Was folgt aus der PISA-Studie?

Viele Forderungen gehen an Kindern und Jugendlichen vorbei, dienen aber Profitinteressen

In den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich die PISA-Studie zu einem der effektivsten Werbemittel für die Bildungswirtschaft. War den zahlreichen Maßnahmen, die nach den ersten Studien ergriffen wurden, noch ein bescheidener Erfolg vergönnt, stehen wir nach 23 Jahren ziemlich schlecht da. Denn laut der aktuellen Studie haben die getesteten 15-Jährigen noch schlechter abgeschnitten als jene im Jahr 2000. Dabei handelt es sich um Leistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Für die Anstrengungsbereitschaft der Jugendlichen, ihre Motivation oder ihre sozialen Fähigkeiten interessiert sich dagegen die Studie nicht.

Aber sind die PISA-Ergebnisse nun wirklich ein „Debakel“ oder gar ein „Bildungs-Desaster“ wie vielfach zu lesen ist? Letztlich waren diese ja zu erwarten. Die Antwort darauf ist in einer Hinsicht einfach, in anderer nur schwer zu geben. Eines ist schon mal sicher: Unsere 15-Jährigen sind die Betroffenen, ganz sicher aber nicht die Schuldigen.

Viel hilft nicht viel

In Bezug auf die Maßnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten ergriffen wurden, ist das aktuelle Ergebnis eine Bankrotterklärung. Der ganze „Bildungswahn“, wie er seit der Jahrtausendwende einsetzte, hat uns nichts gebracht, manchmal sogar geschadet. Das war die einfache Antwort. Schon heute beschäftigen sich die ersten Forschenden mit Defiziten bei Studierenden, die daraus entstanden sind, dass sie vor allem zahlreiche sinnliche Erfahrungen in ihrer Kita-Zeit nicht mehr sammeln konnten, weil diese durch einseitige Förderprogramme erdrückt wurden.

Lösungen und gute Beispiele gibt es genug

Jetzt kommt das Komplizierte: Es stimmt, dass unser Bildungssystem seit etlichen Jahrzehnten nur unzureichend funktioniert. Deshalb ist es durchaus legitim, eine grundlegende Reform des Bildungssystems zu fordern. Nur worin sollte diese denn bestehen? Aus wissenschaftlicher Sicht wissen wir heute fast alles über das Lernen. Damit wäre auch geklärt, wie der Bildungsbetrieb heute laufen müsste. Und dass dies auch in der Praxis gut funktioniert, erleben wir Jahr für Jahr bei der Verleihung des deutschen Schulpreises. 102 Bildungseinrichtungen gibt es auf der Website des Deutschen Schulpreises zu bestaunen (https://www.deutscher-schulpreis.de/).

Wirtschaftliche Interessen verhindern den Fortschritt

Schade nur, dass die guten Beispiele so wenig Nachahmerinnen und Nachahmer finden. Die Gründe dafür sind vielfältig und gelegentlich kompliziert. Beginnen wir einmal damit, dass sich Entscheidungsträger nicht von Lobbyisten beraten lassen sollten, deren erstes Interesse darin besteht, die Profitinteressen ihrer Verbände und ihrer Mitglieder zu befriedigen. Das mag zwar billig und auf den zahlreichen Empfängen angenehm sein, entspricht aber bestenfalls teilweise den Interessen der von Bildungsbemühungen Betroffenen.

Bildung als gesellschaftliche Aufgabe

Nachdem diesen einfachen Umstand schon so viele nicht verstehen wollen oder können, wird es noch viel schwieriger, in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die wir nicht einfach den Behörden überlassen dürfen. Während sich letztere – frei von jeglicher pädagogischer und didaktischer Kompetenz – oftmals nicht als Unterstützer sondern Bremsklötze notwendiger Neuerungen auszeichnen, gilt es sich gesamtgesellschaftlich aus der Komfortzone zu begeben.

