Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen

Studie zu einem gesellschaftlichen Tabu soll Wissenslücken schließen

Bei sexuellem Kindesmissbrauch wird in der Regel von männlichen Tätern ausgegangen. Dass auch Frauen ein sexuelles Interesse an Kindern haben können und sexualisierte Gewalt ausüben können, ist ein gesellschaftliches Tabu. Auch in der Wissenschaft und der klinischen Praxis wurde dieses Thema bisher kaum beachtet. Dies führt zu einem Mangel an Wissen, welches für die Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs und die Versorgung betroffener Menschen dringend notwendig ist.

Anonyme Online-Studie

Ein Forschungsprojekt des Instituts für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), das mit Mitteln der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs finanziert wurde, will die Wissenslücken schließen. Im Rahmen einer ersten anonymen Online-Studie wurden Personen befragt, die sexualisierte Gewalt durch eine Frau erlebt haben. Eine zweite anonyme Online-Studie richtete sich an Frauen mit einem sexuellen Interesse an Kindern. Darüber hinaus wurden vertrauliche Anhörungen und schriftliche Berichte von betroffenen Personen ausgewertet, die sich an die Aufarbeitungskommission gewandt hatten.

Oft mehrjäriges Martyrium

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen auf, dass auch Frauen sexualisierte Gewalt an Kindern ausüben. Die Mehrheit der Personen, die von sexuellem Kindesmissbrauch durch Frauen betroffen sind, berichtete davon, dass die sexualisierte Gewalt in der frühen Kindheit begann und über mehrere Jahre andauerte. Häufig wurde die Gewalt von Personen aus dem Familienkreis der Betroffenen ausgeübt. In den meisten Fällen war die eigene Mutter die Täterin. Die beschriebenen sexuellen Handlungen zeigen eine große Bandbreite, die bis hin zu schwerer sexualisierter Gewalt im Kontext der organisierten Kriminalität reicht. 

Strategien und Typen von Täterinnen

In dem Forschungsprojekt wurden durch Auswertungen der Berichte an die Aufarbeitungskommission auch Strategien und Typen von Täterinnen im Kontext sexualisierter Gewalt an Kindern untersucht. Es zeigten sich vier Typen: die sadistische Täterin, die ein starkes Ausmaß an Gewaltanwendung zeigt, die sogenannte parentifizierende Täterin, die in den betroffenen Kindern und Jugendlichen einen Ersatz für erwachsene Sexualpartnerinnen und -partner sieht, die vermittelnde Täterin, die betroffene Kinder dritten Tatpersonen zuführt, und die instruierende Täterin, die oft im Kontext von organisierten Gewaltstrukturen auftritt.

Taten sind oft schwerer zu erkennen

„Die Auswertungen ergaben auch, dass sexualisierte Gewalt durch weibliche Täterinnen für Betroffene und das Umfeld schwerer zu erkennen ist als sexualisierte Gewalt durch männliche Täter. Es wird bei Täterinnen zum Beispiel eine subtilere Vorgehensweise und mehr psychische Manipulation berichtet. Aufgrund der starken Tabuisierung fällt Betroffenen das Sprechen über die sexualisierte Gewalt durch eine Frau besonders schwer – das Vertrauen ist stärker erschüttert und Schamgefühle werden stärker empfunden als bei sexualisierter Gewalt durch einen Mann. Ein großer Teil der Betroffenen gab auch an, dass sexualisierte Gewalt durch Frauen allgemein weniger ernst genommen werde als durch männliche Tatpersonen.“, so Prof. Dr. Johanna Schröder, Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie des UKE. Viele der Betroffenen leiden unter posttraumatischen Belastungssymptomen. Die psychischen Folgen des sexuellen Kindesmissbrauchs werden zudem durch Stigmatisierungsprozesse verstärkt.

Hinweise auf die Diagnose auf eine pädophile Störung

Das Forschungsprojekt liefert erstmals auch Daten über Frauen, die ein sexuelles Interesse an Kindern und/oder Jugendlichen haben. Die Mehrheit der befragten Frauen fühlte sich sexuell gleichermaßen zu männlichen und weiblichen Personen hingezogen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen zeigt Hinweise auf die Diagnose einer pädophilen Störung. Allerdings gaben die wenigsten Frauen an, dass ihr sexuelles Interesse auf Kinder begrenzt ist. Bei der Mehrzahl der Frauen besteht eine geringe Motivation, ihr sexuelles Interesse an Kindern zu ändern. Ein Teil hat aufgrund ihres sexuellen Interesses an Kindern bereits professionelle Hilfe gesucht.

Empfehlungen für weitere Forschung

Aus den Erkenntnissen des Forschungsprojekts ergeben sich Empfehlungen für die weitere Forschung, Prävention und Versorgung. „Um Kinder auch vor sexualisierter Gewalt durch Frauen besser schützen und Betroffene bedarfsgerecht versorgen zu können, muss daher an erster Stelle die Tabuisierung des Themas beendet werden. Dies kann durch weiteres Wissen aus der Forschung, durch Aufklärung der Öffentlichkeit und durch Fortbildung von Fachpersonen aus pädagogischen, psychosozialen und medizinischen Einrichtungen sowie bei der Polizei und in der Justiz gelingen“, ergänzt Dr. Safiye Tozdan, Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie des UKE.

