Familien mit niedrigem Bildungsstand sind anfälliger für Übergewicht

Ulmer Studie belegt Zusammenhang von Elternhaus und kindlicher Adipositas

Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsstand sind anfälliger für Übergewicht. Auch ein geringes Haushaltseinkommen und Migrationshintergrund spielen eine Rolle. Zu diesem Ergebnis kamen Forschende um Professor Jürgen M. Steinacker und Dr. Susanne Kobel von der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin des Ulmer Universitätsklinikums. Ihrer aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Archives of Public Health zufolge steigt das Risiko für Übergewicht ebenfalls bei Kindern, wenn Mütter und Väter zu viel auf die Waage bringen – auch weil das Gewicht der Kinder von den Eltern falsch eingeschätzt wird.

Gesundheitsgerechtigkeit für Kinder

„Gesundheitsgerechtigkeit ist ein wichtiges Ziel von Forschung und Politik“, erklärt Professor Jürgen M. Steinacker. Der Mediziner, der bis Ende September 2023 am Universitätsklinikum Ulm die Sektion für Sport- und Rehabilitationsmedizin geleitet hat, engagiert sich seit vielen Jahren für die Gesundheit von Kindern. „Denn globale Ungleichheiten, Kriege, die Globalisierung, erzwungene Migration und Klimawandel sind Probleme, die auch das Recht von Kindern auf optimale Gesundheit und Entwicklung verletzen.“ Da es solche Ungerechtigkeiten nicht nur auf globaler und nationaler, sondern auch auf lokaler Ebene gibt, nahm sein Team das Problem in Baden-Württemberg unter die Lupe.

„Komm mit in das gesunde Boot“

Die Untersuchung „Beyond correlates: the social gradient in childhood overweight“ basiert auf einer Evaluation des Gesundheitsförderprogramms „Komm mit in das gesunde Boot“ der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin des Universitätsklinikums. Finanziert von der Baden-Württemberg Stiftung hat es zum Ziel, in Schulen und Kindergärten auf spielerische Art Freude an Bewegung und gesunder Ernährung zu wecken. Knapp 1 000 Drei- bis Sechsjährige in beteiligten Kindergärten in Baden-Württemberg waren für die Evaluation untersucht worden. Während Größe und Gewicht der Kinder direkt in den Kindergärten gemessen wurde, erfasste man Bildungsstand, Einkommen und etwa das Gewicht von Vätern und Müttern per Elternfragebogen.

Unterschiede zwischen Einschätzung und Realität

In der Studie wurde untersucht, inwieweit Eltern das Gewicht ihrer Kinder korrekt einschätzen und ob dies das Gewicht des Nachwuchses beeinflusst. Zudem wurde analysiert, in welcher Beziehung der Grad der Fehleinschätzung mit sozialen Faktoren wie Einkommen, Bildung, Migrationshintergrund sowie dem Körpergewicht der Eltern steht. Dazu wurden die Daten des Gesundheitsförderprogramms per Querschnittsanalyse untersucht und miteinander in Beziehung gesetzt. Mithilfe statistischer Methoden wurden Abweichungen zwischen dem objektiv gemessenen Gewicht von Kindern und der Einschätzung durch ihre Eltern, aber auch zwischen einzelnen soziodemographischen Gruppen aufgedeckt.

Der Bildungsstatus der Eltern ist entscheidend

Die Ergebnisse: „Zum einen sind Kinder häufiger übergewichtig, wenn sie in einer Familie mit geringem Haushaltseinkommen oder Migrationshintergrund aufwachsen oder ein Elternteil selbst Übergewicht hat“, so die Sportwissenschaftlerin Dr. Susanne Kobel. „Noch entscheidender scheint jedoch der Bildungsstatus der Eltern zu sein. Gesundheitsbezogene Risiken treten insbesondere in Familien mit niedrigem Bildungshintergrund auf, und das schon bei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren.“

Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss waren doppelt so oft übergewichtig wie diejenigen von Akademikerinnen und Akademikern. Dabei machte es keinen Unterschied, ob beide Elternteile über einen Hochschulabschluss verfügten oder nur einer. Wie die Erstautorin der Studie, Dr. Lina Hermeling, hinzufügt, scheint zudem die korrekte Einstufung des Gewichtsstatus der Kinder durch ihre Eltern von entscheidender Bedeutung für deren Gesundheit zu sein. „Wenn eine Mutter oder ein Vater selbst übergewichtig ist, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung besonders hoch“, so Hermeling, die zur Zeit der Studie der Präventionseinrichtung der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin angehörte.

