„Die frühe Bildung in Deutschland steht auf wackligen Füßen“

Befragung zur Kinderbetreuung: 57 Prozent der erwerbstätigen Eltern mit Schließungen oder verkürzten Betreuungszeiten konfrontiert

Ein großer Anteil der erwerbstätigen oder arbeitsuchenden Eltern, die offiziell für ihr Kind einen Platz in der Kita oder bei Tageseltern hat, kann nicht auf eine zuverlässige Betreuung vertrauen: Gut 57 Prozent von ihnen waren in diesem Frühjahr mit Kürzungen der Betreuungszeiten und/oder sogar zeitweiligen Schließungen der Einrichtung aufgrund von Personalmangel konfrontiert. Das ist ein Ergebnis der neuen Welle der repräsentativen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung. Für diese wurden im Juli insgesamt mehr als 5000 erwerbstätige und arbeitsuchende Personen online befragt.

„Die Zahl ist ein Alarmsignal: Die frühe Bildung in Deutschland steht auf wackligen Füßen. Sie wurde zwar in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark ausgebaut. Aber unzureichende finanzielle Ausstattung und der damit zusammenhängende Fachkräftemangel in Erziehungsberufen machen sie unzuverlässig“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch. Die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung wertet die Befragung zusammen mit den WSI-Forschern Dr. Andreas Hövermann und Dr. Helge Emmler aus.

Wegen Personalmangels geschlossen

Von den 469 befragten Eltern, die ihre Kinder in einer Kita oder bei einer/einem Tagesmutter/-vater in Betreuung gegeben haben, gaben 38 Prozent an, dass die Einrichtung in den drei Monaten vor der Befragung zeitweise wegen Personalmangels geschlossen hatte. Bei 47 Prozent kam es aus diesem Grund zu Verkürzungen der vereinbarten Betreuungszeiten. Da ein Teil der Eltern sowohl mit Kürzungen als auch mit Schließungen zurechtkommen musste, summiert sich die Quote der Betroffenen insgesamt auf 57,4 Prozent.

Sehr viele Eltern stellt das vor große Probleme im Alltag: 67 Prozent der betroffenen Befragten gaben an, dass sie die Ausfälle bei der Kinderbetreuung bzw. die zeitliche Verkürzung als belastend empfinden. 30 Prozent bewerten die Situation sogar als „sehr belastend“. Knapp die Hälfte der betroffenen Mütter und Väter hat während der Schließung oder Kürzung der Betreuungszeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut, um die Betreuungslücke auszugleichen. Knapp 30 Prozent mussten zeitweilig ihre Arbeitszeit reduzieren.

Betreuungsschlüssel oftmals zu schlecht

Um den Engpass irgendwie zu überbrücken, wurden häufig auch die Partner:innen oder Verwandte/Freund:innen eingebunden. Innerhalb von Partnerschaften zeigt sich dabei ein charakteristischer geschlechtsspezifischer Unterschied: Während 63 Prozent der befragten Väter in heterosexuellen Beziehungen angaben, dass ihre Partnerin bei der Kinderbetreuung eingesprungen sei, berichteten das nur 33 Prozent der Mütter über ihren Partner.

„Die Befragungsdaten zeigen, wie dringend die Arbeitsbedingungen in Erziehungsberufen verbessert werden müssen“, analysiert WSI-Direktorin Kohlrausch. „Denn es droht eine sich selbst verstärkende Spirale nach unten: Es gibt generell zu wenige Stellen an Kitas, weil die Betreuungsschlüssel zu schlecht sind und zu wenig ausgebildet wird. In dieser Situation steigen dann Erzieherinnen und Erzieher aus. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass das häufig Menschen sind, die den Beruf lieben, aber die konkreten Zustände, den Stress bei mäßiger Bezahlung, auf die Dauer nicht aushalten. Der Fachkräftemangel in der frühen Bildung verschärft dann wiederum den Arbeitskräftemangel in anderen Branchen. Denn Eltern, vor allem Mütter, die nicht auf eine stabile Kinderbetreuung vertrauen können, müssen ihre Erwerbstätigkeit eher einschränken als dass sie sie ausbauen können.“

Es gebe keine schnelle Patentlösung für das Problem, das sich über Jahre aufgebaut hat, betont die Soziologin. „Trotzdem kann und muss die Politik etwas tun, und zwar rasch. Nur so kann im ersten Schritt verhindert werden, dass sich die Situation noch weiter verschlechtert und im zweiten eine Verbesserung erreicht werden“, sagt Kohlrausch. „Ein Ansatz wäre eine Ausbildungsoffensive für Erziehungsberufe, gekoppelt an deutlich bessere Personalschlüssel. Ein zweiter die Bezahlung. Trotz einiger Verbesserungen ist da noch Luft nach oben. Und mehr Geld könnte abgewanderte Fachkräfte dazu bewegen, wieder in den Bereich der frühen Bildung zurückzukehren.“

Informationen zur Befragung

Für die Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung werden Erwerbstätige und Arbeitsuchende von Kantar Deutschland online zu ihrer Lebenssituation befragt. Die Befragten bilden die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab.

Quelle: Mitteilung der Hans-Böckler-Stiftung




Kitas als Integrationsmotor besser aufstellen

Sachverständigenrat für Integration und Migration empfiehlt bessere Berücksichtigung von Kindern mit Migrationshintergrund

Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz wurden in der frühkindlichen Bildung auch deutliche Fortschritte erzielt. Unter anderem wurde die Sprachbildung für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte in den vergangenen zehn Jahren ausgebaut. Eine Kurzinformation des wissenschaftlichen Stabs des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) zeigt jedoch, dass die Bedarfe zugewanderter Kinder noch nicht hinreichend berücksichtigt werden. Damit die Kita Integrationsmotor wird, müsse laut SVR der Zugang für die Zielgruppe verbessert und Maßnahmen zur Qualitätssicherung gezielter ausgerichtet werden.

Familien mit Zuwanderungsgeschichte können entscheidend von der Förderung durch frühkindliche Bildung profitieren.

Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die mit einer anderen Familiensprache und in einer weniger anregenden Lernumwelt aufwachsen, nach einem längeren Kitabesuch etwa mehr sprachliche Kompetenzen entwickelt haben und in der Schuleingangsuntersuchung allgemein eher als schulreif befunden werden, als wenn sie keine oder nur kurz eine Kita besucht haben. Zudem können Eltern, die mit dem deutschen Bildungssystem noch nicht vertraut sind und denen am Wohnort persönliche Netzwerke fehlen, besser beraten werden. Und mit dem Wissen, dass ihre Kinder gut betreut sind, auch ihre eigenen beruflichen Ziele eher verfolgen.

„Kinder, die erst kurz vor der Einschulung systematisch mit der deutschen Sprache vertraut gemacht werden, haben bei Schulbeginn nicht dieselben Startchancen wie andere Kinder. Die Kindertagesbetreuung leistet hier einen ganz entscheidenden Beitrag für die frühzeitige Verringerung von herkunftsbedingten Bildungsungleichheiten. Das ist seit langem schon Konsens. Doch trotz der vielen Maßnahmen, die in den vergangenen zehn Jahren auf den Weg gebracht wurden, sind Kitas nach wie vor nicht ausreichend für den Normalfall Vielfalt aufgestellt“. Das erläutert Dr. Mohini Lokhande, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SVR. „Die Analyse der auf Bundesebene aufgelegten Programme in der frühkindlichen Bildung zeigt, dass in den vergangenen zehn Jahren in vielen Bereichen Fortschritte erzielt wurden. Gleichzeitig ist aber deutlich geworden, dass nicht alle davon in gleichem Maße profitieren. Vor allem Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind nach wie vor benachteiligt.“

2020 konnten bundesweit vier von zehn Kindern ohne Zuwanderungsgeschichte unter drei Jahren eine Kita besuchen.

Bei den Gleichaltrigen aus zugewanderten Familien waren es nur zwei von zehn. Auch bei den Kindern über drei Jahren gibt es einen deutlichen Unterschied: Während fast jedes Kind ohne Migrationshintergrund eine Kita besucht, sind es in dieser Alterskohorte nur vier von fünf Kindern mit Zuwanderungsgeschichte.

„Ein Vergleich von Bedarfs- und tatsächlichen Betreuungsquoten zeigt, dass Familien mit Zuwanderungsgeschichte zwar ein Interesse an Kinderbetreuungsangeboten haben, dass die Hürden für sie aber höher sind als für andere Familien. So werden Familien mit Zuwanderungsgeschichte von Einrichtungen bei der Platzvergabe teilweise benachteiligt. Eine langjährige Vermutung, die durch eine kürzlich veröffentlichte Studie bestätigt wurde“, so Dr. Lokhande. Hinzu komme: Sozial benachteiligte Eltern, zu denen in Deutschland weiterhin überproportional viele Familien mit Migrationshintergrund gehören, stehen vor dem Problem, dass sie die Kosten für einen Kitaplatz oft nicht aufbringen können und die Formalitäten zur Beantragung kompliziert erscheinen.

Damit Familien mit Zuwanderungsgeschichte an den gesetzlich garantierten Angeboten der frühkindlichen Bildung besser teilhaben können, sollten ihre Bedarfe künftig stärker in den Blick genommen werden.

„Die Nachteile im Zugang sollten abgebaut werden. Solange das bestehende Angebot aber hinter den Bedarfen zurücksteht, könnte überlegt werden, ob die Sprachdiagnostik frühzeitiger stattfindet und Kindern mit Sprachförderbedarf dezidiert eine Förderung in einer Kita angeboten wird“, sagt Dr. Lokhande. Dafür müsste allerdings auch die Qualität der Sprachstandsdiagnostik verbessert werden. Und eine diversitätssensible Haltung in Kindertageseinrichtungen, die Mehrsprachigkeit als Stärke begreift, zum Normalfall werden.

