Lehrkräftemangel deutlich gravierender als angenommen

Laut einer Umfrage des VBE sind mehr als 50.000 Lehrerstellen unbesetzt

Seit 2018 beauftragt der VBE das Sozialforschungsinstitut forsa damit, eine repräsentative Umfrage unter Schulleitungen durchzuführen und sie hinsichtlich ihrer Berufszufriedenheit zu befragen. Von Beginn an wird der Lehrkräftemangel von den teilnehmenden Schulleitungen als größtes Problem genannt. In der letzten Berufszufriedenheitsumfrage gaben dies fast 70 Prozent an. Dieses Jahr wurde erstmals erfragt, wie viele Stellen konkret zu Beginn des laufenden Schuljahres unbesetzt blieben. Das Ergebnis: im Schnitt 1,6 offene Stellen pro Schule. Gemessen an der Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulen in Deutschland, die das Bundesamt für Statistik für das zurückliegende Schuljahr mit 32.206 beziffert hat, ergibt dies einen Wert von über 50.000 unbesetzten Lehrkräftestellen bundesweit.

Im Schnitt konnten bundesweit 11 Prozent der Stellen nicht besetzt werden. Auch wenn dieser Wert seit 2018 zu stagnieren scheint, offenbaren die Daten auf den zweiten Blick eine Verschlechterung der personellen Situation. Gab 2017 noch gut ein Drittel der Schulleitungen an, 6 bis 10 Prozent der Stellen nicht besetzen zu können, taten dies in der aktuellen Befragung 9 Prozentpunkte weniger. Stattdessen gaben 9 Prozentpunkte mehr an, 10 – 15 Prozent oder sogar mehr als 15 Prozent der Stellen nicht besetzen zu können. Dies bedeutet, dass sich die Situation an den betroffenen Schulen innerhalb des Betrachtungszeitraumes noch einmal verschlechtert hat. Deutlich dramatischer gestaltet sich die Situation an Grund- sowie an Förder- und Sonderschulen. Hier blieben sogar 14 bzw. 15 Prozent der Stellen offen. Insgesamt gehen 84 Prozent der Schulleitungen davon aus, zukünftig stark oder sehr stark vom Lehrkräftemangel betroffen zu sein.

Der VBE fordert:

  • Eine bundesweite Fachkräfteoffensive, die aus einer Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt und finanziert wird.
  • Deutliche Verbesserungen in der Planung und Durchführung der Lehramtsausbildung, um die hohen Abbruchquoten zu senken.
  • Die Attraktivität des Berufsbildes muss sichtbar gesteigert werden. Es braucht die gleiche Bezahlung unabhängig von Schulform und -stufe und eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Schule.
  • Den Einsatz multiprofessioneller Teams in den Schulen. Sie können Lehrkräfte von Aufgaben entlasten, für die sie nicht originär ausgebildet sind.

Neben dem Lehrkräftemangel wurden den Schulleitungen auch Fragen zum Thema Seiteneinstieg gestellt. Entsprechend der Antworten sind derzeit an 60 Prozent der Schulen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger beschäftigt. Dies stellt eine Steigerung von 23 Prozentpunkten im Vergleich zu 2018 dar. Laut Brand eine dramatische Entwicklung, wenn man sich vergegenwärtige, dass dies gerade einmal fünf Jahre seien. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen (75 Prozent) sowie Förder- und Sonderschulen (74 Prozent) kommen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sogar noch deutlich häufiger zum Einsatz. Gut die Hälfte von ihnen befindet sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis, wobei dies mit fast 60 Prozent an Grundschulen auftritt.