Gesundheitsgerechtigkeit durch Bildung

„Bildung – nicht in Bezug auf Gesundheit, sondern ganz allgemein – scheint bei der Prävention von Übergewicht eine enorme Rolle zu spielen“, so Jürgen M. Steinacker. „Dies sollte in politischen Leitlinien zur Gesundheitsgerechtigkeit unbedingt berücksichtigt werden.“ Das Programm „Komm in das gesunde Boot“ haben die Forschenden in Reaktion auf die Studie bereits angepasst: Während man bislang ausschließlich Lehrkräfte und Erziehende mit Materialien und Fortbildungen unterstützte, um das Bewegungs-, Ernährungs- und Freizeitverhalten von Kindern positiv zu beeinflussen, bietet das Programm nun auch Online-Elternabende (www.gesundes-boot.de) an. Mütter und Väter können sich dabei direkt beim Team des Universitätsklinikums darüber informieren, wie ihre Familien einen aktiven und gesunden Lebensstil führen können.

Originalpublikation:

Hermeling, L., Kobel, S., Steinacker, J.M. (2024). Beyond correlates: the social gradient in childhood overweight. Archives of Public Health. https://archpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13690-023-01232-x

Anja Burkel




Vorsicht Statistik! Die Mär von den dicken Kindern

unstatistik.de zeigt, wie aus einem kleinen absoluten Anstieg eine große Sache gemacht wurde

bild.de titelte am 5. Juli „Die dicken Kinder von Hessen“, hessenschau.de schrieb „Immer mehr Kinder sind extrem übergewichtig“. Und laut der Überschrift einer von Zeit.de übernommenen Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ist der „Anteil übergewichtiger Kinder stark gestiegen“.

Zeit.de spricht von „einem Zuwachs von fast zwölf Prozent“ an Jungen und Mädchen mit Adipositas zwischen 2019 und 2021 in Thüringen. Die online-Ausgabe der Bild-Zeitung berichtet, dass der Zuwachs in Hessen sogar mehr als 15 Prozent beträgt. Auch hätten die absoluten Zahlen stark übergewichtiger Kinder, diesmal über zehn Jahre gerechnet, dramatisch zugenommen. Zurück gehen die Meldungen auf Auswertungen der Barmer Krankenkasse.

Von der Fliege zum Elefanten

Aber wie viel ist „fast zwölf Prozent“? Laut dem „Arztreport 2023“ der Barmer Krankenkasse stieg der Anteil adipöser Kinder (d. h. solche mit einem Body-Mass-Index von 30 und mehr) während der Coronazeit in den Jahren 2019 bis 2021 von 3,19 Prozent auf 3,55 Prozent. Das ist ein absoluter Anstieg um 0,36 Prozentpunkte, also wenig bemerkenswert. Angesichts der durch Bewegungsarmut und ausgefallenen Sportveranstaltungen geprägten Coronajahre könnte man fast von einer erfreulichen Entwicklung sprechen. Immerhin sind selbst über die Coronajahre über 96 Prozent aller deutschen Kinder nicht fettleibig geworden.

Aus einem kleinen absoluten Anstieg wird durch die Darstellung in relativen Wachstumsraten und absoluten Zahlen eine große Sache.

Bei Zeit Online, bei bild.de und in vielen anderen Medien dagegen wurde wie so oft bei absolut kleinen Risiken vorzugsweise mit relativen Wachstumsraten oder absoluten Zahlen operiert. Der relative Zuwachs adipöser Kinder beträgt, wie man leicht ausrechnen kann, 11,3 Prozent.

Nicht reprästentative Studie

Vielfach ging man auch noch weiter in die Vergangenheit zurück, dadurch wurden die relativen Wachstumsraten wie auch der absolute Zuwachs der Zahl der adipösen Kinder nochmals größer. Das ist aber aus drei Gründen statistisch unzulässig. Einmal lassen sich die Daten des Arztreports 2011 der Barmer Ersatzkasse, der als Grundlage der langfristigen Vergleiche dient, wegen zwischenzeitlicher Fusionen mit anderen Krankenkassen nicht mit denen des Jahres 2021 vergleichen.

