Ärmere Familien durch Schulschließungen stärker finanziell belastet

Leibnitz-Institut: Fast zwei Drittel der Eltern fühlten sich durch Schließungen gestresst

Mehr als 60 Prozent der Eltern haben sich durch den Distanzunterricht infolge der Corona-Pandemie immer oder sehr häufig gestresst gefühlt. Das ergab eine Befragung des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Dabei wurden im Juni und Juli 2021 knapp 6.000 Eltern von Grundschulkindern in Nordrhein-Westfalen zur Lern- und Alltagssituation während der zweiten Phase der Pandemie befragt. Für die Analyse wurden die Befragungsergebnisse durch kleinräumige Daten etwa zum Einkommen in den jeweiligen Stadtvierteln der Schulen ergänzt.  

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Corona-Pandemie hat die Familien in Nordrhein-Westfalen stark getroffen. Dabei ergeben sich aus der RWI-Befragung insgesamt nur wenige Unterschiede zwischen Familien aus wohlhabenderen und ärmeren Stadtvierteln.
  • Die Mehrheit der Eltern von Grundschulkindern hatte Probleme, die Kinder zu Hause zum Lernen zu motivieren. Diese Motivationsschwierigkeiten traten besonders häufig bei Kindern auf, denen von der Schule keine oder kaum digitale Lernmittel zur Verfügung gestellt wurden.
  • Während des Distanzlernens verbrachten die Grundschulkinder täglich durchschnittlich nur drei Zeitstunden mit ihren Aufgaben.
  • 62 Prozent der befragten Eltern fühlten sich durch das Distanzlernen immer oder sehr häufig gestresst. Dies galt besonders für Familien, in denen die Mütter mehr als 25 Stunden pro Woche arbeiteten. Auch tägliches oder fast tägliches Homeoffice wirkte sich negativ auf das Stressempfinden aus.
  • Insgesamt fühlte sich die Mehrheit der Eltern sehr gut von den Schulen unterstützt. In den meisten Klassen wurden digitale Lerninhalte angeboten. Allerdings haben 13 Prozent der Grundschulkinder im Frühjahr 2021 keine digitalen Möglichkeiten wie Videounterricht, Apps oder Lernvideos regelmäßig genutzt. Dies gilt besonders für Schulen in ärmeren Stadtvierteln: Dort wurden durchschnittlich weniger (digitale) Lernmittel regelmäßig eingesetzt.
  • Viele Familien haben sich speziell für das Distanzlernen digitale Endgeräte angeschafft. Familien in Vierteln mit geringerem Einkommen mussten sich häufiger Geräte anschaffen als andere Familien. Dies führte zu stärkeren finanziellen Belastungen – zusätzlich zu möglichen pandemiebedingten finanziellen Einbußen, von denen insbesondere Familien von Kindern mit Migrationshintergrund häufiger betroffen waren.  
  • In ärmeren Stadtvierteln wurden außerdem häufiger Mobiltelefone für das Distanzlernen genutzt. Durch das kleinere Display wurde eine aktive Teilnehme am Distanzunterricht erschwert.

Weitere Schulschließungen vermeiden!

„Die Studie zeigt, wie stark Eltern und ihre Kinder durch die Schulschließungen belastet waren“, sagt Studienautorin Sandra Schaffner, Leiterin des Forschungsdatenzentrums Ruhr am RWI. „Weitere Schulschließungen sollten unbedingt vermieden werden. Zudem braucht es nach wie vor höhere Investitionen in die digitale Ausstattung von Schulen, insbesondere in ärmeren Stadtvierteln.“

(Dieser Pressemitteilung liegt der RWI-Projektbericht „Grundschulunterricht in Zeiten von Corona – Auswertungen einer Elternbefragung in NRW“ von Philipp Breidenbach, Friederike Hertweck, Lisa Höckel, Lukas Hörnig, Sandra Schaffner und Michael Schweitzer zugrunde.)




Kitas und Schulen bleiben auch in Baden-Württemberg dicht

Keine Öffnungen vor Ende des Monats:

Noch vergangene Woche hatte der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Öffnung von Kitas- und Schulen ab dem 18.01.2021 in Aussicht gestellt. Doch schon zu diesem Zeitpunkt kündigte er an, dass er dies von den Infektionszahlen abhängig machen wolle. Nun ist klar,  die Einrichtungen bleiben bis Ende Januar geschlossen.

Hohes Infektionsniveau

„Wir sind nach wie vor auf einem hohen Niveau der Infektionen“, sagte Kretschmann heute. Er habe sich deshalb mit der Kultusministerin Susanne Eisenmann darauf verständigt, die beabsichtigte Lockerung zu verschieben und die Schulen und Kindergärten bis Ende des Monats geschlossen zu halten. Sollte der Lockdown über den Januar hinausgehen, solle eine Öffnungsperspektive für Grundschulen und Kitas erarbeitet werden.

