Lesen und Schreiben lernen in der digitalisierten Gesellschaft

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Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache

Immer wieder wird diskutiert, wie sich der zunehmende Einsatz von digitalen Medien auf die Lese- und Schreibkompetenzen von Kindern und Jugendlichen auswirkt und ob sich diese Fähigkeiten mithilfe digitaler Medien fördern lassen. Der neu erschienene Faktencheck „Lesen und Schreiben lernen in der digitalisierten Gesellschaft“ des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln so einiges zu diesen und weiteren Fragen zum Lesen- und Schreibenlernen in einer digitalisierten Gesellschaft.

Smartphones, Tablets und digitale Tools sind ständige Begleiter im Alltag von Kindern und Jugendlichen

Daher wird es immer wichtiger, Kinder und Jugendliche auch im Rahmen des Schulunterrichts an die Nutzung digitaler Medien heranzuführen. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin eine Gefahr. Sie argumentieren, dass Schülerinnen und Schüler, die häufig digitale Medien nutzen, schlechter lesen und schreiben. Der neueste Faktencheck „Lesen und Schreiben lernen in der digitalisierten Gesellschaft“ zeigt, dass es darauf auf Basis der aktuellen Literatur keine eindeutige Antwort gibt. „Vorliegende Studien zeigen, dass der Einfluss der Mediennutzung auf die Lese- und Schreibleistungen vor allem von der Intensität und Art der Mediennutzung abhängt. Insbesondere die unterhaltende Mediennutzung scheint sich eher negativ auszuwirken“, sagt Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Ein informatives Fernsehprogramm könne hingegen zu verbesserten Lesegeschwindigkeits- und -verständnisleistungen führen.

Wenn Kinder grundlegende Fertigkeiten, wie etwa den Umgang mit der Tastatur oder dem Touchscreen erlernen, können digitale Medien das Schreiben wirksam unterstützen

Mehr noch, sie haben einen positiven Einfluss auf das Überarbeiten von Texten. Denn während das handschriftliche Überarbeiten oft umständlich ist, lassen sich beim Schreiben mit einer Textverarbeitungssoftware Sätze einfach verschieben, entfernen oder flexibel verändern. Digitale Medien bieten eine Vielzahl von Lernchancen. Es gilt dafür diejenigen digitalen Medien auszuwählen, die sich für die jeweilige Zielgruppe eignen. Kinder mit Schriftsprachschwierigkeiten können digitale Tools zum Beispiel durch die Nutzung der Sprachausgabe unterstützen: Hören sich Lernende ihre Texte wiederholt an, verbessern sich diese im Hinblick auf die Textlänge, die Rechtschreibung, die Struktur und den Inhalt.

Immer wieder wird auch kontrovers diskutiert, ob es einen Unterschied macht, wenn Schülerinnen und Schüler auf dem Papier oder am Bildschirm lesen. Während sich die Wortleseflüssigkeit der Kinder auf dem Papier kaum von der am Bildschirm unterscheidet, kommen Studien zu dem Schluss, dass Lesende analoge Texte besser verstehen als digitale. Dabei spielen die Textlänge, die Textsorte und die Lesezeit eine entscheidende Rolle. Ziel sollte es daher sein, Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, sich zu kompetenten Lesenden in beiden Formaten zu entwickeln.

Der Faktencheck gibt auch konkrete Hinweise, wie Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht für die Lese- und Schreibförderung einsetzen können

Mithilfe meist spielerischer Lernprogramme lassen sich bestimmte Inhalte festigen. Zentral ist dabei, dass die Lehrkräfte diese vorher im Unterricht eingeführt haben. Lehrkräfte könnten mit Lernprogrammen den Schülerinnen und Schülern ein Lernangebot bereitstellen, das an die Lernvoraussetzungen der Lernenden angepasst ist. Auch digitale Anwendungen ohne einen ausgewiesenen Sprachbildungsbezug können die Lese- und Schreibkompetenzen der Lernenden fördern: Interaktive, webbasierte Whiteboards und Pinnwände können helfen, Schreibideen zu sammeln und zu ordnen oder auch um Gelesenes zu veranschaulichen und zusammenzufassen.

