Gefühl bis in die Fingerspitzen

Balancieren

Lernen über die Sinne

Wir lernen über unsere Sinne. Sie ermöglichen es, die für alle Erfahrungen nötigen Eindrücke von Umwelt und eigenem Körper wahrzunehmen und zu verarbeiten. Schon im Mutterleib reagiert der Fötus auf Außenreize, vor allem durch den taktilen Hautreiz und durch das vestibuläre System, das über Lage und Druckverhältnisse Auskunft gibt. Diesen Sinnesempfindungen in der ersten Lebensphase wird eine entscheidende Bedeutung, nicht nur für den sensorischen, sondern auch für den kognitiven und sozial-emotionalen Bereich, zugeschrieben.

Motorische Aktivitäten sind Voraussetzung für Sinnesreize

Um die Sinnesreize aufzunehmen und ohne Störungen zu speichern, sind motorische Aktivitäten unersetzliche Bedingung. Ein Kind ist von Anfang an bewegungsfreudig. Es untersucht ganzheitlich, mit all seinen Sinnen und körperlichen Möglichkeiten die Umwelt, differenziert sie und erschließt sie sich im Laufe seiner Entwicklung. Kindliche Bewegungen sind am Anfang ungenau und unkoordiniert. Sie werden erst im Zuge der Entwicklung und durch ständiges Üben sparsam und genau, also ökonomisch und präzise.

Im Vorschulbereich lässt sich die Bedeutung für die Entwicklung an vier Faktoren deutlich machen:

a ) aus biologischer Sicht, also für den Muskel- und Skelettapparat, liegen im Alter von 3 bis 6 Jahren wichtige Wachstums- und Entwicklungsabschnitte, die durch Bewegungsschulung entscheidend beeinflusst werden können.

b ) auf psychologischer Ebene sind die Wechselwirkungen des Körperlich-Motorischen mit dem Geistig-Seelischen sicherlich unzweifelhaft. Bewegungsgeschickte Kinder können sich besser in ihrer Umwelt zurechtfinden, was sich wiederum positiv auf das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein auswirkt.

c ) die kognitive oder intellektuell geistige Entwicklung wird entscheidend über frühere Bewegungserfahrungen gesteuert. Nur in der mtorischen Auseinandersetzung mit der Umwelt können sich geistige, also Denkentwicklungen vollziehen.

d ) auch die soziale Entwicklung ist nicht unabhängig von der motorischen. Motorisch ungeschickte Kinder haben in der Kinder- und Erwachsenenwelt mehr Schwierigkeiten, sie stoßen eher auf Ablehnung und dies wiederum wirkt sich negativ auf die motorische Entwicklung aus, da das Kind wichtige neue Bewegungsanregungen, zum Beispiel durch das Gruppenspiel und die aktive Auseinandersetzung mit seiner Umwelt nur schwerlich und unzureichend erfährt.

Stetiges Wiederholen und Ausprobieren

Wir brauchen also grundsätzlich Wahrnehmungsfähigkeiten und koordinative Leistungen für das Erlernen von Bewegungen. Für beide Teile sind Wachstum und Reifung wesentlich, jedoch ebenso wichtig ist das Einüben und beständige Wiederholen und Ausprobieren dieser Fähigkeiten. Das Vorschulalter nimmt hier als frühes Lernalter eine wichtige Stellung ein, damit solche Bewegungserfahrungen gemacht werden können.

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“

Gelingt es in dieser frühen Phase vielfältige Anreize zu geben und so eine ganzheitliche, sinnvolle und sinnenvolle Basis zu schaffen, ist dies eine gute Voraussetzung für jedes Kind, sich den zukünftigen Aufgaben und Anforderungen, nicht nur für das Bewegungslernen, gewachsen zu fühlen.