Das Forschungsteam

Das Forschungsprojekt startete am 1. Januar 2020 und endete am 30. Juni 2021. Es wurde am Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt. Dem Projektteam gehörten Prof. Dr. Johanna Schröder, Dr. Safiye Tozdan, Tanita Gebhardt, Janne Hübner, Yasemin Yamak und Prof. Dr. Peer Briken an. Das Forschungsprojekt wurde mit Mitteln der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs finanziert. Weitere Ergebnisse aus dem Projekt werden in Fachartikeln veröffentlicht.

Download: Zusammenfassung der Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen“

Quelle: Pressemitteilung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs




„Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch“ relauncht

Vereinfachte Suchfunktionen, neue Angebote und mehr Informationen

Unter dem Motto „Hilfe suchen, Hilfe finden“ startet das neue Hilfe-Portal www.hilfe-portal-missbrauch.de. Hier finden Betroffene, Angehörige und Fachkräfte einen schnellen Zugang zu Hilfe und Beratung. Auch Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen oder Fragen zum Thema haben, erhalten hier Unterstützung.

Johannes-Wilhelm Rörig ist der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Zum Relaunch des neuen Hilfeportals erklärt er: „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche betrifft die gesamte Gesellschaft. Es gibt sie überall. Meist findet sie im sozialen Nahfeld statt, dort wo sie niemand vermuten möchte: in Familien, in der Nachbarschaft, im Sportverein oder online. Betroffene und ihr Umfeld brauchen dann schnellzugängliche und passgenaue Unterstützung. Doch der Weg in die Beratung oder Therapie ist nicht immer einfach und kann zusätzlich belasten. Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch unterstützt dabei, Hilfeangebote in der Region zu finden, und bietet viele Informationen für alle, die mehr zum Thema wissen möchten. Wer Hilfe sucht, muss auch Hilfe finden können. Genau das ist das Ziel des neuen Hilfe-Portals.“

Portal lotst Nutzerinnen und Nutzer deutschlandweit zu passenden Hilfeangeboten

Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch lotst die Nutzerinnen und Nutzer je nach Anliegen über eine deutschlandweite Datenbank zu passenden Unterstützungs- und Hilfeangeboten – beispielsweise zu spezialisierten Beratungsstellen, Krisendiensten, Psychotherapie oder Anwältinnen und Anwälte. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, sich von Beraterinnen und Beratern des Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch unter Tel. 0800 22 55 530 anonym telefonisch oder auch online beraten zu lassen: www.hilfe-telefon-missbrauch.de oder www.hilfe-telefon-missbrauch.online.

Trägerschaft des Hilfe-Telefons

Das Hilfe-Telefon und die dazugehörige Online-Beratung stehen unter der Trägerschaft von N.I.N.A. e.V. (Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen). Die Berater*innen am Hilfe-Telefon und in der Online-Beratung sind psychologisch und pädagogisch ausgebildete Fachkräfte, die die Ratsuchenden vertraulich und kostenfrei beraten und bereits seit vielen Jahren im Themenfeld des sexuellen Kindesmissbrauchs tätig sind.

Das neue Hilfeportal bündelt die Angebote

Silke Noack, Leiterin Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: „Wir wünschen uns, dass Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen oder selbst von sexualisierter Gewalt in der Kindheit betroffen waren, beim Hilfe-Telefon anrufen. Vielen Menschen fällt es jedoch leichter, zunächst eine Nachricht zu schreiben. Deshalb haben wir beim Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch unsere Online-Beratung ausgebaut. Das neue Hilfe-Portal bündelt unsere Angebote und macht sie leichter zugänglich. Wir möchten, dass alle Menschen wissen, dass es Hilfe gibt, und dass sie diese Hilfe für sich in Anspruch nehmen.“

Informationen und persönliche Geschichten erleichtern den Weg zur Hilfe

„Was ist sexueller Missbrauch?“ „Woran erkenne ich ihn?“ „Wo kann ich Unterstützung finden?“ – Die neue Rubrik „Fragen und Antworten“ bieten einen ersten Einstieg in das Thema. Wer noch nicht weiß, welches Hilfeangebot passen könnte, findet unter „Wissenswertes“ einen Überblick zu den Themen Hilfe in Krisen, Beratung, Therapie, finanzielle Hilfen, Recht, Prävention und Selbsthilfe sowie zu organisierter, sexualisierter und ritueller Gewalt. In den „Geschichten, die Mut machen“ berichten Betroffene und Helfende in Interviews von ihren persönlichen Erfahrungen. Sie sprechen darüber, was ihnen geholfen hat, wie sie anderen helfen – und natürlich, was ihnen Mut macht.

Der Relaunch wurde neben dem Team von N.I.N.A. begleitet von Fachkräften aus Wissenschaft und Praxis, aus Beratungsstellen, aus der Psychotherapie und dem Themenfeld Migration und Inklusion sowie vom Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten, der bei der Entwicklung uns Ausrichtung maßgeblich beteiligt war.

Betroffenenrat bei Entwicklung beteiligt

Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten: „Betroffene und Helfende sind meist in einer Ausnahmesituation. Langes Suchen nach Hilfe oder das Durchforsten verschiedener Internetseiten sind dabei oft große Hürden. Bereits in der Vergangenheit bot das Hilfe-Portal umfangreiche Informationen rund um das Thema sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend und ermöglichte über die Suchfunktion ein schnelles Finden von spezialisierten Angeboten. Dass jetzt mit dem Relaunch der Zugang noch niedrigschwelliger und Informationen umfassender sind, ist ein großer Gewinn für Betroffene, Unterstützer*innen und Interessierte.“

Mehr dazu unter: www.hilfe-portal-missbrauch.de

Quelle: Pressemitteilung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs