Bereits Sechsjährige weisen Kompetenzen im wissenschaftlichen Denken auf

Kinder aus Elternhäusern mit einem hohen Bildungsniveau schneiden besser in den Testungen ab

Lange Zeit ging man davon aus, dass junge Kinder nicht in der Lage seien, wissenschaftlich zu denken. Das betrifft Fähigkeiten wie Daten zu bewerten, zu beurteilen, ob ein Experiment ein gutes oder ein schlechtes ist, oder ein grundlegendes Verständnis davon zu entwickeln, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich machen. Eine Studie von Christopher Osterhaus, Juniorprofessor für Entwicklungspsychologie im Handlungsfeld Schule an der Universität Vechta, und Susanne Koerber, Professorin für Frühe Bildung der Pädagogischen Hochschule Freiburg, zeigt nun jedoch, dass bereits Sechsährige erstaunliche Kompetenzen im wissenschaftlichen Denken aufweisen. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse bereits in der renommierten Forschungszeitschrift „Child Development“.

Die beiden Wissenschaftler der Universität Vechta und der Pädagogischen Hochschule Freiburg sind die ersten, die das wissenschaftliche Denken im Kindesalter in dieser Kombination aus besonders langem Zeitraum mit besonders kurz aufeinander folgenden Test-Intervallen und einer besonders hohen Zahl an Test-Aufgaben erfasst haben. Untersucht wurden in der fünfjährigen Längsschnittuntersuchung insgesamt 161 Kindergarten- und Grundschulkinder.

„Wir haben die Kinder zum ersten Mal im Kindergarten interviewt und sie dann bis ans Ende der Grundschulzeit begleitet“, erläutert Osterhaus. „Dabei haben wir jährlich ihre Kompetenzentwicklung gemessen. Auf diese Weise lässt sich sehr genau verfolgen, wann Entwicklungsschritte auftreten und wovon diese abhängen.“

Vorurteil widerlegt: Mädchen nicht schlechter als Jungen

Im Gegensatz zum geläufigen Vorurteil weist die Studie allerdings keine Gender-Unterschiede nach: Mädchen schnitten ebenso gut ab wie Jungen. „Manch eine Studie findet Gender-Unterschiede im wissenschaftlichen Denken“, sagt Osterhaus.

„Dies ist allerdings in der Regel nur der Fall, wenn Aufgaben verwendet werden, die überwiegend aus einem einzelnen naturwissenschaftlichen Inhaltsbereich stammen, wie beispielsweise der Physik. Wir haben in unserer Studie Aufgaben verwendet, die kindgerecht und in Kontexte eingebettet sind, die Jungen und Mädchen gleichermaßen ansprechen.“

Elternhaus entscheidend für Entwicklung

Neben den allgemeinen Fähigkeiten der Kinder (in erster Linie ihrem Sprachverständnis) scheint insbesondere ihr soziales Verständnis eine Rolle dabei zu spielen, wie gut sie wissenschaftlich denken. Aber auch das Elternhaus spielt eine wichtige Rolle. So haben die beiden Wissenschaftlerinnen gezeigt, dass Kinder aus Elternhäusern mit einem hohen Bildungsniveau besser in den Testungen abschnitten als Kinder aus Elternhäusern mit einem durchschnittlichen oder niedrigen Bildungsniveau. Die Grundschule wirkte demnach nicht ausgleichend, sondern schien Unterschiede durch soziale Milieus eher zu verfestigen.

Zu Beginn der Grundschulzeit sind grundlegende Fähigkeiten vorhanden, vieles aber entwickelt sich noch. So müssen Lehrkräfte und Eltern die Kinder gezielt fördern, damit sich ihr wissenschaftliches Denken entfalten kann. Kindergarten und Schule müssen also hier ansetzen, um diesen Unterschieden entgegenzuwirken.

