Misshandlung in der Kindheit schwächt das Körpergefühl

Studie zeigt: Wer als Kind emotional verletzt wurde, hat oft weniger Vertrauen in den eigenen Körper

Eine neue Auswertung von Studien zeigt: Menschen, die als Kinder seelisch misshandelt oder vernachlässigt wurden, vertrauen ihrem Körper oft weniger. Das bedeutet, dass sie innere Signale wie Herzklopfen, Hunger oder Anspannung nicht so gut wahrnehmen und deuten können wie andere.

Diese Fähigkeit, den eigenen Körper von innen zu spüren, spielt eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden. Sie hilft dabei, mit Gefühlen und Stress umzugehen und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Wenn dieses Körpergefühl gestört ist, kann das auch später im Leben Probleme machen.

Weniger Körpervertrauen kann seelische Krankheiten begünstigen

Die Forscherinnen und Forscher berichten: Wer in der Kindheit seelisch vernachlässigt oder beleidigt wurde, hat oft Schwierigkeiten, die Signale des Körpers richtig einzuordnen. Das kann dazu führen, dass man Gefühle schlechter steuern kann, Stress schwerer verkraftet und die eigenen Grenzen nicht gut erkennt.

Die Folge: Das Risiko für seelische Erkrankungen wie Angst, Niedergeschlagenheit oder Essstörungen steigt. „Seelische Gewalt ist oft unsichtbar – aber sie hat starke Auswirkungen“, sagt Julia Ditzer, die Hauptautorin der Studie. Auch ihre Kollegin Dr. Ilka Böhm betont: „Diese Erfahrungen bleiben nicht ohne Folgen – auch wenn sie niemand sieht.“

Kinder brauchen auch Schutz für ihre Gefühle

Die Studienleiterin Prof. Dr. Anna-Lena Zietlow macht deutlich: „Kinder brauchen nicht nur Schutz vor Schlägen oder Übergriffen. Sie brauchen auch liebevolle Zuwendung, Aufmerksamkeit und echte Nähe.“

Zietlow und ihr Team hoffen, dass ihre Forschung dabei hilft, seelische Misshandlung und Vernachlässigung ernster zu nehmen – in der Öffentlichkeit, in der Forschung und in der Arbeit mit Familien.

So wurde die Untersuchung gemacht

Die Forschenden haben Ergebnisse aus 17 Einzelstudien zusammengetragen. Dabei wurden die Daten von 3.705 Personen ausgewertet. Ziel war herauszufinden, ob es einen Zusammenhang zwischen schlechter Behandlung in der Kindheit und einem gestörten Körpergefühl gibt – und welche Art von Misshandlung dabei am stärksten wirkt.

Die Untersuchung zeigt: Körperliche oder sexuelle Gewalt wirken sich weniger stark auf das Körpergefühl aus als seelische Misshandlung und Vernachlässigung. Das heißt: Wenn ein Kind oft ignoriert, beschimpft oder abgewertet wurde, kann es später Schwierigkeiten haben, auf seinen Körper zu hören.

Neue Studie mit Jugendlichen gestartet

Die Forscherinnen und Forscher wollen nun noch genauer hinschauen. In einer neuen Studie untersuchen sie gerade, wie sich schlechte Kindheitserfahrungen auf das Körpergefühl von Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren auswirken. Ziel ist es, mehr darüber zu lernen, wie solche Erfahrungen die Entwicklung junger Menschen beeinflussen.

Veröffentlicht wurde die Auswertung in der Fachzeitschrift „Nature Mental Health“.

Beteiligt sind Teams der Technischen Universität Dresden und der Freien Universität Berlin.

Originalpublikation:

Ditzer, J., Woll, C. F. J., Burger, C., Ernst, A., Boehm, I., Garthus-Niegel, S., & Zietlow, A.-L. (2025). Childhood maltreatment and interoception: A meta-analytic review. Nature Mental Health. DOI: https://www.nature.com/articles/s44220-025-00456-w

Gernot Körner




Wie Gewaltbereitschaft entsteht

Eine neue Studie zeigt den Einfluss von emotionaler Vernachlässigung im Kindes- und Jugendalter

Kinder und Jugendliche, die emotional vernachlässigt wurden sowie strafende und kontrollierende Eltern hatten, neigen dazu, sogenannte dunkle Persönlichkeitseigenschaften wie Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie zu entwickeln. Diese Eigenschaften wiederum erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer hohen Gewaltbereitschaft bei den betroffenen Personen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie unter 1366 Leipziger Kindern und Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren, die in Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI), des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (Teilinstitut Leipzig) und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm durchgeführt wurde.