  1. Wir können nicht mehr Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte fordern, wenn die Menschen, die diese Berufe ergreifen sollen, niemals geboren wurden. Denn die oftmals zu Unrecht gescholtene Boomergeneration muss sich zumindest einen Vorwurf gefallen lassen: Sie hat zu wenige Kinder bekommen. Jetzt muss es darum gehen, wie wir mit dem vorhandenen Personal klarkommen und die Berufe im Bildungsbereich attraktiv gestalten können.
  2. Wir müssen uns wieder selbst mehr um unsere Kinder kümmern. Die oftmals überlasteten und von Personalnot gezeichneten Betreuungs- und Bildungsstätten können das voraussichtlich immer weniger leisten. Eltern und Elterninitiativen, die finanziell und organisatorisch deutlich besser gefördert werden müssen, sollten sich mehr engagieren können. Dabei wäre es von entscheidender Bedeutung, dass das Leben mit Kindern und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für diese stärker in den Mittelpunkt gerückt wird.
  3. Wenn die soziale Ungleichheit in dieser Gesellschaft dafür verantwortlich ist, dass Bildungschancen ungleich verteilt sind, müssen wir uns endlich nachdrücklich für mehr soziale Gerechtigkeit engagieren. Neu ist das übrigens überhaupt nicht. Das Problem gibt es schließlich schon seit Jahrtausenden.
  4. Gleiches gilt für die Inklusion. Selbstverständlich ist diese durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland ein verbindliches Recht. Das ist darin begründet, dass Inklusion eine große Chance für unsere Gesellschaft ist. Wenn wir aufhören, Menschen nach ihrem vermeintlichen materiellen Nutzen oder ihrer Macht Wert zu schätzen (was übrigens niemandem nutzt), wird unsere Gesellschaft zusammenwachsen. Sinn einer Gemeinschaft ist doch, sich gegenseitig zu helfen.
  5. Ebenso bekannt sind die Herausforderungen, vor denen Kinder stehen, die nicht oder nur schlecht unsere Sprache sprechen. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass neben Sprachförderung nur eine gelungene Integration helfen kann, die Probleme zu beheben. Wie heißt es so schön in Goethes Faust: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns nun endlich Taten sehen!“
  6. Wir müssen der Wissenschaft einen deutlich breiteren Raum im gesellschaftlichen Bewusstsein einräumen als bisher. Der Wissenschaftsbetrieb liefert uns regelmäßig Erklärungen für Fragen rund um Bildung und Lernen. Aber Vorsicht: Nicht jede oder jeder, der einen Professoren- oder Doktortitel trägt, ist auch eine ernsthafte Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler.
  7. Alle an der Gesellschaft Beteiligten sollten über mehr Wissen im Bereich der geistigen und körperlichen Entwicklung des Menschen verfügen. Denn nicht was uns gefällt, ist gut für ein Kind, sondern das, was es auf seiner jeweiligen Entwicklungsstufe benötigt und ihm guttut.
  8. Investitionen in den Bildungsbetrieb sollten für alle von größter Bedeutung sein. Dabei sollte an erster Stelle stehen, dass die Kinder und das Bildungspersonal sich in ihrer Bildungseinrichtung wohl fühlen. Stinkende Toiletten oder kaputte Heizungen sind ein unverzeihlicher Skandal.
  9. Nicht zuletzt gilt es, Räume für Kinder und Jugendliche wieder zu öffnen, in denen sie ungestört spielen, ihren eigenen Interessen nachgehen und sich miteinander austauschen können. Naturräume würden zudem Möglichkeiten für sinnliche Erfahrungen öffnen, in denen Kinder auch Selbstwirksamkeit zusätzlich erleben könnten.
  10. Wir müssen jene Politiker untersützen, die diese Punkte unterstützen, und jene abwählen, die hier keinen Zugang finden.

