Erneuter Appell für einen Nationalen Bildungsgipfel

Ein unabhängiges Team aus Wissenschaft und Praxis sollte die Bildungsreform konzipieren und vorbereiten

Angesichts der seit vielen Jahrzehnten ungelösten, gravierenden Probleme im deutschen Bildungssystem haben 89 Organisationen einen gemeinsamen Aufruf an die Bundesländer und den Bund gestartet. Unter dem Hashtag #NeustartBildungJetzt appellieren sie an die Ministerpräsidentinnen, Ministerpräsidenten sowie den Bundeskanzler, einen Nationalen Bildungsgipfel einzuberufen. Unter www.neustart-bildung-jetzt.de wurde eine neue Website aufgesetzt, die weitere Informationen bereithält.

Nationaler Bildungsgipfel als Auftakt zu einem kontinuierlichen Reformprozess

„Dass großer Handlungsbedarf in der Bildung gesehen wird, zeigen weitere Initiativen, die sich nach der erstmaligen Veröffentlichung des Appells in den vergangenen Wochen gegründet haben und, die ähnliche bildungspolitische Forderungen stellen.“, heißt es in der Mitteilung des Appells. Und weiter: „Für die Unterstützer von #NeustartBildungJetzt steht fest, dass ein Nationaler Bildungsgipfel nur den Auftakt zu einem kontinuierlichen Dialog- und Reformprozess zwischen allen beteiligten Akteuren darstellen kann. Es gehe darum, Vertreter aus der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik, aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildungspraxis, Zivilgesellschaft sowie von Eltern, Schülerinnen und Schüler zusammenzubringen.“

Kommentar zum Bündnis

Richtig ist: Wir brauchen endlich einen Reformprozess. Aber so naheliegend es auch scheinen mag. Die wenigsten Vertreterinnen und Vertreter der Unterzeichner des Appells können diesen initiieren. Einerseits zeichnen hier viele Vereine und Organisationen, die das Gesamtinteresse im Blick haben, denen aber allzu oft die Kapazitäten und manchmal auch die Kompetenzen fehlen. Andererseits tummeln sich bei den Unterzeichnern auch zahlreiche Interessengruppen wie etwa der Verband der Bildungswirtschaft didacta, zahlreiche unternehmensnahe Stiftungen sowie Vertreter von Interessengruppen, die vornehmlich eigene und nicht gesamtgesellschaftliche Interessen im Fokus haben. Und diese sind organisatorisch und finanziell sicher die Potentesten.

Dabei kann ein Reformprozess nur dann gelingen, wenn diesen unabhängige ernsthafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und integre Praktikerinnen und Praktiker voranbringen, die einer Kontrollkommission aus Politik und Gesellschaft stetig Rechenschaft ablegen müssen. Nur so kann eine echte Reform gelingen, die gegen viele Widerstände, auch gegen die Interessen vieler Unterzeichner dieses Appells, durchgesetzt werden muss. Schließlich geht es um unser aller Zukunft.

Den Appell unterstützen:

  • AJA Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch 
  • Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. 
  • Allgemeiner Schulleitungsverband Deutschlands (ASD)  
  • Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) e.V.
  • Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
  • AWO Bundesverband e.V.
  • Bertelsmann Stiftung
  • Berufsverband für Lerntherapeut:innen (BLT e.V.)
  • Bildungsrat von unten
  • Bildungswerk für Schülervertretung und Schülerbeteiligung e.V. (SV-Bildungswerk)
  • BöfAE e.V. (Bundesarbeitsgemeinschaft öffentlicher und freier Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher) 
  • Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.
  • Bund der Freien Waldorfschulen e.V.
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher 
  • Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe (bbt) 
  • Bundeselternrat
  • Bundesverband der Kita- und Schulfördervereine e.V.   
  • Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung e.V. (BvLB) 
  • Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) e.V.
  • Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland e.V. (BÖB) 
  • dbb beamtenbund und tarifunion 
  • Der Kinderschutzbund Bundesverband e.V. 
  • Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (DeGeDe) 
  • Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e.V. 
  • Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
  • Deutsche Liga für das Kind e.V. 
  • Deutsche Telekom Stiftung
  • Deutscher Caritasverband
  • Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
  • Deutscher Lehrerverband
  • Deutscher Städtetag
  • Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.
  • Deutsches Kinderhilfswerk e.V. 
  • Deutsches Komitee für UNICEF e.V.  
  • Diakonie Deutschland  
  • Didacta Verband e.V.
  • Dieter Schwarz Stiftung
  • Dieter von Holtzbrinck Stiftung GmbH
  • Flossbach von Storch Stiftung
  • Ganztagsschulverband e.V.
  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
  • GGG – Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule – Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens e.V.
  • Grundschulverband e.V.
  • Helga Breuninger Stiftung
  • Heraeus Bildungsstiftung 
  • Internationaler Bund (IB) Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V.
  • Joachim Herz Stiftung
  • Karg-Stiftung
  • Kita-Fachkräfte-Verband Hessen e.V. 
  • Kita-Fachkräfteverband Niedersachsen-Bremen e.V.
  • komba gewerkschaft
  • Körber-Stiftung
  • Landesverband Sozialpädagogischer Fachkräfte Berlin e.V. 
  • Montag Stiftungen
  • Montessori Bundesverband Deutschland e.V.
  • Montessori Landesverband Berlin-Brandenburg e.V.
  • National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e.V. 
  • Netzwerk Offene Arbeit Deutschland
  • Reinhard Mohn Stiftung
  • Robert Bosch Stiftung
  • Roland Berger Stiftung
  • Schöpflin Stiftung
  • Schule im Aufbruch
  • Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V.
  • SOS-Kinderdorf e.V.  
  • Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. 
  • Stiftung Bildung
  • Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
  • Stiftung Kinder forschen
  • Stiftung Lernen durch Engagement
  • Stiftung Lesen
  • Teach First Deutschland
  • Unternehmerstiftung für Chancengerechtigkeit
  • Verband Bildung und Erziehung (VBE)
  • Verband deutscher Musikschulen e.V. (VdM)
  • Verband Deutscher Privatschulverbände e.V. – Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft    
  • Verband für Kitafachkräfte NRW e.V.  
  • Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) – Bundesverband e.V.
  • Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg  
  • Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V. 
  • Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz
  • Verband Kitafachkräfte Saar 
  • Verband Sonderpädagogik e.V.
  • Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di  
  • Vodafone Stiftung Deutschland
  • VPK – Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V. 
  • Wübben Stiftung Bildung
  • ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius  
  • Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland

Quelle: Pressemitteilung Stiftung Bertelsmann/Kommentar: Gernot Körner




Chancen für Jugendliche mit niedriger Schulbildung sinken weiter

Die Qualifikationsanforderungen in Ausbildungsberufen werden in den kommenden Jahren steigen

Die Qualifikationsanforderungen in Ausbildungsberufen werden in den kommenden Jahren steigen. Für Geringqualifizierte verringert sich das Jobangebot. Das ist auch deshalb keine gute Nachricht für den Arbeitsmarkt, weil die Zahl der Ungelernten in Deutschland gleichzeitig zunehmen wird. Das sind zentrale Ergebnisse einer Expert:innen-Befragung zu den Ausbildungsperspektiven von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung im Jahr 2030, die die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung durchgeführt hat.

Anstieg der Zahl der Ungelernten

Die beruflichen Perspektiven für Jugendliche mit niedriger Schulbildung werden sich in den nächsten Jahren verschlechtern. Mehr als die Hälfte der rund 100 befragten Berufsbildungsexpert:innen (53 Prozent) rechnet mit steigenden Qualifikationsanforderungen auch in Ausbildungsberufen, die für Jugendliche mit niedriger Schulbildung relevant sind. 42 Prozent gehen davon aus, dass dies zumindest teilweise der Fall sein wird. Die Hälfte der befragten Fachleute erwartet zudem einen weiteren Anstieg der Zahl der Ungelernten bis 2030. Gleichzeitig gehen 61 Prozent davon aus, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte abnehmen werden. „Der Fachkräftemangel ist ein drängendes Thema unserer Zeit. Es geht aber auch um die persönliche Zukunft der Jugendlichen. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir es uns weiter leisten können und wollen, dass jedes Jahr viele Jugendliche keinen Anschluss finden und gleichzeitig die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze steigt“, sagt Andreas Knoke, Abteilungsleiter Programme bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. „Es braucht endlich entschlossenes Anpacken, um wirklich allen Jugendlichen die Chance auf eine Ausbildung und damit individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.“

Anhaltende Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsmarkt

Nahezu alle Expert:innen erwarten zwar, dass die duale Berufsausbildung auch 2030 noch von hoher Bedeutung sein wird (51 Prozent volle und 46 Prozent teilweise Zustimmung). Gleichzeitig werden aber auch die Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsmarkt weiter bestehen: Eine große Mehrheit der Befragten (85 Prozent) rechnet damit, dass es auch im Jahr 2030 noch Passungsprobleme geben wird – also das gleichzeitige Auftreten von unbesetzten Ausbildungsstellen und unversorgten Bewerber:innen. Zudem rechnen mehr als 60 Prozent der Expert:innen auch weiterhin damit, dass Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, zunächst Übergangsmaßnahmen durchlaufen müssen.

Berufsorientierung intensivieren und Ausbildung modularisieren

Eine große Mehrheit der Befragten sieht großes Potenzial in der schulischen Berufsorientierung (55 Prozent „hoch“, 25 Prozent „sehr hoch“), um die Übergangschancen von Jugendlichen mit niedrigen Schulabschlüssen zu verbessern. Dazu sollte zum Beispiel Berufsorientierung stärker in der Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen verankert werden. Mehr als 80 Prozent der Expert:innen (83 Prozent) plädieren zudem für kontinuierliche und individuelle Begleitung von Jugendlichen, um Übergänge von der Schule in Ausbildung besser gelingen zu lassen. Auch eine Flexibilisierung des Ausbildungssystems erachten viele der Expert:innen als sinnvoll: Mehr als 60 Prozent der Befragten halten eine Modularisierung der Ausbildung für „sehr“ oder „eher“ wünschenswert, um gerade junge Menschen mit niedriger Schulbildung schrittweise zu einem vollwertigen Ausbildungsabschluss zu führen.

Bertelsmann Stiftung, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH (Hrsg.)

Zukunft ungewiss – Ausbildungsperspektiven von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung

Ergebnisse einer Delphi-Befragung

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Quelle: Pressemitteilung Bertelsmann Stiftung




Zusammenwachsen in der Einwanderungsgesellschaft

Wie denkt die Bevölkerung über Teilhabe, Verbundenheit und Zugehörigkeit?

Deutschland ist ein Einwanderungsland – dies ist heute in Politik und Gesellschaft weitgehend akzeptierte Realität. Das Zusammenleben in kultureller Vielfalt hat in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht, seine weitere Gestaltung bleibt aber eine wichtige Zukunftsaufgabe. Dabei spielen Fragen von Teilhabe, Verbundenheit und Zugehörigkeit eine wichtige Rolle. In einer Studie hat die Bertelsmann Stiftung feststellen lassen, wo Deutschland bei diesen Themen aktuell steht.

