Gewaltfreie Erziehung im Gesetz: Die Schweiz zieht nach

Die Schweiz plant ein Gesetz zur gewaltfreien Erziehung – ein Blick nach Deutschland, Österreich und andere Länder zeigt, welche Wirkung klare Regeln entfalten können

Die Schweiz steht kurz vor einer gesetzlichen Verankerung des Prinzips der gewaltfreien Erziehung.  Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats (RK-S) sprach sich mit überwältigender Mehrheit dafür aus, das Recht auf gewaltfreie Erziehung klar im Zivilgesetzbuch (ZGB) zu verankern. Nun liegt der Entwurf beim Ständerat in der Herbstsession.

Schweiz: Ein klares Signal im Zivilgesetzbuch

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats (RK-S) hat sich für eine Gesetzesänderung ausgesprochen, die das Prinzip der gewaltfreien Erziehung ausdrücklich ins Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) aufnehmen soll. Künftig soll unmissverständlich gelten: Gewalt – körperlich wie seelisch – ist in der Erziehung unzulässig. Damit folgt die Schweiz einem Weg, den viele europäische Länder bereits gegangen sind.

Studien verdeutlichen den Handlungsbedarf: Rund 40 % der Schweizer Eltern gaben an, schon einmal körperliche Gewalt angewendet zu haben, ein Viertel der Kinder erlebt regelmäßig psychische Gewalt. Mit der neuen Norm will der Gesetzgeber nicht primär bestrafen, sondern ein Bewusstsein schaffen und so Prävention stärken.

Deutschland: Bewusstseinswandel seit 2000

Deutschland verankerte 2000 das „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ im Bürgerlichen Gesetzbuch. Innerhalb von 25 Jahren hat sich dadurch viel verändert: Während Anfang der 2000er Jahre noch die Mehrheit einen „Klaps“ für harmlos hielt, ist die Zustimmung heute auf rund ein Drittel gesunken. Noch drastischer: Nur noch etwa fünf Prozent finden eine „Tracht Prügel“ akzeptabel.

Parallel haben Schulen und Kitas zahlreiche Programme zur Gewaltprävention und Wertebildung eingeführt. Bekannte Beispiele sind „Faustlos“, ein Curriculum zur Förderung von Empathie und Impulskontrolle, oder „Klasse2000“, das Kindern in Grundschulen gesundheitsförderliche Lebensweisen vermittelt – inklusive gewaltfreier Konfliktlösung. Solche Programme zeigen, dass Gesetze ihre Wirkung vor allem dann entfalten, wenn pädagogische Praxis anschließt.

Österreich: Früher Schritt, langsamer Wandel

Österreich hat Gewalt in der Erziehung bereits 1989 gesetzlich verboten – und später sogar in der Bundesverfassung über Kinderrechte abgesichert. Doch der gesellschaftliche Wandel verlief langsamer: Noch 2019 kannten nur 63 % der Eltern das Verbot, und psychische Gewalt wurde oft nicht als solche wahrgenommen.
Inzwischen fördern Initiativen wie „Starke Eltern – starke Kinder“ oder das Kinderschutz-Zentrum Wien Aufklärung und Elternbildung. Auch hier zeigt sich: Gesetzgebung allein reicht nicht – sie muss durch kontinuierliche pädagogische Arbeit begleitet werden.

Schweden: Pionier mit Vorbildfunktion

Schweden war 1979 das erste Land der Welt, das ein ausdrückliches Verbot von Körperstrafen in der Erziehung einführte. Dort hat sich über Jahrzehnte ein neues gesellschaftliches Verständnis entwickelt: Körperliche Gewalt wird kaum noch akzeptiert, und Kinderrechte haben einen hohen Stellenwert. Die Erfahrung zeigt: Der Weg zu einer gewaltfreien Kultur ist langfristig, aber möglich.