Über das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache

Das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache ist ein durch die Stiftung Mercator initiiertes und gefördertes Institut der Universität zu Köln. Es will sprachliche Bildung verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, erforscht und entwickelt es innovative Konzepte, Maßnahmen und Instrumente für sprachliche Bildung. Es bildet regional Lehramtsstudierende aus sowie bundesweit Pädagoginnen und Pädagogen in Kitas, Schulen und der Erwachsenenbildung fort und bereitet wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt für Entscheidungsträger in Bildungspolitik und -verwaltung sowie Bildungspraxis auf. Mit seiner Forschung und seinen wissenschaftlichen Serviceleistungen zu sprachlicher Bildung in einer mehrsprachigen Gesellschaft trägt das Mercator-Institut zu mehr Chancengleichheit im Bildungssystem bei.

Weitere Informationen unter www.mercator-institut-sprachfoerderung.de

Quelle: Pressemitteilung Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache




Was ist „Legasthenie“ und wie wird sie festgestellt?

Kinder mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche brauchen schnelle, professionelle Hilfe

Viele Fragen schießen Jans Mutter durch den Kopf, als die Kinderpsychologin ihr die Diagnose mitteilt: „Wir haben bei Ihrem Sohn eine Legasthenie festgestellt.“ Sicherlich wird sie beraten, denn jetzt gibt es viel zu tun: Die Schule muss informiert werden, damit die Lehrer bei der Benotung Rücksicht auf Jans Schwäche nehmen können. Die Eltern wollen sich einer Selbsthilfegruppe anschließen, um sich im Gespräch mit anderen Eltern Entlastung und Tipps zu holen. Jan soll eine Legasthenie-Therapie erhalten. Die muss beantragt und eine geeignete Stelle für die Therapie gefunden werden – und, und, und …

Was steckt hinter der Diagnose Legasthenie?

Unter Legasthenie versteht man eine spezifische Schwäche beim Erlernen des Lesens und/oder Rechtschreibens bei (mindestens) durchschnittlicher Intelligenz.

Das bedeutet: Legastheniker sind keinesfalls „dumm“, sie sind auch absolut nicht ungeeignet für die Regelschule oder weiterführende Schulen. Sie sind normal intelligente, manchmal sogar hoch intelligente Kinder. Sie haben einen Bereich, in dem sie schwach sind. (Wer hat den nicht?) Aber sie haben das Pech, dass dieser Bereich in unserer Gesellschaft, unserem Schulsystem sehr, sehr wichtig ist. Wären sie in einem anderen Kontinent geboren – vielleicht als kleine Chinesen – wohl niemand würde diese Schwäche überhaupt bemerken.

Versagen ohne erkennbaren Grund

Neben einer normalen Intelligenz ist für die Diagnose einer Legasthenie weiterhin wichtig, dass keine erkennbaren Gründe für das Versagen beim Lesen- und Schreibenlernen vorliegen – wie zum Beispiel ein Seh- oder Hörfehler oder eine „unzureichende Beschulung“ – wie sie etwa dann vorliegt, wenn ein Kind krankheitsbedingt nur selten am Unterricht teilnehmen kann. Natürlich darf auch eine psychiatrische Erkrankung (zum Beispiel Schizophrenie) oder eine große psychische Belastung (etwa Trennung der Eltern) nicht als Ursache für das Versagen des Kindes infrage kommen.

Einfach ausgedrückt handelt es sich also bei der Legasthenie um ein unerklärliches isoliertes Versagen im Erlernen des Lesens und/oder Rechtschreibens.

Und wenn sich doch eine Erklärung für das Versagen finden lässt?

Neben diesem unerklärlichen Versagen beim Lesen- oder Schreibenlernen ist auch ein „erklärliches“ Versagen denkbar – und das ist von einer Legasthenie abzugrenzen. Stellen wir uns einmal vor, ein Kind ist im ersten Schuljahr sehr lange krank – hier entstehen natürlich große Lücken im Schulstoff, und Lernprobleme sind oft unausweichlich. Ähnlich wird es einem Kind ergehen, das beispielsweise durch die Trennung seiner Eltern psychisch stark belastet ist. Dieses Kind ist sicherlich nicht aufnahmebereit für das Lernangebot in der Schule. Auch ein früher Schulwechsel – etwa durch einen Umzug der Familie – kann einen solchen Belastungsfaktor darstellen, der dem Kind einen reibungslosen Schriftspracherwerb erschwert.

Diese und noch viele weitere „besondere Lebensumstände“ können Ursachen für Probleme beim Lesen- und Schreibenlernen sein. In der Regel verschwinden diese Lernprobleme allmählich, wenn sich die Belastungssituation des Kindes entspannt. Wir sprechen darum in diesen Fällen von „vorübergehender Lese-Rechtschreib-Schwäche“ und nicht von einer echten Legasthenie. Eine solche „vorübergehende Lese-Rechtschreib-Schwäche“ kommt bei etwa 10 % unserer Kinder vor.

