„Das Spiel ist der Nährboden für alle bedeutsamen Entwicklungsvorgänge“

Ein Interview mit Prof. Dr. Armin Krenz über das Spiel(en) und seine Bedeutung für die Entwicklung des Menschen

Keinem Menschen ist die Spielfähigkeit in die Wiege gelegt. Auch diese muss er erst entwickeln. Ist das geschehen, beginnt er, sich die Welt spielend zu erschließen – und das Spiel begleitet ihn ein Leben lang. Wer seine Spielfähigkeit nicht aufbauen kann, der weist in allen Kompetenzfeldern Defizite auf. Was das Spiel für den Menschen bedeutet, wie wir Spielfähigkeit entwickeln, wie wir Kinder dabei begleiten und welche Chancen uns das Spiel bietet, erklärt Prof. Dr. Armin Krenz im Interview.

Du bist vor ein paar Monaten 70 Jahre alt geworden. Das Spielen hast du in all der Zeit nicht verlernt. Wann hast Du das letzte Mal gespielt und was war das?

Auch wenn ich mich inzwischen im 71. Lebensjahr befinde, gehört das Spiel(en) immer noch zum festen Bestandteil meines privaten Lebens und meiner beruflichen Tätigkeit. So ist es beispielsweise üblich, dass bei Familienbesuchen nahezu immer ein Teil der Zusammenkünfte mit Spielaktivitäten ausgefüllt sind.

Bei Qualitätsuntersuchungen oder Supervisionscoachings in Kindertageseinrichtungen trete ich dann mit Kindern in Spielhandlungen ein, wenn ich mitbekomme, dass elementarpädagogische Fachkräfte dem Spiel(en) der Kinder eine untergeordnete Rolle zusprechen und lieber „nur“ dem Spiel der Kinder zuschauen, ohne selbst diesen aktiven Mitspielimpuls zu spüren. Leider muss ich das in den vergangenen Jahren zunehmend zur Kenntnis nehmen.

Wie heißt es doch in einer Aussage von Augustinus Aurelius, dem einstigen Bischof von Hippo, der auch als Philosoph ganz wundervolle Gedanken zu Papier gebracht hat, so treffend: „In Dir muss brennen, was Du entzünden willst“. Dieses Feuer habe ich schon als Kind spüren und in meiner Freizeit sowie im Elternhaus ausleben dürfen, wodurch sich wundervolle, spannende und aufregende Bilder in meinem Gedächtnis eingebrannt haben – und das mit einer nachhaltigen Wirkung.

Bei der unüberschaubaren Menge an Gesellschaftsspielen fällt es mir hingegen schwer, immer eine Entscheidung für ein bestimmtes Spiel zu fällen, zumal es gleichzeitig so viele, wunderbare Spiele gibt. Zuletzt habe ich mich vor ganz kurzer Zeit im Rahmen eines Supervisionscoachings in neun Kindertageseinrichtungen in viele verschiedene Tanz-, Bewegungs- und Regelspielaktionen hineinbegeben, verbunden mit den Fragen der Kinder, als ich mich aus den Spielen herauslösen musste: „Wann kommst Du wieder?“ „Spielen wir nachher weiter?“

In Dir muss brennen, was Du entzünden willst!

Augustinus Aurelius (354 – 430)

Kinder suchen immer wieder Spielerlebnisse – so wie ich auch. Und ganz aktuell habe ich auch ein „Kinder- Reim- Geschichten- Ausmalbuch“ mit dem Titel „Vom Warzenschwein und anderen Tieren“ publiziert und dabei mit Worten, ausgedachten und imaginären Tiergeschichten gespielt.

Der deutsche Aktionskünstler Joseph Heinrich Beuys (1921 – 1986) und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf hat einmal gesagt: „Lass dich fallen – Lerne Schlangen zu beobachten – Pflanze unmögliche Gärten – Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein – Mache kleine Gesten – Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit – Freue dich auf Träume – Weine bei Kinofilmen – Schaukel so hoch du kannst – Tu Dinge aus Liebe – Mach eine Menge Nickerchen – Gib Geld weiter – Mach es jetzt – Glaube an Zauberei – Lache eine Menge – Nimm Kinder ernst – Bade im Mondlicht – Lies jeden Tag – Stelle dir vor, du bist verzaubert – Höre alten Leuten zu – Freue dich – Lass die Angst fallen – Unterhalte das Kind in dir – Umarme Bäume – Schreibe Briefe – Lebe“. So gibt es auch ungezählte Möglichkeiten, den Alltag mit Spielfantasien auszufüllen und auszuleben!


Armin Krenz/Christian Kämpf
Vom Warzenschwein und anderen Tieren
Vorlesen, Malen, Philosophieren: ein Bilder- und Geschichtenbuch. Reime und Tierbilder zum Ausmalen
für Kinder ab 4 Jahren
Hardcover, 36 Seiten, DIN A 4
ISBN 978-3-910295-00-1
15 €


Was hältst Du von dem Zitat „We don’t stop playing because we grow old; we grow old because we stop playing.”?

Diesem Zitat von George Bernard Shaw, dem irischen Dramatiker, Satiriker und Politiker, kann ich sowohl aus fachwissenschaftlicher Sicht als auch aus meiner eigenen biographischen Rückschau in vollem Maße zustimmen, denn einerseits sind es die in unserem Gehirn abgespeicherten „Bilder“ aus der sehr frühen und frühen Kindheit, die unsere Gehirn- und damit unsere Persönlichkeitsstruktur in einer ganz entscheidenden Weise prägen. Andererseits ist es die weitere Lebensgestaltung, die uns zu dem Menschen werden lässt, der wir dann werden. Unsere gesamte Wahrnehmung, die daraus folgende Situationseinschätzung und der daraus abgeleitete Handlungsimpuls werden durch unsere Gefühlswelt beeinflusst. Zudem haben „Spielaktive Menschen“ eine entspanntere Sichtweise auf die Welt, ohne dabei eine weniger ernsthafte Situationseinschätzung zu besitzen.

We don’t stop playing because we grow old;
we grow old because we stop playing.

George Bernard Shaw

Als meine Frau und ich noch vor unserem Eintritt in den offiziellen Ruhestand beruflich sehr eingespannt waren, haben wir uns beispielsweise immer wieder mit guten Freunden übers Wochenende ein Ferienhaus in Dänemark angemietet, um gut zwei Tage lang ein gemeinsames Spielewochenende zu verbringen. Jedes Paar brachte ein neues Spiel mit – und so erweiterte sich für alle das Spielespektrum um ein Vielfaches.

Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit wir von einem Spiel sprechen können?

Es gibt – je nach der spezifischen Ausrichtung der Pädagogik bzw. der Psychologie – nicht nur eine einzige Definition zum „Spiel“ zumal dieses Wort zunächst kein wissenschaftlicher Begriff ist. Gleichwohl gibt es einige übereinstimmende, sich als deckungsgleich erweisende Beschreibungskriterien, die vorhanden sein müss(t)en, um von einer Spielhandlung sprechen zu können:

  1. Ein „Spiel“ ist eine aktive Geschehnis-Einheit, in der es für die (mit)spielenden Personen einen „Handlungsfreiraum“ gibt, in dem sie sich ohne Not, Sorge oder Angst sprachlich und/ oder motorisch ausdrücken können.
  2. Jedes Spiel beruht auf einer „freiwilligen Teilnahme“, in dem die mitspielenden Personen eigene Ideen und Vorhaben umsetzen können.
  3. Ein Spiel ist nur dann ein Spiel, wenn es weitestgehend „zweckfrei“ ist, so dass in erster Linie der „Spielgedanke“ im Vordergrund steht und nicht ein starr vorgegebenes Ziel, das in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort zu erreichen ist.
  4. Die Mitspielerinnen müssen dem Spielgedanken/dem Spielimpuls/dem Spielverlauf einen Sinn zuordnen können, von dem sie den Eindruck haben, dass sie einerseits das betreffende Spiel mit Spannung gestalten und ausfüllen, gleichzeitig in dem Spiel aber auch Entspannungsmomente erleben, so dass das so genannte „rhythmische Prinzip’ zum Tragen kommt: ein wellenförmiger Wechsel von Spannung und Entspannung.
  5. Spiele müssen verschiedene Möglichkeiten zulassen, Veränderungen vornehmen zu können, die dann beispielsweise in einer gemeinsamen Absprache übernommen werden.
  6. Spielerische, experimentelle Handlungen können sich nur dann zu einem Spiel entwickeln, wenn eine intrinsische Motivation, die ausschlaggebend für eine Spielfaszination sowie eine vertiefende Spielvertiefung ausschlaggebend ist, vorhanden ist.
  7. Wenn die Beschäftigungszeit als eine erfüllte, zufriedenstellende, intensiv berührende Zeit erlebt wird, hat das Spiel seinen Wert zum Ausdruck gebracht.

Welche Bedeutung hat das Spiel mit Blick auf die Evolution? Warum ist es so wichtig, dass wir spielen?

Spielen, das wissen wir aus vielen Forschungsuntersuchungen, ist keine angeborene Tätigkeit, die dem Menschen in die Wiege gelegt und damit für den Lebensweg mitgegeben wird. Diese Tatsache ist von einer außergewöhnlich großen Bedeutung, zum Beispiel wenn es darum geht, einerseits den hohen Wert des Spielens für die förderliche Entwicklung eines Menschen im Auge zu haben und andererseits nicht annehmen zu dürfen, dass das Spiel „von ganz alleine“ entsteht.
Was dem Menschen angeboren ist, ist seine „Neugierde“, die Welt um sich herum zu entdecken und zu erkunden und gleichzeitig den eigenen Bedeutungswert in der Welt bzw. für die Welt in Erfahrung zu bringen. Und hierbei ist es notwendig, dass es im unmittelbaren Umfeld des Menschen Personen gibt, die sich auf die Neugierde des Kindes einlassen und seine seelischen Grundbedürfnisse sättigen, so dass aus diesem dialogen Zusammenspiel eine Einheit entsteht, die sich durch ein lebendiges Kommunikations- und Interaktionsgeschehen in unterschiedlichen Formen als Spiel ausdrücken.

Spielen, das wissen wir aus vielen Forschungsuntersuchungen, ist keine angeborene Tätigkeit, die dem Menschen in die Wiege gelegt und damit für den Lebensweg mitgegeben wird.

Erfolgt also im Rahmen der vorhandenen Neugierde kein aktives, zugewandtes und durch Wertschätzung geprägtes Kommunikations- und Interaktionsverhalten, verringert sich einerseits die Neugierde im Hinblick auf das Umfeld und eigene Entwicklungsmöglichkeiten und andererseits können sich dadurch auch keine Spielfreude, kein Spielinteresse und keine Spielmotivation entwickeln, was wiederum gleichzeitig die Lernmotivation, die Lernfreude sowie das Lerninteresse deckelt.

Diese Tatsache ist leider vielen Erwachsenen unbekannt: Würden sie diese Vernetzung kennen, würden sie mit großer Wahrscheinlichkeit dem Spiel(en) eine größere Wertigkeit beimessen. Dr. Jan van Gils, (seinerzeit ‚President of the International Council for Children’s Play’), hat es 2005 in seinem Vortrag auf dem Weltkongress der International Play Association wie folgt auf den Punkt gebracht: „Allzu oft wird das Spiel als ein Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten, bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird das Spiel auch als Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder bei dem Spielen für das Leben lernen.“

Zusammenfassend lässt sich sagen: der evolutionäre Bedeutungswert liegt demnach darin zu begreifen, dass das Spiel als Nährboden für alle bedeutsamen Entwicklungsvorgänge, für den Erwerb ganz bestimmter kognitiver, motorischer, sozialer und emotionaler Fertigkeiten dienlich ist und damit gleichzeitig einen sehr hohen Bedeutungswert für die eigene Persönlichkeitsentwicklung besitzt.

Allzu oft wird das Spiel als ein Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten, bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird das Spiel auch als Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder bei dem Spielen für das Leben lernen

Dr. Jan van Gils

Hat es denn negative Folgen, wenn wir nicht spielen, sprich, würdest Du dem Spielen eine ähnliche Bedeutung zuschreiben wie gesunder, ausgewogener Ernährung oder Bewegung?

Ungezählte, wissenschaftlich fundierte Untersuchungsergebnisse haben immer wieder bestätigt, dass Kinder, denen es verwehrt war, eine Spielfähigkeit aufzubauen, in allen vier Kompetenzfeldern (im emotionalen, sozialen, kognitiven und motorischen Bereich) deutliche Einschränkungen aufwiesen.

Beispielsweise zeigen spielkompetenzeingeschränkte Kinder – auch in ihrem späteren Leben – im emotionalen Bereich größere Schwierigkeiten im Verarbeiten von Enttäuschungen, eine geringere Toleranz bei Frustrationen, einen stärker ausgeprägten Pessimismus sowie weniger tiefgehende Freudeerlebnisse.

Im sozialen Bereich haben spielkompetenzeingeschränkte Personen eine höhere Vorurteilsbildung, eine geringere Kooperationsbereitschaft, eine höhere Gewaltbereitschaft bzw. ein stark eingeschränktes Selbstbewusstsein sowie eine geringer ausgeprägte Hilfsbereitschaft.


Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht
Kita-Basiswissen für Erzieherinnen und Erzieher. 20 Fact-Sheets für Fortbildungen, Beratungsgespräche und zur Prüfungsvorbereitung
336 Seiten, zahlreiche Abbildungen
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Im kognitiven Bereich ist ein vernetztes Denken eingeschränkt. Diesen Kindern fällt die Kontrolle eigener Handlungen deutlich schwerer (gemeint sind hier vor allem die Handlungsfelder Selbstkontrolle und Selbstdisziplin) und die Konzentrationsfertigkeit ist deutlich gesenkt im Vergleich mit spielkompetenten Personen.

Im motorischen Bereich sind vor allem die Selbstwirksamkeitsüberzeugung, die Vielfaltnutzung von Selbstaktivitäten, eine differenzierte Feinmotorik und die motorische Reaktionsfertigkeit gering ausgeprägt.

Was eine ausgewogene Ernährung für den Körper an Wohlbefinden mit sich bringt, bewirkt eine vorhandene Spielfähigkeit für den gesamten psycho-sozialen, motorischen und kognitiven Bereich.

Was bewirkt spielen, was macht das Spielen mit uns als Mensch?

Spielen setzt frei flottierende Gedanken und damit spontan entstehende Handlungsideen in Gang. Es ermöglicht in erlebten Außenspannungen ein Gefühl von Freiheit, wodurch der Mensch aus Stresssituationen herausfinden kann und in der Lage ist, abzuschalten, die unmittelbare Vergangenheit oder vorherrschend besitzergreifende Gegenwartserlebnisse beiseite zu stellen, was wiederum zu einer emotional-kognitiven BALANCE führt.

Dabei entdeckt der Mensch die Vielschichtigkeiten und Mehrdeutigkeiten von Situationen, die dabei helfen, aus eindimensionalen Einschätzungen herauszufinden und aus einem erlebten Entspannungsfreiraum Dinge neu betrachten zu können. Vor allem eröffnet sich der Mensch dabei den Weg für eine Selbstexploration: die Auseinandersetzung mit sich selbst, seine eigenen Gedankenwegenund Gedankenstrukturmuster, ohne die Sichtweise fokussiert auf die Außenwelt zu richten sondern zu erkunden, was dazu beigetragen hat, dass sich Situationen so entwickelt haben wie sie sind und wie sie auch anders gestaltet werden können.

Gerade der „spielende Mensch“ eröffnet sich durch die eigene Spielfreude sowie ein weitumfassendes Spielinteresse einen lebenslangen Bildungsweg, auf dem immer wieder neue Bildungsprozesse entstehen können und uns Menschen daran hindern, Lebenswege stets gleichartig, gleichförmig‚ normal und variationsfrei zu gestalten.

Gerade der „spielende Mensch“ eröffnet sich durch die eigene Spielfreude sowie ein weitumfassendes Spielinteresse einen lebenslangen Bildungsweg, auf dem immer wieder neue Bildungsprozesse entstehen können und uns Menschen daran hindern, Lebenswege stets gleichartig, gleichförmig‚ normal und variationsfrei zu gestalten.

Der Maler Vincent Willem van Gogh hat sich einmal so geäußert: „Die Normalität ist eine gepflasterte Straße. Man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Bäume auf ihr.“ Und wenn wir nun aus psychoanalytischer Sicht den Baum als ein ‚lebendiges Wachstumsfeld der eigenen Person’ verstehen, dann wird deutlich: ohne das Spielen steckt der Mensch in seiner Entwicklung fest, lebt aus Wiederholungen, die nicht selten entwicklungshinderlich sind, weil keine neuen und damit innovativen Handlungsimpulse entstehen können.  

Die Normalität ist eine gepflasterte Straße. Man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Bäume auf ihr.

Vincent Willem van Gogh

Wann wird aus einem Spiel Ernst?

Ein Spiel ist immer eine ernste Angelegenheit, zumal Einzelspielerinnen und -spieler als auch jede mitspielende Person ihre angedachten Überlegungen in die jeweils aktuelle Spielhandlung einbringen wollen. So hat Prof. Hans Scheuerl, ein Pionier im Feld der Spieleforschung, schon vor einigen Jahrzehnten den Satz geprägt: „Das Spiel ist der Beruf des Kindes.“ Und damit umfasst das Spiel grundsätzlich alle Facetten, die auch in fast jedem Beruf zum Tragen kommen: Anstrengung an den Tag legen, Versuch und Irrtum auszuhalten, Belastbarkeit aushalten, Innovationsgedanken umsetzen, Zufriedenheit erleben, Konflikte mit sich und anderen austragen, Selbstdisziplin auf sich nehmen, Enttäuschungen ertragen, uneindeutige Situationen für sich oder mit anderen klären, Aggressionen in lösungsorientierte Schritte umwandeln usw.

Das Spiel ist der Beruf des Kindes.

Prof. Hans Scheuerl

Ist Humor eine Sonderform des Spiels?

Humor ist keine Sonderform des Spiels sondern eine lebensbedeutsame Verhaltensweise des Menschen, um bei Missgeschicken oder in schwierigen Lebenssituationen eine Gelassenheit an den Tag zu legen, die die Situation – zumindest für einen Augenblick – entschärft und die es dem Menschen möglich macht, sich selbst und andere nicht immer allzu ernst zu nehmen.

Humorlose Menschen sind häufig nur sehr schwer zu ertragen, zumal wenn alleine der reinen Kognition eine permanente A-Priorität beigemessen wird. Hier scheint ganz besonders eine „Herzensbildung“ von Nöten zu sein, in der auch der Humor einen festen Platz besitzt. Joachim Ringelnatz, Schriftsteller, Maler und Kabarettist, sagte einmal: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“

So genannte Helikopter-Eltern oder auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bzw. Lehrkräfte, die sich zu Unrecht als Pädagogen bezeichnen, Vorstandspersonen oder (sozial)politische Funktionsträger:innen ohne Humor versuchen ihr privates und berufliches Selbstverständnis häufig nur aus kognitiv gefällten Entscheidungen abzuleiten, wobei emotional-soziale Aspekte unberücksichtigt bleiben. Damit sind nicht selten inhumane und rein funktional gesteuerte Vorgaben die Folge – und das mit häufig dramatischen Folgen für das Umfeld. 

Die Bedeutung des Spiels für Kinder, für die Entwicklung der Kinder. Worauf sollten die Eltern achten? Wie regt man Kinder zum Spielen ideal an?

Johann Heinrich Pestalozzi, ein Schweizer Pädagoge und zugleich ein Schul- und Sozialreformer hat folgenden Satz geprägt: „Erziehung ist Liebe und Vorbild. Sonst Nichts!“ und einer der bedeutendsten Reformpädagogen des vergangenen Jahrhunderts, Dr. Janusz Korczak, dessen Todestag sich 2022 zum 80. Mal jährt, vertrat sein pädagogisches Grundverständnis mit der Aussage: „Du kannst den anderen nur soweit bringen, wie Du selbst gekommen bist.“ In diesen beiden Zitaten liegt meine Antwort auf Ihre Frage: es gilt,

  • (a) immer wieder selbst in ein aktives, lebendiges und innerlich motiviertes Spielverhalten einzutauchen und damit ein Spielvorbild zu sein;
  • (b) für sich selbst regelmäßige Zeiträume zum Spiel einzuplanen, um mit den eigenen Kindern und auch mit befreundeten Personen zu spielen;
  • (c) einen möglichst ausreichenden Spielplatz für Kinder zu schaffen und dabei weder die Spielform vorzugeben noch Spielzeiten unnötig zu unterbrechen;
  • (d) dem Spiel seinen hohen Bedeutungswert im Hinblick auf seine „Lernauswirkungen“ zuzugestehen, denn das ‚Spiel ist keine Spielerei’;
  • (e) dafür zu sorgen, dass das Kinderzimmer keinem Spielwarengeschäft ähnelt – auch beim Spielzeug muss es Begrenzungen geben, zumal Spielmittelüberflutungen entwicklungshinderliche Auswirkungen auf Kinder haben und eine so genannte ‚Konsumverwahrlosung’ die Folge ist;
  • (f) dem Spiel der Kinder Aufmerksamkeit und Interesse zu widmen;
  • (g) sich von der Spielfreude der Kinder anstecken zu lassen, ihre Spielmotivation aufzunehmen und in sich wirken zu lassen. Die beste Anregung zum Spielen liegt immer noch in der spielerischen Vorbildfunktion, und wenn die Bindung zwischen Kindern und dem/ den Erwachsenen stimmig sind, dauert es nicht lang, bis Kinder sich als Mitspieler/ zur Mitspielerin ins Spielgeschehen einbringen.