In den vergangenen Jahren wurden hohe Investitionen in den Ausbau, die Qualitätsentwicklung und die Sprachförderung in Kitas getätigt – mit positiver Wirkung. Allerdings profitieren Kitas, die besonders viele Kinder mit Zuwanderungsgeschichte betreuen, unzureichend von der Qualitätsförderung. „Vor allem für Kitas in besonders herausfordernder Lage sollte deshalb – ähnlich wie im Schulbereich – ein dauerhaft angelegtes ‚Startchancen-Programm‘ aufgelegt werden. Die Betreuungseinrichtungen brauchen einen besseren Planungshorizont. Und dazu gehört eben auch ein gesicherter Finanzierungsrahmen, damit sie ihrem Bildungsauftrag gerecht werden können und attraktiv bleiben für qualifizierte pädagogische Fachkräfte“, erläutert SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu.

Derzeit wird der Fachkräfte-Mangel in diesem Bereich auf etwa 100.000 geschätzt.

Einem so ausgeprägten Bedarf könne nur mit einer beherzten, konzertierten Aktion begegnet werden, fasst Dr. Schu zusammen: „Es gilt, die schon vielfach diskutierten Strategien umzusetzen. Dazu gehört eine praxisorientierte Ausbildung, der Wechsel hin zu multiprofessionellen Teams und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Auch viele Neuzugewanderte sind einschlägig qualifiziert. Es ist daher richtig, dass die Politik Strategien für die Berufsanerkennung, Nachqualifizierung und Einstellung auch geflüchteter Fachkräfte entwickelt. Sie können zu einer weiteren diversitätssensiblen Öffnung der Kitas beitragen.“

Quelle: Information des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR)




Zahl der Kindeswohlgefährdungen erreicht neuen Höchststand

Das Statistische Bundesamt berichtet von 62.300 Kindeswohlgefährdung in 2022

Nach einem leichten Rückgang im Corona-Jahr 2021 hat die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, haben die Jugendämter im Jahr 2022 bei fast 62.300 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt festgestellt. Das waren rund 2.300 Fälle oder 4 % mehr als im Jahr zuvor. In weiteren 68.900 Fällen lag 2022 nach Einschätzung der Behörden zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein erzieherischer Hilfebedarf vor (+2 %). Geprüft hatten die Jugendämter im Vorfeld insgesamt 203.700 Hinweismeldungen, bei denen der Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen im Raum stand (+3 %).

Auch langfristig hat sich die Zahl der Kindeswohlgefährdungen erhöht: In den Jahren von 2012 bis 2022 betrug der Anstieg rund 24.000 Fälle beziehungsweise 63 %. Dabei nahmen die Fallzahlen von 2017 bis einschließlich dem ersten Corona-Jahr 2020 besonders kräftig zu -und zwar jährlich um 9 % bis 10 %. Im zweiten Corona-Jahr 2021 sanken sie dann leicht (‑1 %), um im Jahr 2022 mit 4 % wieder moderat zu wachsen.

2 % weniger latente, aber 10 % mehr akute Kindeswohlgefährdungen

Fachleute hatten im Zuge der Pandemie davor gewarnt, dass ein Teil der Kinderschutzfälle durch die Kontaktbeschränkungen unerkannt bleiben oder erst mit Verzögerung nach Ende der Pandemie auffallen könnte. Auch wenn die neuen Ergebnisse zunächst eher nicht auf einen solchen allgemeinen Nachholeffekt hindeuten, gibt es doch Auffälligkeiten: So gingen zwar die latenten Fälle -also jene, bei denen eine gegenwärtig vorliegende Gefahr nicht eindeutig bestätigt werden konnte, aber ein ernster Verdacht verblieb – im Jahr 2022 auf 28.900 zurück (‑2 %). Gleichzeitig sind aber insbesondere die akuten (eindeutigen) Fälle von Kindeswohlgefährdung mit 10 % vergleichsweise stark auf 33.400 Fälle gestiegen.

Etwa vier von fünf gefährdeten Kindern waren jünger als 14 Jahre

Etwa vier von fünf (79 %) aller 62 300 von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Kinder waren jünger als 14 Jahre, etwa jedes zweite sogar jünger als 8 Jahre (47 %). Während Jungen bis zum Alter von 11 Jahren etwas häufiger von einer Kindeswohlgefährdung betroffen waren, traf dies ab dem 12. Lebensjahr auf die Mädchen zu. Die meisten Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern (42 %) oder bei beiden Eltern gemeinsam (38 %) auf, 10 % bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und weitere 9 % in einem Heim, bei Verwanden oder in einer anderen Konstellation. Knapp die Hälfte der betroffenen Jungen und Mädchen (47 %) nahm zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch, stand also schon in Kontakt zum Hilfesystem.