Bildung gehört ins Zentrum der Politik

Neben der Gesellschaft sind selbstverständlich Politik und auch der Bildungsbetrieb gefragt. Es ist durchaus fraglich, ob es möglich ist, der heutigen Politikerinnen- und Politikergeneration klar zu machen, dass eine gute Bildung die Lösung für alle Herausforderungen ist. Deshalb gehört Bildung auch in das Zentrum der Politik. Dabei geht es aber eben nicht nur um Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. An erster Stelle wären hier Kreativität, Forschergeist, Selbstbewusstsein, Anstrengungsbereitschaft und soziale Fähigkeiten gefragt. Bildung muss unabhängig sein von Weltanschauung, Ideologie und wirtschaftlichen Interessen. Bevor wir einen Menschen mit unseren Ansichten und unseren Erwartungen belasten, muss er sich erst soweit entwickeln können, dass er dies auch beurteilen kann. Insofern sollten auch Politikerinnen und Politiker sich an den Rat von wirklich unabhängigen Fachleuten halten und gegenüber Verbänden und Interessensgruppen eine gesunde Skepsis an den Tag legen.

Die berechtigen Interessen werden unterdrückt

Und der Bildungsbetrieb selbst? Qualifikation, Mut, Engagement und ein ehrliches Interesse an den Kindern wären gefragt. Bei der Ausbildung fängt es an. Aber viel fataler ist es, dass sich viele Fachkräfte, sobald sie in einer festen Anstellung oder gar verbeamtet sind, nicht mehr weiterbilden müssen. Das führt dazu, dass viele an alten Zöpfen hängen bleiben, die uns auch nicht vorangebracht haben. Dabei muss jedem, der im Bildungsbetrieb aktiv ist, klar sein, dass er die berechtigen pädagogischen Interessen der Kinder und Jugendlichen an erster Stelle zu vertreten und zu erfüllen hat. Dafür ist Mut und jede Menge Engagement notwendig. Gleichzeitig gilt es jeder Versuchung zu widerstehen, die darauf zielt, Menschen nach einem Idealbild zu formen. Erstens hat das noch niemals in der Geschichte geklappt und zweitens ist das der beste Weg zu verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche wirklich entwickeln können.

Die vielgliedrige System hat erneut versagt

Zudem sollten wir uns endlich davon verabschieden, dass unser drei- bzw. viergliedriges Schulsystem eine sinnvolle Lösung ist. Kinder sind viel zu unterschiedlich dafür. Die internationale Erfahrung zeigt, dass die erfolgreichen Systeme vor allem jene sind, die auf ein möglichst langes gemeinsames Unterrichten setzen. Und genau das würde auch für einen besseren gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen.

All das würde uns schon ein ordentliches Stück weiterbringen. Aktionismus, wie etwa die vielbeschworene Rückkehr in irgendwelche Pauksysteme oder das Vorantreiben der Digitalisierung werden uns dagegen nicht nutzen. Pauksysteme sind gut für eintönige Arbeiten oder den veralteten, überkommenen Militarismus, der uns in unsägliches Leid geführt hat. Und digitale Geräte mit dem notwendigen Lehrpersonal können nur ein zusätzliches Angebot sein, um den Kindern und Jugendlichen in Ihrer Orientierung in einer wachsenden digtalisierten Welt zu sein. Ihre Wirkung auf das Lernen ist nicht ansatzweise erforscht. Am Anfang stehen jedoch sinnliche Erfahrungen und Menschen, die für die Erfahrung des Lebens und der Welt begeistern.

Mehr Vertrauen in die Kinder und ihren eigenen Selbstbildungsprozess verlangt nicht mehr Aktion, sondern mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung. So wird aus weniger mehr, um Raum für echte Bildungserfahrungen zu öffen.

