist aus der Sicht der jungen Lehrerin Lisa Langer geschrieben. Der Vorteil dabei. Sie erlebt zunächst am eigenen Leib, wie sich verschiedene Situationen anfühlen. Hier etwa, wie es sich als Erwachsener anfühlt, gelobt oder kritisiert zu werden. Das erleichtert das Verständnis für die Kinder. Die Lösungen für das jeweils richtige Verhalten ergeben sich daraus zwangsläufig. Durch die Comics erscheint alles noch viel einprägsamer.

Lisas Geschichte

„Bitte … setzen Sie sich. Wir haben viel zu besprechen.“ Ich rutschte nervös auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Direktors hin und her.

„Frau Langer, wie Sie sicherlich wissen, haben Sie während der ersten drei Jahre als Lehrerin Probezeit. Drei Jahre lang werden Sie jedes Jahr mindestens drei Beurteilungen erhalten. Dies ist die erste. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich in Ihnen viel Potenzial sehe … aber, Sie werden für ihre Festanstellung arbeiten müssen. Jetzt ist die Zeit, in der Sie aus Ihren Fehlern lernen können. Lassen Sie uns die Stunde vom Montag ansehen und schauen, was falsch gelaufen ist.“

Er zog eine Mappe aus einem Aktenschrank, auf die „auf Probe“ in roten Blockbuchstaben gestempelt war. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und blätterte, die Brille auf dem Nasenrücken balancierend, durch die zahlreichen Notizen, die er sich gemacht hatte, während er meiner Stunde beigesessen hatte.

„Mal sehen … Ich glaube das Ziel, Ihrer Stunde war, den Kindern beizubringen, wie man einen Brief schreibt. Habe ich recht?“

„Ja, Herr Stahl.“ (Worauf wollte er hinaus?)

„Sie haben den Schülern gesagt, dass Sie ein Buch mit den Namen und Adressen von Prominenten hätten, sodass sie ihrem Lieblingspromi schreiben könnten. Das war Ihr erster Fehler. Sobald Sie ihnen von der Möglichkeit erzählt hatten, Kontakt zu einem Prominenten aufzunehmen, hörten sie Ihnen nicht mehr zu und sprachen miteinander. Sie haben sie verloren. Statt sich auf den Plan zum Schreiben von Briefen zu konzentrieren, diskutierten sie Promis. Für die Zukunft empfehle ich Ihnen, sich bei Entscheidungen, die den Lehrplan betreffen an den Richtlinien des Bildungsministeriums zu orientieren. Wenn Sie diesen Richtlinien mit ihren Schülern folgen, werden diese besser auf den landesweiten Schreibtest im Frühling vorbereitet sein. Solange Sie an dieser Schule unterrichten, müssen Sie die Vorgaben so umsetzen, wie sie in den Richtlinien stehen.“

Ich versuchte mich zu verteidigen: „Ich dachte, wenn ich ein wenig Begeisterung für das Briefeschreiben heraufbeschwören würde …“

„Das bringt uns zu meinem nächsten Punkt. Die Begeisterung der Schüler führte zu einer Reihe unangemessener Verhaltensweisen. Während ihrer halbstündigen Unterrichtseinheit wurden drei Nachrichten durchgereicht, Geräusche mit dem Mund wurden gemacht, es wurde auf einen Tisch gehauen, und ein Schüler stand auf, um mit einem seiner Mitschüler zu sprechen. War Ihnen bewusst, dass all diese Aktivitäten sich im hinteren Teil Ihres Klassenzimmers abspielten?“

„Nun, ja … aber die Kinder waren nur etwas aufgeregt, Herr Stahl.“

Er lehnte sich in seinem Stuhl vor. „Frau Langer, wir haben spezifische Verhaltensvorschriften für unsere Klassenzimmer. Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, wie schnell ein Problem eskalieren kann. Schüler in diesem Alter sind sehr sprunghaft. Wenn man sie nicht bei der Stange hält, kann die Situation schnell außer Kontrolle geraten. Selbst wenn Sie mit dieser Idee mit den Prominenten arbeiten, können Sie das verbessern. Ich empfehle, Sie konzentrieren sich in Ihrer Stunde auf die korrekte Art und Weise einen Brief zu schreiben und verbringen weniger Zeit damit, zu diskutieren, wer der Lieblingsstar Ihrer Schüler ist.“