In 22 % aller Fälle lagen mehrere Arten von Vernachlässigung und Gewalt vor

In den meisten Fällen von Kindeswohlgefährdung (59 %) hatten die Behörden Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt. In über einem Drittel (35 %) gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen. In 27 % der Fälle wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und in 5 % Anzeichen für sexuelle Gewalt gefunden. Den Jugendämtern zufolge gab es darunter auch Fälle, bei denen die Betroffenen mehrere dieser Gefährdungsarten -also Vernachlässigungen, psychische Misshandlungen, körperliche Misshandlungen oder sexuelle Gewalt gleichzeitig erlebt hatten. 2022 traf dies auf 22 % aller Fälle von Kindeswohlgefährdung zu. Dieser Anteil ist seit 2015 kontinuierlich gewachsen, damals hatte er noch bei 16 % gelegen.

Hinweise von Polizei und Justiz haben sich in zehn Jahren mehr als verdreifacht

Knapp ein Drittel (30 %) der rund 203.700 Gefährdungseinschätzungen wurden im Jahr 2022 von der Polizei oder den Justizbehörden angeregt. Rund ein Viertel (23 %) der Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung kam aus der Bevölkerung – also von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder anonym. Dahinter folgten Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe, Erziehungshilfe u. a. (13 %). Jeweils etwa ein Zehntel der Hinweise auf die Gefährdungssituation gaben die Schulen (11 %) und die Familien selbst, also die betroffenen Minderjährigen (2 %) oder deren Eltern (7 %).

Eine abschließende Beurteilung, wie sich die Corona-Pandemie -etwa durch die allgemeinen Kontaktbeschränkungen, Lockdowns oder das Homeschooling -auf die Entwicklung der Kinderschutzfälle ausgewirkt hat, ist zurzeit noch schwierig. Gerade in  einer Ausnahmesituationen wie der Pandemie scheint aber das Meldeverhalten der Hinweisgeber eine besondere Rolle zu spielen: Zum Beispiel deuten die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass Schulen und Kitas infolge der Schul- und Kitaschließungen besonders im Jahr 2020 vorübergehend weniger Hinweise auf mögliche Kinderschutzfälle an die Jugendämter gegeben haben als zuvor und danach. Andererseits können Lockdowns und Homeoffice dazu beigetragen haben, dass bei den Behörden zeitweise deutlich mehr Meldungen aus der Bevölkerung eingegangen sind. In der Rückschau fällt auch hier das Jahr 2020 besonders auf.

Vergleichsweise stabil geblieben ist dagegen auch in Zeiten der Pandemie offensichtlich das Meldeverhalten von Polizei und Justizbehörden. Diese Hinweisgeber weisen auch im längerfristigen Vergleich eine beachtliche Entwicklung auf: 61 300 Gefährdungseinschätzungen wurden 2022 von Polizei und Justiz angeregt -gut dreimal so viele wie im Jahr 2012 (+234 %). Zum Vergleich: Im Durchschnitt hatte sich die Zahl der Gefährdungseinschätzungen im Zehnjahresvergleich in etwa verdoppelt (+91 %).

Methodische Hinweise:

Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes droht oder bereits eingetreten ist. In Verdachtsfällen sind die Jugendämter verpflichtet, durch eine Gefährdungseinschätzung (nach § 8a SGB VIII) das Gefährdungsrisiko und den Hilfebedarf abzuschätzen und einer Gefährdung entgegenzuwirken. Dazu zählen in der Regel auch ein Hausbesuch und die Erörterung der Problemsituation mit dem Kind und den Sorgeberechtigten – sofern dies dem Kinderschutz nicht entgegensteht.

Weitere Informationen:

Weitere Ergebnisse stehen in der Datenbank GENESIS-Online in der Tabelle 22518 bereit. Weiterführende Informationen zum Thema Kinderschutz und Kindeswohl befinden sich auf der Themenseite „Kinderschutz und Kindeswohl“.

Quelle: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt




GEW: „Rechtsanspruch und Wirklichkeit liegen weit auseinander!“

Bildungsgewerkschaft zum zehnjährigen Bestehen des Rechtsanspruchs auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung

„Nicht alle Kinder, die einen Anspruch haben, bekommen auch einen Kita-Platz. Anspruch und Wirklichkeit liegen immer noch weit auseinander. Dieses Fazit müssen wir nach zehn Jahren Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung ziehen“, sagte Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit. „Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs gibt es mehr als 383.000 Kinder, die keinen Platz in der Kindertagesbetreuung haben. Das darf nicht sein!”

So sei zwar die Betreuungsquote in den letzten zehn Jahren nach Erhebungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend insgesamt um 2,3 Prozent gestiegen. Gleichzeitig liege allerdings der Anteil der Familien, die erst gar keinen Platz erhalten, bei 14 Prozent. „Das Fatale dabei ist, dass insbesondere Familien mit nicht-deutscher Familiensprache oder strukturell benachteiligte, also beispielsweise armutsgefährdete Familien, oft zu den Leidtragenden ohne Kita-Platz gehören”, erklärte Siebernik. Damit verfehle der Rechtsanspruch das Ziel, Kindertagesbetreuung für alle in der Gesellschaft sicherzustellen. Besonders besorgt zeigte sich die Kita-Expertin über den Rückgang in der Betreuungsquote bei den Kindern über drei Jahren. Dieser ging von 94,4 Prozent in 2015 auf 91,7 Prozent in 2022 zurück.