Was geschieht bei unterdurchschnittlicher Intelligenz?

Noch eine weitere Gruppe von Kindern hat Lese-Rechtschreib-Probleme – und auch die gehören nicht in die Kategorie der Legastheniker. Das sind Kinder mit einer „allgemeinen Minderbegabung“. Hier handelt es sich um Kinder, deren Intelligenz im Grenzbereich liegt. Ihre intellektuelle Grundausstattung reicht nicht aus, dass sie in der Regelschule problemlos mithalten können. Diese Kinder haben aber nicht nur beim Lesen und Schreiben Probleme. Ihnen fallen die meisten Bereiche des schulischen Lernens und Arbeitens enorm schwer – meist über die gesamte Schulzeit hinweg. Wir sprechen in diesem Fall von einer „allgemeinen Lese-Rechtschreib-Schwäche“. Diesen Kindern ist zu wünschen, dass sie in der Regelschule vermehrt sonderpädagogischen Beistand und Förderung erhalten, sodass sie von echter Inklusion profitieren können.

Die „echte“ Legasthenie

Von einer Legasthenie, die den eingangs genannten strengen Kriterien (mindestens durchschnittliche Intelligenz, überdauernde Probleme beim Schriftspracherwerb, für die keine äußeren Ursachen auffindbar sind) genügt, sind etwa 5 % unserer Schulkinder betroffen. Statistisch gesehen sitzt demnach in jeder Schulklasse mit durchschnittlich 25 Schülern ein legasthenes Kind. Die Tatsache, dass Jungen etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Mädchen, mag an geschlechtstypischen Unterschieden liegen: Mädchen sind den Jungen generell in der sprachlichen Entwicklung überlegen (Jungen sind dafür in anderen Bereichen, zum Beispiel der räumlichen Vorstellung, den Mädchen voraus).

Wie die Diagnose erfolgt

Ein Wort vorweg: Kein Lehrer – auch nicht der erfahrenste und engagierteste – kann eine Legasthenie sozusagen auf den ersten oder zweiten Blick bei einem seiner Schüler diagnostizieren. Sicher kann ein wachsamer Lehrer aber Hinweise auf das Vorliegen einer Legasthenie finden und die Eltern ermutigen, diesen Hinweisen nachzugehen und ihr Kind fachärztlich untersuchen zu lassen. Vor allem: Kein Lehrer kann zweifelsfrei feststellen, dass ein Kind kein Legastheniker ist. Und doch hört man oft, dass Lehrer bestreiten, ein Kind könne Legastheniker sein („Denn er macht ja keine typischen Fehler“ oder „Ich habe noch viel schwächere Rechtschreiber in der Klasse“).

Tatsächlich glaubte man lange, dass Legastheniker immer ganz typische Fehler machen – etwa das Verwechseln von „b“ und „d“ oder „p“ und „q“ oder das Vertauschen der Reihenfolge von Buchstaben (etwa „Rabne“ statt „Raben“). Sicher unterlaufen legasthenen Schülern unter anderem auch solche Fehler. Aber bei der Vielzahl der Fehlertypen, mit denen sich Legastheniker plagen müssen, gibt es keine sogenannten „typischen Fehler“.

Legastheniker machen keine „typischen Rechtschreibfehler“. Sie machen nur wesentlich mehr Fehler als andere Kinder.

Legastheniker haben auch kein „stabiles Fehlerprofil“. Das heißt: Sie machen nicht immer die gleichen Fehler. Ein Wort, das heute falsch geschrieben wird, kann morgen auf ganz andere Weise falsch geschrieben werden. Und übermorgen kann das Wort sogar richtig geschrieben werden, wobei keinerlei Garantie besteht, dass mein Kind nicht am folgenden Tag einen ganz anderen Fehler in dieses Wort „einbaut“.

Für eine Mutter, die Tag für Tag übt und hofft, dass all diese Mühen endlich Früchte tragen, dass das Kind doch einmal behält, was man stundenlang gepaukt hat, ist eine solche Situation natürlich zum Verzweifeln. Und manchmal fragt sie sich wahrscheinlich insgeheim: „Ist mein Kind vielleicht tatsächlich zu dumm zum Schreiben?“

Wie wir schon gehört haben, ist mangelnde Intelligenz bei einem Legastheniker sicher nicht die Ursache der Lernprobleme. Denn es ist ja gerade der große Unterschied zwischen der guten Intelligenz des Kindes und seinen schwachen Leistungen im Lesen oder Schreiben, der diese Störung definiert.