Die Stimme der Sekretärin kam aus der Sprechanlage: „Herr Stahl, der Leiter der Schulaufsichtsbehörde ist am Apparat. Möchten Sie den Anruf annehmen oder soll ich mir eine Nachricht geben lassen?“

Herr Stahl sah auf seine Uhr. „Ich sollte lieber rangehen“, sagte er, während er durch seine Notizen blätterte. „Nun … es gibt noch einige weitere Punkte, die ich mit Ihnen diskutieren möchte, aber vielleicht haben Sie erst einmal genug, mit dem Sie arbeiten können. Ich schlage vor, Sie wohnen einmal Frau Hardings Unterricht bei. Sie ist eine gute Lehrerin. Man könnte in ihrem Zimmer eine Stecknadel fallen hören. Lassen Sie uns ein zweites Treffen für morgen vereinbaren, sodass wir die kleinen Ungereimtheiten ausbügeln können.“

Wie Bewertungen verletzen

Zurück in meinem leeren Klassenzimmer, schloss ich die Tür hinter mir und sah gedankenlos den Stapel Papiere auf meinem Schreibtisch durch. Tränen traten mir in die Augen. Gefiel ihm überhaupt nichts an meinem Unterricht? Sicher, die Kinder waren etwas wild, aber mir war es lieber, sie begeisterten sich für das Thema, als dass sie komatös auf ihren Plätzen vegetierten. Ich wollte, dass es sie interessierte, worüber sie schrieben, egal ob es an eine Berühmtheit, einen Freund oder jemanden im Parlament war. Was sie schrieben, war doch wohl ebenso wichtig wie die Frage, wie sie schrieben?

Ich sah wieder auf den Stapel unkorrigierter Briefe auf meinem Schreibtisch, nahm meinen roten Stift und legte ihn wieder ab. Ich hatte kein Verlangen, diese Papiere zu benoten. Kein Verlangen zu unterrichten. Kein Verlangen, je wieder einen Fuß in ein Klassenzimmer zu setzen. Ich hörte, wie jemand an die Tür klopfte. Es war Maria, die eine Mappe voll mit Zeichnungen von Schülern trug. „Entschuldige, dass ich dich störe“, sagte sie fröhlich, „aber könnte ich deinen Hefter ausborgen?“

„Sicher.“

„Bist du okay?“, fragte Maria und starrte mich an.

„Ich hatte nur einen harten Nachmittag. Ich weiß nicht … Ich denke mir so langsam, ich hätte lieber ins Büro statt an die Schule gehen sollen.“

„Wie kannst du so was sagen? Du bist eine tolle Lehrerin. Eine der besten! Ich finde, du bist herausragend!“

Ich sah zu Maria auf. Sie lächelte auf mich herab und wartete darauf, dass ich zurücklächelte. Ich schaffte es zu murmeln: „Danke, Maria“, und gab ihr den Hefter.

Kurz nachdem sie gegangen war, kam Jessie herein. „Du siehst aus, als hätte dir jemand in den Magen getreten“, stellte sie fest.

Ich sagte mir, ich sollte mich „professionell“ verhalten und Jessie nicht meine Sorgen aufladen. Aber nach einem Blick in ihr Gesicht, platzte die ganze Geschichte aus mir heraus. Jessie hörte zu und schüttelte mitfühlend den Kopf.

„Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen“, sagte ich unter Tränen, „sagte er, ich sei zu animiert, dass ich meine Klasse nicht unter Kontrolle hätte und dass ich bei Frau Harding beisitzen sollte, um zu sehen, wie ein guter Lehrer unterrichtet.“

„Frau Harding?“, spottete Jessie.