Wir erleben die Auswirkungen eines Investitionsstaus von über zehn Milliarden Euro im Bereich der kommunalen, frühkindlichen Bildung

„Bund und Länder müssen den Kommunen bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs finanziell unter die Arme greifen”, so die Kita-Expertin. Zudem führe der dramatische Fachkräftemangel dazu, dass fertig gebaute Einrichtungen verspätet oder gar nicht eröffnet werden können, da vielerorts schlicht das Personal fehle. „Genau deshalb müssen jetzt die Weichen für ein echtes Qualitätsgesetz gestellt werden”, forderte Siebernik.

Der Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung habe das Potenzial, die Gesellschaft gerechter und besser zu machen, so das GEW-Vorstandsmitglied. Es sei aber an der Zeit, diesen Weg mit einem gemeinsamen Kraftakt konsequent weiter zu gehen. „Das bedeutet, die Kindertagesbetreuung quantitativ und qualitativ auszubauen, um keinen Kita-Kollaps zu riskieren, sondern stattdessen ab 2026 den nächsten großen Schritt zu gehen – den Rechtsanspruch auf den Ganztag an Grundschulen.”

Info: Seit dem 01.08.2013 gilt der flächendeckende Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung. Gemäß § 24 SGB VIII muss für jedes Kind zwischen 1 und 3 Jahren ein Platz in einer Kindertagesstätte (Kita) verfügbar sein.

Quelle: Pressemitteilung GEW




Ab wann Hitze auch für Kinder eine Gefahr ist

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Hitzeindex und Feuchtkugeltemperatur erklärt

Hitze kann sich für uns Menschen sehr unterschiedlich anfühlen: Dabei spielt vor allem die Luftfeuchtigkeit eine Rolle, aber auch wie lange wir den hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Im schlimmsten Fall kann Hitze sogar lebensgefährlich werden. Wenn es heiß ist, versucht unser Körper mit Schwitzen und der damit verbundenen Verdunstung Wärme abzugeben. Steigt die Luftfeuchte an, gerät unsere körpereigene Klimaanlage ins Stocken. Der Grund hierfür ist, dass in feuchter Luft weniger Wasser verdunsten kann.

Was sagt der Hitzeindex aus?

Um diesen Effekt in Zahlen auszudrücken, spricht man von der gefühlten Temperatur oder dem sogenannten Hitzeindex. Dieser liegt beispielsweise bei einer Lufttemperatur von 36 Grad und einer relativen Luftfeuchte von 30 Prozent bei 40 Grad. Steigt die Luftfeuchte auf 60 Prozent, liegt der Index schon bei 50 Grad. Der Hitzeindex ist für den Schatten angegeben, in der Sonne kann das Hitzeempfinden generell noch stärker sein. Am Mittelmeer wurden in diesem Sommer bereits gefühlte Temperaturen von mehr als 50 Grad erreicht.

Bei diesen Werten sollte jegliche körperliche Aktivität vermieden werden, sonst besteht die Gefahr eines Sonnenstichs oder Hitzschlags. Besonders gefährdet davon sind Menschen mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislaufsystems oder der Atemwege, Menschen über 65 Jahre, Säuglinge und Kleinkinder sowie Schwangere.

Was ist die Feuchtkugeltemperatur?

Ein weiteres Maß, welches in diesem Zusammenhang oft verwendet wird, ist die sogenannte Feuchtkugeltemperatur. Im Gegensatz zum errechneten Hitzeindex wird die Feuchtkugeltemperatur mit einem speziellen Feuchtthermometer direkt gemessen. Dabei wird ein feuchtes Tuch über die Thermometerkugel gestülpt und belüftet. Durch die Verdunstungskälte stellt sich nach einiger Zeit die Feuchtkugeltemperatur ein. Sie beschreibt die niedrigste Temperatur, bis zu der es sich in einer Umgebung durch Verdunstung abkühlen kann.

Erreicht diese Feuchtkugeltemperatur eine kritische Schwelle, kann durch Schwitzen die Körpertemperatur nicht mehr reguliert werden und die Grenze der menschlichen Anpassungsfähigkeit an Hitze ist erreicht. Es wird daher auch von der Kühlgrenztemperatur gesprochen: Bislang ging die Forschung davon aus, dass diese Grenze bei 35 Grad liegt. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr ergab allerdings, dass selbst junge und gesunde Menschen bereits bei einer Feuchtkugeltemperatur von 31 Grad an Überhitzung litten.

Hunderte Millionen Menschen gefährdet

Demnach wäre im Zuge des Klimawandels ein deutlich größerer Teil der Weltbevölkerung von lebensgefährlicher Hitze betroffen als zunächst angenommen. Laut dem aktuellen Bericht des Weltklimarats werden im Laufe des Jahrhunderts solche Bedingungen besonders in Indien und Pakistan entlang der Flüsse Indus und Ganges wahrscheinlicher.