„Bis zum Ende der Grundschulzeit scheint es ein enormes Potenzial zur Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens zu geben“, erläutert Christopher Osterhaus. „Aber während manch ein Kindergartenkind bereits komplexe Datenmuster korrekt interpretiert, haben andere Kinder selbst am Ende der Grundschulzeit Probleme damit, ein gutes von einem schlechten Experiment zu unterscheiden. Das heißt, die Kinder, die bereits im Kindergarten gut sind, sind diejenigen Kinder, die auch am Ende der Grundschulzeit ihren Klassenkameraden weit voraus sind.“

Die Original-Studie finden Sie hier: PM LS Scientific reasoning Osterhaus, C., & Koerber, S. (2022). The complex associations between children’s scientific reasoning and advanced theory of mind. Child Development:

https://srcd.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/cdev.13860




Diese Werte sind Schulkindern wirklich wichtig

Die Sicherheit und das wohlergehen anderer stehen für Kinder an erster Stelle

Werte prägen unser ganzes Leben. „Sie beeinflussen unsere Beziehungen, Glück, Wohlbefinden und nicht zuletzt unser tägliches Handeln“, sagt Prof. Dr. Elena Makarova, Professorin und Direktorin am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Basel. Neben dem Elternhaus ist die Schule maßgeblich dafür verantwortlich, dass Kinder ihre eigenen Werte entwickeln.

Trotzdem ist noch wenig darüber bekannt, ob und wie die Vermittlung von Werten im Unterricht stattfindet. Diese Wissenslücke in der Bildungsforschung soll nun eine Langzeitstudie unter Leitung von Makarova schließen. Nachdem die Forschenden zunächst vor allem Daten gesammelt haben, legen sie nun die ersten Auswertungen vor. Sie zeigen, welche Werte Primarschulkindern in der Schweiz am meisten bedeuten und welche Werte Lehrpersonen fördern wollen.

Wohlergehen von anderen ganz oben

Für das Projekt besuchten die Doktoranden Ricarda Scholz-Kuhn und Thomas Oeschger mithilfe anderer Studierender 97 Schulklassen in 59 Primarschulen in der Deutschschweiz und fragten über 1200 Kinder mehrmals im Verlauf von zwei Jahren, welche Werte ihnen wichtig sind. Um die abstrakten Begriffe zu veranschaulichen, bekamen sie Zeichnungen vorgelegt: „Konformität“ wird beispielsweise durch das Bild eines Kindes illustriert, das eine rote Ampel beachtet; „Leistung“ durch einen jubelnden Sporttreibenden auf dem Podest. Laut Scholz-Kuhn hat sich diese von anderen Forschenden entwickelte Methode gut bewährt. „Dadurch spielte es zum Beispiel keine Rolle, wie gut die einzelnen Kinder lesen konnten.“

Weitere Infos

Die Analyse zeigt, dass für die Primarschulkinder eindeutig der Wert „Wohlwollen“ an der Spitze steht – die Förderung des Wohlergehens von Menschen, die ihnen nahestehen, ist für sie das Allerwichtigste. Ebenfalls weit oben rangierte der Wert „Sicherheit“. Dies erklären sich die Forschenden auch damit, dass die Befragung mitten in der Corona-Epidemie stattfand. Am untersten Ende der Wertehierarchie landete dagegen der Wert „Macht“. „Sozialer Status, Prestige und Autorität scheinen somit für die Kinder in diesem Alter von wenig Bedeutung zu sein“, so Makarova.

In der Schweiz stimmen Lehrpersonen überein

Für die Studie beantworteten zudem über hundert Lehrpersonen die Frage, welche Werte sie im Unterricht weitergeben wollen: Ihnen war ebenfalls „Wohlwollen“ am wichtigsten, daneben aber auch der Wert „Selbstbestimmung“. Letzterer landete bei den Kindern nur unter ferner liefen. Mit ihrem Fokus folgen die Lehrpersonen – ob bewusst oder unbewusst – den Vorgaben des in der Deutschschweiz geltenden Lehrplans 21.

Dort sind neben Lerninhalten und Kompetenzen auch die Werte festgeschrieben, die der Unterricht vermitteln soll – wenngleich nicht immer offensichtlich. „Oft sind in den Beschreibungen der Kompetenzen Hinweise auf Werte versteckt“, sagt der Doktorand Thomas Oeschger, der den Inhalt des Lehrplans daraufhin durchforstet hat. Dabei tauchten auch die von den Lehrpersonen bevorzugten Werte „Wohlwollen“ und „Selbstbestimmung“ auf. Generell folge der Lehrplan damit den humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen, die auch in der Bundesverfassung und den Volksschulgesetzen formuliert seien, so Oeschger.

Auswertung noch längst nicht abgeschlossen

Gemäß Makarova ist die Auswertung der Daten noch längst nicht abgeschlossen: Auf dem Programm steht zum Beispiel noch ein Ländervergleich mit Großbritannien – dort nahmen ebenfalls Schulen an der Befragung teil. Ausstehend ist auch noch eine Analyse der Veränderung der Werte über die beobachteten zwei Jahre hinweg. Und nicht zuletzt helfen die Ergebnisse bei der Entwicklung von neuen Weiterbildungskonzepten. Lehrpersonen sollen noch besser darin werden, Kinder bei der Bildung von Werten zu unterstützen.

Hier geht es zur Projektseite https://bildungswissenschaften.unibas.ch/de/valise/

Quelle: Pressemitteilung Universität Basel




Matheunterricht: Mehr Sprechen fördert das Verstehen

Sprachbildender Mathematikunterricht hilft schwachen wie starken Schülerinnen und Schülern

Nicht mehr rechnen, sondern mehr reden kann Schülerinnen und Schülern dabei helfen, ihre Mathekenntnisse zu verbessern. Gestalten Lehrkräfte den Unterricht so, dass mathematische Ideen häufiger diskutiert und begründet werden sollen, profitieren Schülerinnen und Schüler auf allen Leistungsniveaus davon. Das zeigt eine neue Studie mit knapp 600 Kindern und Jugendlichen, die von einem Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Technischen Universität Dortmund und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) durchgeführt wurde. Sie erschien im „Journal for Research in Mathematics Education“.

Sprachkompetenz entscheidend

Ziel der neuen Studie war es zu untersuchen, ob sich durch eine gezielte Sprachförderung die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler verbessern lassen. „Aus früheren Studien wissen wir, dass es einen Zusammenhang zwischen der Sprachkompetenz der Kinder im Deutschen und ihrer Leistung im Mathematikunterricht gibt. Die Sprachkompetenz hatte dabei einen größeren Einfluss als etwa der sozioökonomische Status der Kinder“, sagt die Mathematikdidaktikerin Prof. Dr. Kirstin Erath von der MLU. Die Forscherinnen unterscheiden dabei zwischen einer Alltags- und einer Bildungssprachkompetenz. „Viele Schülerinnen und Schüler, die Probleme im Matheunterricht haben, sind im alltäglichen Sprachgebrauch sehr erfolgreich. Im Bildungsbereich fehlen ihnen dann aber die passenden Kompetenzen, um beispielsweise zu mathematischen Erklärungen im Unterricht beizutragen“, sagt Erath weiter.

589 Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 7

Im Rahmen der groß angelegten Studie mit 589 Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 7 untersuchten die Forscherinnen der MLU, der TU Dortmund und des IPN diesen Zusammenhang. Die Schülerinnen und Schüler wurden zufällig in drei Gruppen aufgeteilt: In einer Gruppe wurde mathematisches Verständnis gefördert, indem die Lernenden immer wieder zum Erklären und Begründen aufgefordert wurden. Eine zweite Gruppe erhielt zusätzlich so genannte lexikalische Lerngelegenheiten, zum Beispiel Informationen zu Satzbausteinen wie „der Teil vom Ganzen“. In einer dritten Kontrollgruppe wurde der Standardunterricht ohne zusätzliche Lernangebote durchgeführt. Vor und nach den Unterrichtseinheiten testeten die Forscherinnen die mathematischen Fähigkeiten der Kinder.

Sprachbildender Mathematikunterricht

Das Ergebnis: Die Schülerinnen und Schüler profitierten von dem sprachbildenden Mathematikunterricht – ihre Leistungen verbesserten sich stärker als im Vergleich zu der Kontrollgruppe. „Wenn Schülerinnen und Schüler miteinander ins Gespräch gebracht werden, miteinander interagieren und über den Stoff diskutieren, dann passiert vertieftes Mathematiklernen. Die in der zweiten Gruppe angebotenen Satzbausteine können allerdings einige besser nutzen als andere“, fasst Erath zusammen.

Gute Nachrichten für die Inklusion

Aus Sicht der Projektpartnerin Prof. Dr. Susanne Prediger von der TU Dortmund ist das wichtigste Ergebnis, dass alle Schülerinnen und Schüler von den speziell entwickelten Lerneinheiten profitierten, also auch solche mit guten Leistungen: „Bisher wurde Sprachbildung meist für mehrsprachige Lernende und solche mit Leistungsproblemen als lernwirksam gezeigt. Es freut uns sehr, dass wir zeigen können, dass auch diejenigen, die die Förderung aufgrund ihrer bisherigen Leistungen eigentlich nicht brauchen, davon mathematisch profitieren. Das ist eine gute Nachricht im Hinblick auf Inklusion“, fasst Prediger zusammen. Die neue Studie solle dazu beitragen, möglichst für alle Schülerinnen und Schüler einen Zugang zu Mathematik zu ermöglichen und die Chancen auf eine wirkliche Teilhabe zu verbessern.

Mathematiklehrerinnen und -lehrer könnten ihren Klassen helfen, indem sie solche Lerngelegenheiten häufiger in den Unterricht integrieren und nicht nur die Lösungen abfragen. „Wie es am besten gelingt, die Gespräche unter den Schülerinnen und Schülern anzuregen, hängt auch von den Klassen ab, es gibt keine Patentrezepte“, sagt Erath. Die Erkenntnisse der Didaktikerinnen sollen auch in die Ausbildung angehender Mathematiklehrerinnen und -lehrer einfließen. Außerdem bietet das Team im Rahmen des Deutschen Zentrums für Lehrkräftebildung Mathematik am IPN auch Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer an Schulen an.

Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.


Originalpublikation:
Studie: Prediger S., Erath K., Weinert H. & Quabeck K.. Only for Multilingual Students at Risk? Cluster-Randomized Trial on Language-Responsive Mathematics Instruction. Journal for Research in Mathematics Education (2022). doi: 10.5951/jresematheduc-2020-0193
https://doi.org/10.5951/jresematheduc-2020-0193




„Kinder, die jünger als sechs Jahre sind, gehören nicht ins Etagenbett“

Unfälle mit Etagenbetten führen häufig zu Knochenbrüchen bei Kindern

Etagenbetten sind bei vielen Familien im Trend. Eine Studie der Universitätsmedizin Leipzig zeigt, dass Unfälle mit solchen Betten häufig zu Knochenbrüchen bei Kindern führen. „Eltern sollten insbesondere bei Kindern aufpassen, die jünger als zehn Jahre sind. Kinder unter sechs Jahren gehören gar nicht in Etagenbetten“, sagt Studienleiter Prof. Martin Lacher.

Vermeidbare Knochenbrüche

Vor dem Schulalter sollten Kinder keine Hochbetten nutzen. „50 Prozent der Frakturen im Zusammenhang mit Unfällen aus diesen Betten hätte es bei uns gar nicht gegeben, wenn die Nutzung den Kindern unter sechs Jahren verboten worden wäre“, sagt Prof. Martin Lacher, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig.

Prof. Lacher und sein Team behandeln immer häufiger Kinder, die vom Hochbett gestürzt sind und haben deshalb die konkreten Fallzahlen geprüft. Sie untersuchten, wie viele der Kinder nach einem Stürzen aus Hochbetten eine Fraktur erlitten und schlossen dabei alle ein, die jünger als 18 Jahre sind.

162 Patient:innen, die Verletzungen durch ein Etagenbett erlitten, wurden von Januar 2014 bis Dezember 2021 in der Universitätsmedizin Leipzig behandelt. „Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder jünger als sechs Jahre besonders gefährdet sind. Erst ab zehn Jahren werden Brüche unwahrscheinlicher“, sagt Prof. Lacher.

Umso jünger, umso größer die Risiken

Im Durchschnitt waren die behandelten Kinder fünf Jahre alt und 60 Prozent Jungen. Kleinkinder bis drei Jahre erlitten in 45 Prozent der Fälle Knochenbrüche. Im Alter zwischen drei und fünf Jahren waren es 50 Prozent Frakturen, bei den Sechs- bis Neunjährigen 60 Prozent. Erst ab dem Alter von zehn Jahren kam es bei Unfällen im Zusammenhang mit Etagenbetten nur noch in 30 Prozent der Fälle zu Knochenbrüchen.

Teppichboden zur Prävention

Die häufigsten Frakturen erlitten die Betroffenen am Unterarm, gefolgt von Schlüsselbein und Oberarm. In sechs Prozent der Fälle trugen die Kinder sogar Schädelfrakturen davon. 15 Prozent mussten operiert, 26 Prozent der Patient:innen stationär behandelt werden. Es gab keinen Todesfall. Der Leipziger Universitätsmediziner Prof. Lacher empfiehlt: „Wenn man solche Betten nutzt, sollten mindestens zwei Gitterstangen übereinander angebracht sein und Teppichboden im Kinderzimmer liegen.

Originalpublikation:

Originalveröffentlichung in medicina: Bunk-Bed-Related Fractures in Children: Are We Aware of the Risks. https://doi.org/10.3390/medicina58060749

Anne Grimm/Universität Leipzig




Was Unternehmen über Kinderrechte wissen

UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein veröffentlichen Studie

Kinderarbeit, die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Kindern in Geschäftslokalitäten und Veranstaltungen – dies sind die Kinderrechtsthemen, welche für die teilnehmenden Unternehmen der eben veröffentlichten Studie von UNICEF Schweiz und Liechtenstein und dem UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein besonders relevant sind.

Was wissen Unternehmen über Kinderrechte?

UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein haben eben die Studie «Addressing Children’s Rights in Business – An Assessment from Switzerland and Liechtenstein» veröffentlicht. Diese Grundlagenstudie untersuchte, welche Kenntnisse Unternehmen hinsichtlich der Kinderrechte haben, wie Kinderrechte in ihren täglichen Aktivitäten und unternehmenseigenen Richtlinien berücksichtigt und verankert sind, und welchen Herausforderungen Unternehmen bezüglich Kinderrechten gegenüberstehen. Darüber hinaus soll die Studie eine Grundlage für die künftige Arbeit von Unternehmen, der Zivilgesellschaft, der Politik sowie der Verwaltung im Bereich Unternehmensverantwortung für Kinderrechte schaffen.

Reduktion auf Bekämfpung von Kinderarbeit

Die aktuelle Studie verdeutlicht die vielfältigen Auswirkungen von Unternehmen auf Kinder und ihre Rechte – sowohl in ihren Lieferketten wie auch in ihren eigenen Geschäftstätigkeiten in der Schweiz und in Liechtenstein. Besonders auffällig ist, dass sich Unternehmen der Breite der Kinderrechtsthemen, die für sie möglicherweise relevant sind, meist nicht bewusst sind. Vielmehr reduzieren sie Kinderrechte in der Wertschöpfungskette auf die Bekämpfung von Kinderarbeit.

In ihren eigenen Geschäftsprinzipien spielen zudem Produktsicherheit und die Sicherheit von Kindern in den eigenen Geschäftseinrichtungen und Veranstaltungen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus machen die meisten untersuchten Unternehmen keine Verbindung zu weiteren kinderrechtsrelevanten Engagements, wie etwa im Umweltbereich oder zur Familienfreundlichkeit. Viele Unternehmen engagieren sich philanthropisch in mehreren Bereichen, die Kinderrechte tangieren, wie Bildung oder Gesundheitsversorgung.

Impulse für Unternehmen schaffen

Die Wichtigkeit von verbindlichen Gesetzgebungen, welche die Kinderrechte umfassend berücksichtigen, wurde gleich an mehreren Stellen in der Studie hervorgehoben. Neue Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht schärfen das Bewusstsein von Unternehmen für Kinderrechte und schaffen Impulse für Unternehmen, sich verstärkt mit Kinderrechten auseinanderzusetzen. Gesetze schaffen für Unternehmen aber auch Rechtssicherheit mit verbindlichen Vorgaben, die sich gegen innen und nach aussen richten.

Die Studie wurde vom Geneva Center for Business and Human Rights und dem Centre for Children’s Rights Studies der Universität Genf verfasst. Die Resultate basieren auf einer Desk-Analyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten von 60 Unternehmen, einer Online-Umfrage mit 54 teilnehmenden Unternehmen sowie 15 Vertiefungsinterviews. 

Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Quelle: UNICEF Schweiz und Liechtenstein




Wie Gewaltbereitschaft entsteht

Eine neue Studie zeigt den Einfluss von emotionaler Vernachlässigung im Kindes- und Jugendalter

Kinder und Jugendliche, die emotional vernachlässigt wurden sowie strafende und kontrollierende Eltern hatten, neigen dazu, sogenannte dunkle Persönlichkeitseigenschaften wie Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie zu entwickeln. Diese Eigenschaften wiederum erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer hohen Gewaltbereitschaft bei den betroffenen Personen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie unter 1366 Leipziger Kindern und Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren, die in Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI), des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (Teilinstitut Leipzig) und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm durchgeführt wurde.

Potenzielle Erklärungsfaktoren für erstarkende autoritäre Dynamiken

Die Ergebnisse sind einerseits als Grundlagenforschung für laufende Projekte zu Radikalisierungsprozessen und Rechtspopulismus an FGZ und EFBI zu begreifen – denn die ausgemachten Persönlichkeitsmerkmale und eine gesteigerte Gewaltbereitschaft sind potenzielle Erklärungsfaktoren für erstarkende autoritäre Dynamiken. Zugleich sollten die Ergebnisse unmittelbar politisches Gehör finden, denn sie zeigen deutlich den Bedarf nach einem Ausbau von Präventionsmaßnahmen und deren notwendige inhaltliche Ausrichtung.

In der Befragung, die in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführt wurde, wurden Jugendlichen Fragen zu Persönlichkeitsmerkmalen und zur Gewaltbereitschaft gestellt. Darüber hinaus fragten die Forscherinnen und Forscher der Leipziger Jugendstudie danach, ob die Jugendlichen in den vergangenen zwölf Monaten Gewalt beobachtet haben. Beides, sowohl negative Eigenschaften, die von Narzissmus, Opportunismus, Empathielosigkeit und Impulsivität geprägt seien, sowie die Beobachtung von Prügeleien unter anderen Jugendlichen bewirke eine hohe Bereitschaft selbst Gewalt anzuwenden oder die Gewalt durch andere zu befürworten.

Die Erziehung von Kindern- und Jugendlichen gehört auf die politische Agenda

Dr. Alexander Yendell und Professor Dr. Oliver Decker fordern vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse die Erziehung von Kindern- und Jugendlichen auf die politische Agenda zu setzen. Gleichzeitig kritisieren sie, dass sehr viel Geld für Sicherheit und jüngst in Militär investiert wird, dabei werde allerdings vergessen, dass der Nährboden für Gewalt in der frühen Sozialisation liege. „Wir bekommen die Grausamkeit und Gewalt auf dieser Welt nur in den Griff, wenn wir dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche liebevoll und ohne verbale, physische und sexuelle Gewalt aufwachsen“, so Alexander Yendell.

Problematisch ist aus Sicht beider Forscher, dass es nicht nur zu wenige wichtige Projekte zur Gewaltprävention im Kindes- und Jugendalter gibt, sondern diese häufig nur kurzfristig angelegt sind. Anstatt vorwiegend in mehr Sicherheit durch Polizei und Militär zu investieren, müssten sich politische Interventionen auch auf den Bereich konzentrieren, wo Gewalt noch verhindert werden kann, sprich in der frühen Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. Hier würde viel zu wenig und zu kurzfristig investiert „Es passiert immer nur etwas, wenn es schon brennt“, so Yendell und Decker.

Welche Bedeutung Bildungsinstitutionen haben

Dabei sei der Bereich der Familie allerdings nicht der einzige wichtige: „Menschen werden nicht nur in Familien unter Zwang gestellt und erfahren dort Gewalt, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft“ so Oliver Decker. Aus diesem Grund, wollen die Forscher zukünftig auch Bildungsinstitutionen und andere möglicherweise einflussreiche Kontexte in den Blick nehmen. Darüber hinaus forschen Decker und Yendell zur Kriegsbereitschaft und -verherrlichung.

Die Durchführung der Studie zur Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen wurde vom BMFSFJ im Programmpaket „Demokratie leben!“ gefördert. Aktuelle Projekte von Alexander Yendell und Oliver Decker am BMBF-gefördertem FGZ (Teilinstitut Leipzig) beschäftigen sich mit autoritären Dynamiken und Populismus.

Dr. Mathias Rodatz Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Originalpublikation:

https://doi.org/10.1371/journal.pone.0268992

Yendell, Alexander; Clemens, Vera; Schuler, Julia; Decker, Oliver (2022): What makes a violent mind? The interplay of parental rearing, dark triad personality traits and propensity for violence in a sample of German adolescents. In: PLOS ONE 17 (6), e0268992. DOI: 10.1371/journal.pone.0268992.