Eine große Mehrheit der Befragten fühlt sich mit Deutschland verbunden

Die Ergebnisse zeigen, dass das Zusammenleben in Vielfalt in Deutschland im Großen und Ganzen gut gelingt. Eine deutliche Mehrheit der Befragten mit und jener ohne Migrationshintergrund äußert sich positiv über ihr Leben in Deutschland: Rund 80 Prozent geben jeweils an, sich in Deutschland zu Hause und mit Deutschland verbunden zu fühlen. Gut 70 Prozent stimmen der Aussage zu, dass sie mit ihrem Leben in Deutschland heute alles in allem zufrieden sind. Menschen mit und Menschen ohne Migrationshintergrund sind sich außerdem mit jeweils fast 80 Prozent Zustimmung darüber einig, dass es für die Zugehörigkeit zu Deutschland in erster Linie darauf ankommt, dass jemand schon lange in Deutschland lebt, die Sprache spricht und seinen bzw. ihren Beitrag zur Gesellschaft leistet.

Es gibt Anzeichen für ungleiche Teilhabechancen und Ausgrenzung

Während die Lebenszufriedenheit der Befragten grundsätzlich hoch ist, gibt es dennoch Anzeichen dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland noch immer Ausgrenzung erfahren und schlechtere Teilhabechancen haben. So äußern sie häufiger, manchmal das Gefühl zu haben, in der Gesellschaft nicht richtig dazuzugehören. Weiter geben sie öfter an, es im Vergleich zu den meisten anderen Menschen schwerer zu haben, eine geeignete Wohnung zu bekommen, einen passenden Arbeitsplatz zu finden oder einen guten Bildungsabschluss zu erzielen.

„Dies deutet darauf hin, dass Diskriminierung in vielen Lebensbereichen noch immer stattfindet“, erklärt Kai Unzicker, Experte für gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Daher sollte man die Gesellschaft noch stärker für Diskriminierung sensibilisieren und die Politik sollte Antidiskriminierungsmaßnahmen intensivieren, vor allem in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Bildung“, so Unzicker.

Die Bevölkerung blickt mit Ambivalenz auf Vielfalt

Dass migrationsbedingte Vielfalt in Deutschland mit gemischten Gefühlen betrachtet wird, zeigt die Ambivalenz der Befragten beim Thema „Einwanderung“: Etwas mehr als die Hälfte gibt an, die Vielfalt, die durch Einwanderung entsteht, vor allem als eine Bereicherung des Lebens zu erleben; zugleich sind jedoch auch knapp über 60 Prozent der Ansicht, dass die Politik die Zahl der Einwanderer und Einwanderinnen nach Deutschland deutlich begrenzen solle.

Dass Deutschland alles in allem durch Einwanderung mehr Vorteile als Nachteile habe, meint mit 49 Prozent wiederum knapp die Hälfte der Befragten. „Die Politik sollte Zuwanderung so gestalten, dass die Vorteile und Chancen noch stärker zum Tragen kommen“, erklärt Integrationsexpertin Ulrike Wieland.  Das Leitbild dafür müsse Fairness im Sinne eines ‚Triple Win‘ sein: „Es geht um eine vorteilhafte Gestaltung für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch für die Zugewanderten selbst sowie für die Herkunftsländer“, so Wieland.

Vielfalt könnte in Zukunft noch stärker als Normalität empfunden werden

Dass die Einwanderungsgesellschaft in Zukunft noch stärker als Normalität empfunden werden könnte, macht der Blick auf die Einstellungen der jüngsten Befragten im Alter von 18 bis 29 Jahren deutlich. Sie zeigen sich offener für migrationsbedingte Vielfalt als ältere Menschen – und das unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. „Die heute jungen Menschen wachsen bereits mit mehr Vielfalt auf, erleben sie als Alltag. Das spricht dafür, dass die Einwanderungsgesellschaft in Zukunft insgesamt mit mehr Gelassenheit betrachtet werden könnte“, erläutert Ulrike Wieland.

Die Studie ist frei zum Download verfügbar: www.bertelsmann-stiftung.de/zusammenwachsen  

Quelle: Mitteilung Bertelsmann Stiftung, Dr. Ulrike Wieland, Dr. Kai Unzicker