Wichtig: es muss echt und authentisch sein!

Wie unterscheidet sich das Kinderspiel von dem des Erwachsenen?

Kinder bevorzugen – je nach Alter – ganz unterschiedliche Spielformen. Bei Kleinkindern sind es zunächst die Fingerspiele, das Bauspiel, Entdeckungs- und Wahrnehmungsspiele sowie das Konstruktionsspiel. Es folgen die vielfältigen Produktionsspiele zum Gestalten, Bewegungs- und Musik-/Tanzspiele bis hin zu Sozialregelspielen, Aggressionsspiele zum Austoben, Rollenspiele und das freie Spiel, Theater- und Märchenspiele. Die Fülle innerhalb dieser Spielformen ist unerschöpflich und so gehört auch die Literaturgattung mit dem Schwerpunkt „Spiel“ mit zu den umfangreichsten Themenfeldern.

Erwachsene bevorzugen in den meisten Fällen entweder Spiele in digitaler Form, wo auch das Spieleangebot unfassbar umfangreich ist oder sie lassen sich auf Tisch-, Karten- und Brettspiele, Outdoorspiele, Strategiespiele oder gruppendynamische Interaktionsspiele ein, deren Angebote jedes Jahr in die Höhe schießen. Hier lohnt es sich, einmal Gast auf der jährlichen Spielwarenmesse zu sein! Manche Spielformen entsprechen aber auch denen der Kinder: Hier denke ich beispielsweise an das Theaterspiel, an so genannte Entdeckungsspiele (dazu zählt auch das Geocaching) oder an Konstruktionsspiele.

Was sollten denn Erwachsene spielen?

Zunächst: Erwachsene sollten (!) gar nicht spielen – vielmehr entspringt der Spielgedanke einem eigenen Spielwunsch, sich auf ein Spielgeschehen einlassen zu wollen: als Einzelspieler, als Mitspieler in einer Gruppe, als Spielpartner des Kindes und das in einer jeweils bevorzugten Spielform. So gilt es zunächst, vielfältige Spielformen kennenzulernen und dabei das Gespür für die Spielform zu entdecken, zu der man sich in besonderem Maße hingezogen fühlt. Empfehlenswert ist auch der Besuch von Spielwarengeschäften, um sich durch fachkundiges Personal ausgiebig beraten zu lassen. Egal, für welches Spiel sich die erwachsene Person entscheidet: Entscheidend ist,  d a s s  spielunerfahrene Personen die Faszination des Spiels für sich entdecken und sich in den Sog einer erlebten Spielfreude hineinziehen lassen.

Egal, für welches Spiel sich die erwachsene Person entscheidet: Entscheidend ist, dass spielunerfahrene Personen die Faszination des Spiels für sich entdecken und sich in den Sog einer erlebten Spielfreude hineinziehen lassen.

Innovation und Zukunft: wie wichtig ist hier das Spiel? Wie wichtig ist die Fähigkeit, sich spielerisch an etwas annähern zu können?

Wenn durch eine auf- und ausgebaute Spielfähigkeit, verbunden mit basalen und lebensbestimmenden Kompetenzen, angeeignet durch die frühen Kindheitsjahre und die Pflege dieser vielschichtigen Merkmale außergewöhnliche Fertigkeiten entstehen, so kann und muss das Spiel als ein hochbedeutsamer Innovationsfaktor eingestuft werden, der durch nichts zu ersetzen ist. Gerade in einer Zeit, in der wir alle vor sehr schwierigen, vielleicht sogar auf den ersten Blick kaum lösbaren Aufgaben stehen, ist es von großer Bedeutung, mit den im Spiel erworbenen Basiskompetenzen kreative Problemlösungsmöglichkeiten zu entdecken. Ob im Kleinen oder in großen, übergeordneten Aufgabenfeldern.

Es sind gerade die Fantasie, die Kreativität und innovative Visionen, die viele Spiele provozieren und deren Einsatz uns Menschen zwingt, Neues zu entdecken, auszuprobieren und auszuwerten, um sich selbst und für andere sowie die nachfolgende Generation ein zukünftiges Leben zu ermöglichen

Einseitige Problembetrachtungen, die Fortsetzung gewohnter/gewöhnlicher und gleichzeitig nicht nachhaltiger Lösungswege führen in der Regel nur zu einer Problemverschiebung. Es sind gerade die Fantasie, die Kreativität und innovative Visionen, die viele Spiele provozieren und deren Einsatz uns Menschen zwingt, Neues zu entdecken, auszuprobieren und auszuwerten, um sich selbst und für andere sowie die nachfolgende Generation ein zukünftiges Leben zu ermöglichen. Hier passt ein Zitat, das vielen Autorinnen und Autoren zugeordnet wird: Marie von Ebner-Eschenbach bzw. Oliver Cromwell bzw. Philip Rosenthal: „Wer aufhört, besser sein zu wollen als er ist, hört auf, gut zu sein.“ Und da bieten die vielfältige Spielformen und Spielarten unüberschaubare Möglichkeiten, ins „Spiel des Lebens“ einzutauchen, um durch Selbsterfahrung und Selbstentwicklung Potenziale zu entdecken, die bisher als eine ‚unbekannte Variante’ leblos in uns schlummerten.  

Was lässt sich beim Blick auf das Spiel über den Charakter oder die Eigenschaften eines Spielers ableiten? Spieltypen?

Laut Richard Bartle, der sich Ende des letzten Jahrhunderts mit der Klassifizierung möglicher ‚Spielertypen’ beschäftigt hat und dazu das Verhalten von Spielerinnen und Spielern untersuchte, kam zu dem Schluss, dass es vier klassische Spielertypen gibt:

A) Killers (Mörder/ Kämpfer) – ihr Bedürfnis ist es, immer zu gewinnen und gleichzeitig sind sie auch motiviert, Mitspielerinnen und Mitspieler am Gewinnen zu hindern. Sie versprechen sich dadurch Macht und Anerkennung, durch die sie sich stark fühlen (fühlen möchten!).
B) Der Archiever (Macher/ Erfolgssammler) möchte möglichst viele Ziele erreichen, möglichst viele Punkte sammeln, um ein aktuelles Ziel erfolgreich abschließen und um sich dann auf die nächste Aufgabe kümmern zu können. Er freut sich über seine erreichten Leistungen, die ihn wiederum anspornen, weiterzumachen und neue Herausforderungen anzunehmen.
C) Dem Socializer (Geselliger) ist die Gesellschaft der Mitspielerinnen und -spielern besonders wichtig und so genießt er eine gute Umgangskultur, den Austausch mit den anderen und hilft auch anderen, wenn diese einer Hilfe bedürfen. Ihm kommt es im primären Sinne nicht aufs Gewinnen an. Ihm bedeutet die Gemeinschaft und das Gemeinschaftserlebnis mehr als ein Gewinner aus dem Spiel aufzutreten.
D) Und schließlich gibt es den Explorer (Erkunder), der mit einer ausgeprägten Neugierde viel Neues im Spiel entdecken will, die ganze Palette der Spielmöglichkeiten erfassen möchte, der auch versucht, unattraktive Spielideen in attraktive Spielhandlungen zu wandeln und dem es nicht im Spiel um einen Zuwachs an Macht und Anerkennung geht, sondern für ihn vor allem der Forschergedanke (was ist wie möglich?) im Vordergrund steht.

So ist das Verhalten aller Spielerinnen und Spieler ein Spiegelbild ihrer Persönlichkeit. Dabei ist es spannend, sich selbst einem Spielertypen zuzuordnen und sich gleichzeitig durch andere zuordnen zu lassen.

Spielen Frauen anders als Männer? Wenn ja, wie äußert sich das?

Diese Frage kann nicht mit einem klaren ‚ja oder nein’ beantwortet werden. So gibt es auf der einen Seite Evolutionsforscher, die die These vertreten, dass es aufgrund der Evolution in der Form deutliche Unterschiede gibt, dass Frauen ein Spiel eher als ein „soziales Ereignis“ betrachten/wertschätzen und Männer lieber als „winner“ denn als „looser“ erleben wollen und das Interesse der Männer auch entsprechend darauf ausgerichtet ist, beim Spiel als „Gewinner“ herauszugehen.

Sozialpsychologen vertreten die Ansicht, dass mögliche Unterschiede im Spielverhalten einen biographischen Hintergrund haben und durch frühkindliche Rollenklischees geprägt werden. Bislang vorliegende Studien zeigen, dass Frauen eher (gleichwohl nicht ausschließlich!) dem Sozialgeschehen im Spiel einen höheren Bedeutungswert beimessen als Männer und diese wiederum in einem signifikant stärkeren Maße eine Spielhandlung als Gewinner beenden wollen.

Doch vielfältige, jahrelange, persönliche Erfahrungen haben auch das Gegenteil hervorgebracht. So ist es an der Zeit, durch Selbststeuerungsvorhaben dafür zu sorgen, dass das Spiel für alle – Jungen und Mädchen, Frauen und Männer – immer wieder zu einem wunderbaren Sozialereignis werden kann, in dem Gewinnerinnen und Verliererinnen jederzeit fair miteinander umgehen, Gewinnertypen auch das Verlieren ertragen können und Verliererinnen alle Kräfte mobilisieren können, durch neu entwickelte Strategien gleichhäufig ins Gewinnerinnenfeld zu gelangen. Und das selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht! 

So ist es an der Zeit, durch Selbststeuerungsvorhaben dafür zu sorgen, dass das Spiel für alle – Jungen und Mädchen, Frauen und Männer – immer wieder zu einem wunderbaren Sozialereignis werden kann, in dem Gewinnerinnen und Verliererinnen jederzeit fair miteinander umgehen, Gewinnertypen auch das Verlieren ertragen können und Verliererinnen alle Kräfte mobilisieren können, durch neu entwickelte Strategien gleichhäufig ins Gewinnerinnenfeld zu gelangen. Und das selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht!            

Gilt Leistungssport, etwa ‚Profi-Fußball’, noch als Spiel?

Der Leistungssport kann aus wissenschaftlicher Sicht und den zugrundeliegenden Kriterien für ein „Spiel“ sicherlich nicht als Spiel bezeichnet werden – ob im Profi-Fußball noch bei anderen, sportlichen Events, Meisterschaften oder Wettkämpfen, zumal einerseits das Gewinnen, ein Bessersein als alle anderen im Vordergrund steht und andererseits Prämien unterschiedlicher Art einen zusätzlichen Gewinnanreiz bieten sowie Erwartungen von außen einen Druck auf Spielerinnen und Spieler ausüben. Hier wurde und wird das Spiel „funktionalisiert“ – mit vielerlei Zwecken angereichert und dabei bleibt selbst bei einer gewissen, großzügigen Betrachtung oftmals noch nicht einmal ein ‚spielerischer Restansatz’ übrig.