Gleich vorweg: Die typischen Legasthenie-Ursachen gibt es nicht. Legasthenie ist nicht vergleichbar mit einer Krankheit aus dem Bereich der Medizin (zum Beispiel einem Herzinfarkt), die bei jedem Patienten immer die gleichen Ursachen hat und auch immer die gleichen Symptome hervorruft. Legasthenie zeigt keine typischen Symptome (also Rechtschreibfehler) – und sie hat auch keine einheitlichen Ursachen.

Die Ursachen der Legasthenie

Die wissenschaftliche Klärung der Faktoren, die an der Entstehung einer Legasthenie beteiligt sind oder sein können, ist noch im Fluss. Eines aber ist sicher: Bei jedem Kind gibt es für die Legasthenie ein ganzes Bündel individueller Ursachen. Diese Ursachen sind biologischer Natur und hängen mit der Reifung des zentralen Nervensystems (ZNS), also mit der Hirnentwicklung, zusammen. Durch Besonderheiten oder Anomalien in der Reifung des ZNS werden bestimmte Funktionen (etwa im Bereich der sprachlichen Verarbeitung) nur eingeschränkt ausgebildet. Erst das Zusammenfallen verschiedener solcher „Teilleistungsschwächen“ führt dann dazu, dass ein Kind für das Lesen- und Schreibenlernen unzureichend ausgestattet ist.

Doch worin liegen nun die eigentlichen Ursachen für diese biologischen Besonderheiten der Legastheniker? Hier gibt es zum einen den genetischen Faktor. Wir finden bei etwa 40 % unserer legasthenen Kinder im näheren familiären Umfeld weitere Personen, die ebenfalls gravierende Probleme mit dem Schriftspracherwerb haben oder hatten. Vererbt wird hier nicht die Legasthenie an sich, sondern die „Disposition“, also eine erhöhte „Anfälligkeit“ für Störungen im schriftsprachlichen Bereich.

Auch die Umwelt – in diesem Falle die Anregung der Sprachentwicklung durch das Elternhaus, die Förderung des Interesses, der Motivation und der Kompetenz im Umgang mit Sprache und Schriftsprache – spielt (wie immer in der menschlichen Entwicklung) eine Rolle. Jedoch sind diese Einflüsse lediglich von zusätzlicher Bedeutung. So kommt es nicht von ungefähr, dass auch Kinder, die in einem sprach- und lesebegeisterten Umfeld aufwachsen und hier optimale Anregung und Förderung erfahren, eine Legasthenie ausbilden können. Andererseits gelingt es Kindern, die in ihrer Entwicklung mit sehr wenig förderlicher Anregung von außen auskommen müssen, glücklicherweise vielfach, mit dem Lesen- und Schreibenlernen gut zurechtzukommen.

Wenn Ihr Kind eine Legasthenie ausbildet, ist das mit Sicherheit nicht in erster Linie darauf zurückzuführen, dass Sie zu wenig oder falsch geübt hätten.

So kann es für Ihr Kind fatal sein, wenn Sie – obwohl der Erfolg ausbleibt – weiter und weiter üben. Sollte der geringste Verdacht bestehen, dass Ihr Kind speziell mit dem Lesen und dem Schreibenlernen nicht zurechtkommt, führt kein Weg an einer gezielten Diagnostik beim Schulpsychologen bzw. beim Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorbei.

Was tun bei Legasthenie-Verdacht?

Legasthenie-Verdacht sollten Sie nicht erst dann schöpfen, wenn‘s im dritten oder vierten Schuljahr Fünfen und Sechsen im Diktat hagelt. Verlassen Sie sich schon in den ersten Schuljahren auf Ihren Eindruck: Lesen Sie das erste Jahreszeugnis genau – auch zwischen den Zeilen. Steht da, dass Ihr Kind auch weiterhin fleißig üben muss, um mit den Lernwörtern oder dem flüssigen Lesen zurechtzukommen? Steht unter den meisten geübten oder ungeübten Diktaten, Ihr Kind solle noch mehr üben? Haben Sie bei all dem das Gefühl „Mehr üben geht doch gar nicht mehr“?

Verlassen Sie sich nicht auf den „Knoten“, der irgendwann „platzen“ wird. Zwingen Sie Ihr Kind und sich selbst nicht zum täglichen (erfolglosen) Üben. Holen Sie sich Gewissheit. Je weniger Druck und Misserfolg Ihr Kind erleiden muss, umso weniger werden seine Persönlichkeit und sein Selbstwertgefühl angegriffen.