Ferner darf angezweifelt werden, ob man aus Kundendaten der Barmer Ersatzkasse überhaupt auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen kann. Hier handelt es sich auf keinen Fall um eine Zufallsstichprobe aller Kinder in der Bundesrepublik. Und selbst in diesem Idealfall wäre wegen des unvermeidbaren Zufallsfehlers bei jeder Stichproben-Hochrechnung ein Anstieg um 0,36 Prozentpunkte leicht dem Zufall zuzuschreiben. Und dann hat auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 14 Jahren von 2011 auf 2021 in Deutschland um fast eine Million zugenommen. Allein das erklärt zumindest einen Teil des vielfach beklagten Anstiegs der Anzahl adipöser Kinder.

Sabine Weiler, Kommunikation RWI, http://www.unstatistik.de




„Diese Werbung macht Kinder nachweisbar krank!“

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Die Stiftung Kindergesundheit warnt vor Reklame für süße, fette und salzige Lebensmittel für Kinder

Die meisten beworbenen Produkte für Kinder enthalten laut der Stiftung Kindergesundheit zu viel Zucker, Fett oder Salz und fördern dadurch langfristig Krankheiten wie Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt und Diabetes Typ 2.

„Für Kinder und Jugendliche ist eine ausgewogene Ernährung für Wachstum, Entwicklung, Leistungsfähigkeit und langfristige Gesundheit besonders wichtig“, unterstreicht Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Gesund zu essen lernt man als Kind: In den jungen Jahren werden all die Gewohnheiten etabliert, die im späteren Alter die Vorlieben für die Auswahl von Speisen und Getränken prägen. Die von unterschiedlichen Medien tagtäglich auf die Kinder einprasselnden Werbebotschaften fallen leider auf fruchtbaren Boden: Sie nehmen nachweislich Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten und Produktvorlieben von Kindern und Jugendlichen und können so deren spätere Gesundheit nachteilig beeinträchtigen“.

Gimmicks und Comicfiguren ködern Kinder

Eines der Zauberworte, mit dem Eltern und Kinder zum Einkauf und Konsum der Produkte der Lebensmittelindustrie verführt werden, heißt „Kinderoptik“, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Eine „Kinderoptik“ haben Produkte, auf die mindestens eines der folgenden Kriterien zutrifft:

• Der Produktname „Kind“, „Kinder“ bzw. „Kids“ oder Kinder ansprechende Produktnamen wie „Schoko Bären“;
• eine die Kinder ansprechende optische Gestaltung der Verpackung, zum Beispiel mit der Darstellung von lachenden Tieren oder Comicfiguren;
• eine Kinder ansprechende optische Gestaltung des Produkts oder einzelner Zutaten, z. B. Cerealien in Form von Bären oder Buchstaben;
• an Kinder oder Eltern gerichtete Botschaften auf den Verpackungen wie z. B. „Für Ihre Kleinen“, Hinweise auf Spiele oder Lerneffekte oder „Gimmicks“ (Zugaben) in der Packung wie z. B. Sammelbilder oder Spielzeug.
• Bei jedem Gang durch einen Supermarkt stößt man unweigerlich auf mehr oder weniger aufdringliche „Kinderoptik“, berichtet die Stiftung Kindergesundheit: Sie findet sich auf fast jeder fünften Joghurtzubereitung, auf Getränken mit Früchten, Milch oder Schokolade, auf Müsli, Cornflakes oder Frühstücksbreien.

Ist „Kinderoptik“ eine Garantie für gesunde Inhalte? Weit gefehlt, zeigt der Blick ins Joghurtregal: Ausgerechnet die Joghurtzubereitungen mit Kinderoptik haben mit 14 Gramm Zucker pro 100 Gramm einen höheren medianen Zuckergehalt als die meisten vergleichbaren Erzeugnisse, ergab eine Untersuchung des Max Rubner-Instituts (Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel).

Harte Fakten statt süßer Verführung

Zur Dokumentation der negativen Folgen der Werbung für die Gesundheit der Kinder hat die Stiftung Kindergesundheit ein Faktenblatt über die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengestellt und veröffentlicht. Hier eine kurze Auswahl der wichtigsten Fakten:

• Dass die an Kinder gerichtete Werbung tatsächlich wirkt, ist bereits seit langem gut belegt. Eine 2006 veröffentlichte Analyse der wissenschaftlichen Daten durch das US-amerikanische „Institute of Medicine“ ermittelte: Die Werbung für bestimmte Produkte führte nachweislich zu einer Erhöhung des Verzehrs dieser Produkte bei 2- bis 11-jährigen Kindern und ist mit gehäufter Adipositas bei 2- bis 18-jährigen Kindern und Jugendlichen assoziiert. Die Studie ergab zudem, dass Kinder bis zum Alter von etwa 4 Jahren nicht klar zwischen Programm und Werbung unterscheiden und bis etwa 8 Jahren dem verführenden Charakter von Werbung kaum widerstehen können.
• Der „Kindergesundheitsbericht 2022“ der Stiftung Kindergesundheit zeigt einen erheblichen Verbesserungsbedarf bei der Lebensmittel- und auch der Nährstoffzufuhr der Kinder und Jugendlichen. Heranwachsende verzehren zu wenig Obst, Gemüse und Getreideprodukte, aber hohe Mengen an Fleisch und Wurst, gesättigten Fetten und Salz. Besonders besorgniserregend ist ein weitaus zu hoher Zuckerverzehr aus Speisen und Getränken.
• Bei Kindern und Jugendlichen in den Industrieländern ist der Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte deutlich angestiegen, von 61,4 auf 67 Prozent der Energiezufuhr, mit einem besonders starken Anstieg des Konsums von Fertigmahlzeiten (von 2,2 auf 21,2 Prozent der Energiezufuhr). Solche hochverarbeiteten Lebensmittel haben im Mittel eine deutlich schlechtere Nährstoffzusammensetzung als nicht oder wenig verarbeitete Lebensmittel. So enthält eine Fertigpizza beispielsweise bis zu 14 Gramm Zucker (5 Würfelzucker), 20-30 Gramm ungünstige Fette, 2-4 Gramm Salz (empfohlen sind maximal 6 Gramm täglich) und insgesamt wesentlich mehr Kalorien als die selbstgemachte Variante.
• Die Europäische Union hat in ihrer Richtlinie zu Audiovisuellen Medien 2018 und in ihrem Plan zur Bekämpfung der Krebserkrankungen 2021 die Mitgliedsstaaten aufgefordert, Produktplatzierungen in Nachrichtensendungen, Sendungen zum aktuellen Zeitgeschehen, Verbraucherschutzsendungen, religiösen Sendungen und Kindersendungen zu unterbinden. Betont wird die Wichtigkeit des Verbotes von Produktplatzierung in Kindersendungen, weil Produktplatzierung und Werbung das Verhalten von Kindern beeinflussen können und Kinder oft nicht in der Lage sind, den kommerziellen Inhalt zu erkennen.
• Freiwillige Maßnahmen zur Begrenzung der an Kinder gerichteten Werbung, wie der sogenannte „EU Pledge“ einiger großer Lebensmittel- und Getränkehersteller, zeigen keine ausreichende Wirkung. So zeigte eine von Foodwatch und der Stiftung Kindergesundheit im Jahr 2021 vorgestellte Untersuchung, dass von 283 in deutschen Fernsehsendern an Kinder beworbenen Produkten 85,5% ungesunde Lebensmittel und Getränke waren. Entsprechend fordern ebenso wie die Stiftung Kindergesundheit auch führende medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften, die in der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten zusammenarbeiten, zum Schutz von Kindern ein Fernsehwerbeverbot für ungesunde Lebensmittel.
• Die Auswertung der Daten von 76 Untersuchungen belegte eindeutig die schädlichen Wirkungen der an Kinder und Jugendliche gerichteten Lebensmittelwerbung auf die Bevorzugung und den Verzehr der im Fernsehen oder auf der Verpackung für Kinder beworbener Produkte.

„Wir wissen, dass die von der Werbung beeinflussten Essgewohnheiten die Gesundheit von Kindern dauerhaft nachteilig prägen“, sagt Prof. Dr. Berthold Koletzko. „Deshalb fordern wir Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte schon seit langem, die an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung wirksam zu beschränken. Die allermeisten beworbenen Produkte sind unausgewogen und fördern langfristig ernährungsbedingte Krankheiten wie Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes Typ 2 und einige Arten von Krebs. Die Stiftung Kindergesundheit unterstützt daher die Bemühungen von Bundesminister Özdemir für eine konsequente Begrenzung der an Kinder und Jugendliche gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel und Getränke. Denn die Datenlage zeigt glasklar: Diese Werbung macht Kinder krank!“

Giulia Roggenkamp/Stiftung Kindergesundheit




Jedes sechste Kind ist dicker geworden

Corona-Krise für Kinder: Gewichtszunahme, weniger Bewegung, mehr Süßwaren

Die Corona-Krise hat massive Auswirkungen auf die Kindergesundheit: Jedes sechste Kind in Deutschland ist seit Beginn der Corona-Pandemie dicker geworden, fast die Hälfte bewegt sich weniger als zuvor, etwa ein Viertel isst mehr Süßwaren – das zeigt eine repräsentative Eltern-Umfrage, die die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und das Else Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München heute vorgestellt haben.