Auch in der nächsten Schaltkonferenz der MinisterpräsidentInnen mit der Bundeskanzlerin wolle man das Thema Schul- und Kitaöffnungen besprechen.  Angela Merkel hat sich wiederholt dagegen ausgesprochen, Kitas und Schulen bald wieder zu öffnen. Am Dienstag hatte Sie erklärt, dass es bis Anfang kommender Woche keinen klaren Überblick über die Infektionszahlen nach dem Jahreswechsel geben werde.

Keine Überraschung

Insofern kam die Entscheidung der Landeregierung in Baden-Württemberg nicht überraschend. Das Land hätte hier auch einen Sonderweg beschritten. Die Kultusministerin hatte vehement auf eine Öffnung gedrungen. Eisenmann wollte Kitas und Grundschulen schon vergangenen Montag „unabhängig von den Inzidenzzahlen“ öffnen lassen.




„Kita- und Schulschließungen vermeiden“

Deutsches Kinderhilfswerk befürchtet schlimme Folgen für Bildung und Familien:

Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) warnt im Vorfeld der geplanten Bund-Länder-Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den MinisterpräsidentInnen vor flächendeckenden Schließungen von Schulen und Kitas. Mit einer Aussetzung der Schulpflicht oder einer Verlängerung der Schulferien werde ebenso wie mit Kita-Schließungen das Recht auf Bildung ausgehebelt. Bei der Frage der Offenhaltung von Schulen und Kitas müssten neben dem Gesundheitsschutz auch soziale und kindheitspädagogische Aspekte berücksichtigt werden.

Situation abwägen

Anstatt Bildungseinrichtungen komplett zu schließen, sollten Schulen und Kitas in Absprache mit den Gesundheitsämtern die Situation vor Ort abwägen, um im Ergebnis die effektivste Maßnahme zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung und Entwicklung einerseits sowie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie andererseits ergreifen zu können. Der Bund ist gefordert, die Länder sowie Schul- und Kitaträger bei der Offenhaltung der Schulen und Kitas auch finanziell zu unterstützen. „Mit den Geldern könnten beispielsweise alternative Räumlichkeiten für den Schulunterricht und Kitabetrieb angemietet werden, um eine Entzerrung der räumlichen Enge in vielen Schulen und Kitas zu ermöglichen. Und auch die Anschaffung von Luftfilteranlagen kann ein wichtiger Baustein für die Offenhaltung der Bildungseinrichtungen sein. Das darf nicht an den Kosten scheitern.  Sofern Präsenzunterricht gar nicht realisiert werden kann, sollte digital beschult werden, statt das Recht auf Bildung komplett auszuhebeln. Die Aufhebung der Schulpflicht und damit das Einstellen aller Bemühungen auf Bildung käme einer Aufgabe gleich und wäre ein fatales Signal“, sagt Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Erhöhte Konflikt- und Stresssituationen vermeiden

„Wenn jetzt in einem Hau-Ruck-Verfahren Schulen, Kitas und Horte flächendeckend geschlossen werden, ist für uns als Kinderrechtsorganisation eine ,rote Linie‘ überschritten. Wir haben bereits im Frühjahr beobachten können, dass gerade Kinder mit besonderen Förderbedarfen oder Kinder aus armen Verhältnissen zu den großen Verlierern und Verliererinnen der Schul- und Kitaschließungen geworden sind. Auch deshalb muss aus bildungspolitischer und kinderrechtlicher Sicht eine erneute flächendeckende Schließung mit aller Kraft verhindert werden. Zudem ist davon auszugehen, dass aufgrund der erhöhten Konflikt- und Stresssituationen, die komplette Schul- und Kitaschließungen in vielen Familien auslösen, die Gewalt gegen Kinder zunehmen wird. Hier sind Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe für den Kinderschutz unerlässlich“, so Hofmann weiter.

Eine vor kurzem vom Deutschen Kinderhilfswerk veröffentlichte repräsentative Umfrage hatte ergeben, dass 72 Prozent der Befragten der Ansicht sind, dass die Interessen von Kindern in der Corona-Pandemie nur unzureichend berücksichtigt wurden und werden. In Bezug auf die Bildungschancen von Kindern waren 76 Prozent der Ansicht, dass diese aufgrund der Corona-Krise im Allgemeinen gesunken sind, in Bezug auf die Bildungschancen von Kindern aus armen Haushalten meinten das sogar 81 Prozent. Eindeutig waren auch die Aussagen zum Thema Gewalt gegen Kinder: 79 Prozent waren überzeugt, dass im Rahmen der Corona-Pandemie Gewalt gegen Kinder gestiegen ist.

Quelle: Pressemitteilung DKHW