Aber auch im Bereich sehr warmer Meere, wie zum Beispiel dem häufig mehr als 30 Grad warmen persischen Golf kann das Zusammenspiel aus Hitze und Luftfeuchtigkeit gefährlich werden. Im südlichen Iran wurde am 17. Juli 2023 ein Hitzeindex von fast 67 Grad registriert. Der Weltrekord für den höchsten Hitzeindex liegt bei 78 Grad und wurde am 8. Juli 2003 in Saudi-Arabien errechnet. Ohne Abkühlung in klimatisierten Räumen besteht bei solchen Werten akute Lebensgefahr.

Quelle: Pressemitteilung WetterOnline




Warum Kleinkinder ein unterschiedliches Schlafbedürfnis haben

Forscher stellen Zusammenhang zwischen Schlafhäufigkeit, geistiger Entwicklung und Sprachentwicklung fest

Babys und Kleinkinder, die häufiger ein Nickerchen machen, haben laut einer Studie der University of East Anglia meist einen kleineren Wortschatz und schlechtere kognitive Fähigkeiten als ihre Altersgenossen. Das Schlafbedürfnis der Kinder begründet sich aus Sicht des Forscherteams rund um die Psychologin Dr. Teodora Gliga darin, dass diese Kinder Informationen während des Schlafs weniger gut verarbeiten können und deshalb mehr schlafen müssten.

Viele Eltern sorgen sich in Bezug auf den Schlaf ihrer Kinder, dass sie nicht so viel schlafen, wie für ihr Alter erwartet wird – oder dass sie zu häufig und zu lange schlafen.“, sagt Dr. Gliga. „Unsere Forschung zeigt jedoch, dass die Häufigkeit des Mittagsschlafs eines Kindes seine individuellen kognitiven Bedürfnisse widerspiegelt. Manche Kinder können Informationen im Schlaf besser verarbeiten und schlafen daher seltener. Kleine Kinder schlafen von Natur aus so lange, wie sie brauchen, und das sollte man ihnen auch erlauben.“

Untersuchungsaufbau

Das Forschungsteam untersuchte 463 Kleinkinder im Alter zwischen acht Monaten und drei Jahren während der Schließung im Jahr 2020. Die Eltern wurden zu den Schlafgewohnheiten ihrer Kinder, ihrer Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, Informationen im Gedächtnis zu behalten, und der Anzahl der Wörter, die sie verstanden und sagen konnten, befragt. Außerdem wurden die Eltern zu ihrem sozioökonomischen Status befragt – einschließlich ihrer Postleitzahl, ihres Einkommens und ihrer Bildung – sowie zum Umfang der Bildschirmzeit und der Aktivitäten im Freien, denen ihr Kind nachgeht.

„Die Schließung gab uns die Möglichkeit, das intrinsische Schlafbedürfnis der Kinder zu untersuchen, denn wenn Kinder in der Kinderbetreuung sind, halten sie selten so viel Mittagsschlaf, wie sie brauchen.“, erläutert Dr. Gliga. „Wir haben festgestellt, dass die Struktur des Tagesschlafs ein Indikator für die kognitive Entwicklung ist. Kinder, die häufiger, aber kürzer schliefen als für ihr Alter erwartet, hatten einen kleineren Wortschatz und schlechtere kognitive Funktionen.“


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Damit alle ruhig schlafen können

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Die Ergebnisse stellen frühere Vorstellungen in Frage, wonach Erzieherinnen und Erzieher bei allen Kindern im Vorschulalter häufige Nickerchen fördern sollten. Stattdessen fordert das Forscherteam die individuellen Schlafbedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen.

Sozioökonomische Faktoren

Interessanterweise wurde in der Studie beobachtet, dass Kinder aus niedrigeren sozioökonomischen Verhältnissen während der Schließung eher einen schlechteren Schlaf hatten. Allerdings ließen sich die Unterschiede in den Schlafmustern nicht vollständig durch eine erhöhte Bildschirmzeit und weniger Aktivitäten im Freien erklären. Die Forscher fordern die Betreuer auf, bei der Bestimmung des Schlafbedarfs von Kindern deren geistiges Alter und nicht ihr chronologisches Alter zu berücksichtigen.

Die Forschung wurde in Zusammenarbeit zwischen der University of East Anglia, der University of Oxford, der Oxford Brookes University, der University of Leeds und der University of Warwick durchgeführt und vom Economic and Social Research Council (ESRC) finanziell unterstützt.

Sorgen müssen sich die Eltern von Kindern, die häufig schlafen, genauso wenig machen, wie sich die Eltern von Wenigschläfern entspannt zurücklehnen können. Kinder entwickeln sich einfach unterschiedlich. Entscheidend ist nur, dass Kinder ihre ganz individuellen, echten Bedüfnisse erfüllt bekommen.

Die Studie wurde in der Zeitschrift JCPP Advances veröffentlicht.