Hierzu Brand: „Was uns einst als Notlösung verkauft wurde, ist längst fester Bestandteil der Realität in den Schulen. Das dies besonders in den Schulformen deutlich stärker auftritt, deren Schülerinnen und Schüler einen erhöhten pädagogischen Bedarf mitbringen, sehen wir mit großer Sorge. Hier ist eine solide pädagogische Ausbildung umso wichtiger. Und dass wir besonders in den Grundschulen vermehrt befristete Arbeitsverhältnisse sehen, wo doch besonders in den ersten Jahren der schulischen Bildung eine kontinuierliche Beziehungsarbeit von besonderer Bedeutung ist, muss schnellstens korrigiert werden. Nicht nur, dass Menschen, die bereit sind in die Bresche zu springen, nicht mit derartigen Arbeitsverhältnissen abgespeist werden dürfen, es wirft auch ein zweifelhaftes Licht nach außen. Wen will man mit solchen Arbeitsverhältnissen für diesen großartigen Job begeistern? Hier muss dringend nachgebessert werden.“

Der VBE fordert:

  • Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger müssen eine mindestens sechsmonatige Vorqualifizierung durchlaufen, um grundlegende pädagogische und didaktische Grundkenntnisse erwerben zu können.
  • Bereits im Dienst befindliche Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger müssen darüber hinaus vollumfänglich und bis zur vollständigen Lehrbefähigung weiterqualifiziert werden.
  • Kolleginnen und Kollegen, die Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger bei der Einarbeitung begleiten, müssen für diese zusätzliche Aufgabe zeitlich entlastet werden.

Kontext: Die Berechnung der Schätzung erfolgte auf Basis der Aussagen der befragten Schulleitungen über die nicht besetzten Stellen an der Schule. Es ist zu beachten, dass die vorliegenden Ergebnisse der repräsentativen Umfrage lediglich mit einer möglichen Fehlertoleranz von +/- 3 Prozent auf die Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulen übertragen werden können.




Elterntaxis gefährden Kinder oftmals vor den Schulen

Umfrage zur Sicherheit von Schulwegen – Eltern und Lehrkräfte fordern Maßnahmen

Fast ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen erlebt mindestens wöchentlich eine gefährliche Situation vor der eigenen Schule, die durch Eltern, die ihr Kind mit dem Auto zur Schule bringen, entsteht. Das geht aus einer heute veröffentlichten forsa-Umfrage hervor, die vom Verband Bildung und Erziehung (VBE), dem Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW) und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Auftrag gegeben wurde. Befragt wurden 508 Grundschullehrkräfte sowie 500 Eltern sechs- bis zehnjähriger Kinder. Ein deutliches Signal: Eltern als auch Lehrkräfte stimmen darin überein, dass es hilfreiche Maßnahmen gibt, um Schulwege sicherer zu gestalten und sie sind sich weitestgehend einig, welche dies sind. Fakt ist aber auch: In puncto Umsetzung erkennen beide Gruppen deutlichen Nachbesserungsbedarf.

Sicherheitsrisiko Elterntaxi

Elf Prozent der befragten Grundschullehrkräfte in Deutschland haben im vergangenen Schuljahr so gut wie täglich, 19 Prozent wöchentlich vor ihrer Schule eine gefährliche Situation erlebt, die durch Eltern, die ihr Kind mit dem Auto brachten, entstanden ist. Diese Zahlen sind alarmierend. Um den Verkehr vor Schulen besser zu regeln und sicherer zu gestalten, halten sehr große Mehrheiten der befragten Lehrerinnen und Lehrer sowie der Eltern (91 bzw. 93 Prozent) ausreichend breite, nicht zugeparkte Fußwege für hilfreich. Jeweils etwa neun von zehn Befragten bewerten sichere Überwege wie Zebrastreifen, Ampeln oder Mittelinseln, sowie für Hilfsangebote wie Schülerlotsen oder eine regelmäßige Unterstützung der Polizei als nützlich. Ebenfalls von mehr als acht von zehn Befragten beider Gruppen als hilfreich bewertet: Die Ermutigung von Kindern, den Schulweg eigenständig zu bestreiten.

