Jedes zweite Kind unterschätzt Wassergefahren

Erste Ergebnisse der europaweiten ALFAC-Studie zeigen besorgniserregende Lücken im Risikobewusstsein – und starke Unterschiede nach Alter, Geschlecht und Herkunft

Knapp jedes zweite Kind in Deutschland unterschätzt Gefahren beim Schwimmen: 49 Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen erkennen riskante Situationen im Schwimmbad nicht, im Freiwasser sind es 44 Prozent. Besonders auffällig: Jungen nehmen Risiken deutlich seltener wahr als Mädchen. Diese ersten Ergebnisse stammen aus dem laufenden EU-Projekt „Aquatic Literacy for all Children (ALFAC)“, das die Schwimmfähigkeit von Kindern europaweit untersucht.

Mit dem Alter steigt die Schwimmkompetenz

Insgesamt zeigen die Daten: Mit zunehmendem Alter steigt die Schwimmkompetenz, sowohl bei grundlegenden Fertigkeiten wie Tauchen, Atmen und Schweben als auch bei komplexeren Aufgaben wie einem Schwimmparcours. Kinder ohne grundlegende Schwimmfähigkeit haben Schwierigkeiten beim Tauchen, meiden den Fußsprung ins Wasser und können sich schlechter eigenständig aus dem Wasser befreien.

Zugleich sind Kinder aller Altersgruppen hoch motiviert, schwimmen zu lernen. Ältere Kinder berichten über ein höheres Selbstbewusstsein im Wasser als jüngere.

Schwimmen lernen ist Familiensache – aber nicht nur

Ein Drittel der Schwimmkompetenz bei jüngeren Kindern lässt sich durch familiäre Faktoren wie den Bildungsstand der Eltern, deren eigene Schwimmfähigkeit und den sozioökonomischen Status erklären. Bei älteren Kindern nimmt dieser Einfluss ab. Das unterstreicht die Bedeutung früher Förderung – aber auch den möglichen Ausgleich durch strukturierte Schwimmlernangebote in Schule und Verein.

So wurde die Studie durchgeführt

Die ALFAC-Studie erhebt Daten zur motorischen, kognitiven und psychosozialen Schwimmfähigkeit von Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren. Dabei werden nicht nur technische Fähigkeiten wie Tauchen, Schweben und Fortbewegung getestet, sondern auch Aspekte wie Motivation, Selbstvertrauen und Risikobewusstsein im Wasser.

Ergänzt werden diese Analysen durch Befragungen zu familiärem Hintergrund und Herkunft. Getestet wird in Schwimmparcours und standardisierten Übungen.

Internationale Zusammenarbeit für mehr Wassersicherheit

Das Erasmus+-Projekt „Aquatic Literacy for all Children (ALFAC)“ wird in Deutschland, Belgien, Frankreich, Litauen, Norwegen, Polen und Portugal durchgeführt. Die deutschen Erhebungen finden in Köln, Kassel und Flensburg statt.

Beteiligt sind unter anderem:

  • Dr. Sebastian Fischer (Universität Kassel)
  • Dr. Ilka Staub und Prof. Dr. Tobias Vogt (Deutsche Sporthochschule Köln, Projektleitung)
  • Dr. Nele Schlapkohl und Sarah Schmidt (Europa-Universität Flensburg)

Die abschließenden europaweiten Ergebnisse werden im Herbst 2025 in Brüssel vorgestellt. Mehr dazu unter: https://dshs-koeln.sciebo.de/s/CDlpHwDgXg2JRId

Quelle: Pressemitteilung Universität Kassel




Schwimmunterricht auf dem Prüfstand: Was Kindern wirklich Sicherheit gibt

Internationale Studie zeigt: Deutsche Kinder bewegen sich vergleichsweise souverän im Wasser – dennoch gibt es Handlungsbedarf im Schulschwimmen

Kinder in Deutschland verfügen im europäischen Vergleich über solide schwimmerische Grundlagen und zeigen auch bei komplexeren Anforderungen ein gutes Maß an Wassersouveränität. Das zeigen erste Ergebnisse der internationalen ALFAC-Studie (Aquatic Literacy For All Children), die nun von der Europa-Universität Flensburg, der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität Kassel veröffentlicht wurden. Besonders beim Schweben, Tauchen, Springen und Atmen schnitten viele Kinder gut ab – auch bei Übungen in Kleidung und unter erschwerten Bedingungen.

Allerdings zeigt sich europaweit ein deutliches Defizit beim (Unter-)Tauchen, beim mutigen Springen ins Wasser sowie bei der Einschätzung von Gefahrensituationen. Viele Kinder wählen lieber einfache Wege beim Ein- und Ausstieg und vermeiden riskantere, aber realistischere Alltagssituationen im Wasser.

Stärkere Ausrichtung des Schwimmunterrichts auf Wassersicherheit empfohlen

Die Studienergebnisse geben laut Projektleiterin Dr. Nele Schlapkohl von der Europa-Universität Flensburg wichtige Impulse für die Weiterentwicklung des Schwimmunterrichts. Nicht allein die Technik, sondern vor allem Sicherheit und Selbstvertrauen im Wasser sollten künftig stärker in den Fokus rücken – sowohl im Schulunterricht als auch im Vereinssport.

Ein ganzheitlich verstandener Schwimmunterricht, der auch das Erkennen und Einschätzen von Gefahrensituationen fördert, trägt nicht nur zur Unfallprävention, sondern auch zur Stärkung der Selbstwirksamkeit von Kindern bei. So lernen sie, sich nicht nur sicher zu bewegen, sondern ihre Umwelt auch aktiv mitzugestalten – sei es beim Schwimmbadausflug, beim Schulsport oder beim Familienurlaub am Meer.

Aquatic Literacy als Basis für kindgerechte Schwimmförderung

Das zugrunde liegende Konzept der Aquatic Literacy beschreibt umfassend die Fähigkeiten, die Kinder benötigen, um sich sicher, eigenständig und reflektiert im Wasser zu bewegen. In der Studie wurden Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren europaweit untersucht. Ziel war es, die Effektivität verschiedener nationaler Schwimmausbildungen zu vergleichen und daraus konkrete Empfehlungen für den Schwimmunterricht abzuleiten.

Gerade für ein Land wie Deutschland – mit vielen Seen, Flüssen und der Nähe zur Nord- und Ostsee – ist eine fundierte Wassersicherheit essenziell. Die Erkenntnisse aus der Studie sollen künftig in die Ausbildung von Sportlehrkräften und die Gestaltung eines praxisnahen, kindgerechten Schwimmunterrichts einfließen. Ein sicherer Schwimmunterricht beginnt nicht mit der Kraultechnik, sondern mit dem Vertrauen ins eigene Können, dem Erkennen von Risiken und dem spielerischen Üben realitätsnaher Situationen. Mit einem ganzheitlichen Verständnis von Schwimmfähigkeit lässt sich nicht nur die Zahl der Badeunfälle verringern – sondern auch die Freude und Teilhabe von Kindern an sportlichen und alltäglichen Aktivitäten im Wasser stärken.

Gernot Körner