Kurzvideos im Unterricht: Schnell geschaut – schlecht behalten

Zwei Studien der TU Braunschweig zeigen: TikTok & Co. erschweren tiefes Lernen und fördern oberflächliches Denken. Textbasierte Lernformen schneiden besser ab

Kurz, bunt und unterhaltsam – Kurzvideos auf TikTok, Instagram oder YouTube Shorts gehören für viele junge Menschen zum Alltag. Doch wenn es ums Lernen geht, zeigen sich klare Schwächen: Lerninhalte, die per Kurzvideo vermittelt werden, werden schlechter behalten. Wer häufig solche Clips konsumiert, denkt zudem weniger rational. Das zeigen zwei aktuelle Studien der Technischen Universität Braunschweig, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Computers & Education.

Das zentrale Ergebnis: Kurzvideos eignen sich weniger für nachhaltige Wissensvermittlung als klassische Textformate. Bereits wenige Minuten TikTok & Co. reichen aus, um Lernende in einen Modus oberflächlichen Lernens zu versetzen – mit spürbaren Auswirkungen auf die Leistung in anschließenden Wissenstests.

Schnelle Clips – seichtes Lernen

In der ersten Studie befragte Thorsten Otto, Doktorand am Institut für Pädagogische Psychologie, rund 170 Erwachsene im Alter von 18 bis 52 Jahren zu ihrem Nutzungsverhalten und überprüfte ihre Fähigkeit zum rationalen Denken. Das Ergebnis: Wer viele Kurzvideos konsumiert, schnitt beim Test für analytisches Denken signifikant schlechter ab.

In einem zweiten Experiment mit rund 120 Teilnehmenden wurde der Lerneffekt unmittelbar gemessen. Eine Gruppe konsumierte vorab unterhaltende Kurzvideos, danach wurden Inhalte entweder per Text oder Kurzvideo vermittelt – mit identischem Inhalt. Das Resultat war eindeutig: Die Gruppe mit Kurzvideo-Lernmaterial schnitt im anschließenden Quiz deutlich schlechter ab als jene, die mit Texten gearbeitet hatte. Außerdem zeigte sich: Wer vor dem Lernen Unterhaltungsclips geschaut hatte, neigte zu einem oberflächlicheren Lernstil – mit Fokus auf reines Auswendiglernen statt Verstehen.

Multimedialer Reiz – kognitive Überlastung

Kurzvideos entfalten ihre Sogwirkung durch eine Vielzahl gleichzeitiger Reize: schneller Schnitt, Musik, Untertitel, Emojis. Doch genau das birgt eine Gefahr: kognitive Überlastung. Laut der „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ behindern zu viele gleichzeitige Reize die effektive Verarbeitung von Informationen – das Lernen wird ineffizient. „Kurzvideos sind kein Ersatz für tiefgehende Lernprozesse“, sagt Thorsten Otto. Ihr Vorteil liegt in der Aufmerksamkeitsbindung, nicht in der Tiefe der Wissensvermittlung. Wenn sie im Unterricht eingesetzt werden, dann gezielt – mit Bedacht auf Tempo, Gestaltung und Ablenkungselemente.

Mehr Medienkompetenz statt Medienverzicht

Trotz kritischer Ergebnisse sieht Otto Kurzvideos nicht grundsätzlich als bildungsfern. Vielmehr betont er: „Wenn es gelingt, soziale Medien verantwortungsvoll und punktuell in den Unterricht zu integrieren, können sie das Engagement junger Menschen fördern.“ Entscheidend sei, Lernende zugleich für die Grenzen dieser Formate zu sensibilisieren.

Sein Rat für alle, die lernen oder lehren:

  • Beim Lernen auf unterhaltende Kurzvideos verzichten.
  • Im Unterricht problematisieren, wie Social-Media-Formate wirken.
  • Kurzvideos didaktisch sinnvoll einsetzen – etwa als Einstieg, nicht als Ersatz für vertiefende Auseinandersetzung.
  • Push-Benachrichtigungen abschalten, Graustufenmodus aktivieren – um den Reiz des endlosen Scrollens zu brechen.

Kein TikTok-Bashing, aber klare Grenzen

Die Ergebnisse der TU Braunschweig zeigen: Wer effizient und nachhaltig lernen will, sollte Textformaten Vorrang geben – zumindest bei komplexen Inhalten. Kurzvideos können ergänzen, aber nicht ersetzen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Social Media muss deshalb Teil moderner Bildung sein – und das gilt für Lernende genauso wie für Lehrkräfte.

Originalstudien

Otto, T. (2025). Should educators be concerned? The impact of short videos on rational thinking and learning: A comparative analysis. In: Computers & Education, Volume 234.

Von Gernot Körner, nach einer Studie von Thorsten Otto, Technische Universität Braunschweig




TikTok testet eigenen „Learn“-Stream

Die chinesische Video-App TikTok http://tiktok.com testet einen eigenen „Learn“-Stream, mit dem vor allem junge User schnell eine Reihe von lehrreichen Inhalten finden. Sie können dadurch einfach durch die Lern-Clips auf der Social-Media-Plattform scrollen und erhalten so ununterbrochen bildende Informationen.

„Vielversprechende Inhalte“

„Lerninhalte auf TikTok sind sehr vielversprechend. Viele Videos haben sich gut an die Ästhetik der Plattform angepasst. Sie sind kurz und behandeln meistens nur auf einen Aspekt, erklären diesen aber oft sehr gut. Beispielsweise finden sich viele sexualpädagogische Inhalte, die auf die Fragen von Jugendlichen eingehen. Das ist vor allem jetzt wichtig, wo es keine externen Schul-Workshops gibt. Ein eigener Stream hilft dabei, solche Clips zu entdecken“, sagt Medienpädagogin Barbara Buchegger von Saferinternet http://saferinternet.at im Gespräch mit der Nachrichtenagentur pressetext.

Mit dem Learn-Stream will die Plattform ihr „LearnOnTikTok“-Programm erweitern. Das Unternehmen hat diese Initiative im April angekündigt. TikTok gibt globalen Lehrkräften Subventionen in der Höhe von etwa 50 Mio. Dollar und zieht außerdem Experten für die Entwicklung der eigenen Bildungs-Inhalte heran.

Image in den USA verbessern

Der Learn-Stream befindet sich noch in der Testphase und ist nur für einige ausgewählte User sichtbar. Vor allem in der Corona-Pandemie will TikTok seinem hauptsächlich jungen Publikum beim Lernen von zuhause aus helfen. Das könnte der populären Plattform dabei helfen, besonders in den USA ihr Image zu verbessern. Die Trump-Regierung konnte die Verbannung der App zwar nicht durchsetzen, weil ein US-Bezirksgericht sie blockiert hat, jedoch steht TikTok immer noch im Verdacht der Spionage für China.

Georg Haas für pressetext.redaktion