Vorhandene Sicherheitsmaßnahmen: vielfach ungenügend

Danach gefragt, welche Vorkehrungen bzw. Aktivitäten bereits an ihrer Schule oder im schulischen Umfeld vorhanden sind, nennt eine große Mehrheit der Lehrkräfte die inhaltliche Arbeit in der Schule zum Thema Verkehr und Mobilität, also Mobilitätsbildung bzw. Verkehrserziehung (81 Prozent) sowie die Ermutigung von Kindern, den Schulweg eigenständig zu bestreiten (76 Prozent).

Ein Blick auf die Maßnahmen, die von den meisten Eltern als auch Lehrkräften als hilfreich erachtet werden, zeigt: In der Realität sind diese häufig nicht vorhanden. So sagen nur 27 Prozent der Eltern und 51 Prozent der Lehrkräfte, dass es ausreichend breite, nicht zugeparkte Fußwege vor der Schule gibt. Nur 38 Prozent der Eltern und 58 Prozent der Lehrkräfte geben an, dass sichere Überwege vorhanden sind. Die verkehrspolitische Maßnahme, die laut Eltern (63 Prozent) und Lehrkräften (75 Prozent) am häufigsten vor Schulen umgesetzt ist, sind Geschwindigkeitsreduzierungen wie Tempo 30. Einen deutlichen Mangel erkennen Eltern und Lehrende auch bei sicheren Radwegen. Hier sagen nur 13 Prozent der Lehrkräfte und zwölf Prozent der Eltern, dass diese im Schulumfeld vorhanden sind.

Fazit: Der Schulweg für Kinder muss sicherer gestaltet werden. Als hilfreich erkannte Maßnahmen müssen umgesetzt werden. Es zeigt sich aber auch, dass Eltern über vorhandene Maßnahmen besser informiert werden müssen.

Reales und gefühltes Verkehrsaufkommen vor Schulen

Von den befragten Eltern geben 47 Prozent an, dass ihr Kind derzeit hauptsächlich zu Fuß zur Schule kommt, 14 Prozent der Kinder kommen danach mit dem Fahrrad oder Roller. 17 Prozent der Eltern geben an, dass das eigene Kind mit dem Auto in die Schule gebracht wird. Auffällig dabei: Danach gefragt, wie viele Kinder regelmäßig mit dem Auto zur Schule gebracht werden, geben über zwei Drittel der Lehrkräfte und sogar vier von fünf Eltern an, dass dies bei mindestens 25 Prozent der Kinder der Fall sei. Dies verdeutlicht, dass das subjektiv wahrgenommene Verkehrsaufkommen vor Schulen deutlich höher zu sein scheint als das tatsächliche.

Individuelle Bedürfnisse gegenüber Allgemeinwohl

Gefragt nach den wichtigsten Gründen, weshalb Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht werden, geben Lehrkräfte und Eltern, auch in der Reihenfolge, sehr ähnliche Antworten. Der vermutete Hauptgrund ist danach Bequemlichkeit (Lehrkräfte: 66 Prozent, Eltern: 57 Prozent) gefolgt von Ängsten, das Kind allein den Schulweg bestreiten zu lassen (Lehrkräfte: 56 Prozent, Eltern: 43 Prozent) und der Verbindung mehrerer Wege (Lehrkräfte: 43 Prozent, Eltern: 38 Prozent).

Die gesamte Umfrage finden sie hier zum Download.

Im Rahmen der forsa-Untersuchung wurden bundesweit insgesamt 508 Lehrkräfte an Grundschulen sowie 500 Eltern von 6- bis 10-jährigen Kindern befragt. Die statistische Fehlertoleranz beträgt für beide Zielgruppen jeweils durchschnittlich ± vier Prozentpunkte. Beide Erhebungen wurden vom 20. Juli bis zum 16. August 2022 im Rahmen des repräsentativen Panels forsa.omninet als Online-Befragung durchgeführt.