„Er sagte, man könne in ihrem Klassenzimmer eine Stecknadel fallen hören.“

„Das liegt daran, dass die Kinder schlafen.“

„Jessie“, platzte es aus mir heraus, „mach keine Witze. Ich bin am Boden zerstört.“

„Ich weiß … ich weiß. Ich ärgere mich nur, dass du als Ziel für Stahls verzerrte Vorstellung von ‚konstruktiver Kritik‘ herhalten musstest.“

„Maria war gerade da“, schniefte ich, „sie ist so ein Schatz. Sie hat versucht mich aufzumuntern. Hat mir gesagt, ich sei eine tolle Lehrerin.“

„Aber du hast ihr nicht geglaubt.“

„Ich wollte. Aber als sie das sagte, konnte ich nur an die Gelegenheiten denken, als ich nicht so toll war.“

„So scheint es zu laufen“, seufzte Jessie. „Kritik kann einen fertigmachen. Und Lob wie: ‚Du bist toll … fantastisch … großartig ist für jedermann einfach zu viel.“

„Ich weiß. Ich wollte Maria sagen, dass sie ganz im Unrecht sei über mich.“

„Weil es schwer ist, so außergewöhnliches Lob zu akzeptieren. Ist dir einmal aufgefallen, wie unwohl man sich plötzlich fühlt, wenn jemand einen bewertet? Ich weiß, wenn mir jemand sagt, ich sei ‚gut‘ oder ‚hübsch‘ oder ‚schlau‘, kann ich nur noch an die Gelegenheiten denken, bei denen ich schlecht war oder mich hässlich gefühlt oder etwas Dummes getan habe.“

„Genau das ist mir passiert! Als Maria darauf bestand, dass ich ‚die Beste‘ sei, dachte ich an letzten Montag, als ich müde zur Schule kam, schlecht vorbereitet und entsetzt darüber, dass der Direktor mir eine Überraschungsvisite abstatten wollte.“

Jessie lachte laut. „Sie hat es gut gemeint. Die Leute meinen es immer gut, wenn sie dich loben. Sie wissen nur nicht, wie.“

„Was kann man da wissen?“

„Dass man, statt zu bewerten, beschreiben sollte, was jemand getan hat.“

„Es beschreiben?“

„Genau. Man muss beschreiben – detailliert – was genau die Person getan hat.“

„Ich verstehe es nicht. Gib mir ein Beispiel.“

Beschreiben statt bewerten

Jessie sah mich konzentriert an. „Okay“, sagte sie, „Lisa, deine Aufgabe war, deiner Klasse beizubringen, wie man einen formellen Brief schreibt, und du hättest dazu leicht eine Standartstunde abhalten können. Aber du wusstest, dass es Kinder normalerweise nicht unbedingt anmacht, wenn sie von Betreffzeilen und Grußformeln hören. Also hast du über das Thema nachgedacht und dir ist eine Möglichkeit eingefallen, die Fantasie deiner Schüler zu befeuern und sie mit Leidenschaft, einem klaren Ziel und in der korrekten Form schreiben zu lassen.“

Ich richtete mich auf meinem Stuhl auf. „Genau das habe ich getan!“, rief ich aus. „Es hätte leicht eine langweilige Stunde werden können, aber ich habe die Kinder begeistert und involviert. Und sie haben gelernt, wie man einen formellen Brief schreibt … Weißt du was? Es ist mir egal, was irgendjemand sagt. Es war eine sehr gute Stunde.“

„Aha!“, sagte Jessie triumphierend. „Schau, was gerade passiert ist! Ich habe nur beschrieben, was du getan hast, und du hast dich, als du erkannt hast, dass meine Worte zutreffen, selbst gelobt.“

Maria kam mit dem Hefter zurück und entschuldigte sich dafür, uns zu unterbrechen.

„Maria“, sagte ich, „geh nicht. Du musst hören, was mir Jessie über Lob erzählt hat. Ich will wissen, was du dazu denkst. Jessie, bitte sag alles noch mal.“