Dies gilt zunächst für den Schritt ins Schulleben. Die ungewohnt vielen kognitiven Leistungen, die Konzentration und Kooperation sind deutlich leichter zu bewältigen, wenn man sich in seinem und mit seinem Körper wohl fühlt und Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und das Können oder die Bereitschaft hat, gerne diese vielen neuen Herausforderungen zu meistern.

GLEICHGEWICHT (Fähigkeit) BALANCIEREN (Tätigkeit)

seiltanz

Ist es nicht beeindruckend, wenn sich Seiltänzer scheinbar mühelos auf dem dünnen Drahtseil bewegen und dabei noch Kunststücke vorführen, oder wenn Artisten sich und unterschiedliche Geräte ausbalancieren? Geschicklichkeit alleine reicht für diese „hohe Kunst“ nicht aus. Ein besonderes Maß an Gleichgewichtsvermögen kommt hinzu.

Aber nicht nur Artisten sind bei ihrer Arbeit auf diese Fähigkeit angewiesen. Auch in der Alltagsmotorik spielt das Gleichgewicht eine wesentliche Rolle. Wir nutzen die Gleichgewichtssicherung im Stand und in der Fortbewegung, um uns gegen die Schwerkraft aufzurichten. Selbst ungemütliche, unsichere und kippelige Haltungen können wir einnehmen, ohne umzufallen. Das erfordert komplexe motorische und sensorische Leistungen, die zum einen durch Entwicklung und Reifung des Menschen entstehen, zum anderen aber durch vieles und abwechslungsreiches Üben erlernt werden. Das Gleichgewicht kann auf sehr verschiedene Arten erfahren werden. Wir können einen Gegenstand oder unseren Körper im Gleichgewicht halten, wobei der Körper sich dabei in einer bestimmten Position befinden kann oder aber bewegt wird. Dementsprechend unterscheidet die Fachliteratur das Objektgleichgewicht (wie es beim Jonglieren mit Bällen erforderlich ist), das statische Körpergleichgewicht (etwa auf einem Bein oder im Handstand stehen) und das dynamische Gleichgewicht (zum Beispiel über ein Seil balancieren). Hierbei kann die Unterstützungsfläche, z. B. der Boden oder das Balanciergerät, wie die umgedrehte Bank, feststehen. Dann spricht man von stabilen Unterstützungsflächen. „Wackelt“ die Unterstützungsfläche wie beim Wackelteller, dann wird sie als labil bezeichnet.

Alle drei vorgestellten Teilfähigkeiten sollten beim Spielen und Üben mit den Kindern berücksichtigt werden.

Generell sollte darauf geachtet werden, dass barfuß geübt wird, damit die Fußmuskulatur beim Halten des Gleichgewichts und Erspüren des Untergrunds eingesetzt werden kann. Außerdem sollte der methodische Leitsatz „vom Leichten zum Schweren“ beachtet werden. Das bedeutet in diesem Fall: von breiten zu schmalen und von niedrigen zu hohen Balanciergeräten.

DER ZAUBERER GEHT UM

Alle Kinder laufen durch den Raum. Der Zauberer (Spielleiter) gibt den Hinweis, sich sehr achtsam und aufmerksam zu bewegen, um ein Zusammenprallen mit anderen Kindern zu vermeiden. (Hierbei wird gleichzeitig die räumliche Orientierungsfähigkeit angesprochen!) Bei einer vorher fest gelegten „Zauberformel“ bleiben die Kinder sofort bewegungslos stehen, wie „verzaubert“, und zwar in der Position, in der sie sich gerade befinden. Zauberformeln sind entweder akustische Signale, wie eine Rassel oder Handtrommel (womit auch die gesamten Laufbewegungen der Kinder begleitet werden können) oder optische Signale, wie Farbkarten oder Handzeichen. Es kann natürlich auch ein „echter“ Zauberspruch gesprochen werden. Nach einigen Sekunden wird der „Zauber“ durch ein vorbestimmtes Signal von den Kindern genommen und das Spiel kann weitergehen.

