Wie gemeinsames Musizieren die Empathie von Kindern stärkt

Eine Studie der Universitäten Sheffield und Durham zeigt: Wenn Kinder im Rhythmus zusammenfinden, entsteht mehr als nur Musik

Wenn Kinder miteinander musizieren, stimmen sie sich nicht nur klanglich aufeinander ein – auch ihr inneres Erleben kann sich dabei angleichen. Was intuitiv vertraut klingt, wurde nun in einer wissenschaftlichen Studie fundiert belegt: Musikalische Synchronität und kindliche Empathie hängen eng zusammen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Department of Music der University of Sheffield und der Durham University haben in einer umfangreichen Untersuchung mit Grundschulkindern erforscht, wie gemeinsames rhythmisches Musizieren das soziale Miteinander beeinflusst – und wie Empathie die Fähigkeit zur Synchronisation fördert. Veröffentlicht wurde die Studie im Fachjournal Frontiers in Psychology (April 2025).

Empathie hilft beim musikalischen Miteinander

Im ersten Experiment wurden 72 Kinderpaare gebeten, sich rhythmisch aufeinander einzustellen – durch einfaches gemeinsames Klopfen. Dabei zeigte sich: Kinder mit einem hohen Maß an Empathie – also der Fähigkeit, Gedanken und Gefühle anderer nachzuempfinden – waren deutlich besser darin, sich auf den Takt ihrer Partner einzulassen.

Besonders dann, wenn der Rhythmus des Gegenübers unregelmäßig war, half das Einfühlungsvermögen: Die empathischeren Kinder konnten sich schneller anpassen und fanden gemeinsam in den Takt zurück.

„Gerade wenn das Klopfen des Partners ungenau ist, scheint Empathie zu helfen, die Absichten hinter dem Verhalten zu erkennen und sich flexibel anzupassen“, erklären die Studienautor:innen.

Gemeinsam Musik machen fördert soziale Bindung

Doch nicht nur Empathie wirkt sich auf die musikalische Koordination aus – auch umgekehrt zeigte sich ein Effekt: Schon eine kurze Phase des gemeinsamen Musizierens reichte aus, um das Mitgefühl der Kinder füreinander zu steigern.

Besonders wenn die Kinder synchron im Takt waren, gaben sie hinterher an, sich einander näher zu fühlen. Dieses Ergebnis war unabhängig davon, ob sie sich zuvor kannten oder nicht. Musikalische Synchronität kann also Nähe erzeugen – ganz ohne Worte.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Synchronität nicht nur von Empathie profitiert, sondern selbst Empathie erzeugen kann – eine Art positiver Rückkopplung“, so Studienleiterin Persefoni Tzanaki.

Freundschaft, Vertrautheit und Geschlecht spielen eine Rolle

Die Studie zeigte auch: Kinder, die mit vertrauten Freundinnen oder Freunden zusammen musizierten, fühlten sich nach der Aufgabe besonders stark mit ihrem Partner verbunden. Und: Mädchenpaare waren besser synchronisiert und berichteten häufiger von einer engen sozialen Verbindung als Jungen oder gemischte Paare.

Solche geschlechtsspezifischen Unterschiede sind auch aus früheren Studien bekannt und deuten darauf hin, dass Mädchen im Grundschulalter oft sensibler auf soziale Signale reagieren. Vertrautheit scheint außerdem ein wichtiger Verstärker für die Wirkung musikalischer Aktivitäten auf das soziale Erleben zu sein.

Warum Musik in Kita und Schule mehr als „nur“ Bildung ist

Diese Ergebnisse lassen sich zwar nicht direkt in konkrete Handlungsanweisungen übersetzen – aber sie liefern wichtige Impulse für die pädagogische Praxis. Hier einige Anregungen für Eltern, Erzieherinnen und Lehrkräfte:

  • Musik einfach und regelmäßig im Alltag nutzen: Schon einfache Aktivitäten wie gemeinsames Klatschen, Trommeln oder Singen können Kinder einander näherbringen – es braucht keine aufwendigen Programme.
  • Vielfalt der Begegnung fördern: Unterschiedliche Partner beim Musizieren helfen Kindern, sich auf verschiedene Persönlichkeiten einzustellen und empathisches Verhalten zu üben.
  • Bekannte Freundschaften bewusst einbinden: Vertraute Beziehungen wirken als soziale Verstärker – gerade bei zurückhaltenden Kindern kann das gemeinsame Musizieren mit einem Freund oder einer Freundin neue Räume öffnen.
  • Nicht nur auf Genauigkeit achten: Auch wenn der Takt mal holpert – genau dann entstehen oft die wertvollsten sozialen Erfahrungen.