Jessie ließ sich überreden. Sie erzählte Maria, dass Kinder Schwierigkeiten haben, Lob zu akzeptieren, das sie bewertet. Sie sagte: „Einem Kind zu sagen: ‚Du bist so ordentlich‘, führt normalerweise zu: ‚Stimmt nicht.‘ Aber die Art von Lob, die ein Kind ‚aufnehmen‘ kann und die wirklich sein Selbstbewusstsein  aufbaut, kommt in zwei Teilen. Erst beschreibt der Erwachsene, was das Kind getan hat. (‚Ich sehe, ihr seid auf die Schule morgen vorbereitet. Ihr habt eure Hausaufgaben gemacht, eure Bleistifte gespitzt, eure Bücher eingepackt und sogar euer Pausenbrot gemacht.‘) Als Zweites lobt sich das Kind, nachdem es gehört hat, wie seine Leistung beschrieben wird. (‚Ich kann gut organisieren und vorausplanen.‘)

Übertriebenes Lob

Maria sah bekümmert aus. „Ich verstehe nicht“, sagte sie. „Ich weiß nur, dass es nicht gut war, so wie ich es als Kind erlebt habe. Meine Eltern glaubten, dass sie nichts Nettes zu ihren Kindern sagen sollten, weil es ihnen zu Kopf steigen könnte. Aber ich denke, Kinder sollten Komplimente bekommen. Es hilft ihnen dabei, stolz auf sich selbst zu sein. Ich sage Marco und Alina immer, wie gut sie sind und wie schlau sie sind.“

Sehr sanft sagte Jessie: „Du wolltest also, dass deine Kinder etwas bekommen, was du nie hattest.“

Maria schloss die Augen und nickte. „Aber vielleicht übertreibe ich es. Wenn ich Marco sage, wie schlau er ist, sagt er: ‚Raphael ist schlauer.‘ Wenn ich Alina sage, wie gut sie Geige spielen kann, sagt sie: ‚Mama, hör auf damit, mit mir zu prahlen.‘“

„Das ist es, worauf ich hinaus wollte“, sagte Jessie. „Kinder fühlen sich sehr unwohl, wenn sie durch Lob bewertet werden. Sie stoßen es weg. Manchmal benehmen sie sich absichtlich schlecht, um dir das Gegenteil zu beweisen.“

Maria starrte sie an. „Ach du meine Güte“, sagte sie. „Jetzt verstehe ich, was gestern in Herrn Petersons Klasse passiert ist, als ich ausgeholfen habe.“

„Was meinst du?“, fragte ich.

„Dieser Junge, Brian, der alle verrückt macht, saß endlich auf seinem Platz und machte seine Aufgaben fertig. Also klopfte ich ihm auf den Rücken und sagte, er sei ein guter Junge. Ich dachte, das würde ihn dazu motivieren, sich weiterhin anständig zu benehmen. Tat es aber nicht. Er schielte, ließ die Zunge seitlich aus dem Mund hängen und fiel von seinem Stuhl. Ich konnte es nicht verstehen.“

Ich war verwirrt. „Und jetzt schon?“, fragte ich.

„Nun, nach dem, was Jessie gesagt hat, konnte er gar nichts mit meinem Kompliment anfangen. Es machte ihn zu nervös. Er konnte dem nicht gerecht werden. Er musste mir zeigen, dass er nicht wirklich gut war.“

„Aber er war doch gut“, widersprach ich. „In dem Moment jedenfalls.“

„Dann hätte Maria diesen Moment beschreiben können“, sagte Jessie.

„Ja“, stimmte Maria zu. „Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen …“

Und so begann eine lange, lebhafte Diskussion zwischen uns dreien. Die Leistungen eines Kindes zu beschreiben, statt sie mit einem einfachen „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten, schien schwieriger zu sein, als wir zunächst dachten – nicht weil es schwer war zu beschreiben, sondern weil wir so ungeübt darin waren. Jedoch sobald wir den Dreh mal raus hatten und verstanden, wie man sorgfältig auf die Leistungen eines Kindes blickt und in Worte fasst, was man sieht oder fühlt, fiel es uns immer leichter und bereitete uns mehr und mehr Vergnügen. Auf den nächsten beiden Seiten sehen Sie in Comicform einige der Beispiele, die wir ausgearbeitet haben. Sie zeigen, wie Eltern und Lehrer beschreibendes Lob verwenden können.

Während wir die Beispiele betrachteten, die wir ausgearbeitet hatten, kamen uns viele weiterführende Gedanken, die wir einander mitteilen wollten.