Sozial benachteiligte Schulkinder sind öfter krank und einsam

DAK- Schulstudie vergleicht Gesundheit und Wohlbefinden nach Sozialstatus

In Deutschland geht es nach Ende der Pandemie sozial benachteiligten Schulkindern deutlich schlechter als Gleichaltrigen aus gut gestellten Familien. Die Hälfte der Jungen und Mädchen mit niedrigem Sozialstatus ist einsam.  Viele haben häufiger Schmerzen, depressive Symptome oder Schlafprobleme als Gleichaltrige mit hohem Sozialstatus. Mehr als ein Fünftel der sozial benachteiligten Schulkinder hat wegen Schlafproblemen sogar schon einmal Schlafmittel genommen. Das zeigt der aktuelle Präventionsradar der DAK-Gesundheit für das Schuljahr 2022/2023. Für die breit angelegte Schulstudie hat das IFT-Nord in Kiel rund 15.000 Jungen und Mädchen der Klassen 5 bis 10 in insgesamt 14 Bundesländern befragt und die Ergebnisse mit den Vorjahren verglichen. Als Konsequenz aus der aktuellen Studie fordert DAK-Vorstandschef Andreas Storm eine gezielte Präventionsoffensive in den betroffenen Schulen. Das Bundesfamilienministerium bekräftigt seine Forderung nach einer Kindergrundsicherung – auch um die Gesundheit der Heranwachsenden zu schützen.

„Wir wissen seit Jahren, wie bestimmend die soziale Herkunft für den Bildungserfolg ist. Unser Präventionsradar zeigt als Frühwarnsystem jetzt eindrücklich auf, dass auch Chancen auf eine gute Gesundheit ungerecht verteilt sind“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. „Wenn es vom familiären Hintergrund abhängt, ob Schulkinder einsamer sind, mehr Schmerzen und depressive Symptome haben oder schlechter schlafen, dann müssen wir handeln. Wir brauchen eine gezielte Präventionsoffensive für gesundheitliche Chancengleichheit.“

Die Hälfte der benachteiligten Schulkinder fühlt sich einsam

Laut DAK-Präventionsradar fühlt sich jedes dritte Schulkind der Klassen 5 bis 10 oft allein und ausgeschlossen und hat das Gefühl, keine Freunde zu haben. In der Gruppe mit einem niedrigen Sozialstatus ist sogar die Hälfte von Einsamkeit betroffen. Auch bei körperlichen Beschwerden schneiden sozial benachteiligte Schulkinder schlechter ab. 38 Prozent von ihnen haben mindestens einmal pro Woche eine oder mehrere Arten von Schmerzen, bei gut situierten Kindern sind es 21 Prozent. Unter allen befragten Schulkindern sind Kopf- und Rückenschmerzen mit 27 beziehungsweise 25 Prozent besonders verbreitet. Von regelmäßigen Bauchschmerzen berichtet etwa ein Fünftel (19 Prozent). In Bezug auf depressive Symptome zeigt sich ein vergleichbares Bild: Bei den Befragten mit niedrigem Sozialstatus haben 44 Prozent emotionale Probleme und sind von einer traurigen Stimmung, von Freudlosigkeit oder Selbstwertverlust betroffen. Unter denjenigen mit einem hohem Sozialstatus sind es mit 26 Prozent deutlich weniger.

Soziale Situation korrespondiert mit Gesundheitszustand

„Die vergangenen Jahre haben Heranwachsende – insbesondere aufgrund der COVID-19 Pandemie – vor große Herausforderungen gestellt. Jungen und Mädchen aus Familien, die einer niedrigen sozialen Schicht zuzuordnen sind, hatten es schwerer, diese Herausforderungen gut zu bewältigen. Die Daten des Präventionsradars zeigen: je ungünstiger die soziale Situation, desto schlechter der Gesundheitszustand. Dies zeigt sich drastisch in Krisenzeiten. Wir sollten daher besonders diejenigen Heranwachsenden unterstützen, die aus Familien stammen, die wenig Ressourcen zur Verfügung haben, um zu verhindern, dass sich Störungen und Erkrankungen im Jugendalter manifestieren“, erklärt Professor Reiner Hanewinkel als Studienleiter beim IFT-Nord in Kiel. „Um das Ziel von gesundheitlicher Chancengleichzeit zu erreichen, bedarf es jetzt dringend einer breiten Präventionsoffensive, mit Maßnahmen und Strategien auf den unterschiedlichsten Ebenen und einer guten Zusammenarbeit vieler Partnerinnen und Partner“, ergänzt Andreas Storm.

Bundesfamilienministerium fordert Kindergrundsicherung

Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, kommentiert: „Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist elementar wichtig – sie prägt den Lebensweg von Beginn an und damit auch die Entwicklung unserer Gesellschaft. Der ‚Präventionsradar 2023‘ zeigt, dass es vielen Kindern und Jugendlichen grundsätzlich gut geht, aber eben nicht allen und die Kluft wird zunehmend größer.