Quelle: Pressemitteilung DKHW




IQB-Bildungstrend: Schüler:innen in der sozialen Entwicklung und im Lernerfolg erheblich zurückgefallen

Geringere Leistungen in Deutsch und Mathematik in schulisch herausfordernden Zeiten

Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland sind in ihrer sozialen Entwicklung und in ihrem Lernerfolg erheblich zurückgefallen. Das zeigt jetzt auch eine Vorabauswertung des IQB-Bildungstrends 2021, der vor den Sommerferien im Jahr 2021 deutschlandweit in den vierten Klassen durchgeführt wurde. Bei der Präsentation der Ergebnisse hießt es, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass ausschließlich die Pandemiesituation für die Kompetenzrückgänge verantwortlich sei. Schon zwischen 2011 und 2016 sei die ungünstige Entwicklung zu beobachten gewesen.

Viele Viertklässler:innen erreichen die Bildungsstandards nicht

Demnach erreichen signifikant weniger Viertklässlerinnen und Viertklässlern in den Fächern Deutsch und Mathematik im Vergleich zu den letzten Erhebungen in den Jahren 2011 und 2016 die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK). Der Anteil der Kinder, die die Mindeststandards verfehlen, ist teilweise deutlich gestiegen, und die sozialen und zuwanderungsbezogenen Disparitäten haben sich verstärkt. Weitere Befunde zeigen zudem auch ein etwas geringeres fachliches Interesse für Deutsch und Mathematik, aber eine nach wie vor hohe Schulzufriedenheit und positive Bewertung der sozialen Integration in der Schulklasse. Der Kompetenzrückgang entspricht der Lernzeit von ca. einem drittel Schuljahr im Lesen, einem halben Schuljahr im Zuhören, einem viertel Schuljahr im Bereich Orthografie und einem viertel Schuljahr im Fach Mathematik, hieß es bei der Vorstellung des Kurzberichts.

Deutliche soziale Unterschiede

Prof. Dr. Petra Stanat, wissenschaftliche Leiterin des IQB: „Die ungünstigen Veränderungen in den erreichten Kompetenzen sind deutlich und sicherlich nicht unwesentlich darauf zurückzuführen, dass diese Kohorte von Kindern von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen war. Allerdings haben auch schon in den früheren Kohorten zu viele Kinder nicht die Mindeststandards erreicht. Um diese Kinder muss sich das Bildungssystem systematischer kümmern.“

Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein: „Die Folgen der Corona-Pandemie bei den Viertklässlerinnen und Viertklässlern sind gravierend. Die Ergebnisse zeigen, dass besonders Kinder von den pandemiebedingten Schulschließungen betroffen waren, die zu Hause weniger Unterstützung erhalten können. Dies unterstreicht einmal mehr die Bedeutung von schulischem Lernen für die Bildungsgerechtigkeit. Die Schülerinnen und Schüler brauchen den Präsenzunterricht in der Schule und langfristig angelegte Maßnahmen, um die pandemiebedingten Lernrückstände aufzuholen. Um den Schülerinnen und Schülern weiterhin verstärkt gezielte Förderung zu ermöglichen, haben die Länder die Bundesregierung gebeten, das Bundesprogramm ,Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche‘ in Bezug auf Lernrückstände sowie psychosoziale Effekte im Schulbereich mit weiteren 500 Millionen Euro zunächst bis zum Ende des Schuljahres 2023/2024 zu verlängern. Die großen Schulleistungsstudien zeigen aber auch, dass schon vor der Pandemie seit 2011 negative Trends festzustellen sind. Wir müssen daher den eingeschlagenen Weg konsequent weiter gehen und die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen stärken!“

„Viele haben den Anschluss verloren“

Ties Rabe, A-Länderkoordinator und Hamburgs Senator für Schule und Berufsbildung: „Erneut bestätigt eine wichtige Studie die schlimmen Folgen der Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen in der Corona-Zeit: Viele Schülerinnen und Schüler haben den Anschluss verloren und große Lernrückstände. Es schmerzt besonders, dass die Schulschließungen gerade bei Kindern mit Lernproblemen die schlimmsten Auswirkungen hatten. Die IQB-Studie bestätigt erneut die Zweifel vieler Kultusminister, dass der deutsche Corona-Sonderweg mit den meisten Schulschließungen aller westeuropäischen Länder wirklich richtig war. In jedem Fall ist jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern notwendig, um den Schülerinnen und Schülern zu helfen. Wir erwarten, dass sich gerade der Bund jetzt nicht wegduckt, sondern das laufende Corona-Aufholprogramm aufstockt und verlängert sowie gemeinsam mit den Ländern zügig ein dauerhaftes Nachfolgeprogramm zur Verbesserung der Startchancen für benachteiligte Schülerinnen und Schüler entwickelt und umsetzt.“

Interessen der Schüler:innen in den Vordergrund stellen

Prof. Dr. R. Alexander Lorz, B-Länderkoordinator und Hessischer Kultusminister: „Die nun vorliegenden Ergebnisse sind eine Verpflichtung für uns als Politik, bei allen zukünftigen Pandemie-Entscheidungen noch mehr als zuvor die Interessen der jungen Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund zu stellen und unsere umfassenden Aufhol-Bemühungen fortzusetzen – länger als bisher vom Bund vorgesehen. Dabei sind Mathe und Deutsch das Fundament für jede erfolgreiche Schullaufbahn. Hier müssen wir aktiv handeln.“

Trend des Rückgangs der Basiskompetenzen

„Auch wenn der IQB-Bildungstrends noch keine speziellen Ergebnisse für Baden-Württemberg ausweist, nehmen wir den Bildungstrend ernst. Die Ergebnisse sind nicht gut“, sagt baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper. Sie fügt hinzu: „Zwei Entwicklungen halte ich für besonders bedeutend. Zum einen zeigen sich Kompetenzrückgänge bei den Schülerinnen und Schülern bei den besonders wichtigen Basiskompetenzen. Es spricht viel dafür, dass es sich hier nicht nur um einen kurzfristigen Effekt der Pandemie handelt, sondern dass sich hier eine längerfristige Entwicklung des Rückgangs der Basiskompetenzen fortsetzt, deren Entwicklung sich schon 2011 und 2016 angedeutet hat. Außerdem zeigt der Bildungstrend, dass es besonders diejenigen Schülerinnen und Schüler sind, deren Kompetenzen sich verschlechtert haben, die nicht das gut ausgestattete Elternhaus hinter sich haben. Auf diese Gruppe müssen wir besonders achtgeben. Mit beiden Entwicklungen können wir uns nicht zufrieden geben und werden uns auch nicht damit abfinden.“

VBE: Pandemie Zäsur in der Bildungsbiografie

Auch der Verband Bildung und Erziehung stellt in seiner Betrachtung die wachsende Bildungsungerechtigkeit in den Mittelpunkt. „Die IQB-Bildungstrends bestätigen, was bereits andere Umfragen und Studien aufgezeigt haben. Die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen waren und sind eine Zäsur in der Bildungsbiografie vieler Schülerinnen und Schüler. Aber sie betreffen diejenigen, die bereits vorher schon zu den Benachteiligten zählten, in überdurchschnittlichem Maße. Bildungschancen sind nach wie vor in starkem Maße von der sozialen Herkunft abhängig und bisher erkämpfte Fortschritte sind durch die Pandemie wieder verloren gegangen“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE die Ergebnisse. Dabei ist er sich mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft einig.