Internationale Perspektive

Heute haben über 65 Länder weltweit ein gesetzliches Verbot körperlicher Strafen in der Erziehung eingeführt – darunter auch Frankreich, Irland und Spanien. Andere, wie die USA, kennen kein landesweites Verbot: Dort sind körperliche Strafen im familiären Rahmen vielerorts weiterhin erlaubt. Die internationale Entwicklung zeigt: Rechtliche Rahmenbedingungen sind sehr unterschiedlich, und die Umsetzung hängt stark von kulturellen Traditionen und gesellschaftlichen Debatten ab.

Gernot Körner




Jedes 10. Schweizer Kind erhält Ohrfeigen

Studie offenbart Realität in Schweizer Kinderzimmern – Gewaltfreiheit noch nicht im Gesetz verankert

Laut der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat jedes Kind das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. In Deutschland wurde dies 2001 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert, in Österreich existiert das Gewaltverbot sogar schon seit 1989. In der Schweiz dagegen gibt es kein Verbot von Körperstrafen in der Erziehung. Dabei hatten auch die Eidgenossen im Jahre 1997 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert und sich verpflichtet, sie umzusetzen.

Studie der Universität Freiburg

Dass sollte das nun bald geschehen. Nachdem die Schweiz von internationalen Gremien bereits wegen „Untätigkeit“ gerügt wurde, hat der Schweizer Bundesrat im Sommer das Gewaltverbot angekündigt.

Eine aktuelle Studie der Universität Freiburg im gleichnamigen Schweizer Kanton unter 1.605 Schweizer Müttern und Vätern gibt nun Aufschluss über den Erziehungsalltag in den Familien. „160.000 Kinder haben Eltern, die Ohrfeigen“ titelt die Sonntagszeitung, der die Studie vorliegt. Während danach 62 Prozent der Eltern angeben, nie körperliche Gewalt einzusetzen, sind es immerhin 38 Prozent, die dies tun. Dazu gehören bei 10 Prozent der Mädchen und Jungen (160.000 Kinder) Ohrfeigen, Schläge auf den Hintern erhalten knapp 19 Prozent (etwa 300.000), kalt abgeduscht werden etwa 3 Prozent (48.000) und zwei Prozent (32.000 Kinder) erhalten Prügel mit Gegenständen. „Noch mehr Kinder und Jugendliche werden von ihren Eltern beschimpft, beleidigt, gedemütigt oder über längere Zeit ins Zimmer eingesperrt. Mehr als die Hälfte der Eltern, 60 Prozent, setzen solche Strafmaßnahmen ein.“, heißt es im Bericht der Sonntagszeitung.

Gewaltverbot: „gesetzliche Verankerung der anti-autoritären Hippie-Erziehung“

In das Schweizer Zivilgesetzbuch (ZGB) soll nun die Formulierung: Eltern haben das Kind „ohne Anwendung von körperlichen Bestrafungen und anderen Formen entwürdigender Gewalt zu erziehen“. Die Diskussion darüber wird seither recht emotional geführt: So hat laut einem Bericht der Schweizer Zeitung „20 Minuten“ unter anderem der Aargauer Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Andreas Glarner, das geplante Gesetz als „gesetzliche Verankerung der anti-autoritären Hippie-Erziehung“ bezeichnet.

Die SVP ist mit 28,6 Prozent der am 22. Oktober 2023 abgegebenen Stimmen in der Schweiz die stärkste Partei und legt sogar drei Prozentpunkte zu.

Gewaltverbot im Gesetz sorgt nicht für Gewaltverzicht in der Erziehung

Das Gewaltverbot im Gesetz bedeutet eine gesellschaftliche Ächtung von Gewalt in der Erziehung. Verhindern kann es sie nicht. Das belegen zahlreiche Studien weltweit. Erst 2020 zeigte eine breit angelegte Studie von UNICEF zum Tag der Kinderrechte, dass noch immer jeder sechste Deutsche Ohrfeigen in der Erziehung für angebracht hält. Jeder zweite meint, dass ein Klaps auf den Po noch keinem Kind geschadet habe. In Österreich zeigt sich zwar ein besseres Bild. Aber auch hier halten viele Gewalt noch für ein probates Erziehungsmittel: Laut einer Studie des Gallup-Instituts von 2020 hält noch immer jeder fünfte Österreicher leichte körperliche Strafen nicht für bedenklich und etwa gleich viele sehen drastischere Maßnahmen als notwendige Erziehungsmittel. Insofern scheinen die alltäglichen Verhältnisse in der Schweiz zumindest noch besser als in Deutschland zu sein.

