Wenn Eltern ihre Kinder in die Sklaverei verkaufen

Ulrike Burfeind schreibt über eine oftmals verdrängte Realität

Bakus Familie ist arm. Oft gibt es nichts zu essen, Baku und seine kleine Schwester Suri müssen fast täglich hungern. Ihr Vater hat nach einem Arbeitsunfall seine Beschäftigung verloren, spielt und trinkt. Das Geld der Gelegenheitsjobs kommt bei der Mutter, die für das Haus und was darin geschieht zuständig ist, so gut wie nie an. Eines Abends kommt ein Mann vorbei. Sofort haben alle ein schlechtes Gefühl, nur der Vater hört ihm zu. Ein paar Tage später ist Baku verkauft worden, sitzt in einem Zug in die Großstadt. Nur die Legende vom weißen Elefanten erinnert ihn noch an seine Heimat.

Er findet sich wieder in einer Fabrik, in der Kinder Näharbeiten verrichten müssen. Sie bekommen nur wenig zu Essen, immer wieder gibt es Schläge vom sadistischen Vorarbeiter. Baku findet einen Freund; mit einem Trick schaffen sie es, dass Baku von nun an einem alten Obstverkäufer auf dem Markt hilft. Nebenan hat der örtliche Heiler seinen Stand und Baku beginnt eine Lehre bei ihm. Irgendwann sieht er den weißen Stoffelefanten. Das heißt: Seine Schwester ist auch verkauft worden.

Nun beginnt eine Odyssee, Flucht oder wie immer man es nennen will. Die Mission: Die Schwester retten und nach Hause bringen. Dabei helfen alle Freunde, nicht nur die vom Markt, auch die Kinder aus der Fabrik und sogar die Tochter vom Oberboss. In die hat sich Baku selbstverständlich verliebt. Und es geht gut aus. Muss ja, ist ja ein Kinderbuch.

Sklaverei hat System

Ja, ein sehr wichtiges Thema. Ja, für jüngere Kinder müssen manchmal die Charaktere märchenhaft einseitig und holzschnittartig gezeichnet sein, damit Gut und Böse klar erkennbar sind. Aber hier ist das ein wenig zu viel. Warum reicht es nicht, dass die Familie arm ist und nicht weiß, wie alle über die Runden kommen sollen, um den Gedanken an den Verkauf mindestens eines Kindes zu hegen? Das System der Kindersklaverei beruht auf der Kasten- bzw. Klassengesellschaft. Warum muss der Vater auch noch saufen, spielen und behindert sein? So wird ein gesellschaftliches Problem individualisiert, zumindest werden hinter den individuellen Problemen die gesellschaftlichen Zwänge nicht sichtbar. Das ist schade.

Außerdem führt diese Sichtweise zu einer übertriebenen Sozialromantik. Die armen Menschen auf dem Markt haben immer gute Gedanken, sie helfen einander, unterstützen sich. Die Kinder passen immer aufeinander auf und schließen diejenigen, die sich für die falsche Seite – die Besitzenden – entscheiden, aus. Das widerspricht jeglicher Erfahrung, auch von hiesigen Schulkindern. Denn Mobbing kennen sie aus ihrer eigenen Schule und von ihren sozialen Kontakten im Internet. Und das fühlt sich ganz sicher nicht gut und solidarisch an.

Wenn man diese Aspekte im Blick hat und mit den Kindern bei der Lektüre darüber spricht, kann „Baku und der weiße Elefant“ ein bereicherndes Leseerlebnis bieten. Das Buch kann helfen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir hier im reichen Deutschland gerade mal ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Und dass die Probleme, die wir hier haben, in ärmeren Ländern wesentlich brutaler zutage treten.

Ralf Ruhl

Bibliographie:

Ulrike Burfeind:
Baku und der weiße Elefant. Ueberreuter 2021
www.ueberreuter.de
ISBN 978-3-7641-5231-0
218 Seiten
ab 8 Jahre
14,95 Euro
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