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GEW: Bildung muss alleroberste Priorität eingeräumt werden

„Wie laut müssen die Alarmglocken noch läuten, damit der Bildung in diesem Land endlich alleroberste Priorität eingeräumt wird?“, fragt Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Der sozioökonomische Status der Familie spielt eine immer größere Rolle beim Kompetenzerwerb der Kinder. Schulerfolg und Lebensperspektiven sind eng mit dem Elternhaus verknüpft, seit PISA 2001 die Achillesferse des Bildungssystems in Deutschland. Statt der gesellschaftlich notwendigen Entkopplung verschärft sich die Situation aber offenbar noch. Dieser Trend ist seit 2016 festzustellen und trifft alle Kinder, aber ganz besonders Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund.“

Philogenverband fokussiert auf Mathe und Deutsch

Die Defizite in der sozialen Entwicklung der Schüler werden kaum kommentiert. So konzentriert sich auch die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes auf die mangelnden Orthographie- und Mathematikkenntnisse vieler Kinder: „Die jetzigen Ergebnisse bestätigen den Eindruck vieler Gymnasiallehrkräfte, dass das Leistungsniveau der Grundschülerinnen und -schüler beim Übergang auf die weiterführende Schulart gesunken sei. An den Grundschulen muss mehr auf den Lernerfolg geachtet werden“, erklärt sie.

Hintergrundinformationen zur Studie

Im IQB-Bildungstrend 2021 hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag der Kultusministerkonferenz zum dritten Mal untersucht, inwieweit Viertklässlerinnen und Viertklässler die bundesweit geltenden Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) in den Fächern Deutsch und Mathematik für den Primarbereich erreichen. Durch einen Vergleich mit den Ergebnissen des IQB-Ländervergleichs 2011 und des IQB-Bildungstrends 2016 ist es möglich, zu prüfen, inwieweit sich das Kompetenzniveau der Kinder in den letzten fünf beziehungsweise zehn Jahren verändert hat.

Am IQB-Bildungstrend 2021 haben 26.844 Schülerinnen und Schüler der 4. Jahrgangsstufe in 1.464 Grund- und Förderschulen aus allen 16 Ländern teilgenommen. Im Fach Deutsch wurden die Kompetenzbereiche „Lesen“, „Zuhören“ und „Orthografie“ geprüft, im Fach Mathematik fünf inhaltsbezogene Kompetenzbereiche (Leitideen), die sich in einer Globalskala mathematischer Kompetenz zusammenfassen lassen.    
Der vorgestellte Kurzbericht enthält erste Ergebnisse für Deutschland insgesamt und kann auf der Webseite des IQB heruntergeladen werden. Vertiefende Analysen und Ergebnisse zu den einzelnen Ländern werden im Oktober 2022 im Berichtsband zum IQB-Bildungstrend 2021 publiziert.

Quellen: Pressemitteilungen KMK, VBE, GEW, DPhV und des Kultusministeriums Baden-Württemberg




Personalunterdeckung in der frühkindlichen Bildung alarmierend!

DKLK-Studie 2022: Umfrage unter 4.827 Kitaleitungen

„Schätzungsweise 9.000 Kitas haben in Deutschland im zurückliegenden Jahr in über der Hälfte der Zeit in aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung gearbeitet. Das sind mehr als doppelt so viele Kitas wie ein Jahr zuvor. Übersetzt heißt das: Diese Einrichtungen konnten den Betrieb im Durchschnitt an mehr als jedem zweiten Tag nur unter Gefährdung der Sicherheit der zu betreuenden Kinder aufrechterhalten! Am anderen Ende der Skala waren es nicht einmal 7 Prozent der Kitas, die in den zurückliegenden 12 Monaten mit einer durchgehend ausreichenden Personalausstattung arbeiten konnten. Vor einem Jahr konnten dies zumindest noch annähernd doppelt so viele Einrichtungen. Das sind die Einschätzungen von bundesweit über 4.000 Kitaleitungen und das ist mit Blick auf die enorme Bedeutung des frühkindlichen Bildungsbereichs für die gesamte Bildungsbiografie von Kindern eine Katastrophe“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), anlässlich der Veröffentlichung der DKLK-Studie 2022 im Rahmen des Deutschen Kitaleitungskongresses in Düsseldorf.