Das beginnt nicht selten schon beim Kinder-/Jugendfußball, wo viele Eltern ihre eigenen Kinder anfeuern, eine gute oder noch bessere Leistung als gerade gezeigt zu erbringen oder gegnerische Spielerinnen durch Beschimpfungen diskreditieren. Schon die „Spiele in Rom“ waren öffentliche Veranstaltungen in Form von Wagenrennen, Theater- und Schauwettkämpfen, Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen bis zu Hinrichtungen, die „das Volk amüsieren sollten“ und als „Spiele“ bezeichnet wurden. Auch wenn sich Inhalte bzw. Schwerpunkte mit der Zeit verändert haben, bleiben Ausgangsstrukturen gleich. Mit einem „Spiel“ im originären Sinne gibt es hierbei keine Deckungsgleichheiten.

Wir finden unsere größten Chancen und Gelegenheiten zu wachsen jenseits unserer Bequemlichkeitsbremse.

Neale Donald Walsch

Der Kulturhistoriker Johan Huizinga hat einmal gesagt: „Um wirklich zu spielen, muss der Mensch, solange er spielt, wieder Kind sein.“ Dieser Rollentausch fällt vielen Erwachsenen, leider auch zunehmend pädagogischen Fachkräften, immer schwerer. Doch gleichzeitig ist dies der einzige zielführende Weg, der zu Innovationen und kreativen Problemlösungen führt. Greifen wir daher am besten auf ein Zitat von Neale Donald Walsch zurück. Er vertritt folgende Ansicht, die im Übrigen auch durch persönlichkeitspsychologische Erkenntnisse unterstützt wird: „Wir finden unsere größten Chancen und Gelegenheiten zu wachsen jenseits unserer Bequemlichkeitsbremse.“ Und an anderer Stelle sagt Walsch: „Hingehen in das, was Unbehagen bereitet, veranlasst letztlich Wachstum und die Erfahrung, wer und was ich bin.“ Dabei gibt es nichts Einfacheres, als in unterschiedliche Spielgeschehnisse einzutauchen, um sich zu entdecken und zu reflektieren, aus den Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen und sich dann auf Entwicklungsprozesse einzulassen, die jeden Menschen immer wieder in ein Staunen versetzen.   

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor/Wissenschaftsdozent
für Entwicklungspsychologie & Elementarpädagogik mit (inter)nationalen
Lehr-, Forschungs- und Vortragsaufträgen – im (Un)Ruhestand – Fachbuchautor




Angeleitetes Spiel fördert Kinder besser als konventioneller Unterricht

Wissenschaftler der University of Cambridge analysiern das Verhalten von 3800 Kindern

Leider haben viele Menschen noch immer ein seltsames Verständnis von Lernprozessen. Das führt gelegentlich dazu, dass viele Kinder in der Grundschule unnötig „diszipliniert“ und mit den falschen Unterrichtsmethoden konfrontiert werden. Schließlich fällt es gerade den jüngeren Kindern schwer, still zu sitzen und sich auf den Unterricht zu konfrontieren.

Angeleitetes Spiel immer besser

Wie unnötig diese Quälerei sein kann, zeigt nun das Ergebnis einer Analyse, die Wissenschaftler der University of Cambridge in Großbritannien durchgeführt haben. Sie wollten wissen, ob denn nun der konventionelle Unterricht mit klarer Aufgabenstellung oder angeleitetes Spiel zu besseren Lernerfolgen führt. Dazu haben sie Studien mit rund 3800 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse der Studie, die vor ein paar Tagen im Fachmagazin „Child Development“ (https://srcd.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/cdev.13730) publiziert wurden, sind wenig überraschend. Sie lassen sich in etwa so zusammenfassen: Unterricht mit „angeleitetem Spiel“ fördert Kinder im Alter bis acht Jahren besser als der konventionelle Unterricht. Beim Lesen und Schreiben ist der Unterschied dabei nur gering. Beim Rechnen sind Lernerfolge erheblich größer.

Insofern wäre angeleitetes Spiel, wie es etwa der Grundschulverband (https://grundschulverband.de/) seit vielen Jahren fordert, der bessere Weg zum Lernen in der Schule.

Angeleitet und nicht frei?

Und warum muss das Spiel nun angeleitet und nicht frei sein? „Schule“, wie wir sie kennen, hat nun einmal meist etwas mit Lernzielen zu tun. Um diese zu erreichen, muss die Lehrkraft das Lernziel zumindest im Kopf haben. Das heißt jedoch nicht, dass diese auch die verschiedenen Schritte Stück für Stück vorgeben sollte. Im Gegenteil: Die Kinder sollten den Weg selbst wählen und auch ihre eigenen Schlüsse ziehen. Dass es dabei für die Lehrkräfte auch mal schwierig werden kann, wenn einige Kinder partout die falschen Schlüsse ziehen, versteht sich. Andererseits müssen sie dabei nichts anderes tun, als die Kinder erneut auf den Weg zu schicken. Entscheidend ist es, möglichst mit den Kindern fantasievolle Spiele zu entwickeln, die diese zum Lesen, Schreiben oder Rechnen auffordern.

Frühpädagogen kennen diese Prozesse schon lange. Für die Schule sei darauf hingewiesen, dass sich gerade das Theaterspiel in allen Altersstufen dazu eignet, all diese und weitere Fähigkeiten zu fördern, und dass der Mensch das Wesen ist, das sein ganzes Leben lang beim Spielen lernt.




Spielen und lernen: Formen des Kinderspiels

Spielformen und ihre Bedeutung für die Entwicklung der individualen und sozialen Identität (Teil 3)

Wendet man sich nun den unterschiedlichen Spielformen zu, so ist festzustellen, dass es vielfältige Versuche und Ansätze gibt, das „Phänomen Spiel“ im Allgemeinen und im Besonderen zu klassifizieren. Dabei stellt sich immer die Frage, nach welchen Kriterien bzw. Einteilungsprinzipien eine solche Spieleinordnung vorgenommen werden kann bzw. sollte, ist es doch sehr schwer, das „Spiel“ in seiner ganzheitlichen Vielfalt zu erfassen.

So hat Prof. Dr. Hans Scheuerl Folgendes zum Ausdruck gebracht:

„Spiel enthielt und enthält offenbar allezeit paradoxe Züge: es umreißt Brutalität wie sensibelsten Feinsinn; es reicht vom Ästhetischen bis ins Obszöne, von der unmittelbaren Kraftäußerung, die sich selbst genießt, bis zur listigen Zurückhaltung und Verstellung, die ihre Augenblicksbedürfnisse mit kühlem Pokergesicht um des späteren Triumphes willen aufspart; es reicht vom elementaren Sich-Austoben bis zur gekonnten, beherrschten, manchmal lange trainierten Artistik.“

(Scheuerl 1985, S. 15)

Die in der spielpädagogischen Forschung bekannten Klassifikationsmodelle erstrecken sich dabei vom Entwicklungsmodell (1) über das Spiel-Modell (2), das Sozialform-Modell (3), das Spielinhaltsmodell (4), das Funktionsmodell (5), das Spielort-Modell (6) und das Spielmaterialmodell (7).

In der ersten Klassifizierung ist der Ausgangspunkt der spielende Mensch, der einen jeweiligen Entwicklungsstand erreicht haben muss, um diese Spielform zu realisieren und in die nächste Spielform kommen zu können. Im Spiel-Modell ist das Spiel selbst der Ausgangspunkt (vom Wettkampfspiel zum rauschhaften Spiel), im Sozialform-Modell ist es die Art der Zusammenstellung der Mitspieler/innen (vom Solospiel zum Großgruppenspiel), im Spielinhalts-Modell ist es die Spieldidaktik und seine jeweilige besondere Bedeutung, im Funktions-Modell ist neben der besonderen Spieltätigkeit auch der Spielzweck entscheidend, im Spielort-Modell geht es primär um den Ort der Spielhandlungen (Spiele für drinnen oder draußen, Wasser-, Wald- oder Wiesenspiele …) und im Spielmaterial-Modell ist das Spielmaterial selbst der Ausgangspunkt (Ball-, Würfel-, Brett-, Kartenspiele etc.). Schaut man sich alle Klassifikationsmodelle an ergeben sich unweigerlich Fragen, weil einige Gliederungsschemata sehr allgemein und andere wiederum sehr eng gehalten sind, weil sie nur sehr wenige Kategorien enthalten. Doch darf diese Betrachtung nicht zu dem Schluss führen, auf jegliche Kategorisierung zu verzichten, auch wenn dies schon vor vielen Jahren z.B. die Spieleforscher Buytendijk und Bally gefordert haben. Eine Spielpädagogik kann und wird ohne eine Klassifizierung nicht auskommen können, weil ein Ordnungsschema gerade für die vielfältige Praxis hilfreich und für die Besonderheiten der unterschiedlichen Spielformen im Hinblick auf die Entwicklungsunterstützung bei Kindern von einem besonderen Wert ist. Auch wenn jeder Klassifizierungsversuch seine Schwächen besitzt, scheint dabei am besten ein Ordnungssystem zu sein, das sich entwicklungspsychologisch in der Reihenfolge der aufeinander aufbauenden Spielformen und durch ihre Auftretenshäufigkeit ergibt.