Viele Kinder kopieren Gewalt in Medien

Vor allem depressive und verletzliche Heranwachsende laut wissenschaftlicher Analyse gefährdet

Kinder, die in den Medien mit Waffengewalt konfrontiert werden, sollen eher bereit sein, eines Tages selbst zu Waffen zu greifen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von JAMA Network Open http://jamanetwork.com, einer von der American Medical Association http://ama-assn.org herausgegebenen Open-Access-Fachzeitschrift. „Wenn ein Kind kein gutes Leben zu Hause oder in einer anderen Gemeinschaft hat und Gewalt in den Medien erlebt, können vier Folgen auftreten“, so Suriyadeo Tripathi vom Moral Promotion Centre http://moralcenter.or.th an der Mahidol-Universität.

Gesellschaftliche Norm

Kinder, die depressiv und verletzlich sind, sind den Experten nach immer bereit, das zu wiederholen, was sie auf dem Bildschirm gesehen haben. Einige würden paranoid und das Gefühl haben, dass die Gesellschaft nicht sicher ist. Erleben Kinder über längere Zeit Gewalt in den Medien, bekommen sie das Gefühl, dass das gesellschaftliche Norm ist, heißt es. Schließlich verlören sie ihr Mitgefühl.

Tripathi fordert, dass Nachrichtenmedien auf detaillierte Details in der Kriminalberichterstattung weitgehend verzichten sollten. Denn anders als Beiträge, die als ungeeignet für Kinder eingestuft werden könnten, seien Nachrichtensendungen für alle zugänglich. Aufgrund der Prävalenz von Gewalt in den Massenmedien betont Tripathi die Bedeutung der Einbeziehung der Eltern in die Medienkompetenz ihrer Kinder.

Eltern sollten ihren Kindern drei Fragen über die Medien stellen, die sie konsumieren, anstatt ihnen zu sagen, was sie glauben sollen: „Erstens: Wie fühlst du dich, wenn du diese Art von Inhalten ansiehst? Zweitens: Was hast du aus dieser Art von Inhalten gelernt? Drittens: Was würdest du tun, wenn du in dieser Situation wärst?“

Fatale Folgen für Kinder

„Wie die Forschung des National Institute of Mental Health http://nimh.nih.gov zeigt, wollen einige Kinder Mediengewalt kopieren. Einige sind anfällig für andere Medieneinflüsse, einige bekommen Angst und viele werden desensibilisiert“, so Ted Baehr, Gründer von Movieguide, einer Organisation, die sich für christliche Medieninhalte einsetzt. „So, wie ein Alkoholiker von einer Bierwerbung übermäßig in Versuchung geführt würde, so können bestimmte Arten von Medien Ihr Kind in seinem spezifischen Entwicklungsstadium verführen oder beeinflussen.“

Wolfgang Kempkens/pressetext.redaktion




Trotz Kita-Ausbau: Oma und Opa weiter dringend gefragt

Neue Broschüre des BiB und des DIW Berlin zur Kinderbetreuung durch die Großeltern

Großeltern spielen bei der Betreuung von Kindern eine große Rolle – und das hat sich auch durch den Kita-Ausbau in Deutschland kaum verändert, wie eine eben in Berlin vorgestellte Studie zeigt. Das zweijährige Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) weist auf der Basis repräsentativer Daten nach, dass Oma und Opa ein wichtiger Bestandteil und eine Hilfe im Leben von jungen Familien sind. Der Anteil der Jungen und Mädchen unter sechs Jahren, deren Großeltern nach Bedarf oder regelmäßig an der Betreuung beteiligt sind, liegt in Deutschland bei über 50 Prozent. Regelmäßig werden in einer normalen Woche zwischen 20 und 40 Prozent der Mädchen und Jungen unter 10 Jahren von den Großeltern beaufsichtigt.

Wichtige Komponente im Leben von jungen Familien

Oma und Opa werden nicht nur aus emotionalen, sondern auch aus ganz praktischen Gründen gebraucht: Zwar besuchen neun von zehn Vorschul-Kindern in Deutschland eine Kita, dennoch kümmern sich Großeltern – größtenteils Großmütter – zusätzlich um jedes zweite Klein- und Vorschulkind. „Großelternbetreuung ist in den letzten Jahren trotz Kita-Ausbau weitgehend konstant geblieben, sie ist eine wichtige Komponente im Leben von jungen Familien, und hilft den Eltern“, erläutert Professorin C. Katharina Spieß, die mit ihrem Team seit Juni 2020 am Projekt „Oma und Opa gefragt?“ geforscht hat. Eltern, die dazu keine Möglichkeit hätten, wünschten sich in großem Maß eine stärkere Einbindung von Oma und Opa – das äußerten rund zwei Drittel der im Panel abgebildeten Familien.