Der Zauberer gibt Bewegungen und Haltungen vor, die von den Kindernausgeführt werden. Dies können Bewegungsarten sein, wie:

  • vorwärts, rückwärts und seitwärts laufen, hüpfen, federn,
  • laut und leise laufen, schnell und langsam laufen, schleichen,
  • auf allen Vieren krabbeln oder ähnliches.

Andere „Verzauberungen“ (eingefrorene Positionen) sind eher statisch, wie:

  • auf einem Bein stehen,
  • im Hochzehenstand verharren,
  • in der Hocke kauern,
  • mit beiden Händen den Boden berühren,
  • mit einer Hand und einem Fuß Bodenberührung haben,
  • sich hinsetzen oder hinlegen,
  • ein Knie zum Ellbogen führen oder desgleichen mehr.

Als „Herr aller Tiere“ kann der Zauberer die Kinder in bekannte Tiere verwandeln, die dann in Bewegungen und Geräuschen nachgeahmt werden müssen. Diese Variante schult eher andere Teilaspekte der Koordination als unbedingt das Gleichgewicht, ist aber immer eine willkommene Abwechslung.

JONGLEURE UND AKROBATEN

geraete

Zum Balancieren eignen sich ziemlich viele Geräte und Materialien. Sehr einfach ist es, einen Luftballon auf der Hand zu balancieren. Schwieriger wird es, wenn er auf dem Handrücken, dem Arm, der Schulter, der Stirn, dem Kinn, dem Knie, dem Fuß, auf einem Finger oder gar auf der Nasenspitze balanciert werden soll.

Ebenso können verschieden große Bälle, Papprollen, Sandsäckchen, Tannenzapfen, Tücher, Plastikteile balanciert werden. Mit Stäben oder Doppelklöppeln wird es noch schwieriger.

Dazu kann noch eine Fortbewegung oder eine bestimmte Haltung angegeben werden, etwa sich während des Balancierens hinsetzen oder drehen, auf einem Bein stehen oder einem anderen Kind die Hand geben …

IM LAND DER SPUREN

Der zur Verfügung stehende Raum wird zum „Spurenland“. Dazu verwandeln sich seine vorhandenen Linien oder Geräte zu Balanciermöglichkeiten.

Bodenmarkierungen oder Linien im Raum, vielleicht auch Spielfeldabgrenzungen, bieten einfache Balancieranregungen. Sollten diese nicht vorhanden sein, sind sie schnell durch Kreidestriche oder ­dünne Seilchen herzustellen.

Seilchen eignen sich besonders, da sich damit nicht nur gerade Linien legen lassen, sondern die Kinder können Fantasiegebilde (Kreise, Achten, Schnecken, Dreiecke u. s. w.) formen und diese neuen Spuren zum Balancieren nutzen.

Mit den bei der Übung „Der Zauberer geht um“ (vgl. S. 24) genannten Bewegungsformen ist das Spurenland auf leichtere oder schwerere Art zu durchforschen.

Weitere Balanciergeräte wie Reifen, lange Teppichbodenstreifen, zusammengefaltete Wolldecken oder andere Materialien machen den Spurentanz noch spannender. Dabei muss nur darauf geachtet werden, dass die Kinder nicht ausrutschen oder sich verletzen können.

In einer Spielphase sollte das Balancieren mit geschlossenen Augen unbedingt eingebaut werden. Es mobilisiert alle anderen Sinne in erhöhtem Maße und lässt die Füße viel bewusster den Untergrund erspüren. Selbst einmal ausprobieren, es ist gar nicht so einfach!

SEILTÄNZER UND CO.

Während des Balancierens können weitere Anreize gegeben werden, die den Spaß und die Ausdauer beim Üben erhöhen. Hierfür einige Beispiele: Auf ein Zeichen nehmen die Kinder bestimmte Positionen ein.