Anhaltend dramatische Entwicklung

„Dass 84 Prozent der Kitaleitungen angeben, dass sich der Personalmangel in den vergangenen 12 Monaten nochmals verschärft hat, – ein Jahr zuvor sagten das noch 72 Prozent, – unterstreicht die anhaltend dramatische Entwicklung. Bedenkt man, was das pädagogische Fachpersonal an Kitas in Zeiten einer andauernden Coronapandemie bereits geleistet hat und infolge zusätzlicher Herausforderungen durch die bestmögliche Integration oftmals traumatisierter Kinder aus der Ukraine künftig leisten muss, verstärkt sich der Handlungsdruck massiv. Die Politik muss ohne Wenn und Aber alles tun, was möglich ist, um diesen Zustand jetzt zu verbessern. Ein Verschieben auf Morgen wäre unterlassene Hilfeleistung. Wenn politisch Verantwortliche gegenüber Kitaleitungen sagen ‚Wir wissen, dass Sie es schwer haben, aber wir können leider nichts dagegen tun‘, ist es das Bekenntnis politischen Versagens“, so Beckmann weiter.

Schlechte Fachkraft-Kind-Relation

Der dramatische Personalmangel an Kitas trifft dabei Fachkräfte und Kinder gleichermaßen. Bei mindestens 57 Prozent (U3-Bereich) und mindestens 74 Prozent (Ü3-Bereich) der Kitaleitungen ist die angegebene tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation laut DKLK-Studie 2022 schlechter als wissenschaftlich empfohlen (U3-Bereich: 1:3; Ü3-Bereich: 1:7,5). Im U3-Bereich hat sich das Verhältnis seit 2020 weiter verschlechtert. Ein weiterhin existenter Missstand bei Kitaleitungen: Trotz leichter Verbessrungen geben immer noch 45 Prozent der Befragten an, dass ihre tatsächliche Leitungszeit über der vertraglichen Leitungszeit liegt.

Fokus Gesundheit und Gesundheitsprävention

Das Thema Gesundheit bildet den Schwerpunkt der DKLK-Studie 2022. „Angesichts der enormen Belastungen, denen das Fachpersonal an Kitas gegenübersteht, sind gesundheitserhaltende und -fördernde Maßnahmen umso wichtiger. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der Studie doppelt alarmierend“, erläutert Beckmann. Denn:

  • 82 Prozent der Befragten fühlen sich durch ihre Tätigkeit psychisch belastet.
  • 87 Prozent der Kitaleitungen betrachten den Verwaltungsaufwand an Kitas als gesundheitsgefährdend.
  • Jede vierte Kitaleitung ist in den letzten 12 Monaten zwischen 10 und 20 Tagen zur Arbeit gegangen, obwohl sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig gefühlt hat.
  • 93 Prozent der Kitaleitungen stimmen der Aussage zu, dass die hohe Arbeitsbelastung der pädagogischen Fachkräfte zu höheren Fehlzeiten und Krankschreibungen führt.
  • 7 von 10 Kitaleitungen geben an, dass es für ihre Kita kein Konzept zum Thema Gesundheit/Gesundheitsprävention für das pädagogische Fachpersonal gibt.
  • 94 Prozent der Befragten sagen, ein Angebot zu Gesundheits- und Stressmanagement wäre nützlich, aber nur 14 Prozent haben hierzu Zugang.

„Das, was wir an Kitas nicht erst seit gestern erleben, ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis. Der Personalmangel führt zu zusätzlichen Belastungen bei den Erzieherinnen und Erziehern, die im System sind. Höhere Krankenstände sind zwangsläufig die Folge, wenn Menschen sich über ihre Belastungsgrenze hinaus aufopfern. Das erhöht wiederum zusätzlich die Arbeitsbelastung der verbleibenden Fachkräfte und gefährdet deren Gesundheit zusätzlich. Auf der anderen Seite brauchen Kinder für ihre Entwicklung – gerade in den ersten drei Lebensjahren – eine verlässlich verfügbare Bezugsperson“, so Beckmann.