  • Das „Sensumotorische Spiel“: Diese Spielform, die früher auch als „Funktionsspiel“ bezeichnet wurde, umfasst vor allem die Spielaktivitäten der ein- und zweijährigen Kinder. Ihre Freude an Körperbewegungen, das Spiel mit eigenen Körperteilen und einigen, wenigen Gegenständen. Die mehrfachen Spielwiederholungen und das lebhafte Interesse am Erlebnis von „Spannung und Entspannung“ motiviert Kinder immer wieder, Bewegungshandlungen auszuprobieren, Gegenstände in Bewegung zu bringen und Spielrituale zu wiederholen.
  • „Entdeckungs- und Wahrnehmungsspiele“, auch „Informations- und Explorationsspiele“ genannt, beziehen sich darauf, Gegenstände und Zusammenhänge zu erkunden, Geräusche zu erfassen, Spielabläufe mit verschiedenen Materialien zu beobachten, die Beschaffenheit der Materialien zu „begreifen“, Neues an/in den Materialien zu erkunden und mit allen interessanten Dingen zu hantieren.
  • Das „Bauspiel“ mit (Holz)Bausteinen, Alltags- oder Naturmaterialien kann auch als ein „werkschaffendes Spiel“ bezeichnet werden. Hier steht das Bedürfnis des Kindes im Vordergrund, etwas aufeinander, voreinander, hintereinander zu legen, um beispielsweise hohe Türme, Häuser, Berge, Burgen, Wegbegrenzungen o.Ä. zu erbauen. Treibender Motor ist dabei die kindeigene Schaffensfreude, bei der das Kind die Erfahrung macht, ein „wirksamer Baumeister“ sein zu können.
  • „Produktionsspiele zum Gestalten“ gehen über ein eher eingegrenztes Material wie beim Bauspiel hinaus. Hier nutzen Kinder die unterschiedlichsten Dinge und Gegenstände wie Verpackungsmaterialien, Holzteile, Seile, Kartons, Papier, Kleber, Dosen etc., um alleine oder mit anderen Kindern ein bestimmtes Produkt zu erstellen. Die Vielfalt der Materialien und ihre unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten geben den Ausschlag dafür, dass vor allem die Fantasie der Kinder angeregt und ihre Handlungsimpulse immer wieder aufs Neue aktiviert werden.
  • Das „Konstruktionsspiel“ bezieht sich nun wieder mehr auf ganz bestimmte Spielmaterialien, die miteinander verknüpft werden können und eine Einheit bilden. Das wohl bekannteste Konstruktionsspiel ist Lego. Neben der Freude und dem Interesse des Kindes, bestimmte Zielobjekte in freier Assoziation oder nach einer Vorgabe herzustellen, sind hier vor allem ganz bestimmte kognitive Leistungen gefragt wie beispielsweise Abstraktionsvermögen, perspektivisches und logisches Denken. Im Konstruktionsspiel müssen vor allem drei Aspekte zusammen kommen: das Kind mit seinen genauen Konstruktionsvorstellungen, das vorhandene Material, das die Konstruktionserstellung zulässt und das notwendige Werkzeug, das bei der Konstruktionserstellung unerlässlich ist (z.B. Schraubendreher).
  • „Bewegungsspiele“ drücken sich von einfachen Fangspielen, Such- und Versteckspielen bis hin zu komplizierteren Hüpf- und Ballspielen oder auch freien Bewegungsimprovisationen aus. Auch wenn hier zunächst ein „Wettkampfgedanke“ ins Spiel kommt, so darf in keinem Fall vergessen werden, dass Bewegungsspiele zuallererst eine geregelte Möglichkeit sind, motorisch geprägte Aktivitätsbedürfnisse auszuleben, Bewegungseinschränkungen auszugleichen und Gefühle über Motorik zu kompensieren. Das Zusammenspiel von Bewegung, der Kooperation mit anderen und der erlebten Beziehungsnähe zu den Mitspielern macht den besonderen Reiz der unterschiedlichen Bewegungsspiele aus. Gleichzeitig bieten Bewegungsaktivitäten aber auch eine wichtige Möglichkeit, um aufgestaute Gefühle wie Ärger oder Wut, Belastungsstress, Frustrationen, erlebte Isolationsmomente, erfahrene und quälende Einschränkungen, unbefriedigte Grundbedürfnisse oder Einsamkeit und Entfremdung zu kompensieren. Dabei stellt die Spielform „Bewegungsspiele“ eine weitere Ausdrucksform zur Verfügung: die „Aggressionsspiele zum Austoben“. Darunter werden wilde Rauf- und Kampfspiele verstanden, die unter Beachtung fester Spielregeln (ohne bedeutsame Verletzungsgefahr) den Beteiligten dabei helfen, aggressive Stimmungen und aufgestauten Stress abzubauen.
  • „Musikspiele“ bieten durch den spielerischen Umgang mit Instrumenten und der eigenen Stimme vielfältige Möglichkeiten, Musik und Sprache (Gesang) aktiv zu erleben und nicht nur den „Unterhaltungswert aus der Konserve“ zu nutzen. Gerade durch eigene, selbst initiierte und selbst gestaltete Musikerlebnisse, bei denen die Kinder ihre musikalischen Ressourcen entdecken und zu nutzen in der Lage sind, ergeben sich viele Spielaktionen, die Kinder dazu führen, eigene Stimmungslagen mit dem Ausdrucksmittel „Musikgestaltung“ zu verbinden. Musikwissenschaftler sprechen hier von der Begegnung bzw. der Deckungsidentität von „inneren und äußeren Tönen“. Für die unterschiedlichen Musikspiele können einerseits vorhandene Musikinstrumente genutzt aber auch selbstgebaute Musikinstrumente eingesetzt werden. Sicherlich kann dieser Spielform auch das „Tanzspiel“ zugeordnet werden, weil Tanz- und Musikspiele häufig ineinander übergehen. Tanzspiele bestehen nicht nur aus traditionellen Tänzen – vielmehr erleben Kinder viel Freude an einer rhythmischen Bewegung nach Musik, an Körperkontakt mit anderen Mittänzern und an veränderbaren Beziehungen während des Tanzspiels. Dabei kann es sein, dass die Bewegungsgestaltung während des Tanzspiels frei assoziiert oder auch vorgegeben ist. Entscheidend allerdings bleibt immer das Zusammenspiel von Musik, ihrer Ausdruckskraft, der Melodie, dem Rhythmus und der eigenen Tanzgestaltung.
  • Im „Finger- und Handpuppenspiel“, dem sogenannten „kleinen Theaterspiel“, können sich Kinder mit den unterschiedlichen Personen identifizieren, sich in ihnen selbst entdecken oder von ihnen abgrenzen, je nachdem welche Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale die dargestellten Charaktere präsentieren. Mit der Fingerpuppe bis zur Handpuppe können Spielszenen aufgeführt werden, um Kinder damit in eine Selbstbetrachtung zu führen oder Stellungnahmen bzw. Einschätzungen vorzunehmen, um über sich oder andere Menschen, Handlungsaspekte oder Handlungsfolgen nachzudenken. Die Faszination dieser Spielform hat bis heute bei Kindern trotz der medialen Welt nicht nachgelassen. Das besondere an dieser Spielform ist der Umstand, dass die Spielakteure in einer beziehungsnahen Kommunikation mit den Kindern stehen und jederzeit situationsorientiert in eine neue, aktuelle Interaktion mit Kindern treten können.
  • Das „Marionetten-, Stockpuppen-, Stabpuppen- und Figurenspiel“ kann als eine Fortsetzung der zuvor genannten Spielform bezeichnet werden. Dabei findet das Spielszenario auf einem fest umrissenen Raum statt mit mehr oder weniger vielen Elementen (Bühnenbilder, Licht, Geräuschen, benutzbaren Gegenstände, szenische Gestaltung der „Bühne“…). Dabei erwecken die Spieler die Holz-/Papierfiguren zum Leben und bauen häufig direkte Lebenssituationen der Kinder in ihre Spielhandlungen ein. Je älter die Kinder sind, desto mehr ist es auch möglich, sie in die aktiven Spielhandlungen mit aufzunehmen und zum gestaltenden Akteur werden zu lassen.
  • Das „Symbol- oder Fiktionsspiel“ ist ein so genanntes „als-ob-Spiel“ und wird von vielen Spieleforschern als die hauptsächliche und eigentliche Spielform von Kindern bezeichnet. So geben Kinder sowohl den ausgewählten Spielgegenständen als auch der ausgewählten Spielhandlung ein „eigenes Gesicht“. Dabei werden Puppen zu Kindern, Stühle zu Schiffen, Tische zu Höhlen, Kartons zu Schatzkisten, Holzstangen zu Gewehren oder beispielsweise bunte Stifte zu Zauberstäben. Auf der einen Seite können Symbol- und Fiktionsspiele als Solospiele, auf der anderen Seite aber auch als parallel- oder kommunikationsverbindende Spiele durchgeführt werden. Diese Spielform wird zwar häufig auch als „Rollenspiel“ bezeichnet, ist aber unter genauerer Betrachtung noch kein wirkliches Rollenspiel.
  • Das „Rollenspiel“ ist ein festes, von Kindern thematisch geleitetes Zusammenspiel von mindestens zwei Personen, die sich in fiktive Rollen begeben (haben). Meist sind es Darstellungen von Personen und Situationen, die Kinder erlebt haben oder in ihrer Vorstellung so erleben wollen. Im Rollenspiel erproben Kinder ihre eigenen Verhaltensweisen oder nutzen es zur Verarbeitung von erlebten Konfliktsituationen aus ihrem Alltag. Je jünger die Kinder sind, desto einfacher sind diese Rollenspiele und mit zunehmendem Alter werden sie immer differenzierter und umfassender bis sie in einem so genannten „sozialen Rollenspiel“ enden. Hierbei werden die Rollen exakt verteilt und spielerisch immer differenzierter ausgefüllt, die benutzten Requisiten ähneln immer stärker den Gegenständen ihrer Realität und die Ansprüche an soziale, emotionale und kognitive Kompetenzen steigen mit der Zunahme an der Rollenspielkomplexität. Durch das Rollenspiel versuchen Kinder unbewusst, die von ihnen dargestellten Situationen besser zu verstehen, neu wahrzunehmen und differenzierter zu durchschauen, ihre Lebenssituation zu stabilisieren und durch die spielerische Darstellung ihre erlebten Gefühle auszudrücken. Sofern das Rollenspiel als Verarbeitungshilfe dienen soll, kann es ihnen helfen, einen neuen Abstand zur erlebten oder in der Zukunft anstehenden Situation zu gewinnen, auch um mögliche Handlungsalternativen zu finden und ausprobieren zu können.
  • Das „Schattenspiel“, das auch als Schemenspiel oder Figurenschattenspiel bezeichnet wird, übt aus unterschiedlichen Gründen einen besonderen Reiz auf Kinder aus. So ist es vor allem die Zweidimensionalität, die Körperlosigkeit, das Phantastische und Unfassbare, das häufig lautlos dargestellte Spiel und die manches Mal grotesk wirkende Darstellung, die Kinder in seinen Bann zieht. Neben den (selbst hergestellten) Figuren können aber auch Personen ein „Menschenschattenspiel“ durchführen, bei dem dann vielfältigste „Tricks“ angewandt werden können – beispielsweise ist es nicht schwer, größere Gegenstände zu verschlucken, mit übernatürlich groß wirkenden Drachen zu kämpfen, plötzlich zu verschwinden oder zu fliegen. Hier können sowohl „phantastische Geschichten“ als auch „belastende Lebenssituationen“ zum Thema werden  – es können Ängste aktualisiert und im Nachhinein aufgegriffen und bearbeitet werden.
  • Der Begriff „Freispiel“ (auch Freies Spielen genannt) ist eigentlich eine so genannte Tautologie, zumal jedes Spiel für Kinder frei sein sollte. In ihm wählen die Kinder aus, was sie in welcher Zeit an welchem Ort mit wem spielen möchten. Dabei liegt die Betonung zunächst weniger auf dem Aspekt der Freiheit als vielmehr auf dem Begriff des Spiels. Das heißt, dass ein Freispiel durch sehr unterschiedliche Spielhandlungen der Kinder charakterisiert ist. Voraussetzung für ein freies Spielen ist demnach die Existenz einer Spielfähigkeit der Kinder, weil andererseits Spielhandlungen sonst nicht zustande kommen können. Kinder, die keine oder nur eine sehr eingeschränkte Spielfähigkeit besitzen, erleben eine Freispielzeit als Überforderung und wissen mit dieser ungeplanten Zeit wenig bis gar nichts anzufangen. Häufig fühlen sich Kinder dadurch veranlasst, motorisch aktiv zu sein (um der Aktivität willen) oder anderen Kindern mit unsozialen Verhaltensweisen gegenüber zu treten. Dies geschieht nicht aus einem eigenen Wollen heraus sondern vielmehr aus dem Bedürfnis nach Stressreduktion. Spielfähige Kinder hingegen nehmen eine Freispielzeit gerne in Anspruch, um eigenen Spielideen nachzukommen, selbstständige Spielhandlungen aufzubauen, ausgewählte Spielmaterialien in ihren Spielablauf aufzunehmen und Spielerlebnisse damit zu genießen. Entscheidend ist also beim Freispiel die Ausgangssituation der Kinder. Das Freispiel darf daher weder zu einem starren Zeitfenster im Tagesverlauf von Kindern werden noch darf es dazu „missbraucht“ werden, anzunehmen, Kinder lernen im Freispiel Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Diese weit verbreiteten Vorstellungen haben beispielsweise über Jahrzehnte hinweg die Kindergartenpädagogik geprägt und letztlich auch dazu beigetragen, dass der Bildungsauftrag nur eingeschränkt umgesetzt werden konnte. Zum Schluss dieser Spielform sei angemerkt, dass Eltern und Fachkräfte selbstverständlich die Möglichkeit und eine damit verbundene Aufgabe haben, dann neue Spielimpulse in ein Freispiel der Kinder hineinzusetzen, wenn der Ideenreichtum der Kinder ausgeschöpft zu sein scheint.
  • „Interaktionsspiele“ sind zumeist eher kurze Spielhandlungen, die von einem Spielleiter initiiert, begleitet und gesteuert werden, wobei die Abläufe und Gestaltungsmöglichkeiten der ursprünglichen Spielstrukturen auch verändert werden können. Ursprünglich stammt diese Spielform aus der therapeutischen und damit gruppendynamischen Arbeit, bei der es um Selbsterfahrung und Sensibilisierung für andere Menschen geht. Interaktionsspiele kennen weder die Kategorien „richtig & falsch“ bzw. „Sieger & Verlierer“ noch geht es darum, dass sich einzelne Mitspieler in den Interaktionsspielen besonders hervortun. Sie dienen vielmehr der Erweiterung der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, der Verbesserung der Wahrnehmungsoffenheit für andere Menschen und bestimmte Situationen, der Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten, der Verbesserung der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, der Erweiterung eines Kooperationsverhaltens und der Veränderung eigener stereotyper Denk- und Verhaltensmuster. Trotz dieser Schwerpunkte erfassen die Interaktionsspiele immer die ganze Person, die sich in bestimmten Interaktionssituationen erfahren kann und damit in die Lage versetzt wird, über sich und das bisherige Kommunikationsverhalten, über Einstellungen und Sichtweisen, konstruktive oder destruktive Handlungsmomente zu reflektieren.
  • Die umfangreichste „Spielesammlung“ in der gesamten Spielliteratur entstammt der Spielform der „Sozialen Regelspiele“(auch Gemeinschaftsspiele genannt). Auch wenn alle anderen Spielformen ebenfalls mehr oder weniger immer irgendwelche Regeln in sich tragen, so hat diese Bezeichnung dennoch ihren Sinn: Soziale Regelspiele sind in den meisten Fällen so aufgebaut, dass sie einen Wettkampfcharakter mit sich bringen und die Konkurrenz der Mitspieler eher provozieren; sie bestehen in ihrer Struktur aus einem festgelegten Ablauf und verlangen von allen Mitspielern, die bekannten Regeln bis zum Ende des Spiels zu beachten und auch einzuhalten. Es gibt viele Kinder, die einen Leistungsvergleich mit den Mitspielern suchen um möglichst selbst der/die Bessere zu sein. Allerdings muss an dieser Stelle deutlich darauf hingewiesen werden, dass für diese Spielform eine Vielzahl spezifischer Verhaltensweisen notwendig ist (beispielsweise ein Grundmaß an Belastbarkeit; Frustrationstoleranz, Empathie und Anstrengungsbereitschaft). Alle beteiligten Mitspieler müssen in der Lage sein, sich mehr auf den Spielgegenstand selbst, die Spielaufgabe und den -verlauf einzulassen und damit weniger die subjektive, persönliche Wertigkeit in den Mittelpunkt des Sozialen Regelspiels zu stellen. Kinder, deren seelische Grundbedürfnisse eher unbefriedigt geblieben sind, haben weitaus größere Schwierigkeiten, sich auf diese anspruchsvolle Spielform einzulassen als Kinder, die durch eine Grundbedürfnisbefriedigung zu ihrer Selbstkompetenz finden konnten. Gleichzeitig ist bekannt, dass der Auf- und Ausbau eines sozialen Regelbewusstseins bei Kindern ein Lernprozess ist, der einen Zeitraum von ca. 10 Jahren umfasst. So ist verständlich, dass Kinder ihre eigenen Regeln entwickeln, um sich an ihnen selbst messen zu können. Sollte ein Mitspieler also die Regeln missachten oder innerhalb des Spielablaufes verändern, so würde damit entweder das ganze Spiel als beendet erklärt oder die anderen Mitspieler einigen sich darauf, diesen Regel verletzenden Spieler vom weiteren Spielverlauf auszuschließen. Diese Konsequenz kann und darf aber nicht dem Kind selbst angelastet werden, weil es offensichtlich „in seiner Sozialentwicklung noch nicht soweit ist“. Schon hier wird sicherlich deutlich: das Soziale Regelspiel wird häufig viel zu früh in die Pädagogik eingeführt und mit Kindern erlebt (Beobachtungen dokumentieren, dass Soziale Regelspiele mit Kindern zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr nicht unüblich sind anstatt diese Spielform erst bei Kindern ab dem fünften, sechsten Lebensjahr verstärkt zu nutzen). Daher steht diese Spielform – aus entwicklungspsychologischer Sicht betrachtet – in der Reihe der Spielformen erst im Abschlussbereich.
  • Zum Schluss der Spielformen kann der große Bereich des „Theaterspiels“ genannt werden. Darunter fallen zunächst viele andere Begriffe wie beispielsweise das „Pantomimische Spiel“, das „Märchenspiel“, das Maskenspiel“, „Schwarzes Theater“ und schließlich als die anspruchvollste Spielform das „Planspiel“. Um jedoch auch hier dem Spielgedanken treu zu bleiben sei angemerkt, dass jede Form des Theaterspiels nur dann als SPIEL bezeichnet werden kann, wenn alle Akteure gemeinsam das Stück aussuchen und bestimmen, die Texte auf ihren Bedeutungsgehalt für alle Mitspieler hin überprüfen und ggf. modifizieren (umschreiben), die Rollen selbst verteilen und ggf. neue Rollen hinzufügen oder vorhandene Rollen aus dem festgelegten Stück verbannen können. Theaterspiele leben aus den Einfällen der Mitspieler, sind offen für Erweiterungen und bieten Platz, interessante Ideen und Einfälle zu integrieren. Theaterspiele werden von Kindern dann besonders gerne angenommen, wenn sie auch bei der gesamten Bühnengestaltung aktiv einbezogen werden, so dass das Ganze zu einem einzigen, großen Spiel wird, in dem Handwerk und Konstruktion, Bewegung und Musik, Tanz und Produktion sinnverbunden miteinander vernetzt sind.