Die Forschenden betonen, dass Musik eine ganz eigene Form der nonverbalen Kommunikation eröffnet – eine, die gerade für Kinder intuitiv zugänglich ist. Wenn zwei Kinder im gleichen Takt klopfen oder singen, geschieht oft mehr, als das Ohr hören kann: Es entsteht Verbindung, gegenseitiges Verständnis – und vielleicht ein erstes echtes Mitfühlen.

Die vollständige Studie ist frei zugänglich unter:
👉 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2025.1467767/full
Originaltitel: “Actions and Feelings in Sync: Exploring the Reciprocal Relationship Between Synchrony and Empathy in Children’s Dyadic Musical Interactions”
Autoren: Persefoni Tzanaki, Tuomas Eerola und Renee Timmers (2025)




Wir müssen selbst die Musik als ein Erlebnisinstrument entdecken!

Prof. Armin Krenz im Interview zur Bedeutung von Musik und Tanz für Kinder

Im Interview mit dem renommierten Sozialpädagogen und Entwickler des „Situationsorientierten Ansatzes“ Prof. Armin Krenz (Foto) versuchen wir dem Widerspruch auf den Grund zu gehen, warum Musik und Tanz einerseits von so elementar wichtiger Bedeutung von Kindern sind, andererseits aber nur ein Mauerblümchendasein im pädagogischen Alltag vieler Kindertageseinrichtungen und Grundschulen spielen.

Dabei zitiert Krenz neben vielen anderen den Musikwissenschaftler und Bildungsexperten Prof. Hans Günther Bastian mit den Worten: „Es musiziert in jedem Kind, ob es das weiß oder will oder nicht.“ Laut Krenz werden Kinder als „Ohrenmenschen“ geboren mit einer „musikalischen Biographie“. „Sie haben die Stimme der Mutter wahrgenommen, reagieren schon im Mutterleib auf Musik und Melodien, hören den Herzschlag, nehmen Vibrationen der Stimme der Mutter wahr … Somit ist eine Bereitschaft zum Musikempfinden immer vorhanden – und wir können diese Kompetenz aufgreifen oder verkümmern lassen!“

(Das komplette Interview können Sie sich hier anhören)

Interview mit Armin Krenz

Entsprechend groß ist die Bedeutung der Musik für Kinder: „Lernen mit allen Sinnen“, „Rhythmik“, „Wahrnehmungsbereitschaft, Geräuschesensibilisierung und Wahrnehmungsdifferenzierung“, „Inklusionsmethode“, „Bewegungsfreude und Tanz“, „Hinhören, soziales Lernen, Kontaktfähigkeit und Aktivitätswünsche“ seien hier als Stichworte genannt, die Krenz im Interview weiter ausführt.

Lernprozesse durch Musik

Zu den Lernprozessen erläutert er, dass Musik immer beide Gehirnhälften anrege und damit für die Ausformung des Gedächtnisses und alle Bildungsprozesse von größter Bedeutung sei. „Insofern kann man sagen: Musik ist hör- und fühlbare Mathematik, weil sich der Rhythmus immer in einem Takt ausdrückt und für eine systematische Wahrnehmung mit festzustellenden Entwicklungsfortschritten sorgt“, so der Professor. Musik schaffe soziale Gelegenheiten und fördere ein Gemeinschaftsgefühl. Durch Musik könnten Kinder ihren Körper ganz intensiv spüren und so sorge sie dafür, ganz in sich und bei sich selbst zu sein. Mit Musik würden Kinder auch ihre Stimme entdecken, indem sie die Melodie sprachlich unterstützten und Freude dabei empfänden, mit der Musik in einen Dialog einzutreten. Sie rege die Sprache an – den Wunsch, Gefühle und Erlebnisse in Worte zu fassen, zu beschreiben und entstandene Gedanken in Handlungen umzusetzen. Sie helfe einen individuellen Musikgeschmack zu entwickeln, mit dem sich das Kind identifizieren könne. Gerade solche Identifikationen tragen zu einer persönlichen Stabilität bei, die das Selbstwertgefühl eines Kindes stärke Diese Zusammenfassung zeige damit auf, dass es beim Erleben von Musik immer um die Trinität von „Musikerleben-Bewegungsaktivität-Sprachentwicklung“ gehe.


