Personalsorgen überlagern alle weiteren Probleme der Schulen

Robert Bosch Stiftung befragt 1.055 Schulleitungen für das Schulbarometer

Deutschlands Schulen leiden unter einem massiven Fachkräftemangel, der alle anderen Sorgen und Probleme überlagert. Zwei Drittel (67 Prozent) der Schulleitungen sehen im fehlenden pädagogischen Personal die größte Herausforderung für ihre Schule. An sozial benachteiligten Standorten sagen dies sogar 80 Prozent.

Andere Themen eher zweitrangig

Erst mit großem Abstand nennen sie weitere Themen wie die schleppend vorankommende Digitalisierung, eine schlechte technische Ausstattung (22 Prozent), zu viel Bürokratie (21 Prozent) und die hohe eigene Arbeitsbelastung (20 Prozent).

Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen beschäftigen hingegen nur noch jede zehnte Schule (9 Prozent). Das geht aus dem eben veröffentlichten Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung GmbH hervor. Für die repräsentative Umfrage, die die Stiftung seit 2019 unter Lehrkräften durchführen lässt, hat forsa erstmals ausschließlich Schulleitungen befragt.

Weniger Bürokratie könnte Personalnot lindern

„Für den Lehrkräftemangel gibt es keine schnelle und vor allem keine einfache Lösung“, sagt Dr. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung. „Weniger bürokratischer Aufwand könnte die aktuelle Personalnot an den Schulen aber zumindest lindern, indem beispielsweise die Anstellung von Unterstützungsfachkräften in der Verwaltung, von pädagogischen Assistenzkräften oder ausländischen Lehrkräften erleichtert wird. Gleichzeitig muss jetzt langfristig geplant werden. Eine Erhöhung der Kapazitäten in den Lehramtsstudiengängen reicht dazu nicht aus. Der Lehrerberuf muss attraktiver werden.“

Ziel verfehlt: Deutliche Lernrückstände trotz Corona-Aufholprogrammen

Wie in den letzten Befragungen des Deutschen Schulbarometers sehen die Schulen bei mehr als einem Drittel der Schülerinnen und Schüler nach wie vor einen deutlichen Lernrückstand (Schulleitungen im November 2022: 35 Prozent, Lehrkräfte im April 2022: 41 Prozent). An Schulen in sozial benachteiligter Lage betrifft dies sogar zwei Drittel der Kinder (65 Prozent). Fast 80 Prozent der Schulen geben zudem an, dass sie nicht allen Kindern und Jugendlichen die benötigte Unterstützung beim Lernen bieten können.

Dementsprechend verzeichnet lediglich ein Drittel (32 Prozent) eine Wirkung der Corona-Aufholprogramme. Während an Gymnasien das Urteil am positivsten ausfällt (42 Prozent), entfalten die Programme an sozial benachteiligten Standorten den geringsten Effekt (23 Prozent). Trotz der zwei Milliarden Euro schweren Unterstützung benötigt die große Mehrheit der Schulleitungen (70 Prozent) dringend weitere Fördermittel.

Das Gießkannenprinzip bietet keine Lösung

„Das Ziel, insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche zu unterstützen, wurde weit verfehlt, weil alle Schulen über einen begrenzten Zeitraum Fördermittel nach dem sogenannten Gießkannenprinzip erhalten haben. Das zeigen die Ergebnisse des aktuellen Schulbarometers mehr als deutlich. Dabei wären die Bedingungen für eine bedarfsgerechte Verteilung günstig“, erläutert Wolf. Drei Viertel der Schulen in sozial benachteiligter Lage (73 Prozent) erfassen die Lernstände ihrer Schülerinnen und Schüler systematisch. „Für das geplante Startchancen-Programm der Bundesregierung müssen diese Daten besser genutzt und die bisherigen Programme evaluiert werden. Schon jetzt zeigt sich, wie wichtig eine langfristige Förderung ist, die den Beteiligten in den Schulen und Verwaltungen Planungssicherheit garantiert.“ Die Robert Bosch Stiftung hat aus diesem Grund gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Expert:innenrunde Startchancenprogramm ins Leben gerufen.

Die Hälfte der Schulen sieht keine Kapazitäten, weitere neu zugewanderten Schüler aufzunehmen

Seit März 2022 hat das deutsche Schulsystem eine sehr hohe Zahl an geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine aufgenommen. Den Anteil an der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler schätzen die Schulleitungen auf 2,7 Prozent (Median: sieben Schülerinnen und Schüler je Schule).