Natürlich werden Sie als Erstes untersuchen lassen, ob Ihr Kind richtig hört und sieht. Das Hören testet der HNO-Arzt, eine weiterführende Diagnostik ist in der Pädaudiologie möglich. Auch Störungen des Sehens müssen natürlich frühzeitig erkannt werden. Augenveränderungen verursachen zwar keine Legasthenie, aber es gibt Veränderungen der Augen, die eine Schwäche beim Lesen zur Folge haben und damit eine Legasthenie vortäuschen können. Deshalb sollte eine genaue augenärztliche Untersuchung erfolgen mit Überprüfung der Akkommodation.

Was testet der Kinder- und Jugendpsychiater?

Eine Untersuchung auf Legasthenie beinhaltet zwei Bereiche: den medizinischen und den psychologischen. Im Rahmen der medizinischen Diagnostik wird unter anderem die körperliche Entwicklung des Kindes begutachtet. Zum Beispiel wird die Hirnaktivität über ein EEG erfasst. Insgesamt soll über diesen medizinischen Teil der Untersuchung geklärt werden, ob sich bestimmte körperliche (neurologische, physiologische etc.) Ursachen für das Lernproblem erkennen lassen.

Die psychologische Diagnostik besteht im Wesentlichen aus der Durchführung psychologischer Tests. Hier wird zum einen die Intelligenz des Kindes überprüft, dann natürlich die Leistungen im Rechtschreiben und Lesen. Not- falls wird auch die Konzentrationsleistung noch gesondert überprüft. Solche Tests geben objektive Informationen über den Leistungsstand eines Kindes. Denn sie wurden an sehr großen, repräsentativen Stichproben „geeicht“ und erlauben es deshalb, die individuelle Leistung eines Kindes vor dem Hintergrund dieses Bezugsrahmens einzuordnen.

Testergebnisse werden in Prozenträngen (PR zwischen 0 und 100) angegeben. Der Rang gibt den Prozentsatz von Kindern gleicher Klassenstufe an, die in diesem Test gleich gut oder schwächer abschneiden. Erzielt ein Kind einen Prozentrang von PR = 10, bedeutet das, dass 90 % der Kinder dieser Klassenstufe besser abschneiden als das getestete Kind. Mit einem PR = 50 liegt ein Kind also genau im Mittelfeld und erbringt eine durchschnittliche Leistung. Der Normalbereich erstreckt sich von PR = 16 bis PR = 84. Daneben finden wir in kinder- und jugendpsychiatrischen Gutachten vielfach auch T-Werte; hier liegt der Normalbereich zwischen T = 40 und T = 60.

Was geschieht beim Intelligenztest?

Es gibt viele verschiedene Testverfahren zur Feststellung der Intelligenz und Ermittlung des Intelligenzquotienten eines Kindes. In den ausführlichen Verfahren, deren Durchführung deutlich mehr als eine Stunde dauert, werden.

Viele verschiedene Aspekte der Intelligenzleistung gründlich überprüft. So erfasst beispielsweise ein aktuelles Verfahren, die „Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC-IV)“, die folgenden vier Bereiche: 1. Sprachverständnis, 2. wahrnehmungsgebundenes logisches Denken, 3. Arbeitsgedächtnis und 4. Verarbeitungsgeschwindigkeit. Damit ist eine umfassende Beschreibung der kognitiven Grundausstattung eines Kindes gewährleistet. Kürzere Testverfahren, z. B. der CFT 1-R oder CFT 20-R, messen hingegen nur spezielle Aspekte der Intelligenz, etwa das schlussfolgernde Denken.

Selbstverständlich ist bei der Überprüfung der Intelligenz den ausführlichen Verfahren der Vorzug zu geben, weil diese neben dem IQ (Intelligenzquotient) noch viele weitere Informationen über die intellektuelle Grundausstattung des Kindes liefern. Das Ausmaß an Intelligenz, über die eine Person verfügt, wird meist als IQ angegeben. Hier liegt der „Normalbereich“ zwischen 85 und 115, der genaue Mittelwert beträgt 100. Natürlich gibt es auch Intelligenzquotienten unter 85, hier sprechen wir von Minderbegabung. Bei einem IQ über 115 ist die Begabung überdurchschnittlich, ab IQ = 130 finden wir den Bereich der Hochbegabung.

Was geschieht beim Rechtschreibtest?