Ich:         Beschreibendes Lob ist anstrengend, nicht wahr? Wenn man einem Kind erzählen will, was man sieht oder fühlt, muss man wirklich aufmerksam hinsehen. Es ist viel einfacher zu sagen:„Das ist toll“, oder:„Fantastisch“, oder:„Großartig!“ Für diese Art von Lob muss man nicht einmal nachdenken.

Jessie:   Das stimmt. Beschreibendes Lob ist schwieriger und dauert länger, aber schaut euch an, was es dem Kind bringt.

Maria:   Ich verstehe, was du meinst, aber wenn ein Kind immer kritisiert wurde und noch nie gelobt wurde, wäre es dann nicht immer noch besser zu hören: „Du bist ein guter Junge“ statt gar nichts?

Jessie:   Wenn ein Kind verhungert, ist selbst Zuckerwatte besser als gar nichts. Aber wieso sollte man sich mit so wenig zufrieden geben? Wir wollen unseren Kindern die Art von emotionaler Unterstützung geben, die ihnen hilft, sich zu unabhängig und kreativ denkenden und handelnden Menschen zu entwickeln. Wenn wir sie dazu erziehen, ständig nach der Bestätigung durch andere zu fragen, welche Botschaft vermitteln wir ihnen dann?

Ich:         Du kannst deinem eigenen Urteil nicht trauen. Du brauchst immer die Meinung von jemand anderem, um zu wissen, wie du dich machst.

Maria:   Das ist keine gute Botschaft, nicht wahr?

Jessie:   Nein, weil wir wollen, dass unsere Kinder ihrem eigenen Urteil vertrauen, dass sie genug Selbstbewusstsein haben, sich zu sagen: „Ich bin zufrieden mit meinen Handlungen“, oder: „Ich bin nicht zufrieden damit.“ Und dass sie Korrekturen oder Verbesserungen vornehmen können, die sich auf ihre eigenen Bewertungen stützen.

Kritik richtig einsetzen

An diesem Abend freute ich mich tatsächlich darauf, die Briefe zu lesen und zu korrigieren, die meine Schüler geschrieben hatten. Der erste war eine angenehme Überraschung. Anstelle von „Sehr gut!“, schrieb ich: „Sehr angenehm zu lesen. Klare Einleitungssätze und lebendige Beispiele dafür, wie Dirk Nowitzki dein Leben beeinflusst hat.“ Auch der zweite Brief enttäuschte nicht. Ich schrieb: „Eine sorgfältige Betrachtung der Probleme von Obdachlosen. Ich vermute, der Präsident fände deinen ersten Vorschlag sehr interessant.“

Mir schwoll die Brust vor Stolz auf das hohe schriftstellerische Niveau meiner Schüler, das ich allein auf mein Vermögen als Lehrerin zurückführte. (So viel dazu, Herr Stahl.) Der nächste Aufsatz las sich, als ob er von einem Zweitklässler stammte. Es war Melissas Brief an Emma Watson. Er füllte kaum eine halbe Seite. Ich nahm meinen Rotstift und schrieb: „Schwache Leistung. Keine Adresse. Wo ist das Datum? Rechtschreibung! Inhalt nicht entwickelt.“

Ich sah noch einmal auf meinen großen, roten, wütenden Kommentar und dachte mir: „Wie konnte ich Melissa das antun?“ Das war die Art Kritik, die Herr Stahl an mir übte … Ich steckte fest. Es war nicht schwer, für etwas zu loben, das einem gefiel, aber wie kritisierte man etwas, das einem nicht gefiel? Wie weist man auf die Fehler hin, ohne die kritisierte Person zu entmutigen. Hätte es eine Weise gegeben, auf die Herr Stahl mir gegenüber seine Unzufriedenheit ausdrücken hätte können, ohne mich völlig zu entmutigen?