Damit wird dann gleichzeitig das statische Gleichgewicht gefördert (vgl. Zaubererspiel). Geübtere Kinder können zusätzlich Gegenstände balancieren, etwa einen Stab quer vor den Körper halten, wie es die „richtigen“ Seiltänzer vormachen. Sie können auch einen Ball, einen Luftballon, Tennisringe oder andere Gegenstände vor, hinter und neben dem Körper transportieren; schwierig wird es, wenn ein Ball mit beiden Händen über dem Kopf getragen wird oder ein Tischtennisball auf einer Zeitung mit beiden Händen gehalten wird. Weitere Ideen haben hier Platz.

Die Bewegungsaufgabe lässt sich auch verändern, indem „Hindernisse“ in den Weg gelegt werden. Dies können Bälle sein, die auf Tennisringen liegen, damit sie nicht unkontrolliert wegrollen, aber auch gehaltene Stäbe oder Reifen (waagerecht oder senkrecht gestellt), die zum Übersteigen / Unterdurchkriechen anregen.

BÄNKE, NICHT NUR ZUM SITZEN

All diese Ideen sind auch für das Balancieren auf Bänken geeignet. Zu Anfang wird die breite Seite genutzt, wenn die Kinder sicherer sind, sollten die Bänke umgedreht werden.

Doch zuerst einige kleine Spielideen. Sie eignen sich zum Erwärmen und Einstimmen, helfen aber auch zwischendurch, die Konzentration wieder auf das Balancieren zu lenken.

  • Möglichst viele Kinder sollen gemeinsam auf einer Bank stehen.

Es werden zwei Gruppen gebildet, jede hat eine Bank zur Verfügung (max. 8 Kinder an einer Bank).

  • Welche Gruppe kann am längsten auf der Bank stehen, ohne herunterzufallen? Dabei stehen die Kinder einmal hintereinander und einmal nebeneinander.
  • Können sie dann noch in die Hocke oder in den Hochzehenstand gehen, vielleicht sogar auf einem Bein stehen?

KLEINE STAFFELSPIELE

Größere und geübtere Kinder können auch einen Ball oder Luftballon von einem zum anderen geben. Es geht von vorn nach hinten über Kopf, durch die Beine, im Wechsel oder als Acht um den Körper. (Hierfür eventuell vorher um die Bänke kleine Turnmatten legen, damit das „Runterpurzeln“ nicht weh tut!)

PUDDING IN DEN BEINEN

Bisher ist das Spielen mit dem Gleichgewicht zwar immer schwieriger geworden, aber die Kinder hatten zumindest noch „festen“ Boden unter den Füßen. Dies ist bei den nachstehenden Beispielen nicht mehr der Fall. Aus der „stabilen Unterstützungsfläche“ des Bodens und der Geräte wird nun eine „labile“. Hier muss das Kind sein Gleichgewicht ständig neu herstellen. Das kann nur gelingen, wenn die Muskulatur jedes „Wackeln“ schnell ausgleicht. Es ist also neben dem Gespür und Gefühl für das Gleichgewicht auch eine intensive Muskelschulung.

kreisel

Die Wackelteller, Sport- oder Therapiekreisel werden häufig in der Haltungserziehung, zu therapeutischen Zwecken oder in der Psychomotorik eingesetzt: Aus der Physiomotorik kommen auch die Pedalos. Mittlerweile haben sie sich aber als Spielgerät im Kindergarten und in der Grundschule bewährt und sind aus einer abwechslungsreichen Bewegungsschulung nicht mehr wegzudenken. Die Pedalos gibt es in verschiedenen Ausführungen. Diejenigen, die nur zwei Rollen und schmale Stege haben, sind schwerer zu fahren als solche mit einem Fußbrett und vier Rollen. Dazu gibt es noch größere Geräte, die mehrere Kinder gleichzeitig befahren können.

Zunächst einige Ideen für die Sport- oder Therapiekreisel

Sie werden zuerst mit der flachen Seite auf den Boden gelegt und die Kinder versuchen, auf der runden Seite zu stehen.