Laut Deutschem Schulbarometer sind im selben Zeitraum fast genauso viele neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler aus anderen Ländern an die Schulen gekommen (Anteil an der Gesamtzahl: 2,7 Prozent, Median: fünf Schülerinnen und Schüler je Schule). Anders als bei den geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine veröffentlicht die Kultusministerkonferenz (KMK) hierzu allerdings bislang keine Zahlen.

Rund die Hälfte der Schulen sieht aktuell keine Kapazitäten mehr für die Aufnahme weiterer Schülerinnen und Schüler. Insbesondere Schulen an sozial benachteiligten Standorten arbeiten bereits über ihrer Kapazitätsgrenze (45 Prozent). Hier wurden neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler überdurchschnittlich häufig aufgenommen (Ukraine: 3,7 Prozent, andere Länder: 5,3 Prozent/ Anteil an der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler). 

Die detaillierten Ergebnisse der Umfrage finden Sie hier. Darunter weitere Themen wie die weiterhin unzureichende psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen und der hohe Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte im Umgang mit psychosozial belasteten Kindern.

15-Punkte-Plan gegen den Lehrkräftemangel

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht sich für schnelle und nachhaltige Hilfen zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels aus, wie sie in dem kürzlich veröffentlichten „15-Punkte-Plan gegen den Lehrkräftemangel“ der Bildungsgewerkschaft vorgeschlagen werden. „Der eklatante Lehr- und Fachkräftemangel ist die Achillesferse des Schulsystems. Er bremst nicht nur nahezu jedes schulpolitische Reformvorhaben aus, sondern gefährdet mittlerweile die Bildungsanstrengungen in Deutschland insgesamt“, kommentierte GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze die Ergebnisse des heute veröffentlichten Deutschen Schulbarometers. „Die Bundesländer haben es schlichtweg verpasst, den Generationenwechsel in den Schulen zu planen und zu koordinieren“, begründete die GEW-Schulexpertin die Forderung nach einem bundesweiten konzertierten Vorgehen.

Über das Deutsche Schulbarometer

Das Deutsche Schulbarometer ist eine Umfrage der Robert Bosch Stiftung unter Lehrkräften an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland. Für die aktuelle Ausgabe wurden erstmals ausschließlich Schulleitungen befragt. Die repräsentative Stichprobe umfasste insgesamt 1.055 Schuleiterinnen und Schulleiter und wurde zwischen dem 31. Oktober und dem 16. November 2022 als Online-Befragung von forsa durchgeführt.

Quellen: Mitteilungen der Robert-Bsoch-Stiftung und der GEW




Deutsches Schulbarometer Spezial

Jede zweite Lehrkraft hat bereits geflüchtete Kinder aus der Ukraine an ihrer Schule

Die meisten ukrainischen Schüler und Schülerinnen lernen in Regelklassen, während ukrainischsprachige Lehrkräfte oder Unterrichtsangebote bisher fast keine Rolle spielen. Das zeigt das aktuelle Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung. Jede zweite Lehrkraft in Deutschland hat an ihrer Schule bereits ukrainische Kinder und Jugendliche. Die Aufnahme der geflüchteten Kinder betrachten die allermeisten Lehrkräfte (92 %) jedoch aktuell nicht als zentrale Herausforderung. Vielmehr erleben sie nach zwei Jahren Pandemie Corona und die Corona-Maßnahmen als größte Belastung in ihrem Berufsalltag (38 %), gefolgt vom Lehrkräftemangel (26 %), dem Verhalten der Schüler und Schülerinnen (21 %) und der Digitalisierung (17 %). Das zeigen die Ergebnisse des Deutschen Schulbarometers Spezial, einer repräsentativen Umfrage der Robert Bosch Stiftung GmbH, durchgeführt von forsa.

Gemeinsames Lernen bisher die Regel

Die geflüchteten Kinder sind bei drei Vierteln der befragten Lehrkräfte (78 %) zumindest teilweise in Regelklassen integriert und lernen gemeinsam mit Schüler und Schülerinnen aus Deutschland. Reine Willkommensklassen ohne Anbindung an den gemeinsamen Unterricht sind mit 18 Prozent eher selten. Ukrainischsprachigen Präsenz- oder Online-Unterricht gibt es sogar nur an einem Prozent aller Schulen, die geflüchtete Ukrainer aufgenommen haben. Der Einsatz ukrainischsprachigen Personals als Übersetzer (9 %) oder Lehrkräfte (7 %) erfolgt ebenfalls bislang nur sporadisch.