Die Rechtschreibkompetenz eines Kindes wird meist mit sogenannten Lückentexten überprüft. Hier soll das Kind diktierte Wörter eintragen. Die Wörter sind dabei nach Schwierigkeitsgrad, Fehlerträchtigkeit und sonstigen Kriterien ausgewählt, sodass die Auswertung nicht nur quantitative Ergebnisse liefert („Wie gut ist mein Kind im Rechtschreiben?“), sondern auch qualitative

Angaben („Wo liegen die Fehlerschwerpunkte meines Kindes?“). Relativ neu sind Testverfahren, die sich nicht eines Lückentextes bedienen, sondern die Rechtschreibung in einem Fließtext überprüfen. Einen solchen Fließtext können wir uns wie ein ganz normales Diktat vorstellen, dessen Besonderheit aber darin besteht, dass es „geeicht“ wurde. So haben Tausende von Kindern dieses Diktat geschrieben. Sie bilden den Bezugsrahmen, vor dem dann die Leistung unseres Testkindes eingeordnet werden kann. Der Vorteil eines Fließtextes besteht darin, dass hier wesentlich mehr Fehlerquellen erfasst werden können als im Lückentext. So fallen auch Kinder auf, die „Wortschlangen“ schreiben, also die Wortgrenzen nicht erfassen, aber auch Kinder, die schwierige Wörter richtig – dafür aber leichtere Wörter (wie etwa „nich“ statt „nicht“) falsch schreiben. Daneben erlaubt der Fließtext auch eine solidere Überprüfung der Rechtschreibleistung bei Kindern mit starken Aufmerksamkeitsschwankungen.

Was geschieht beim Lesetest?

Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Tests. Denn beim Lesen lassen sich verschiedenste Aspekte der Lesefertigkeit prüfen: lautes Vorlesen, leises Lesen, Lesegeschwindigkeit, Lesegenauigkeit etc. Hier gilt es zu bedenken, dass das leise Lesen der „natürlichen Lesesituation“ am ähnlichsten ist. Außerdem ist in der deutschen Sprache die Lesegeschwindigkeit eines Kindes wesentlich aussagekräftiger als die Lesegenauigkeit (also die Angaben über die Lesefehler, die ein Kind macht). Eine solide Testung der Leseleistung eines Kindes sollte sich wiederum an den Stufen der Entwicklung orientieren: So sollte die alphabetische Strategie erfasst werden, etwa über das Lesen von „Unsinnswörtern“ (z. B. „lomas“, „ruson“). Hier zeigt sich, ob das Kind hinreichend genau und sicher liest und ob auch die Buchstabe-Laut-Verbindungen gut verfügbar sind. Dann sollte über das möglichst schnelle Lesen echter Wörter („Haus“, „Baum“ etc.) die Geschwindigkeit im Sinne der orthographischen Strategie überprüft werden. Schließlich lässt sich auch das Leseverständnis differenziert überprüfen, einerseits in Bezug auf das Verständnis einzelner Sätze, andererseits auch mit Blick auf das sinnentnehmende Lesen ganzer Texte. Eine solche Testung ermöglicht die umfassende Beurteilung der Lesekompetenz eines Kindes und zeigt auch an, auf welchem Niveau sinnvolle Übungen ansetzen können.

Was wird aus Legasthenikern?

Wie wir schon gehört haben, verwachsen sich die Lese-Rechtschreib-Probleme eines Legasthenikers nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben sehr stabil sind. Das heißt: Die Kinder, die beispielsweise im zweiten Schuljahr die Schwächsten der Klasse sind, werden es auch in der achten Klasse sein. Die Kinder, die zu Beginn der Grundschulzeit die langsamsten Leser und Schreiber mit den meisten Fehlern sind, werden es mit großer Sicherheit auch noch zum Ende ihrer gesamten Schulzeit sein.

Sicherlich können Legastheniker, wenn sie die Schulzeit hinter sich gebracht haben, beruflich (und sicher auch privat) einer Beschäftigung mit Schriftsprache erfolgreich aus dem Weg gehen. Sie werden also nicht in Büros oder Ämtern zu finden sein. Trotzdem muss es uns zu denken geben, dass eine wissenschaftliche Untersuchung zu dem Ergebnis kam, dass 26 % der über viele Jahre beobachteten Legastheniker mit 26 Jahren arbeitslos waren. Außerdem finden wir bei Legasthenikern ein deutlich erhöhtes Risiko, in späteren Jahren depressiv oder straffällig zu werden. Dies liegt darin begründet, dass den betroffenen Kindern schon während der Grundschulzeit, also in einer sehr sensiblen Phase der Persönlichkeitsentwicklung, durch ständige Misserfolgserlebnisse der Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls massiv erschwert wird.