Im Westen Deutschlands sind die Großeltern am Nachmittag neben den Eltern bei jungen Kindern sogar die Hauptbetreuungsform, im Osten werden sie am Nachmittag dabei sehr häufig mit der Kita kombiniert, beispielsweise um die (Randzeiten-) Umsorgung der unter 10-Jährigen sicherzustellen.

Augenmerk auf „Betreuungs-Patchwork“

Allerdings zeigt die Studie auch: Wenn Oma- und Opa-Betreuung in Kombination mit zu vielen Bezugspersonen – ganztags Kita, danach Großeltern und dann Eltern – genutzt wird, können sich negative Effekte im sozio-emotionalen Bereich ergeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder zwischen drei und fünf Jahren sozio-emotional instabiler sind, erhöht sich um 36 Prozent, wenn Mädchen und Jungen „im Ganztag“ sind und zusätzlich von den Großeltern betreut werden. Diese Effekte sind für Kinder, die nur halbtags eine Kita besuchen, nicht zu beobachten.

„Die Familien- und Bildungspolitik muss sich der Frage stellen, wie eine stabile und damit qualitativ gute Betreuungsumwelt in Kitas und dem schulischen Ganztag bei einer Kombination mehrerer Betreuungsformen gesichert werden kann“, so Johannes Hauenstein, Vorstand der Stiftung Ravensburger Verlag, die das Forschungsprojekt gefördert hat. Etwa den Wechsel der Fachkräfte in den Kitas auf ein notwendiges Maß reduzieren, indem das Arbeitsumfeld so attraktiv gemacht wird, dass die Pädagoginnen und Pädagogen hier über einen längeren Zeitraum arbeiten und das aus Sicht der Kita-Kinder idealerweise in Vollzeit.

Zufriedene Mütter haben sozio-emotional stabilere Kinder

Wissenschaftlich bis jetzt selten belegt, konnten die Forscherinnen nun empirisch messbar nachweisen: Helfen Großeltern mit, unterstützt das vor allem die Mütter, die nach wie vor die Hauptbetreuungsperson sind. Zwei Effekte kann man beobachten: Die Mütter sind zufriedener mit ihrer Kinderbetreuungs-Situation und mit ihrer eigenen Freizeit. Erstere steigt um elf Prozent, die Zufriedenheit mit der Freizeit erhöht sich sogar um 14 Prozent. Diese Effekte sind besonders groß in Haushalten mit Kindern bis sechs Jahren.

Bei den Vätern sind die Effekte auf die Zufriedenheit nicht so groß. Diese Zahlen zeigen, wie Oma und Opa die Entwicklung der Mädchen und Jungen entscheidend mitprägen, so Spieß: „Die Steigerung der mütterlichen Zufriedenheit hat einen direkten Zusammenhang mit der kindlichen Entwicklung. Salopp gesagt: Zufriedene Mütter haben sozio-emotional stabilere Kinder.“

Handlungsempfehlungen

„Um Einbußen in der Betreuungsqualität und damit Belastungen der Kinder zu verhindern, ist es unerlässlich, in Kitas oder dem schulischen Ganztag eine stabile Betreuungsumwelt zu bieten,“ folgern die Wissenschaftler:innen. Ein wichtiger Faktor dafür sei, dass Kinder so oft wie möglich von denselben pädagogischen Fachkräften betreut würden – an einem Betreuungstag, aber auch über die Kita-Zeit hinweg. Dies wiederum setze für die Fachkräfte ein so attraktives Arbeitsumfeld voraus, dass sie über einen längeren Zeitraum darin verbleiben möchten. Da nicht alle Familien auf Großeltern zurückgreifen können, sollte es zudem möglich sein, mithilfe der Unterstützung von ehrenamtlichen oder professionellen „Großelterndiensten“ Ausgleich zu schaffen.

Die Befunde der Studie zur Großelternbetreuung machen insgesamt deutlich, dass Eltern vor großen Herausforderungen stehen – auch wenn Kitas weiter ausgebaut werden.

Die Analysen basieren auf Daten des pairfam-Panels, des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der DJI-Kinderbetreuungsstudie KiBS. Diese Daten wurden in Abhängigkeit der Fragestellung und der Verfügbarkeit für die Jahre 1997-2020 ausgewertet.

Quelle: Presseabteilung Stiftung Ravensburger und BiB