Gernot Körner




PISA-Studie: Leistungsabfall in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften

Die Kompetenzen der 15-Jährigen sind gegenüber den Tests 2018 deutlich gesunken

Die Jugendlichen in Deutschland schneiden in Mathematik, im Lesen und in Naturwissenschaften deutlich schlechter ab als noch 2018. Dies zeigt die neue PISA-Studie. Rund ein Drittel der getesteten 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei Bereiche nur sehr geringe Kompetenzen. Die Ergebnisse bestätigen einen Abwärtstrend, der sich in den vorherigen PISA-Studien bereits angedeutet hatte. Die Schülerinnen und Schüler erreichen in Mathematik und Lesen nur noch das Durchschnittsniveau der OECD-Staaten. Lediglich in den Naturwissenschaften liegen ihre Ergebnisse weiterhin darüber.

In Deutschland sind die Leistungseinbußen überdurchschnittlich groß

Die PISA-Studie untersucht regelmäßig, wie gut 15-jährige Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den Naturwissenschaften lösen können. Die aktuelle Studie, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert und in Deutschland vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) geleitet wird, wurde im Frühjahr 2022 durchgeführt.

In vielen OECD-Staaten haben sich die durchschnittlichen Mathematik- und Lesekompetenzen der Jugendlichen im Vergleich zur vorherigen PISA-Studie von 2018 verringert. Dies gilt in geringerem Maße auch für die naturwissenschaftliche Kompetenz.

In Deutschland sind die Leistungseinbußen in allen drei Bereichen überdurchschnittlich groß. Deutschland liegt damit nur noch in den Naturwissenschaften signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (492 zu 485 Punkten). In Mathematik (475 zu 472 Punkten) und Lesen (480 zu 476 Punkten) entsprechen die Ergebnisse jetzt dem OECD-Durchschnitt, der in beiden Bereichen ebenfalls gesunken ist.

Unter dem Niveau von 2000

Nach der ersten PISA-Studie 2000 hatte Deutschland seine Ergebnisse zunächst verbessern und auf hohem Niveau halten können. In den vergangenen PISA-Runden hatte sich allerdings ein Abwärtstrend angedeutet. Die Ergebnisse in Mathematik und Naturwissenschaften liegen nun unter dem Niveau der PISA-Studien der 2000er Jahre, als Mathematik (PISA 2003) und Naturwissenschaften (PISA 2006) jeweils zum ersten Mal vertieft untersucht wurden. Beim Lesen entsprechen die Ergebnisse in etwa der PISA-Studie 2000, als Lesen erstmals Studienschwerpunkt war.

Nur sehr wenige OECD-Staaten konnten zwischen 2018 und 2022 Teile ihrer Ergebnisse verbessern, beispielsweise Japan im Lesen und in den Naturwissenschaften sowie Italien, Irland und Lettland in den Naturwissenschaften. In Mathematik haben die Jugendlichen in Japan und Korea im Schnitt die höchsten Kompetenzen. Im Lesen stehen Irland, Japan, Korea und Estland an der Spitze. In den Naturwissenschaften erreichen Japan, Korea, Estland und Kanada die besten Werte.

Schwerpunkt der achten PISA-Studie: Mathematik

Bei der achten PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) wurden in Deutschland die Kompetenzen von rund 6.100 repräsentativ ausgewählten 15 Jahre alten Schülerinnen und Schüler an rund 260 Schulen aller Schularten getestet. Zudem wurden die Jugendlichen zu ihren Lernbedingungen und Einstellungen sowie ihrer sozialen Herkunft befragt. Schulleiterinnen, Schulleiter, Lehrkräfte und Eltern beantworteten Fragen zu Gestaltung und Ressourcen des Unterrichts sowie zur Rolle des Lernens in der Familie. Weltweit nahmen rund 690.000 Schülerinnen und Schüler an der Studie teil. Jede PISA-Studie nimmt einen Bereich intensiver unter die Lupe, diesmal Mathematik.