Kinder aus einkommensschwachen Familien doppelt so häufig betroffen

Demnach hat die Pandemie die gesundheitliche Ungleichheit weiter verschärft: Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sind doppelt so häufig von einer ungesunden Gewichtszunahme betroffen wie Kinder und Jugendliche aus einkommensstarken Familien. Die DAG und das EKFZ für Ernährungsmedizin fordern mit Blick auf die Ergebnisse einen „Marshall-Plan für die Kindergesundheit“, um die Folgen der Pandemie aufzufangen. Als Sofortmaßnahmen empfehlen die Expert:innen eine Besteuerung von Zuckergetränken, Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel und eine Stärkung der Adipositas-Therapie, die in Deutschland chronisch unterfinanziert sei.

Dramatische Folgen für die Gesundheit der Kinder

„Eine Gewichtszunahme in dem Ausmaß wie seit Beginn der Pandemie haben wir zuvor noch nie gesehen“, sagt Dr. Susann Weihrauch-Blüher, Oberärztin an der Universitätskinderklinik Halle/Saale. Sie ist gleichzeitig Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der DAG. Warum das so alarmierend ist, erklärt Sie damit: Übergewicht kann schon bei Kindern und Jugendlichen zu Bluthochdruck, einer Fettleber oder Diabetes führen.

Das bestätigt auch eine Studie des Kopenhagener Universitätskrankenhauses Holbæk in Dänemark. Danach leiden schon Schulkinder im Alter von sechs bis acht Jahren unter Krankheiten, die als Folge von Übergewicht entstanden sind. Ihre Studie lege nahe, so die Autor:innen aus Kopenhagen, „dass die frühe Kindheit – bereits im Alter von zwei bis fünf Jahren – der richtige Zeitpunkt ist, um diese Erkrankungen zu erkennen, da Komplikationen durch Übergewicht, einschließlich Störungen des Glukosestoffwechsels, erst im Alter von einigen Jahren auftreten können.“ Die detaillierten Ergebnisse finden sich im Obesity Research & Clinical Practice.

Corona-Kilos Bumerang für Gesundheit einer ganze Generation

Zur deutschen Studie sagt Prof. Hans Hauner, Direktor des EKFZ für Ernährungsmedizin. „Die Folgen der Pandemie müssen aufgefangen werden, sonst werden die ‚Corona-Kilos‘ zum Bumerang für die Gesundheit einer ganzen Generation. Die Stärkung geeigneter Therapie-Angebote, die alle Gruppen gleichermaßen erreicht, ist nun von enormer Bedeutung.“

Die wichtigsten Ergebnisse

Für die Studie hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im März und April 2022 insgesamt 1.004 Eltern mit Kindern im Alter von drei bis 17 Jahren befragt. Die wichtigsten Ergebnisse:

  • 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind dicker geworden, bei Kindern im Alter von zehn bis zölf Jahren sind es sogar 32 Prozent
  • Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sind doppelt so häufig von einer ungesunden Gewichtszunahme betroffen wie Kinder und Jugendliche aus einkommensstarken Familien (23 zu 12 Prozent)
  • 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen bewegt sich weniger als vor der Pandemie, bei Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren sind es sogar 57 Prozent
  • Bei 33 Prozent der Kinder und Jugendlichen hat sich die körperlich-sportliche Fitness verschlechtert, bei Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren sind es sogar 48 Prozent
  • Bei 43 Prozent der Kinder und Jugendlichen belastet die Pandemie die seelische Stabilität „mittel“ oder „stark“
  • 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben die Mediennutzung gesteigert
  • 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen greifen häufiger zu Süßwaren als zuvor
  • 34 Prozent der Familien essen häufiger gemeinsam als zuvor

Hier finden Sie die Ergebnispräsentation im pdf-Format zum Download: https://adipositas-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2022/05/2022-05-31_DAG-EKFZ_forsa-Umfrage_Ergebnispraesentation_final.pdf

WHO: „Nachteilige Veränderungen bei Ernährungs- und Bewegungsmustern“

Kürzlich hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Europa vor den Folgen der Adipositas-Epidemie gewarnt und auf „nachteilige Veränderungen bei Ernährungs- und Bewegungsmustern“ durch die Corona-Pandemie hingewiesen. Auch der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hatte im Februar vor einer „Zunahme von Adipositas“ gewarnt und Gegenmaßnahmen empfohlen. Das EKFZ für Ernährungsmedizin hatte im September 2020, kurz nach Beginn der Corona-Pandemie, bereits eine Befragung mit vergleichbarer Methodik durchgeführt. Ein Abgleich mit den aktuellen Daten zeigt, dass sich die Auswirkungen auf den Lebensstil verfestigt haben.

Vermutlich mehr Kinder von Übergewicht betroffen als je zuvor

Aktuelle, bundesweit repräsentative Messungen des Körpergewichts von Kindern und Jugendlichen liegen nicht vor. Die letzte Erhebung des Robert Koch-Instituts fand in den Jahren 2014 bis 2017 statt. Die aktuelle Umfrage sowie erste regionale Messungen und Befragungen legen nahe, dass heute mehr Kinder und Jugendliche von Übergewicht betroffen sind als je zuvor. So ist einer Studie der Universität Leipzig zufolge das Körpergewicht von Kindern in der Region Mitteldeutschland in den ersten Monaten der Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Im Rahmen einer Befragung des Karlsruher Instituts für Technologie berichtete ein Viertel der Kinder und Jugendlichen mit Normalgewicht von einer Gewichtszunahme im zweiten Lockdown 2020. Auch Daten der DAK-Gesundheit zeigen einen deutlichen Anstieg der Krankenhausbehandlungen wegen Adipositas bei Kindern und Jugendlichen im Jahr 2020.


Kochen und Backen mit Kindern

Ernährung ist die Grundlage unseres Lebens. Darüber wollen Kinder schon früh jede Menge erfahren. Beim gemeinsamen Zubereiten von Speisen entsteht aus der Küche ein Spiel- und Lernort, der alle Sinne gleichzeitig anspricht. Vor allem gibt es jede Menge zum Schnippeln und Kneten, zum Schmecken und Ausprobieren! In diesem Buch finden Sie eine Fülle kindgerechter Rezepte, bei denen Kinder richtig mitkochen können. Jedes Gericht hat seine eigene Geschichte. Zutaten, Zubereitung und Herkunft, Tipps und Anregungen bieten Gesprächsstoff und wichtiges Basiswissen zu unserer Ernährung.

Manon Sander
Kochen und Backen mit Kindern – Alles, was Kinder gerne essen und über Ernährung wissen sollten
Hardcover, 288 Seiten, vierfarbig
ISBN: 978-3-934333-48-2
7,95 €


Methodische Einschränkungen

Die aktuelle Eltern-Umfrage wurde anlässlich des Welt-Adipositas-Tags durchgeführt. Der Tag findet jährlich Anfang März statt und wird in Europa von der European Association for the Study of Obesity (EASO) und der European Coalition for People living with Obesity (ECPO) ausgerufen. Finanziert wurde die Eltern-Umfrage durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS), durch die EASO und die ECPO sowie durch den Sonderforschungsbereich Adipositasmechanismen der Universität Leipzig.

Die Ermittlung von Lebensgewohnheiten und der Gewichtsentwicklung mittels Umfragen, wie im vorliegenden Fall, unterliegt methodischen Einschränkungen. Insbesondere ist von einer Untererfassung bei Angaben zu ungesundem Verhalten auszugehen.

Weiterführende Informationen:

Über die Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (DAG)

Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (DAG) ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft, die sich dem Krankheitsbild Adipositas (starkes Übergewicht) widmet. Die DAG ist gemeinnützig und setzt sich für eine Stärkung der Prävention und Therapie der Adipositas ein, in dem sie Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Adipositas fördert, evidenzbasierte Leitlinien zur Prävention, Diagnose und Therapie der Adipositas erarbeitet sowie die Öffentlichkeit über die gesellschaftliche Bedeutung, Ursachen und Folgen der Krankheit aufklärt. Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) ist eine Tochterorganisation der DAG. www.adipositas-gesellschaft.de

Über das Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ)

Das Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ) an der TU München ist eine national und international anerkannte Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin. Das Zentrum an der TU München besteht aus dem Lehrstuhl für Ernährungsmedizin, dem Lehrstuhl für Molekulare Ernährungsmedizin und der Professur für Pädiatrische Ernährungsmedizin. Das interdisziplinäre Team nutzt Knowhow aus Medizin, Ernährungs-, Sport- und Gesundheitswissenschaften für exzellente Forschung und Lehre und engagiert sich zudem auch sehr stark im Public Health Bereich. www.ekfz.tum.de.

Quellen: Pressemitteilung DAG und Obesity Research & Clinical Practice