Was Erzieherinnen und Erzieher wissen sollten

Die Rolle der Erzieherinnen und Erzieher ist vielfältig und stets im Wandel begriffen. Weiterbildung zu Themen wie Bindungs- und Bildungsforschung, Neurobiologie und Lern- und Entwicklungspsychologie ist daher ständig notwendig. Damit das Wissen um die neuesten Erkenntnisse im Bereich Elementarpädagogik immer zur Hand ist, hat Dr. Armin Krenz 20 zentrale Präsentationen aus seinen Seminaren und Workshops zusammengestellt.

Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht
20 Fact-Sheets für Fortbildungen, Beratungsgespräche, Teamgespräche und zur Prüfungsvorbereitung
344 Seiten mit den Abbildungen von 20 Powerpoint Präsentationen
ISBN: 978-3-96304-613-1
29,95 €


Musik dürfe allerdings nicht zur Geräuschkulisse oder Berieselung verkommen. Sie brauche Stille und Konzentration, um zum Bildungserlebnis zu werden. „Musik muss sich immer – stimmlich, instrumentell, rhythmisch und textbezogen – an den Themen der Kinder, ihren Musikorientierungen und an den spezifischen Bedürfnissen der Kinder orientieren!… Kinder wollen Akteure sein – gespürte Selbstaktivitäten zum Ausdruck bringen und damit ihre Selbstwirksamkeit erleben: Ich bin wichtig, bedeutsam, jemand, der beachtet und gesehen wird, nicht überflüssig, ich bin Ich und ich kann schon Vieles mitbewirken, Einfluss nehmen, mich freuen und Zufriedenheit spüren… Diese zwei grundlegenden Erfahrungen – ich bin und ich kann – bilden die Grundlage für eine Identitätsentwicklung und sind eine Voraussetzung für die Entwicklung von Sicherheit im Sinne einer Persönlichkeitsstabilisierung!“

Gründe für den Bedeutungsverlust

Gründe für den Bedeutungsverlust von Musik in der pädagogischen Praxis sieht Krenz unter anderem darin begründet, dass mittlerweile vielen elementarpädagogische Fachkräfte nicht gerne an „Bewegungsaktivitäten“ teilnehmen, nicht gerne singen oder Schwierigkeiten damit haben, nur noch selten ein Instrument und selbst nur noch ein recht kleines Repertoire an Liedern und Singspielen haben.

Ein Plädoyer für viel mehr Musik

„Wir müssen endlich – unumstößlich – der MUSIK (mit Rhythmus und Tanz) den bildungsrelevanten Bildungswert zugestehen, diesen in die Elementarpädagogik aufnehmen und in die projektorientierte Arbeit integrieren, auch um wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen.
Wir müssen aufhören, eine Elementarpädagogik zu konzipieren und den Kindern aufzudrücken, die nur noch auf kognitive Frühförderung ausgerichtet ist und funktional, lieblos, lernzielorientiert gestaltet wird.
Wir müssen damit beginnen, Musik, Bewegung, Tanz nicht wie ein Nebenfach in der Schule zu betrachten und immer mehr in den Hintergrund zu schieben.
Wir müssen selbst die Musik als ein Erlebnisinstrument entdecken und wertschätzen, um die „Sprache der Musik“ als ein durch nichts zu ersetzendes Medium zu begreifen!“, lautet das Plädoyer von Armin Krenz. „Nur die Töne sind imstande, die Gedankenrätsel zu lösen, die oft in unserer Seele geweckt werden.“, zitiert er Hans Christian Andersen und schließt mit den Worten: „Und weil wir selbst der Musik, dem Rhythmus des Lebens und dem Tanz in der Pädagogik eine immer geringere Bedeutung beimessen, bleiben uns viele Geheimnisse des Lebens verborgen. Doch sie zu entdecken, hilft dabei, ganz spannende Gedankenrätsel zu lösen. Was kann es Spannenderes geben?!“