Ich starrte aus dem Fenster. Vielleicht wenn er mich zuerst für das gelobt hätte, was ich richtig gemacht hatte – so wenig das auch war –, dann hätte ich mir anhören können, was ihn störte, ohne gleich zusammenzubrechen. Vielleicht wenn er etwas gesagt hätte, wie: „Lisa, du hast deine Ziele erreicht. Du hast deine Schüler dazu motiviert, zu lernen, wie man einen Brief schreibt. Die eine Sache, an der man meiner Ansicht nach noch arbeiten sollte, ist, wie man Begeisterung erzeugt und trotzdem die Ordnung aufrechterhält.“

Wenn er das gesagt hätte, hätte ich ihm zuhören können. Mehr noch. Ich hätte ernsthaft darüber nachgedacht, wie ich es in Zukunft verhindern könnte, dass mir die Begeisterung der Kinder außer Kontrolle gerät.

Vielleicht war das der Schlüssel, um Kindern dabei zu helfen, Fortschritte zu machen. Statt uns darauf zu konzentrieren, was falsch ist, sollten wir damit anfangen, anzuerkennen, was ein Kind geschafft hat. Dann können wir darauf hinweisen, was noch getan werden muss.

Okay, was könnte ich jetzt auf Melissas Aufsatz schreiben? Sie hatte gar nichts erreicht. Oder? Ich sah noch einmal genauer hin und wurde fündig.

Ich nahm meinen Radiergummi und machte einen roten Schmierfleck auf Melissas Aufsatz. Dann schrieb ich sorgfältig meinen neuen Kommentar. Ich schrieb:

„Ich mag die Zeile ‚Du bist mir die Liebste unter meinen Liebsten.‘ Ich glaube, Frau Watson würde das auch gefallen. Ich glaube, es würde ihr auch gefallen, wenn du ein Beispiel dafür geben würdest, was genau du an ihr bewunderst. Bitte sieh dir deinen Aufsatz noch einmal durch und überprüfe, ob die unterstrichenen Wörter richtig geschrieben sind und ob die Adresse und das Datum vorhanden sind. Ich freue mich darauf, deinen überarbeiteten Brief zu lesen.“

Es schien mir, dass ich ein wichtiges Prinzip entdeckt hatte. Ja, wir alle, Lehrer und Schüler und Eltern, profitieren davon, einen Außenstehenden mit einem objektiven Blick zu haben, der uns sagt, was wir besser machen können. Aber bevor wir überhaupt darüber nachdenken können, etwas zu ändern, müssen wir daran glauben, dass wir mehr richtig als falsch machen und dass wir die Kraft haben, die Fehler in Zukunft zu vermeiden. Als Hilfestellung, um mir besser vorstellen zu können, wie die Theorie in anderen Situationen funktionieren würde, dachte ich mir zwei realistische Beispiele aus, – eines zu Hause und eines in der Schule:

Während der nächsten Wochen dachte ich viel über Lob und Kritik nach. Herrn Stahls „konstruktive Kritik“ hatte mich verletzt und entmutigt. Marias überbordendes Lob hatte mich nicht überzeugt und in mir ein Gefühl von Wertlosigkeit zurückgelassen. Aber Jessies klare Beschreibung dessen, was ich zu tun versucht hatte, hatte mich aufgebaut, meinen Glauben an mich selbst wieder hergestellt und mir den Antrieb gegeben, es nächstes Mal sogar noch besser zu machen.

Was für ein einfacher und doch erstaunlicher Vorgang! Ich nehme an, was Jessie für mich getan hatte, sollten wir eigentlich alle füreinander tun, während wir uns den Herausforderungen unseres Lebens stellen.

  • Lehrer brauchen Zuspruch, während sie darum ringen, den Bedürfnissen all ihrer Schüler zu entsprechen.
  • Eltern brauchen Zuspruch, während sie sich den täglichen Schwierigkeiten der Kindererziehung stellen.
  • Kinder brauchen Zuspruch, während sie versuchen ihre Welt zu verstehen und ihren Platz darin zu finden.

In meinem perfekten Universum wären wir alle füreinander da und hielten unseren Bemühungen und Erfolgen gegenseitig den Spiegel vor, sodass wir uns alle wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen könnten.

kinder lernen

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern
Was Eltern und Lehrer wissen müssen
Faber, Adele, Elaine Mazlish
Oberstebrink
280 Seiten, 19,95 €
ISBN: 9783963040009
Mehr auf www.oberstebrink.de