Jede Spielform hat demnach ihren besonderen und einzigartigen Wert im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern.

Vielleicht mögen sich manche Fachkräfte am Schluss dieser Ausführungen fragen, wo die sogenannten „Denk- und Lernspiele“ bleiben. Sind denn nicht auch die „Denksportaufgaben für kluge Köpfe“, die „Logeleien“ und „Kopfnüsse zum Knacken“, die„mathematischen Lernspiele“, die „Denkspiele mit Pfiff“ und „Strategiespiele für den klugen Denker“, die „Spiele mit lehrhaftem Charakter“ und die „Sprachlernspiele für kleine Genies“ eine eigene Spielform? Sogenannte „Denk- und Lernspiele“ sind im Gegensatz zu den vorher benannten sechzehn Spielformen im eigentlichen Sinne keine Spiele. Hier handelt es sich vielmehr um „Lern- und Übungsformen“, die einerseits nur den kognitiven Bereich von Kindern trainieren sollen und damit andererseits nur bestimmte Teilfunktionen des Menschen ansprechen. Sie sollen Wissen vermitteln, kognitive Lernprozesse stimulieren und können ohne Schwierigkeiten bestimmten richtlinienorientierten Lernzielen zugeordnet werden. Jedem aufmerksamen Betrachter wird damit klar, dass bei diesen „Übungen“ ein „Spiele-Charakter“ nicht mehr zu erkennen ist. Daher kann an dieser Stelle auch nicht auf diese „Spielform“, die keine ist, eingegangen werden.

krenz elementarpaedagogik

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik
Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln

Krenz, Armin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548029
200 Seiten, 24,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de

Literatur:

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Flor, D./Petillon, H. (1997): Abschlussbericht Spiel- und Lernschule. Saarburg: Staatliches Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung

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Spielen und lernen: Zur Theorie des Kinderspiels

Die hohe Bedeutung des Spiels als Bildungsmittelpunkt für Kinder und als Basiswert einer späteren „Schulfähigkeit“ (Teil 2)

Vor zwei Wochen haben wir einen Beitrag von Prof. Dr. Armin Krenz mit dem Titel „Grundsatzgedanken zur Psychologie des Spiels“ veröffentlicht. Im zweiten Teil geht es nun um die „Theorie des Kinderspiels“ bevor wir uns in einem dritten Teil den „Spielformen“ zuwenden.

Über die Bedeutung des Spiels

Ein Blick in die Zeitgeschichte zeigt, dass verschiedene Vertreter aus den Bereichen der Philosophie, Theologie, Psychologie, Pädagogik, Medizin, Soziologie und der Anthropologie ihre Einschätzung zur Funktion und Bedeutung des Spiels für die Entwicklung des Menschen vorgenommen haben. So unterschiedlich die Berufsfelder sind, so unterschiedlich, widersprüchlich und gegensätzlich sind auch deren Sichtweisen.

Aus ihnen entstanden Meinungen und Hypothesen, warum Kinder in den meisten Fällen gerne und intensiv spielen, welche Wirkungen das Spiel auf die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit hat, ob das Spiel auch einen gesellschaftsrelevanten Sinn besitzt und inwieweit das Spiel im Rahmen unterschiedlicher pädagogischer bzw. psychologischer Zielsetzungen genutzt werden kann bzw. eingesetzt werden sollte.

Meinungen und Hypothesen

Aus diesem Grunde scheint es sinnvoll zu sein, die bedeutendsten Vertreter und ihre jeweiligen Einschätzungen in Kürze zu nennen.