Der deutsche Teil der Studie wird im Auftrag der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom ZIB geleitet, an dem neben der TUM das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) beteiligt sind.

Mehr Schülerinnen und Schüler erreichen nur sehr geringe Kompetenzen

Entsprechend der im Test erreichten Punktzahlen ordnet die Studie die Schülerinnen und Schüler sechs Kompetenzstufen zu. Schülerinnen und Schüler, deren Kompetenzen nicht über der Kompetenzstufe eins liegen, benötigen zusätzliche Förderung, um eine berufliche oder weitere schulische Ausbildung bewältigen und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können.

Rund ein Drittel der 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei getesteten Felder nur diese sehr geringen Kompetenzen. Circa jeder sechste Jugendliche hat in allen drei Bereichen deutliche Defizite. Die Anteile dieser besonders leistungsschwachen Jugendlichen sind seit 2018 größer geworden und betragen in Mathematik rund 30 Prozent, im Lesen rund 26 Prozent und in den Naturwissenschaften rund 23 Prozent.

Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schüler. In Mathematik ist ihr Anteil auf rund neun Prozent und im Lesen auf rund acht Prozent gesunken. In den Naturwissenschaften blieb dieser Anteil bei rund zehn Prozent stabil.

Faktor Corona-Pandemie

Aus den Befragungen von Schulleiterinnen, Schuleitern, Schülerinnen und Schülern lassen sich Hinweise für mögliche Gründe für die verschlechterten Ergebnisse ableiten: Zum einen gehen die Forschenden davon aus, dass die Schulschließungen während der Corona-Pandemie einen negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb hatten. In Deutschland wurde der Distanzunterricht weniger mit digitalen Medien und mehr mit Materialien, die an die Jugendlichen geschickt wurden, bestritten als im OECD-Durchschnitt. „Deutschland war im internationalen Vergleich nicht gut auf den Distanzunterricht vorbereitet, was die Ausstattung mit Digitalgeräten angeht – hat dann aber aufgeholt“, sagt die Studienleiterin Prof. Doris Lewalter, Bildungsforscherin an der TUM und Vorstandsvorsitzende des ZIB. Förderangebote wurden von weniger als der Hälfte der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler wahrgenommen.

Die Auswertung der internationalen Daten zeigt allerdings, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Schulschließungen und Leistungsrückgängen zwischen 2018 und 2022 gibt. Es gibt sowohl Staaten mit relativ wenigen Schließtagen, die deutlich schlechtere Ergebnisse vorweisen als 2018, als auch Staaten mit relativ vielen Schließtagen, die nur geringfügig weniger oder sogar etwas mehr Punkte erreichen als 2018.

Faktor Sprachschwierigkeiten

Ein zweiter möglicher Faktor für die Erklärung der Ergebnisse im Studienschwerpunkt Mathematik: In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen den Kompetenzen der Jugendlichen und dem sozioökonomischen Status der Familien wie auch ihrem Zuwanderungshintergrund weiterhin stark ausgeprägt. Die 15-Jährigen, die selbst zugewandert sind, haben heute deutlich geringere Kompetenzen in Mathematik als die entsprechende Gruppe im Jahr 2012, in dem diese Frage zuletzt untersucht wurde. In den Familien dieser Jugendlichen wird heute zu Hause seltener Deutsch gesprochen als in den entsprechenden Familien 2012.

„Dieser Befund erklärt die Gesamtergebnisse aber nur zum Teil“, betont Lewalter. „Die mathematischen Kompetenzen der Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund sind im Vergleich zu 2012 ebenfalls geringer geworden – sogar deutlicher als bei den Jugendlichen, deren Eltern zugewandert, die aber selbst in Deutschland geboren sind.“

Faktor Interesse und Motivation

Um den längerfristigen Negativtrend zu erklären, schauen die Forschenden deshalb auch auf die Befragungen der Schülerinnen und Schüler zu Motivation, Einstellungen und Unterrichtsgestaltung. Im Vergleich zum Jahr 2012 haben die Jugendlichen weniger Freude und Interesse an Mathematik. Zugenommen hat dagegen die Ängstlichkeit gegenüber dem Fach. Zudem sehen die 15-Jährigen weniger Nutzen darin, Mathematik zu lernen.

„Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich die Schülerinnen und Schüler weniger durch ihre Mathematiklehrkraft unterstützt fühlen – diese Unterstützung ist aber ein wichtiges Merkmal für guten Unterricht. Zudem nehmen die Jugendlichen den von ihren Lehrkräften intendierten Lebensweltbezug im Unterricht nur in Teilen wahr. Das erschwert es ihnen zu erkennen, welche Bedeutung Mathematik in ihrem Leben spielt – worunter wiederum die Motivation für das Fach leiden kann“, sagt Lewalter.

„Gemeinsame Kraftanstrengung“

Als wichtigste Konsequenzen aus den PISA-Ergebnissen empfehlen die Bildungsforscherinnen und Bildungsforscher:

• eine systematische Diagnose und Förderung von Sprach- und Lesekompetenz von der Vorschule bis zum Sekundarbereich. „Die Beherrschung der deutschen Sprache ist die Basis für jeden schulischen Erfolg“, sagt Lewalter.

• eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Unterrichts und den Einbezug digitaler Medien. „Die Lebensrealitäten der Jugendlichen ändern sich rasant und damit auch die Ausgangslage für die Anwendung von Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften“, sagt Lewalter.

• eine bedarfsorientierte Ressourcenzuwendung, um die Ausstattung von Schulen zu verbessern, die viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und mit Zuwanderungshintergrund unterrichten.

„Deutschland hat es nach der ersten PISA-Studie 2000 geschafft, mit wirksamen Förderprogrammen die Kompetenzen der Jugendlichen deutlich zu verbessern“, sagt Lewalter. „Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Schulen und Gesellschaft kann es wieder möglich sein, einen solchen Aufschwung einzuleiten.“

Publikation:

Doris Lewalter, Jennifer Diedrich, Frank Goldhammer, Olaf Köller, Kristina Reiss (Hrsg.): PISA 2022. Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland. Münster 2023. DOI: 10.31244/9783830998488

https://www.pisa.tum.de/pisa/pisa-und-pisa-ceco-publikationen/

Weitere Informationen:

PISA 2022: https://www.pisa.tum.de/pisa/pisa-2022/

Beispielaufgaben: https://www.pisa.tum.de/pisa/beispielaufgabe

Quelle: Mitteilung der Technischen Universität München




Wer Gedrucktes liest, schneidet bei PISA besser ab

Weniger als die Hälfte der 15-Jährigen kann Fakten von Meinungen unterscheiden

Weniger als die Hälfte der 15-Jährigen in Deutschland ist in der Lage, in Texten Fakten von Meinungen zu unterscheiden. Gut die Hälfte der Schülerinnen und Schüler gibt an, im Unterricht nicht zu lernen, subjektive oder voreingenommene Texte zu erkennen. Insgesamt schneiden 15-Jährige in Deutschland beim PISA-Test zur Lesekompetenz aber leicht über dem OECD-Mittel ab, wobei die Leseleistungen in der letzten Dekade praktisch unverändert geblieben sind. Gleichzeitig hat die Freude am Lesen in Deutschland in den vergangenen Jahren so stark abgenommen wie in kaum einem anderen Land.

Wer gedruckte Bücher liest, kommt besser klar

Schülerinnen und Schüler, die häufig Bücher analog lesen, schneiden beim PISA-Test zur Lesekompetenz besser ab als Schülerinnen und Schüler, die Bücher eher online lesen. Allerdings weiß ein relativ großer Teil der 15-Jährigen, wie mit zweifelhaften Quellen im Internet, etwa mit Phishing-Mails, umzugehen ist. Die Ergebnisse fallen aber nach sozialer Herkunft sehr unterschiedlich aus.