Legastheniker haben es schwer

Legastheniker sind von „Ausgliederung“ bedroht: In der Grundschule werden sie nicht selten gehänselt, zu Unrecht getadelt, mit Üben bestraft, bleiben trotzdem „sitzen“. Später bleibt ihnen unter Umständen trotz überdurchschnittlicher Intelligenz der Übertritt in eine höhere Schule verwehrt. Sicher wird niemand widersprechen, wenn gefordert wird, jedes Kind solle gemäß seiner Begabung (womit gemeinhin die Intelligenz gemeint ist) Zugang zu einer bestimmten Schulart finden. Wie lässt es sich jedoch begründen, wenn einem ausnehmend intelligenten Kind der Zugang zum Gymnasium verwehrt bleiben soll? Wenn es selbst in der Regelschule falsch zu sein scheint? Wenn es sich schließlich selbst für zu dumm hält, um in dieser Gesellschaft seinen Platz zu finden? Damit Legastheniker ihren Platz im Leben finden, benötigen sie unsere Hilfe – möglichst früh.

(Petra Küspert)

Legasthenie-2018

Textauszug aus:
Petra Küspert,
Neue Strategien gegen Legasthenie

Lese- und Rechtschreibschwäche: erkennen, vorbeugen, behandeln
Oberstebrink 2018
Broschur, 192 Seiten
4-fbg. Abb. und Illustrationen
ISBN: 9783963040122
19,90 €




Massive Probleme beim Handschreiben nach Corona

Ergebnisse der Studie STEP 2022 – 850 Lehrkräfte befragt

Nachdem über 70 Prozent der Lehrkräfte bei ihren Schülerinnen und Schülern größere Probleme beim Handschreiben feststellen, sehen das Schreibmotorik Institut und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die Notwendigkeit, das Schreiben von Hand über alle Klassenstufen hinweg gezielter zu fördern.

An der STEP-Studie 2022 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“) zum Schuljahr 2020/21 haben rund 850 Lehrkräfte aus dem Primar- und Sekundarbereich teilgenommen. Die Online-Umfrage des Schreibmotorik Instituts in Kooperation mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) wurde nach 2015 und 2019 zum dritten Mal deutschlandweit durchgeführt.

„Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. „Kinder und Jugendliche, die schon vorher Schreibschwierigkeiten hatten, wurden in der Pandemie weiter abgehängt. Eine Ursache hierfür ist die personelle Unterdeckung, unter der Schulen seit Jahren leiden. Dies betrifft verstärkt die Grundschulen. Die notwendige individuelle Förderung, die auch im Schulgesetz verankert ist, kann deshalb nicht mehr geleistet werden.“

Lehrkräfte unzufrieden mit Schreibleistungen

Fast ein Drittel der Lehrkräfte im Primarbereich und sogar gut die Hälfte der Lehrkräfte im Sekundarbereich sind mit den Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler beim Handschreiben unzufrieden. Im vergangenen Schuljahr fand der Umfrage zufolge mit 48 Prozent knapp die Hälfte der Stunden als Distanz- oder Wechselunterricht statt. Anfang November 2020 wurde wegen der Corona-Pandemie das Leben in Deutschland ein zweites Mal weitgehend heruntergefahren. Erst ab Ende April 2021 wurden die Maßnahmen gelockert, was jedoch nur bedingt für die Schulen galt.

„Einen besonders starken Rückgang der Handschreibfertigkeiten gibt es infolge der Pandemie bei den Jungen, von denen ohnehin die Hälfte Probleme mit dem Handschreiben hat“, erläutert Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts, die Ergebnisse der Studie. Hier machten drei Viertel der Lehrkräfte einen leichten oder sogar starken Einbruch der Leistung aus. Bei den Mädchen, von denen sich ein Drittel mit dem Schreiben von Hand schwertut, sehen 56 Prozent der Befragten eine leichte bis starke Verschlechterung. Aber auch bei denjenigen, die bislang durch gute Leistungen beim Handschreiben glänzten, sieht jede vierte Lehrkraft eine negative Entwicklung.