Danach werden die Kreisel umgedreht, diese neue Herausforderung an die Gleichgewichtsfähigkeit kann zunächst im Sitzen ausprobiert werden. Dabei können im ersten Schritt die Füße am Boden Stabilität bieten, eine sinnvollere Aufgabe ist es, einen Fuß oder beide Füße vom Boden ab zu heben, geschulten Kindern gelingt es sogar die angehobenen Beine zu strecken.

Die Kinder sitzen im Schneidersitz auf dem Kreisel. Können sie sich dabei langsam drehen?

Auf dem Gerät können sie auch liegen. Es geht in der Bauchlage oder Rückenlage. Dabei versuchen sie mit Händen und Füßen zu winken, sich zu drehen oder Schwimmbewegungen zu machen.

Die Kinder knien auf dem Wackelteller. Zuerst helfen die Hände noch, das Gleichgewicht zu halten, dann sollten die Hände weder den Kreisel noch den Boden berühren. Es können eher ­Gegenstände (Luftballons, Tücher etc.) gehalten oder zum vorsichtigen Spielen genutzt werden.

Die Kinder stellen sich auf die Kreisel; zuerst beidbeinig, dann einbeinig, zuletzt probieren sie viele verschiedene andere Positionen aus.

Aus dem Stand auf den Geräten gehen die Kinder langsam in die Hocke und stehen wieder auf.

Mehrere Wackelteller liegen hintereinander. Darüber soll vorsichtig balanciert werden.

Ideen mit den Pedalos

pedalo

Zum Ausprobieren sollten die Kinder erst nur mit den Händen das Pedalo fortbewegen (hier eignen sich die mit den schmalen Stegen). Danach kann im Knien gefahren werden (dazu werden die größeren Pedalos mit vier Rollen gebraucht).

Das Fahren im Stand sollte am Anfang nur mit Hilfe eines ­Erwachsenen geübt werden, wenn keine Stützhilfen angebracht sind. Nach einiger Übungszeit reichen Stäbe als Stützhilfe, die in die Hand genommen werden. Ein sehr reizvolles, aber betreuungsintensives Spielgerät!

Haben die Kinder erst einmal „den Bogen“ heraus, wird das Pedalo fahren eine reine Freude und ist auch selbstständig gut zu beherrschen.

Dr. Gabriela Falkenberg-Gurges
Gefühl bis in die Fingerspitzen
Körpererfahrung in Kindergruppen
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 978-3-944548-10-4
Taschenbuch, 96 Seiten
14,95 €
Mehr auf www.oberstebrink.de




Bewegung: Voraussetzung für Entwicklung und Wachstum

Was wir tun müssen, damit sich Kinder gut entwickeln:

Wir alle wissen, dass Bewegung wichtig für die Entwicklung und das Wohlbefinden ist. Aber warum ist das so? Dr. Gabriela Falkenberg-Gurges ist promovierte Diplom-Sportlehrerin. Sie geht dieser Frage nach und zeigt, wie einzelne Fähigkeiten zu einem harmonischen Ganzen führen.

Lernen über die Sinne

Wir lernen über unsere Sinne. Sie ermöglichen es, die für alle Erfahrungen nötigen Eindrücke von Umwelt und eigenem Körper wahrzunehmen und zu verarbeiten. Schon im Mutterleib reagiert der Fötus auf Außenreize, vor allem durch den taktilen Hautreiz und durch das vestibuläre System, das über Lage und Druckverhältnisse Auskunft gibt. Diesen Sinnesempfindungen in der ersten Lebensphase wird eine entscheidende Bedeutung, nicht nur für den sensorischen, sondern auch für den kognitiven und sozial-emotionalen Bereich, zugeschrieben.