Google statt Lexikon

Dies sind die wesentlichen Ergebnisse der PISA-Sonderauswertung Lesen im 21. Jahrhundert: Lese- und Schreibkompetenzen in einer digitalen Welt, die OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicherin in Berlin gemeinsam mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und dem Hessischen Kultusminister R. Alexander Lorz vorgestellt hat. Der Bericht wurde von der Vodafone Stiftung Deutschland gefördert.

„Im 20. Jahrhundert ging es im Wesentlichen um das Verstehen linearer Printtexte. Wenn Schüler eine Frage hatten, konnten Sie die Antwort im Lexikon nachschlagen und darauf vertrauen, dass sie stimmt. Im 21. Jahrhundert finden wir bei Google tausende konkurrierender Antworten und niemand sagt uns, was richtig oder falsch ist. Lesekompetenz ist nicht mehr die Extraktion von Wissen, sondern die Konstruktion von Wissen. Die Schulen müssen hier noch nachziehen“, sagte Andreas Schleicher.

Fakten oder Meinungen?

In Rahmen von PISA 2018 hatten Schülerinnen und Schüler die Aufgabe, Passagen in einem Text als Fakten oder als Meinungen zu identifizieren. Weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler war dazu in der Lage. Besonders gut schnitten bei diesen Aufgaben Schülerinnen und Schüler in den USA, im Vereinigten Königreich, in der Türkei und in den Niederlanden ab.

Die Frage, ob sie im Unterricht jemals gelernt hätten, wie man feststellt, ob Informationen subjektiv oder voreingenommen sind, bejahten 49 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland. In den USA, Australien, Dänemark oder Kanada waren es über 70 Prozent.

Digitales Leseverständnis je nach sozialem Hintergrund unterschiedlich

Zum ersten Mal wurden in dieser Erhebung auch Fragen zum Leseverständnis im digitalen Raum aufgenommen. So mussten die Schülerinnen und Schüler unter anderem angeben, wie sie mit einer Phishing-Mail umgehen würden. Hier schnitten die Teilnehmenden in Deutschland deutlich besser ab als in den meisten anderen Ländern.

Allerdings war in Deutschland auch die Spreizung nach sozialem Hintergrund besonders groß. Während Schülerinnen und Schüler aus privilegiertem Elternhaus so gut abschnitten wie in keinem anderen Land, rangierten Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Haushalten nur im oberen Mittelfeld. Wie auch sonst im Bereich Lesekompetenz schneiden Mädchen bei diesen Fragen deutlich besser ab als Jungen.

Passender Schulunterricht fehlt

Gleichzeitig gaben in Deutschland deutlich weniger Schülerinnen und Schüler als in den meisten anderen OECD-Ländern an, dass im Unterricht digitale Fertigkeiten wie das Erkennen von Spam und vertrauenswürdigen Quellen oder der Umgang mit Suchmaschinen behandelt wurde.

Die Studie zeigt auch, dass insbesondere das Lesen von Büchern auf Papier mit besseren Leistungen beim Leseverständnis einhergeht. In den meisten Ländern führt auch die häufige Lektüre von Büchern auf digitalen Geräten zu besseren Leistungen, in Deutschland lässt sich dieser Effekt aber nicht ausmachen.

Wenig Freude am Lesen

Insgesamt gehört Deutschland zu den Ländern, in denen Schülerinnen und Schüler vergleichsweise wenig Freude am Lesen haben. Noch geringer ist die Freude am Lesen nur in den Niederlanden, Norwegen, Belgien und Dänemark. Gleichzeitig ist Deutschland das Land, in dem zwischen 2009 und 2018 die Freude am Lesen am stärksten zurückgegangen ist.

Quelle: OECD

https://www.oecd.org/…/21st-century-readers-a83d84cb-en…