Eine intensivere Förderung empfohlen

Neun von zehn Lehrkräften (89 Prozent) empfehlen deshalb, die Schreibfertigkeiten mehr zu fördern – über alle Klassenstufen hinweg. Dieses Resultat der Umfrage stützt die Forderung von Diaz Meyer, eine Stunde pro Woche ins Handschreiben zu investieren. Forschungsergebnisse des Schreibmotorik Instituts mit Erstklässlern haben gezeigt, dass Kinder damit ermüdungsfreier und schneller schreiben können. In weiterführenden Schulen kann laut STEP-Studie nicht einmal die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler länger als eine halbe Stunde ohne Verkrampfungen oder Ermüdung schreiben. Expertin Diaz Meyer: „Wer nicht flüssig und in einer gewissen Geschwindigkeit schreiben kann, kann dem Unterricht auch oft nicht mehr richtig folgen und fällt in seinen Leistungen zurück.“ Dem stimmt der VBE-Bundesvorsitzende Beckmann zu: „Wir sehen dadurch eine ganze Reihe Probleme auf betroffene Kinder und Jugendliche zukommen. Handschreiben hat einen großen Einfluss auf den Lernprozess in Gänze und damit auf die gesamte Bildungsbiografie.“

„Schwierigkeiten bei der Schreibstruktur, im Tempo des Handschreibens sowie bei der Leserlichkeit sind die drei Hauptprobleme, die sich nach Angaben der Lehrkräfte durch den Distanz- und Wechselunterricht verstärkt haben“, erläutert Diaz Meyer weiter. Wie es um die Schreibstruktur bestellt ist, hat eine Lehrerin in der Befragung drastisch veranschaulicht. Sie habe Schülerinnen und Schülern nach dem Homeschooling erst wieder beibringen müssen, „dass man vom linken bis zum rechten Rand schreibt und weder in der Mitte des Papiers anfängt noch über den rechten Rand hinausschreibt.“ Die fehlende Schreibstruktur bemängelten insgesamt 76 Prozent der Lehrkräfte als häufig oder sehr häufig, zu langsames Schreiben 71 Prozent. Über die Unleserlichkeit der Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler klagten 65 Prozent.

Zu wenig Bewegung

„Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger. Das ist ein wichtiger Grund für den deutlichen Leistungsabfall beim Handschreiben“, sagt Marianela Diaz Meyer. „Viele Aktivitäten, die die Motorik fördern, konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht stattfinden. Zudem fehlt zuhause oft der Platz, sich kreativ zu entfalten“, ergänzt Beckmann. „Da wundert es nicht, dass während der Pandemie zuhause mehr Zeit vor Displays und Bildschirmen verbracht wurde.“ Jede zweite Lehrkraft attestiert Schülerinnen und Schülern einen häufigen Medienkonsum, 30 Prozent einen sehr häufigen.

„Der Einsatz digitaler Medien wird für die Zukunft des Lernens allerdings immer wichtiger. Das hat die Pandemie gezeigt“, sagt Beckmann. „Aber noch melden uns die Lehrkräfte zurück, dass die technischen Möglichkeiten die Vorteile von Stift und Papier beim Schreiben mit der Hand nicht ersetzen können.“ Stift und Papier sind für 97 Prozent der Lehrkräfte der Primarstufe und für 98 Prozent der Sekundarstufe die bevorzugten Schreibmedien.

Problematischer Lehrkräftemangel

Die Vorteile handschriftlicher Bewegungen gegenüber dem Tippen erklärt Diaz Meyer so: „Kaum etwas hat auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einen derart großen Einfluss wie das Schreiben von Hand, weil dabei mehr als 30 Muskeln und 15 Gelenke koordiniert werden müssen. Dies aktiviert zwölf verschiedene Areale im Gehirn: von der Wahrnehmung über die Verarbeitung von Informationen bis hin zur motorischen Ausführung.“ Neurowissenschaftler hätten bei Gehirnscans entdeckt, dass beim Tippen viel weniger Hirnaktivität registriert wird, weil es sich dabei um die immer gleiche Bewegung handelt, egal ob man ein A oder S tippt.

Der Bundesvorsitzende des Bildungsverbandes, Udo Beckmann, nimmt beim Thema Handschreiben die Politik in die Verantwortung: „Die Probleme sind hausgemacht. Wir leiden seit Jahren an Lehrkräftemangel in den Schulen. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten durch Corona deutlich verschärft. Zudem müssen aktuell weit über 100.000 ukrainische Kinder und Jugendliche in den Unterricht integriert werden. Die Politik muss sich ehrlich machen und den Schulen, aber auch der Gesellschaft offen und transparent vermitteln, was unter den gegebenen Bedingungen leistbar ist und was nicht. Wie können wir dem Thema Handschreiben auch im Unterricht einen angemessenen Stellenwert einräumen? Trotz dieser enormen Arbeitsbelastung haben viele Lehrkräfte an der zeitintensiven Befragung teilgenommen. Das unterstreicht die Bedeutung, die dem Schreiben mit der Hand zugemessen wird.“