Noch fehlen oftmals die Konzepte

49 % der Befragten geben an, dass ihre Schule bislang für die Aufnahme von Kindern mit wenig bis keinen Deutschkenntnissen nicht über entsprechende Konzepte verfügt. Schulen, die sich derzeit auf weitere Schüler und Schülerinnen aus der Ukraine vorbereiten (58 %), legen den Fokus vor allem auf die Bereitstellung von Räumen (43 %) und auf die Suche nach Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache (40 %). Erst danach kommen die Beschäftigung mit digitalen ukrainischen Lernangeboten (24 %) und die Suche nach ukrainischsprachigem Personal (rund 16 %).

Unbürokratische und schnelle Beschäftigung ukrainischsprachigen Fachpersonals

„Ukrainischsprachige Lehrkräfte und Übersetzerinnen können Schulen bei der Aufnahme der geflüchteten Schüler und Schülerinnen wirksam unterstützen. Wir sollten deshalb die Beschäftigung ukrainischen Personals an deutschen Schulen unbürokratisch und schnell ermöglichen, auch in Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und staatlichen Stellen“, sagt Dr. Dirk Zorn, Bereichsleiter Bildung der Robert Bosch Stiftung.

In einer gemeinsamen Initiative mit der Bertelsmann Stiftung unterstützt die Robert Bosch Stiftung Schulen bei der Aufnahme von geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Die Angebote sind auf dem Deutschen Schulportal verfügbar.

GEW: „Schulen sind bereit – aber viele auch am Limit!“

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt bei Bund, Ländern und Schulträgern rasche und unbürokratische, aber gut koordinierte und nachhaltige Unterstützung an. „Die Schulen stehen bereit, die ukrainischen Kinder und Jugendlichen zu integrieren, brauchen aber dringend Hilfe – vor allem mit Blick auf Personal, Räume und Sachmittel. Die Fachkräfte sind hoch motiviert, diese Herausforderung zu meistern, viele aber nach über zwei Jahren Corona-Pandemie auch am Limit, teils sogar darüber hinaus“, sagte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, zur heute veröffentlichten Studie „Das Deutsche Schulbarometer Spezial: Geflüchtete ukrainische Schüler:innen“ der Robert Bosch Stiftung.

„Die Schulen brauchen vor allem Lehrkräfte für Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache, aber auch Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Schulpsychologinnen und -psychologen, Fachkräfte für den Umgang mit Traumata sowie Dolmetscherinnen und Dolmetscher“, unterstrich Bensinger-Stolze mit Blick auf aktuell über 90.000 Kinder und Jugendlichen, die aus der Ukraine geflüchtete sind, und prognostizierter mehr als 400.000. „Diese Fachkräfte fehlen schon seit vielen Jahren. Schulen sowie die Kolleginnen und Kollegen hangeln sich von Anforderung zu Anforderung. Die Schulpolitik muss jetzt endlich deutliche Schritte in Richtung einer besseren personellen und materiellen Ausstattung des Bildungsbereichs machen.“ Viele Schulen und Fachkräfte hätten Erfahrungen mit geflüchteten Schülerinnen und Schülern. Aber sowohl die Belastungen, sozialen Verwerfungen und die schwierige Planbarkeit des Schulalltags durch die Corona-Pandemie als auch der dramatische Mangel an pädagogischem Personal gefährdeten mittlerweile die Bildungsanstrengungen in Deutschland insgesamt, begründete die GEW-Schulexpertin ihre Vorschläge.

Über das Deutsche Schulbarometer Spezial

Das Deutsche Schulbarometer Spezial ist eine Umfrage der Robert Bosch Stiftung unter Lehrkräften an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland. Die repräsentative Stichprobe umfasste insgesamt 1.017 Lehrer:innen und wurde zwischen dem 6. und 18. April 2022 als Online-Befragung von forsa durchgeführt. Die vollständigen Ergebnisse der Umfrage finden Sie hier: https://www.bosch-stiftung.de/de/die-haelfte-der-lehrkraefte-hat-bereits-ukrainische-schuelerinnen.

Quelle: Pressemitteilungen Robert Bosch Stiftung und GEW