„Neben der akuten Überlastung der engagierten Fachkräfte an Kitas ist die zu verzeichnende Entwicklung auch ein verheerendes Signal an den dringend benötigten Nachwuchs. Es ist alarmierend, wenn sich gerade jüngere Leitungskräfte in ihrer Tätigkeit nochmals weniger wertschätzt erleben, als es Kitaleitungen ohnehin insgesamt tun. Mehr als 4 von 5 der unter 30-jährigen Kitaleitungen stimmen der folgenden Aussage zu: Das Vorurteil ‚Wir spielen, basteln und betreuen die Kinder nur‘ hält sich hartnäckig in den Köpfen der Gesellschaft. In den kommenden Jahren ist ein großer Teil der Leitungspositionen in Deutschland neu zu besetzen, der Ganztagsanspruch verstärkt den Personalbedarf zusätzlich. Entschiedene Maßnahmen der Politik zur Personalgewinnung und -bindung sind deshalb alternativlos“, folgert Beckmann.

Der VBE fordert:

  • Aufeinander abgestimmte, flächendeckende Investitionen im Rahmen einer bundesweit abgestimmten Fachkräfteoffensive, ergänzt um regional angepasste Maßnahmen. Diese müssen die Ausweitung der Ausbildungskapazitäten an Fach- und Hochschulen, das Angebot adäquater Entwicklungsperspektiven für ausgebildete Fachkräfte und die leichtere Anerkennung europäischer Abschlüsse einbeziehen. Die Ausbildung im frühpädagogischen Bereich darf dabei qualitativ nicht ausgedünnt werden.
  • Unmittelbare Maßnahmen zur Beseitigung aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckungen.
  • Nachhaltige Investitionen in eine wahrnehmbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf mehreren Ebenen, vor allem bei Personalausstattung, Bezahlung, Einführung einer grundsätzlich vergüteten Ausbildung, Fort- und Weiterbildungen sowie räumlicher und sächlicher Ausstattung, um die Attraktivität des Berufsbildes dauerhaft zu stärken. Vor dem Hintergrund dieser zwingend notwendigen Anpassungen ist die Verweigerungshaltung der kommunalen Arbeitgeber in den aktuellen Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst indiskutabel und ein verheerendes Signal.
  • Eine Anpassung der vertraglich fixierten Leitungszeit an den tatsächlichen Bedarf.
  • Eine Entlastung von Kitaleitungen bei Verwaltungsaufgaben durch eine Verbesserung der digitalen Infrastruktur.
  • Den unterstützenden Aufbau multiprofessioneller Teams (Therapeutinnen, Psychologinnen, med. Fachpersonal, Sozialpädagoginnen), um Inklusion, Integration, Partizipation und insgesamt immer höhere Anforderungen an das System Kita bewältigen zu können. Zur Entlastung bei nicht-pädagogischen Ausgaben sind zudem Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte einzubeziehen.
  • Systematischer Aufbau und Zugang zu Angeboten der Gesundheitsprävention und -förderung.

Die DKLK-Studie 2022 ist eine Umfrage von FLEET Education Events in Kooperation mit dem VBE Bundesverband sowie den drei VBE Landesverbänden, dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), dem VBE Baden-Württemberg und dem VBE Nordrhein-Westfalen, unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Andy Schieler von der Hochschule Koblenz. An der Umfrage, welche zum sechsten Mal erhoben wurde, haben 4.827 Kitaleitungen teilgenommen, so viele wie nie zuvor. Der Deutsche Kitaleitungskongress ist eine gemeinsame Veranstaltung von FLEET Education Events, dem VBE Bundesverband, den drei VBE Landesverbänden – Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), VBE Baden-Württemberg und VBE Nordrhein-Westfalen – sowie der AOK.

Quelle: Pressemitteilung Verband Bildung und Erziehung (VBE)