Bewegung ist Erfahrung – Geleitet von Wahrnehmungen

Um die Sinnesreize aufzunehmen und ohne Störungen zu speichern, sind motorische Aktivitäten unersetzliche Bedingung. Ein Kind ist von Anfang an bewegungsfreudig. Es untersucht ganzheitlich, mit all seinen Sinnen und körperlichen Möglichkeiten die Umwelt, differenziert sie und erschließt sie sich im Laufe seiner Entwicklung. Kindliche Bewegungen sind am Anfang ungenau und unkoordiniert. Sie werden erst im Zuge der Entwicklung und durch ständiges Üben sparsam und genau, also ökonomisch und präzise.

Im Vorschulbereich lässt sich die Bedeutung für die Entwicklung an vier Faktoren deutlich machen:

  1. aus biologischer Sicht, also für den Muskel- und Skelettapparat, liegen im Alter von 3 bis 6 Jahren wichtige Wachstums- und Entwicklungsabschnitte, die durch Bewegungsschulung entscheidend beeinflusst werden können.
  2. auf psychologischer Ebene sind die Wechselwirkungen des Körperlich-Motorischen mit dem Geistig-Seelischen sicherlich unzweifelhaft. Bewegungsgeschickte Kinder können sich besser in ihrer Umwelt zurechtfinden, was sich wiederum positiv auf das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein auswirkt.
  3. die kognitive oder intellektuell geistige Entwicklung wird entscheidend über frühere Bewegungserfahrungen gesteuert. Nur in der motorischen Auseinandersetzung mit der Umwelt können sich geistige, also Denkentwicklungen vollziehen.
  4. auch die soziale Entwicklung ist nicht unabhängig von der motorischen. Motorisch ungeschickte Kinder haben in der Kinder- und Erwachsenenwelt mehr Schwierigkeiten, sie stoßen eher auf Ablehnung und dies wiederum wirkt sich negativ auf die motorische Entwicklung aus, da das Kind wichtige neue Bewegungsanregungen, zum Beispiel durch das Gruppenspiel und die aktive Auseinandersetzung mit seiner Umwelt nur schwerlich und unzureichend erfährt.

Selbstwert durch Bewegung

Wir brauchen also grundsätzlich Wahrnehmungsfähigkeiten und koordinative Leistungen für das Erlernen von Bewegungen. Für beide Teile sind Wachstum und Reifung wesentlich, jedoch ebenso wichtig ist das Einüben und beständige Wiederholen und Ausprobieren dieser Fähigkeiten. Das Vorschulalter nimmt hier als frühes Lernalter eine wichtige Stellung ein, damit solche Bewegungserfahrungen gemacht werden können.

Vorschule als Erfahrungsfeld

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“

Gelingt es in dieser frühen Phase vielfältige Anreize zu geben und so eine ganzheitliche, sinnvolle und sinnenvolle Basis zu schaffen, ist dies eine gute Voraussetzung für jedes Kind, sich den zukünftigen Aufgaben und Anforderungen, nicht nur für das Bewegungslernen, gewachsen zu fühlen.

Dies gilt zunächst für den Schritt ins Schulleben. Die ungewohnt vielen kognitiven Leistungen, die Konzentration und Kooperation sind deutlich leichter zu bewältigen, wenn man sich in seinem und mit seinem Körper wohl fühlt und Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und das Können oder die Bereitschaft hat, gerne diese vielen neuen Herausforderungen zu meistern.

Die Sinne

Welche Reize führen eigentlich zu den Reaktionen des Körpers?

Welche Wahrnehmungsfähigkeiten werden nun für die Bewegungserfahrungen eingesetzt?

Es lassen sich hierfür fünf Analysatoren unterscheiden.

  1. Der visuelle Analysator oder der Gesichtssinn.

Damit wird alles registriert, was wir mit unseren Augen erfassen können. Dadurch wird das zentrale, räumliche, farbliche und periphere Sehen ermöglicht. Durch so genannte Fotoreize werden zum Beispiel Bewegungen und Konturen fixiert.