Potenzielle Erklärungsfaktoren für erstarkende autoritäre Dynamiken

Die Ergebnisse sind einerseits als Grundlagenforschung für laufende Projekte zu Radikalisierungsprozessen und Rechtspopulismus an FGZ und EFBI zu begreifen – denn die ausgemachten Persönlichkeitsmerkmale und eine gesteigerte Gewaltbereitschaft sind potenzielle Erklärungsfaktoren für erstarkende autoritäre Dynamiken. Zugleich sollten die Ergebnisse unmittelbar politisches Gehör finden, denn sie zeigen deutlich den Bedarf nach einem Ausbau von Präventionsmaßnahmen und deren notwendige inhaltliche Ausrichtung.

In der Befragung, die in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführt wurde, wurden Jugendlichen Fragen zu Persönlichkeitsmerkmalen und zur Gewaltbereitschaft gestellt. Darüber hinaus fragten die Forscherinnen und Forscher der Leipziger Jugendstudie danach, ob die Jugendlichen in den vergangenen zwölf Monaten Gewalt beobachtet haben. Beides, sowohl negative Eigenschaften, die von Narzissmus, Opportunismus, Empathielosigkeit und Impulsivität geprägt seien, sowie die Beobachtung von Prügeleien unter anderen Jugendlichen bewirke eine hohe Bereitschaft selbst Gewalt anzuwenden oder die Gewalt durch andere zu befürworten.

Die Erziehung von Kindern- und Jugendlichen gehört auf die politische Agenda

Dr. Alexander Yendell und Professor Dr. Oliver Decker fordern vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse die Erziehung von Kindern- und Jugendlichen auf die politische Agenda zu setzen. Gleichzeitig kritisieren sie, dass sehr viel Geld für Sicherheit und jüngst in Militär investiert wird, dabei werde allerdings vergessen, dass der Nährboden für Gewalt in der frühen Sozialisation liege. „Wir bekommen die Grausamkeit und Gewalt auf dieser Welt nur in den Griff, wenn wir dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche liebevoll und ohne verbale, physische und sexuelle Gewalt aufwachsen“, so Alexander Yendell.

Problematisch ist aus Sicht beider Forscher, dass es nicht nur zu wenige wichtige Projekte zur Gewaltprävention im Kindes- und Jugendalter gibt, sondern diese häufig nur kurzfristig angelegt sind. Anstatt vorwiegend in mehr Sicherheit durch Polizei und Militär zu investieren, müssten sich politische Interventionen auch auf den Bereich konzentrieren, wo Gewalt noch verhindert werden kann, sprich in der frühen Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. Hier würde viel zu wenig und zu kurzfristig investiert „Es passiert immer nur etwas, wenn es schon brennt“, so Yendell und Decker.

Welche Bedeutung Bildungsinstitutionen haben

Dabei sei der Bereich der Familie allerdings nicht der einzige wichtige: „Menschen werden nicht nur in Familien unter Zwang gestellt und erfahren dort Gewalt, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft“ so Oliver Decker. Aus diesem Grund, wollen die Forscher zukünftig auch Bildungsinstitutionen und andere möglicherweise einflussreiche Kontexte in den Blick nehmen. Darüber hinaus forschen Decker und Yendell zur Kriegsbereitschaft und -verherrlichung.

Die Durchführung der Studie zur Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen wurde vom BMFSFJ im Programmpaket „Demokratie leben!“ gefördert. Aktuelle Projekte von Alexander Yendell und Oliver Decker am BMBF-gefördertem FGZ (Teilinstitut Leipzig) beschäftigen sich mit autoritären Dynamiken und Populismus.

Dr. Mathias Rodatz Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Originalpublikation:

https://doi.org/10.1371/journal.pone.0268992

Yendell, Alexander; Clemens, Vera; Schuler, Julia; Decker, Oliver (2022): What makes a violent mind? The interplay of parental rearing, dark triad personality traits and propensity for violence in a sample of German adolescents. In: PLOS ONE 17 (6), e0268992. DOI: 10.1371/journal.pone.0268992.