Dabei wird in allen drei Ländern Gewalt nach wie vor primär mit körperlicher Gewalt in Verbindung gebracht. Andere Formen der Gewalt werden oftmals bagatellisiert.

Gernot Körner




Was Unternehmen über Kinderrechte wissen

UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein veröffentlichen Studie

Kinderarbeit, die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Kindern in Geschäftslokalitäten und Veranstaltungen – dies sind die Kinderrechtsthemen, welche für die teilnehmenden Unternehmen der eben veröffentlichten Studie von UNICEF Schweiz und Liechtenstein und dem UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein besonders relevant sind.

Was wissen Unternehmen über Kinderrechte?

UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein haben eben die Studie «Addressing Children’s Rights in Business – An Assessment from Switzerland and Liechtenstein» veröffentlicht. Diese Grundlagenstudie untersuchte, welche Kenntnisse Unternehmen hinsichtlich der Kinderrechte haben, wie Kinderrechte in ihren täglichen Aktivitäten und unternehmenseigenen Richtlinien berücksichtigt und verankert sind, und welchen Herausforderungen Unternehmen bezüglich Kinderrechten gegenüberstehen. Darüber hinaus soll die Studie eine Grundlage für die künftige Arbeit von Unternehmen, der Zivilgesellschaft, der Politik sowie der Verwaltung im Bereich Unternehmensverantwortung für Kinderrechte schaffen.

Reduktion auf Bekämfpung von Kinderarbeit

Die aktuelle Studie verdeutlicht die vielfältigen Auswirkungen von Unternehmen auf Kinder und ihre Rechte – sowohl in ihren Lieferketten wie auch in ihren eigenen Geschäftstätigkeiten in der Schweiz und in Liechtenstein. Besonders auffällig ist, dass sich Unternehmen der Breite der Kinderrechtsthemen, die für sie möglicherweise relevant sind, meist nicht bewusst sind. Vielmehr reduzieren sie Kinderrechte in der Wertschöpfungskette auf die Bekämpfung von Kinderarbeit.

In ihren eigenen Geschäftsprinzipien spielen zudem Produktsicherheit und die Sicherheit von Kindern in den eigenen Geschäftseinrichtungen und Veranstaltungen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus machen die meisten untersuchten Unternehmen keine Verbindung zu weiteren kinderrechtsrelevanten Engagements, wie etwa im Umweltbereich oder zur Familienfreundlichkeit. Viele Unternehmen engagieren sich philanthropisch in mehreren Bereichen, die Kinderrechte tangieren, wie Bildung oder Gesundheitsversorgung.

Impulse für Unternehmen schaffen

Die Wichtigkeit von verbindlichen Gesetzgebungen, welche die Kinderrechte umfassend berücksichtigen, wurde gleich an mehreren Stellen in der Studie hervorgehoben. Neue Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht schärfen das Bewusstsein von Unternehmen für Kinderrechte und schaffen Impulse für Unternehmen, sich verstärkt mit Kinderrechten auseinanderzusetzen. Gesetze schaffen für Unternehmen aber auch Rechtssicherheit mit verbindlichen Vorgaben, die sich gegen innen und nach aussen richten.

Die Studie wurde vom Geneva Center for Business and Human Rights und dem Centre for Children’s Rights Studies der Universität Genf verfasst. Die Resultate basieren auf einer Desk-Analyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten von 60 Unternehmen, einer Online-Umfrage mit 54 teilnehmenden Unternehmen sowie 15 Vertiefungsinterviews. 

Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Quelle: UNICEF Schweiz und Liechtenstein