Hall und Wund gehen davon aus, dass sich im Spiel des Kindes die Stammesentwicklung (Philogenese) des Menschen wiederholt. Sie beziehen sich dabei vor allem darauf, dass Kinder mit Vorliebe Erd-/Holz- oder Baumhöhlen bauen, auf Abenteuerspielplätzen ihrem ungebremsten Entdeckerinteresse nachgehen oder selbst mit Spielgegenständen immer wieder Häuser errichten, mit Dinosauriern hantieren oder Jagdrollenspiele und Ähnliches unternehmen. Spencer vertritt die so genannte Kraftüberschusstheorie. Seiner Meinung nach steckt das Kind voller Energie und nutzt das Spiel dazu, seine unverbrauchte Kraft hierbei umzusetzen.

Diese Annahme kann beispielsweise dadurch gestützt werden, wenn wir Kinder beobachten, die gerade bei Bewegungsspielen ein unglaubliches Maß an Handlungsdrang ausagieren.

Schaller – ähnlich wie Guts-Muths – glaubt, dass das Spiel dem Menschen die Möglichkeit bietet, nach einer partiellen Erschöpfung einen wichtigen Ausgleich zu finden und Carr ist davon überzeugt, dass im Spiel aufgestaute Gefühle, dem Menschen inne liegende Instinkte und gedankliche sowie motorische Impulse abreagiert werden können.

Locke gesteht dem Kind zu, das Spiel aus dem Grunde zu erleben, dass es im Gegensatz zum Erwachsenen noch nicht in der Ernsthaftigkeit des Lebens eingebunden ist und Kant sieht im Spiel eine absichtslose Beschäftigung, die lediglich der eigenen Muße dienlich ist.

Schiller schuf mit seinen philosophischen Betrachtungen „über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“ eine Vernetzung zwischen Spiel, Schönheit und ästhetischem Sein. Er schätzt das Spiel als etwas so Bedeutsames ein, das es den Menschen erst vollständig macht.

Groos vertritt in seiner Einübungs- und Vorübungstheorie die Ansicht, dass das Kind im Spiel die Möglichkeit findet, die vielfältigsten, angelegten Fähigkeiten zu üben und mit zunehmendem Alter in einer Form der Selbstausbildung weiter zu entwickeln.

Richter geht von einem experimentierenden Spiel einerseits und vom dramatisierenden Phantasieren und Entladen körperlichen Überschusses durch Bewegung andererseits aus. Dabei geht seiner Meinung nach das Kind mit allen Gegenständen im Spiel so um als wären sie lebendig.

Stern schätzt das Spiel als eine Tätigkeit ein, die einen direkten Bezug des Kindes zu den drei Zeitdimensionen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft- besitzt und in deren zeitlichen Dimensionen symbolische, magische und entwicklungsausgerichtete, funktionsübende Momente zum Tragen kommen.

Bühler gibt der Funktionslust des Kindes mit seiner Spiel- und Wiederholungsfreude die größte Bedeutung und geht davon aus, dass das Kind durch seine hohe Spontaneität immer wieder versucht, aktuell herausfordernde Situationen spielend zu bewältigen und zu meistern.

Für Fröbel wird das Spiel zur höchsten Stufe der Kindheitsentwicklung, in der es vor allem darum geht, Äußerliches innerlich und Innerliches äußerlich zu machen, entsprechend der Vorstellung, dass Eindrücke ausgedrückt werden müssen und das eigene Ausdrucksverhalten einen Eindruck in der Welt hinterlassen soll.

Der Holländer Buytendijk vergleicht das Spiel mit einem Theaterstück, in dem es immer einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende gibt. Für ihn geht es um die spielerische Dynamik im Umgang mit Dingen oder Lebewesen, die für das Kind im Spiel eine besondere Bedeutung besitzen und aus diesem Grunde dazu geeignet sind, eine Spieltätigkeit auszulösen.

Der Philosoph und Kunsthistoriker Huizinga geht von einem sehr weiten Spielbegriff aus. Er sieht die gesamte Kultur als eine Form des Spiels an, indem er beispielsweise die Spielregeln in der Kommunikation als ein „Spiel mit Regeln“ betrachtet, Menschen ihre individuellen „Spielrollen“ übernehmen und das ganze Leben ein „Spiel“ ist.

Piaget ordnet das Spiel des Kindes als einen permanenten Versuch ein, sein Umfeld in das eigene Denken, Handeln und Gestalten einzubeziehen, um erlebte Situationen zu begreifen und möglichst aktiv mitbestimmen zu können. Für ihn ergibt sich daraus die logische Notwendigkeit, dass damit das Kind im Spiel vor allem eine egozentrische Haltung einnehmen und ausdrücken wird.

Hetzer glaubt im Spiel der Kinder eine wesentliche Möglichkeit ihrer Befriedigung entdecken zu können. Ereignisse, die aus Sicht der Kinder unbefriedigend oder belastend verliefen, können nun durch das Nachspielen und ein anderes Gestalten einen nachträglich besseren Verlauf nehmen als in der erlebten Realität. Haigis glaubt, dass das Spiel vor allem die „Lust an existenzieller Erregung“ für Kinder bedeutet – jedes Risiko schafft ein Erlebnis zur emotional bestärkenden Berechtigung der eigenen Existenz und lässt das Kind damit spüren: „Ich bin wer! Nämlich ich.“

Freud vertritt in der Einschätzung und Beurteilung des kindlichen Spiels die Katharsishypothese. Seiner Einschätzung nach führt jedes Spiel zu einer Reinigung (Katharsis) von Erlebnissen, Erfahrungen und Eindrücken aus der Vergangenheit und hilft dem Kind immer wieder aufs Neue, sein seelisches Gleichgewicht aktiv wiederherzustellen.

Schlussfolgerungen aus den „Spieltheorien“

Diese Übersicht stellt lediglich eine Auswahl an so genannten „Spieltheorien“ dar. Bei näherer Betrachtung müssen interessierte (sozial)pädagogische Fachkräfte zu folgenden Schlüssen kommen:

  • Jede Einschätzung zur Funktion und Bedeutung des Spiels ist aus einer bestimmten ideologischen Haltung oder einem bestimmten Kenntnisstand heraus konstatiert.
  • Die Einschätzungen des Spiels reichen von einer besonderen Wertschätzung bis zu einer unumstößlich größten Bedeutung für die kindliche Entwicklung. Diese besonders hohe Bedeutung wird ganz aktuell durch den Kinderarzt und Ethnologen, Dr. Herbert Renz-Polster unterstrichen, der speziell dem freien Spiel in der Natur einen unersetzbaren Bedeutungswert für die gesamte Entwicklung des Menschen zuordnet. Er beschreibt diesen Umstand mit einem Erfahrungsfeld, „das unter die Haut geht“, das Abenteuer bedeutet und eine sinnliche Dichte wie nichts Vergleichbares bereit hält. Beim freien Spiel in der Natur ist das Kind dem LEBEN ausgesetzt und wer in Freiheit leben will, muss diese Freiheit erfahren können. Andernfalls ist das Kind der „schleichenden Enteignung der Kindheit“ ausgesetzt. (2013, S. 50, 61, 67)
  • Die besondere Bedeutung des Spiels für die weitere Entwicklung des Kindes entstand erst von dem Zeitpunkt an, als auch das Kind selbst (unter dem Gesichtspunkt einer eigenen Entwicklungszeit, der Kindheit) immer stärker in den Mittelpunkt einer respektvollen Betrachtung gerückt wurde.
  • Eine „alleinige“ Spieltheorie gibt es aufgrund der unterschiedlichen Sichtweisen nicht!
  • Da das Spiel des Menschen – in der Kindheit, Jugendzeit und Erwachsenenwelt – eine immer schon existierende Ausdrucksform war und ist muss davon ausgegangen werden, dass das Spiel eine Lebensnotwendigkeit ist.
  • Die Bedeutung des Spiels für die weitere Entwicklung von Kindern kann aus zweierlei Sichtweisen betrachtet werden: der Erwachsenensicht mit ihren dogmatischen Absichten und aus der Perspektive des Kindes und seinen Entwicklungswünschen und -möglichkeiten. So besteht heute kein Zweifel daran, dass das Spiel in der Entwicklung des Kindes eine ganz zentrale Stellung einnimmt. Spiel ist damit keine Spielerei!

Definitionen des Spiels

So unterschiedlich und auch widersprüchlich die „Spieltheorien“ von ihren Verfasser/innen geprägt sind, so vielschichtig stellt sich das Spiel auch in der Praxis dar. Immer wieder haben Wissenschaftler/innen aus vielen Ländern und zu unterschiedlichen Zeiten versucht, eine Definition des Spiels zu finden und es existieren in der Vielfalt der Literatur auch ungezählte, unterschiedliche Ansätze einer Definition. Vielen Definitionen ist vor allem eines gemeinsam: sie betonen die „freie Handlung“ des Spiels. So haben sich bis in die heutige Zeit zwei Grundaussagen von Huizinga und Caillois allgemein durchgesetzt:

„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selbst hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Anderseins’ als das ‚gewöhnliche Leben’.“

Huizinga 1956, S. 46

Und Caillois ergänzt diesen Gedankengang:

„Das Spiel ist: 1. eine freie Betätigung, zu der der Spieler nicht gezwungen werden kann, ohne dass das Spiel alsbald seines Charakters der anziehenden und fröhlichen Unterhaltung verlustig ginge; 2.eine abgetrennte Betätigung, die sich innerhalb genauer und im voraus festgelegter Grenzen von Zeit und Raum vollzieht; 3. eine ungewisse Betätigung, deren Ablauf und deren Ergebnis nicht von vornherein feststeht, da bei allem Zwang, zu einem Ergebnis zu kommen, der Initiative des Spielers notwendiger Weise eine gewisse Bewegungsfreiheit zugebilligt werden muss; 4. eine unproduktive Betätigung, die weder Güter noch Reichtum noch sonst ein neues Element erschafft, und die, abgesehen von einer Verschiebung des Eigentums innerhalb des Spielerkreises, bei einer Situation endet, die identisch ist mit der zu Beginn des Spiels; 4. eine geregelte Betätigung, die Konventionen unterworfen ist, welche die üblichen Gesetze aufheben und für den Augenblick eine neue, allgemeingültige Gesetzgebung einführen; 5. eine fiktive Betätigung, die von einem spezifischen Bewusstsein einer zweiten Wirklichkeit oder einer in Bezug auf das gewöhnliche Leben freien Unwirklichkeit begleitet wird.“

Caillois 1958, S. 16

Ergänzt werden kann diese letzte Definition durch die Fixpunkte, die Chateau dem Spiel zuschreibt: Spiele haben keinen materiellen Wert, sie sind durch Freude charakterisiert, die erlebte Spielfreude ist aktiv und unmittelbar, sie zeichnen sich durch einen bestimmten Spielernst aus, sie bedeuten Wettkampf – wenn nicht mit anderen, so mit sich selbst- und das Spielen ist ein Aufsuchen von Schwierigkeiten, um sie selbst zu meistern. (Chateau 1964). Vielleicht hat Portmann das Spiel am einfachsten und prägnantesten definiert wenn er schreibt:

„Spiel ist freier Umgang mit der Zeit, ist erfüllte Zeit; es schenkt sinnvolles Erleben jenseits aller Erhaltungswerte; es ist ein Tun mit Spannung und Lösung, ein Umgang mit einem Partner, der mit einem spielt – auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oder die Wand, welche dem Spielenden den elastischen Ball zurückwerfen.“

Portmann 1976, S. 60

krenz elementarpaedagogik

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik
Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln

Krenz, Armin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548029
200 Seiten, 24,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de

Literatur:

Auerbach, S. (2001): Spielerische Intelligenz. München: Beust

Bäcker-Braun, K. (2008): Kluge Babys – Schlaue Kinder. Grundlagen, Spiele und Ideen zur Intelligenzentwicklung. München: Don Bosco

Baer, U. (1981): Wörterbuch der Spielpädagogik. Basel: Lenos

Beins, H.J./Cox, S. (2001): „Die spielen ja nur!?“ Psychomotorik in der Kindergartenpraxis. Dortmund: borgmann

Caillois, R. (1958): Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Stuttgart: Kohlhammer

Chateau, G. (1969): Das Spiel des Kindes. Natur und Disziplin des Spielens nach dem dritten Lebensjahr. Paderborn: Schöningh

Einsiedler, W. (1991): Das Spiel der Kinder. Zur Pädagogik und Psychologie des Kinderspiels. Bad Heilbrunn: Klinkhardt

Flitner, A. (1977): Spielen – Lernen. Praxis und Deutung des Kinderspiels. München: Piper

Friedrich, G./Friedrich, R./Galgoczy, V. de (2008): Mit Kindern Gefühle entdecken. Ein Vorlese-, Spiel- und Mitsingbuch. Weinheim: Beltz

Flor, D./Petillon, H. (1997): Abschlussbericht Spiel- und Lernschule. Saarburg: Staatliches Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung

Fritz, J. (1991): Theorie und Pädagogik des Spiels. Eine praxisorientierte Einführung. Weinheim/München: Juventa

Gebauer, K. (2007): Klug wird niemand von allein. Düsseldorf: Patmos

Hanifl, L./Hartmann, W./Rollett, B. (1994): Die Auswirkungen des Wiener Spielprojekts in der Volksschule auf die Schullaufbahn und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler der 9. Schulstufe unter besonderer Berücksichtigung der sprachlichen Kreativität. In: Olechowski, R./Rollett, B. (Hrsg.). Theorie und Praxis. Aspekte empirisch-pädagogischer Forschung – quantitative und qualitative Methoden. Frankfurt/Main: Peter Lang

Huizinga, J. (1956): Homo ludens. Reinbek: Rowohlt, 2. Aufl.

Kathke, P. ( 2001): Sinn und Eigensinn des Materials. Band 1 und 2. Neuwied/Berlin: Luchterhand

Keller, M. (1973): Spiel und kognitives Lernen, ein Widerspruch? In: Daublebsky, B.: Spielen in der Schule. Stuttgart: Klett

Keller, M. (1976): Kognitive Entwicklung und soziale Kompetenz. Stuttgart: Klett

Kohl, M.F. (2004): Matschen. Kreatives Arbeiten mit verschiedenen Modelliermassen. Seelze-Velber: Kallmeyer

Krenz, A. (2007): Was Kinder brauchen. Aktive Entwicklungsbegleitung im Kindergarten. Mannheim: Cornelsen Scriptor

Krenz, A. (Hrsg.) (2007): Psychologie für Erzieherinnen und Erzieher. Grundlagen für die Praxis. Mannheim: Cornelsen Scriptor

Krenz, A. (2008): Ist mein Kind schulfähig? Ein Orientierungsbuch. München: Kösel, 5. Aufl.

Krenz, A. (2008): Kinder brauchen Seelenproviant. Was wir ihnen für ein glückliches Leben mitgeben können. München: Kösel

Lange, U./Stadelmann, T. (2002): Sand-Wasser-Steine. Spiel-Platz ist überall. Weinheim: Beltz

Liebertz, C. (2000): Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens. Grundlagen, Methoden und Spiele für eine zukunftsweisende Erziehung. München: Don Bosco, 2. Aufl.

Loo, O. van de (Hrsg.) (2005): Kinder-Kunst-Werk. Künstlerisches Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen. München: Kösel

Mogel, H. (1994): Psychologie des Kinderspiels. Heidelberg: Springer, 2. Aufl.

Oerter, R. (1999): Psychologie des Spiels. Weinheim: Beltz

Partecke, E. (2002): Kommt, wir wollen schön spielen. Praxishandbuch zur Spielpädagogik im Kindergarten. Weinheim/München: Juventa

Partecke, E. (2004): Lernen in Spielprojekten. Praxishandbuch für die Bildung im Kindergarten. Weinheim: Beltz

Pausewang, F. (2006): Dem Spielen Raum geben. Grundlagen und Orientierungshilfen zur Spiel- und Freizeitgestaltung in sozialpädagogischen Einrichtungen. Berlin: Cornelsen Verlag

Pohl, G. (2008): Kindheit – aufs Spiel gesetzt. Berlin: Dohrmann, 2. Aufl.

Portmann, A. (1976): Das Spiel als gestaltete Zeit. In: Bayer. Akademie der Schönen Künste (Hrsg.): Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt. München: Akademieverlag

Retter, H. (1991): Kinderspiel und Kindheit in Ost und West. Spielförderung, Spielforschung und Spielorganisation in einzelnen Praxisfeldern – unter Berücksichtigung des Kindergartens. Bad Heilbrunn: Klinkhardt

Rossetti-Gsell, V. (1998): Spielen – Sprache der kindlichen Seele. Freiburg: Herder

Samuelsson, I.P. (1990): Learning to learn. A study of Swedish preschool children. New York: Springer

Scheuerl, H. (1985): Zum Stand der Spieleforschung. In: Einsiedler, W. (Hrsg.): Aspekte des Kinderspiels. Pädagogisch-Psychologische Spielforschung. Weinheim: Beltz

Seitz, R. (1998): Phantasie & Kreativität. Ein Spiel-, Nachdenk- und Anregungsbuch. München: Don Bosco

Steininger, R. (2005): Kinder lernen mit allen Sinnen. Wahrnehmung im Alltag fördern. Stuttgart: Klett-Cotta

Treeck, M. -J.G. van (1990): Spielend fördern. Integriertes Lernen durch Spiel. Dortmund: borgmann

Weber, C. (2004): Spielen und Lernen mit 0-3-Jährigen. Weinheim: Beltz

Wege, B. vom/Wessel, M. (2004): Spielen im Beruf. Spieltheoretische Grundlagen für pädagogische Berufe. Troisdorf: Bildungsverlag EINS

Weinberger, S. (2001): Kindern spielend helfen. Eine personzentrierte Lern- und Praxisanleitung. Weinheim: Beltz




Ein deutliches Ausrufezeichen für die geballte Kraft des Spiels

Sabine Weinberger und Helga Lindner: Faszination Spiel

Viele Erwachsene sehen das „Spiel“ noch als eine typische Kinderaktivität an, die zu jeder Phase einer Kindheit gehört, auch wenn demgegenüber manche Eltern und sogar einige pädagogische Fachkräfte im Rahmen der vor Jahren begonnenen ‚Bildungsoffensive’ dem Spiel(en) der Kinder eine zunehmend untergeordnete Bedeutung beimessen. 

So kommt genau zum richtigen Zeitpunkt das Buch der beiden Psychotherapeutinnen Sabine Weinberger und Helga Lindner heraus, die dem SPIEL seine außergewöhnlich hohe Bedeutung für bedeutsame Entwicklungsvorgänge erneut zusprechen und diese mit vielen Informationen belegen sowie mit vielen Hinweisen ausführen. Es geht dabei um so genannte Schlüsselqualifikationen wie beispielsweise eine humanistisch orientierte Kommunikationsqualität, um Lern- und Lebensfreude, Kreativität, Begeisterungsfähigkeit oder um eine Selbstbildungsmotivation, die dem Menschen helfen, viele angelegte Potenziale zu entdecken, aufzugreifen, auszubauen und zu verfeinern. 

Dabei – und das ist das Besondere in dieser Veröffentlichung – wenden sich die beiden Autorinnen nicht nur dem Bedeutungswert des Spiels für die kindliche Entwicklung zu. Sie konzentrieren sich in ihren spannenden und überaus lesenswerten Ausführungen in der Hauptsache auf die fünf Lebensphasen, die wir Menschen erfahren dürfen: die frühe Kindheit, das Schulalter, die Jugendphase, das Erwachsenenalter und das Leben als Senior*in. 

Nachdem sich Weinberger und Lindner dem Phänomen der „Faszination“, also einer  stark emotionsgeprägten Aufmerksamkeit und ihren  Begleitelementen wie Staunen, Achtsamkeit, möglichen so genannten Flow- und Tranceerlebnissen zugewandt und das Spiel in seinen vielfältigen und ganz unterschiedlichen Facetten näher erläutert haben, folgen die fünf Kapitel mit den altersspezifischen Schwerpunkten und Besonderheiten, die sich im Spiel verbergen und mit dem Spielen zum Ausdruck kommen. 

Geschichten, Metaphern, Beispiele, viele punktgenaue und nachdenkenswerte Zitate, Zusammenfassungen und die interessanten Textausführungen sorgen zu jedem Zeitpunkt für ein tiefes Leseerlebnis, das es schwer macht, eine Pause beim Lesen einzulegen. Und besonders interessierte Leser*innen erhalten nach jedem Kapitel Hinweise auf Vertiefungsliteratur und Quellentexte. 

Dieses Buch setzt ein dringend notwendiges, schon seit einiger Zeit längst überfälliges und zugleich deutlich formuliertes Ausrufezeichen, um die geballte Kraft des Spiels und dessen förderliche Auswirkungen für alle Altersstufen herauszustellen. Gleichzeitig beinhaltet es auch mit einem doppelten Ausrufezeichen ein Gegengewicht zur immer stärker werdenden, kognitiv orientierten Verplanung von Kindheiten, zur häufig seelenlosen und übermächtigen Digitalisierung als kommunikationsunterdrückender Zeit-/Beziehungsdieb und zum zunehmend egozentrisch gestalteten Selbstoptimierungs-wahn bei vielen Erwachsenen. Um diesem Trend eine wundervolle Alternative entgegenzusetzen, lohnt es sich für Eltern und pädagogische Fachkräfte, sich neugierig, interessiert und mit einer hohen Motivation auf die „Faszination Spiel“ einzulassen. 

Armin Krenz

Bibliographie

Sabine Weinberger und Helga Lindner
Faszination Spiel
Wie wir spielend zu Gesundheit, Glück und innerer Balance finden
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden 2020
Softcover, 168 Seiten
ISBN: 978-3-658-27049-0 
19,99 €uro

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