Miteinander Sprache erleben und gestalten

Spiel- und Sprachförderung in der Kita – von Ferdinand Klein

Gerade in der aktuellen Diskussion um nötige Sprachförderung sollte es nicht allein um ein gezieltes Trainieren nach einem bestimmten „Sprachförderprogramm“ gehen. Vielmehr sollte die Förderung der Sprache integrierter Bestandteil der alltäglichen Kita-Arbeit sein – besonders bei Kindern mit (drohenden) Verhaltensproblemen. Ferdinand Klein gibt in seinem Beitrag viele Anregungen, wie das gelingen kann.

Sprachförderung ist Teil des Alltags in der Kita

Beim Fördern der Sprache geht es besonders darum,

  • im Alltag viel und sorgsam miteinander zu sprechen, aufeinander hören zu wollen,
  • miteinander zu singen, zu dichten und zu reimen,
  • lebendige Dialoge miteinander zu führen (und keine Monologe auf Kinder loszulassen!),
  • statt auf Fragen Antworten zu geben, gemeinsam nach befriedigenden Antworten zu suchen,
  • über Kinder und ihre Tätigkeiten zu staunen,
  • über Gott und die Welt zu philosophieren,
  • vielfältige Bewegungsaktivitäten gemeinsam zu erleben und zu genießen,
  • Geschichten zu erfinden, Symbiose-, Trennungs- und Individuationsmärchen zu lauschen,
  • Theaterstücke gemeinsam zu entwickeln und diese dann auch miteinander aufzuführen (Neuhäuser/Klein 2019, 161).

Sprachförderung ist somit ein grundlegender Bestandteil im pädagogischen Alltag.

Dem gefährdeten Kind zur Resilienz verhelfen

Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Kinder bei einer frühkindlichen Fremdbetreuung häufig deutliche Verhaltensirritationen zeigen. Bei diesen Kindern fällt der pädagogischen Fachkraft die Aufgabe zu ihnen zur Entwicklung einer Resilienz zu verhelfen, um durch ihre dann vorhandene Widerstandsfähigkeit aufkommende Verhaltensprobleme zu meistern. Mithilfe eines starken emotionalen Immunsystems können Kinder Belastungen besser aushalten und bei Problemen lösungsorientierte Handlungsschritte spielerisch in Gang setzen.

Die pädagogische Fachkraft wird durch Sicherheit vermittelnde Bindungserfahrungen versuchen den Kindern eine förderliche psychosoziale und kognitive Entwicklung zu ermöglichen. Sie schafft durch

  • Aufgeschlossenheit und personale Stabilität,
  • konstruktive Kommunikation und ausdrucksstarke Klarheit,
  • klare und transparente Regeleinhaltung,
  • positive Verstärkung kindeigener Leistungsansätze und Beharrlichkeit (Festigkeit ohne Starrheit)

den Rahmen dafür, dass Kinder in klaren, durchschaubaren und einschätzbaren Strukturen ihre Entwicklungsressourcen entdecken, ihre subjektiv bedeutsamen Selbstwirksamkeit im Erlebnismittelpunkt SPIEL auf- und ausbauen können.


Resiliente Erziehung in Familie, Krippe, Kita und Grundschule

Der Arzt Prof. Dr. Gerhard Neuhäuser und der Pädagoge Prof. Dr. Ferdinand Klein berichten gemeinsam von langjährigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Anhand zahlreicher Fallbeispiele wird deutlich, wie Kinder durch therapeutische Erziehung Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit von Beginn an erleben und wie sie von der Entwicklungsunterstützung persönlich profitieren können. Das Buch enthält viele Anregungen für ein kindgemäßes pädagogisches Handeln. Der Text wendet sich an Eltern, elementarpädagogische Fachkräfte, pädagogisch-therapeutische Mitarbeiter in Krippe, Kita und Grundschule, an Ärzte und Studierende der Medizin und Pädagogik, insbesondere der Sozial-, Heil- und Sonderpädagogik, der Heilpädagogik/Heilerziehung.

Therapeutische Erziehung, 192 Seiten, Burckhardthaus. Mehr zum Buch…


Das Spiel wieder ins Zentrum rücken

Um dem Erlebnisschwerpunkt SPIEL wieder zu seiner hohen Bedeutung für die Arbeit in der Kita zu verhelfen, bedarf es einer selbstkritischen Reflexion der Fachkraft. Folgende Fragen bieten sich an, wobei die Antworten mit jeweils praktischen Ausführungen, Beschreibungen und Beispielen zu belegen sind:

  • Messe ich dem Spiel in der Kindertageseinrichtung tatsächlich den hohen Bedeutungswert bei, der ihm wissenschaftlich begründet zusteht?
  • Welche aktive oder passive Rolle nehme ich während der Spielaktivitäten der Kinder ein?
  • Bin ich den Kindern ein authentisches Spiel- und Sprachvorbild? Ergreift mich das Spiel und schaffe ich es, mich spielversunken auf die Spieltätigkeiten der Kinder einzulassen?
  • Gibt es Spielformen, die ich besonders bevorzuge bzw. die ich vernachlässige oder ablehne? Welche Hintergründe kann es dafür geben und welche Möglichkeiten bieten sich an, das eigene Spielverhalten zu erweitern und zu intensivieren?
  • Stehen den Kindern in der eigenen Kita zu viel oder zu wenig Spielmittel zur Verfügung?
  • Sind die Spielmittel in einem ansprechenden attraktiven, und Impuls gebenden Zustand? (siehe auch nächsten Abschnitt)
  • Ist der Spielzeit im täglichen Ablauf genügend Zeit eingeräumt?
  • Haben die Kinder die Möglichkeit, bei jedem Wetter auch draußen zu spielen?
  • Gibt es genügend und ausreichende Spielflächen?
  • Können Kinder ihre Spiele zu Ende führen oder werden Kinder durch zu stark strukturierte Aufteilungen im Alltag in ihren Spielaktivitäten zu häufig unterbrochen?
  • Trage ich in regelmäßigen Abständen die hohe Bedeutung des Spiels für die Entwicklung des Kindes in die Öffentlichkeit?
  • Bringe ich den Eltern mittels fachlicher Grundlageninformationen den unersetzlichen Bedeutungswert des Spiels nahe?  (Klein 2019, 220).

Spiel- und Lerngegenstände unter 4 Aspekten prüfen

(1) Selbstgestaltung ermöglichen

  • Ist das Spielmittel dem Spielbedürfnis, dem Spielinteresse und der Spielfähigkeit der Kinder bzw. der Gruppe angemessen?
  • Kann es Bereitschaft zum Spielen, zur Neugierde, zum spontanen Handeln und zur Spielfreude wecken?
  • Hat es eine klare Struktur und regt es die Fantasie an (automatisch funktionierende und komplizierte Materialien sind zu vermeiden)?
  • Ermöglicht es sprachliche Kommunikation?
  • Ermöglicht es das Zusammenspiel mit anderen?

(2) Vertrauen und Sicherheit in die eigenen Kräfte

  • Ist das Spielmittel weich, warm oder griffig und vermag es angenehme Gefühle auszulösen?
  • Kann das Kind durch das Spielmittel Vertrauen in seine eigenen Kräfte (wieder) entwickeln?
  • Ermöglicht es das Üben der Aufmerksamkeit, Ausdauer und Konzentration?
  • Motiviert es zu selbstständigem Spiel?

(3) Einem Spielzweck folgen

  • Welche Lerninhalte kann das Kind oder die Gruppe mit dem Spielmittel (Spielgegenstand) erfahren?
  • Welche Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen ermöglicht es?
  • Welche sprachlichen und sozialen Übungen ermöglicht es?
  • Welche Gewohnheiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten kann das Kind oder die Gruppe einüben und ausbilden?

(4) Kindgerechte Beschaffenheit

  • Genügt das Spielmittel in Farbe, Form und Größe ästhetischen Ansprüchen?
  • Lässt es sich gut reinigen?
  • Ist es nicht zu gefährlich? (Klein 2012, 172)

Spiel- und Sprachkompetenzen sind lebensbedeutsame Grundleistungen

Die bisherigen Darlegungen lassen erkennen: Kinder erwerben im Spiel sprachliche Kompetenzen (Fähigkeiten). Im Einzelnen sind es folgende:

  • „Vernetzungen und Verbindungen herstellen: zwischen unterschiedlichen Dingen kombinieren und koordinieren können;
  • Zuwendung aufbringen: Interesse, Aufmerksamkeit, Kontakt und Beziehungen zu den Dingen, zu den an einer Tätigkeit beteiligten Personen und den Abläufen herstellen; […]
  • Wahrnehmung erweitern: die Vielfalt der Sinnestüchtigkeit ausformen, sie immer wieder aufs Neue aktivieren […];
  • funktionelle Systeme entwickeln: geeignete Sprach-Schemata im Bereich der Kognition und der Handlungsvielfalt aufbauen, um selbst gesetzte oder erwartete Strategien zur Verfügung zu haben;
  • Regelsysteme erkennen und zu nutzen wissen: einzelne Tätigkeiten aufeinander sprachlich abstimmen können;
  • Kreativität entwickeln: bisherige Handlungskonzepte auf ihre Effizienz hin überprüfen und neuartige Strategien entwerfen und ausprobieren können“ (Krenz 2009, 16).

Diese lebensbedeutsamen Grundleistungen, die ohne Sprache nicht denkbar sind, entwickeln sich im Spiel nicht nacheinander, sondern immer in Abhängigkeit voneinander.

Fazit

(1) „Bildung durch Bindung“ (Krenz/Klein 2013) im gestalteten Spiel-, Erfahrungs- und Bildungsraum des Kindes

  • entspricht seinem Bedürfnis nach Sicherheit, Kontinuität, Rhythmus und Wiederholung,
  • schafft Zufriedenheit, Freude und Dankbarkeit im Miteinander und
  • sorgt dafür, dass sich Kinder möglichst keinen Trennungserlebnissen, Beziehungsnöten, Bedrohungsängsten, Auslieferungs- oder Ohnmachtserlebnissen ausgesetzt fühlen.

(2) Im gemeinsam strukturierten Raum des Wohlfühlens bilden sich entwicklungsneurologisch fundierte gesundheitsfördernde und emotional stabilisierende Persönlichkeitsmerkmale sowie stabile soziale Gewohnheiten, die dem Kind mit Verhaltensprobleme Sicherheit und Zuversicht in die Potenziale und Ressourcen der eigenen bio-psycho-sozialen Entwicklung geben (Neuhäuser/Klein 2019, 145).

Literatur

Klein, Ferdinand: Inklusive Erziehung von Anfang an. Bewegung, Spiel und Rhythmik in der inklusiven Kita-Praxis. Bildungsverlag EINS, 2012

Klein, Ferdinand: Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Hort – Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Gesite Janusz Korczaks, BurckhardtHaus 2018

Klein, Ferdinand: Inklusive Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Kita. Heilpädagogische Grundlagen und Praxishilfen. 3. Auflage. Bildungsverlag EINS, 2019

Krenz, Armin: „Das Spiel ist der Beruf des Kindes!“ – Die hohe Bedeutung des Spiels als Bildungsmittelpunkt für Kinder und als Basiswert einer späteren „Schulfähigkeit“. In: Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik – Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln, BurckhardtHaus 2013

Krenz, Armin/Klein Ferdinand: Bildung durch Bindung. Frühpädagogik: inklusiv und beziehungsorientiert. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 2013

Neuhäuser, Gerhard /Klein, Ferdinand: Therapeutische Erziehung. Resiliente Erziehung in Familie, Krippe, Kita und Grundschule. BurckhardtHaus 2019

Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln

In einer Zeit wirtschaftlicher und technologischer Wandlungen, veränderter Situationen des Wohnens und Zusammenlebens, in der mediale Konsumorientierung bereits das frühkindliche Leben mitprägt, sollten wir einmal einen Schritt zurücktreten und – ohne uns den modernen Möglichkeiten zu verweigern – darüber nachdenken, was unsere Kinder, seien es eigene oder im pädagogischen Rahmen anvertraute, zu einer positiven Selbstentwicklung wirklich brauchen. Armin Krenz behandelt fach- und sachkundig und stets praxisnah das Thema der frühkindlichen Entwicklung, sei es im Bereich der Sprache, der Motorik, der sozialen Persönlichkeit oder der Kognition. Er zeigt auf, welch große Bedeutung die Beobachtung und Begleitung der kindlichen Entwicklung in der Pädagogik spielt, sei es im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten oder zur Ermöglichung einer freien Spielpraxis, die die positive Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit erst ermöglicht. Mehr zum Buch…