  1. Der akustische Analysator oder Gehörsinn

Er registriert Schallwellen und Frequenzen. Dadurch werden Töne und Geräusche für uns unterscheidbar und wahrnehmbar.

  1. Der taktile Analysator oder Tastsinn

Er vermittelt uns Informationen darüber, wie sich etwas anfühlt, aber auch über Oberflächenbeschaffenheiten, Temperatur, Schmerz, Druck und Berührungen aller Art. Systeme dieser gerade beschriebenen Wahrnehmungen sind die Exterozeptoren (äußere Reizaufnehmer) im Gegensatz zu den Intro- oder Propriozeptoren (innere Reizaufnehmer), welche die körperinneren Wahrnehmungen aufzeigen. Hierzu gehören:

  1. Der vestibuläre Analysator oder Gleichgewichtssinn

Damit wird die Lageveränderung des Körpers im Raum ausgeglichen, so dass es möglich ist, auch in sehr schwierigen Positionen (etwa auf einem Bein stehend) und Situationen (etwa in einer fahrenden Bahn stehend) eine aufrechte Position einzuhalten.

  1. Der kinästhetische Analysator oder Muskel- und Bewegungssinn

Er registriert Muskelveränderungen und gibt uns dadurch das Gefühl von Spannung und Entspannung. Er vermittelt uns Ausdehnungen und Positionen unseres Körpers im Raum, die für motorische Aktivitäten und für das Bewegungsempfinden notwendig sind.

Einzelne Fähigkeiten führen zu einem harmonischen Ganzen

Die Wahrnehmungsfähigkeiten sind Voraussetzung und Bedingungsfaktoren für die koordinativen Fähigkeiten.

Koordination lässt sich mit „Zusammenordnen“ übersetzen. Gemeint ist damit das Zusammenspielen und Anpassen von Muskeltätigkeiten, die durch das zentrale Nervensystem gesteuert werden.

Koordinative Fähigkeiten sind ein Sammelbegriff für verschiedene Einzelfähigkeiten. Sie sind ein „theoretisches Konstrukt“ in dem Versuch die einzelnen Leistungen dieses komplexen Gefüges zu systematisieren. In der älteren Fachliteratur findet man hierfür häufig die Begriffe Gewandtheit oder Geschicklichkeit. Beide reichen aber nicht aus, um die vielfältigen Vorgänge der Koordination zu beschreiben. Die koordinative Fähigkeiten sind an allen motorischen Aktionen beteiligt und werden deshalb „leistungsbestimmende Faktoren“ genannt. Je präziser das System der Koordination arbeitet, desto besser gelingen die unterschiedlichen Bewegungen. Daher lassen sich koordinative Fähigkeiten definieren als das harmonische und möglichst ökonomische Zusammenwirken von Muskeln, Nerven und Sinnen zu zielgenauen, gleichgewichtssicheren Bewegungsaktionen und schnellen, situationsangepassten Reaktionen.

Die Voraussetzungen hierfür sind

  • das rechte Kraftmaß, das den Bewegungsumfang und die Bewegungsgeschwindigkeit bestimmt
  • die richtige Muskelwahl, die die Bewegungsführung und -richtung beeinflusst
  • die Fähigkeit zu schnellem Wechsel von Muskelspannung und -entspannung als Voraussetzung für die motorische Anpassung. (vgl. Kiphard 1983).

Bessere Fähigkeiten, bessere Lösungen

Die koordinativen Fähigkeiten werden als sensomotorische Prozesse verstanden (das heißt auf Sinnen und Bewegungen basierend), die jedoch eng an geistige und psychische Faktoren gebunden sind. Hierzu gehören differenzierte Wahrnehmungsleistungen, Konzentration, Aufmerksamkeit und Entscheidungsvermögen (Bewegungsvorausnahme) sowie Willenseigenschaften und die Motivation.

Die Fähigkeiten zur optimalen Steuerung und Regelung von Haltungen und Bewegungen ermöglichen also die schnelle, genaue und zweckmäßige Lösung motorischer Aufgaben und begrenzen diese gleichzeitig auch. Mangelnde koordinative Fähigkeiten beeinflussen Tempo, Qualität und Dauerhaftigkeit motorischer Bewegungen. Sie sehen dann ungezielt, langsam und wenig schön aus und das Erlernen neuer Bewegungen ist eingeschränkt.

Wesentlich ist insgesamt die genaue Abgestimmtheit der Bewegung, die auch als „Bewegungsgefühl“ bezeichnet werden kann. Erst wenn das „Gefühl bis in die Fingerspitzen“ erfahren ist, werden die Bewegungen diese Harmonie ausstrahlen und sie tragen dann zur Entwicklung aller motorischen und geistigen Fähigkeiten bei.

In der Fachliteratur gibt es eine Menge unterschiedlicher Definitionsversuche der so vielschichtigen oder komplexen Fähigkeiten. Hierbei ist die Anzahl der Einzelfähigkeiten nicht einheitlich angegeben. Als gebräuchlich und allgemein anerkannt lassen sich fünf grundlegende koordinative Fähigkeiten unterscheiden. Es sind die

Gleichgewichtsfähigkeit: das Einhalten oder Wiederherstellen des Gleichgewichts während oder nach Bewegungshandlungen. Dies spielt eine führende Rolle, ohne Gleichgewicht keine Bewegung (Gehen, Laufen oder Stehen). Reaktionsfähigkeit: das zweckmäßige, situationsangemessene Bewegungshandeln auf ein Signal hin (wobei das Signal erwartet oder unbekannt sein kann).

Reaktionsfähigkeit: das zweckmäßige, situationsangemessene Bewegungshandeln auf ein Signal hin (wobei das Signal erwartet oder unbekannt sein kann).

Rhythmusfähigkeit: das Erkennen und Umsetzen der Wechsel in der Dynamik einer Bewegung; sowohl visuell als auch vor allem akustisch sollen die Bewegungsrhythmen erfasst werden. Räumliche, zeitliche und Kraft-Parameter von Bewegungsabläufen, wie: hoch – tief, lang – kurz, Spannung – Entspannung, schnell – langsam.

Räumliche Orientierungsfähigkeit: die Wahrnehmung der eigenen Körperposition in Relation zur Erdoberfläche, das richtige Einschätzen der Bewegung im Verhältnis zu Raum, Zeit und gegebenenfalls auch zum Gerät oder zu anderen Personen

Kinästhetische Differenzierungsfähigkeit: das erreichen von Genauigkeit und Ökonomie der Bewegungen, die Feinabstimmung von Einzelbewegungen etwa des Kopfes, der Hand oder des Fußes, die Einschätzung von Körperhaltungen sowie die Muskelspannungsempfindung.

Erst einzeln, dann zusammen

Wichtig ist, dass diese koordinativen Fähigkeiten nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind, sondern immer in vielfältiger Weise untereinander in Beziehung stehen.

Gefühl bis in die Fingerspitzen

Der Artikel stammt von Dr. Gabriela Falkenberg-Gurges aus dem Buch Gefühl bis in die Fingerspitzen – Körpererfahrung in Kindergruppen. Die Diplom-Sportlehrerin möchte mit Ihrem Buch unserer bewegungsarmen und reizüberfluteten Welt etwas gegenüberstellen: sinnvolles und sinnenvolles bewegtes Spiel. Neben den fachlichen Grundlagen finden sich in dem Buch auch zahlreiche praktische Beispiele und Anleitungen. Kein freise Spiel im eigentlichen Sinne, aber viele spielerische Ansätze zum Spielen und Lernen.

Bibliographie:

Dr. Gabriela Falkenberg-Gurges
Gefühl bis in die Fingerspitzen
Körpererfahrung in Kindergruppen
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 978-3-944548-10-4
Taschenbuch, 96 Seiten
14,95 €
Mehr auf www.oberstebrink.de