Das ist alarmierend und zeigt: Wir müssen Präventionsangebote wie die Mental Health Coaches absichern, weil wir sie für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche in Schulen dringend brauchen. Zudem brauchen wir eine Kindergrundsicherung, die vor Armut und Benachteiligung schützt und damit auch die Gesundheit fördert.“

Präventionsoffensive für gesundheitliche Chancengleichheit

Im vergangenen Jahr hatten die Bundesministerien für Gesundheit und für Familien, Senioren, Frauen und Jugend eine Interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ eingesetzt. In ihrem Abschlussbericht im Februar 2023 erklärten die Ministerien unter anderem, an ausgewählten Schulen Mental Health Coaches einzuführen, die sich präventiv um die Stärkung der seelischen Widerstandskraft von Schulkindern und weitere Gesundheitsaspekte kümmern. „Wir brauchen dringend eine Präventionsoffensive für gesundheitliche Chancengleichheit. Dass im kommenden Schuljahr erstmals Mental Health Coaches ihre Arbeit aufnehmen sollen, ist hierfür ein guter Einstieg“, so DAK-Vorstandschef Andreas Storm. „Sie müssen ganz gezielt dort eingesetzt werden, wo der Bedarf besonders groß ist und wo zum Einzugsgebiet der Schulen besonders viele sozial benachteiligte Familien gehören.“

Mehr als ein Drittel aller Schulkinder haben Schlafprobleme

Ein weiteres Ergebnis des DAK-Präventionsradars: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) aller Schulkinder haben mindestens einmal pro Woche Schlafprobleme. Etwa die Hälfte der Jungen und Mädchen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus schlafen schlecht. Etwa ein Fünftel (22 Prozent) von ihnen hat deswegen schon einmal Schlafmittel genommen. Eine große Rolle bei den Schlafproblemen der sozial benachteiligten Schulkinder spielen exzessive Bildschirmzeiten. Die Studie zeigt, dass benachteiligte Jungen und Mädchen deutlich mehr Zeit am Bildschirm verbringen als besser gestellte Mitschülerinnen und Mitschüler. Und lange Zeiten am Handy, an der Spielekonsole und am Laptop sind nach Modelrechnungen auf Grundlage der Befragungsergebnisse deutlich mit häufiger auftretenden Schlafproblemen assoziiert.

Quelle: Pressemitteilung DAK




10 Jahre Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung – kein Grund zum Feiern!

Kita-Fachkräfteverbände beklagen schlechte Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung

Vor 10 Jahren trat auf Bundesebene der Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kita oder Kindertagespflege in Kraft. Seit August 2013 hat jedes Kind ab einem Jahr ein Recht auf Betreuung, frühkindliche Bildung und individuelle Förderung. Es war allen Beteiligten klar, dass die Umsetzung dieses Rechtsanspruches große Anstrengungen und erhebliche finanzielle Mittel benötigen würde, um unsere Kitas quantitativ und qualitativ adäquat auszubauen.

Kita-Qualität nach wissenschaftlichen Mindestanforderungen gesetzlich festschreiben und finanzieren

Die Kita-Fachkräfteverbände fordern Bund, Länder und Kommunen auf, endlich deutschlandweit eine Kita-Qualität nach wissenschaftlichen Mindestanforderungen gesetzlich festzuschreiben und zu finanzieren. Für jedes Kind, egal in welchem Bundesland es lebt, muss eine kindgerechte Bildungs- und Betreuungsqualität gewährleistet werden. Bereits 2013 bestanden Zweifel an der Umsetzbarkeit, wie folgende Zitate zeigen: GEW 2013: https://www.gew.de/presse/pressemitteilungen/detailseite/gew-klasse-statt-masse „…wurde versäumt, rechtzeitig mit dem Ausbau und vor allem mit der Ausbildung des zusätzlich benötigten Fachpersonals zu beginnen“, stellte Norbert Hocke, für Jugendhilfe verantwortliches GEW-Vorstandsmitglied, fest. „In der Eile, in der in den vergangenen Monaten auf den letzten Drücker Einrichtungen gebaut und eröffnet wurden, ist viel zu wenig auf pädagogische Qualität geachtet worden. Um zu vermeiden, dass Eltern einen Platz vor Gericht einklagen, schafft man Masse statt Klasse. „… Ob im August 2013 tatsächlich alle Bedarfe gedeckt werden können, bleibt abzuwarten.

Aus dem Blick gerät allerdings zuweilen, dass die Herausforderungen in den nächsten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen bleiben werden. Ausgehend von den Teilhabequoten der unter Dreijährigen in den ostdeutschen Bundesländern erscheint es plausibel, dass der Bedarf auch in den westdeutschen Bundesländern in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Neben den damit verbundenen finanziellen Anforderungen stellt sich insbesondere die Frage, ob genügend pädagogisches Personal vorhanden ist, das zudem über die erforderlichen Qualifikationsprofile verfügt. Zu wenig steht explizit die Qualität der Bildungs- und Betreuungsformen auf der politischen Agenda, d. h., wie frühkindliche Bildungssysteme ausgestaltet werden müssen, um allen Kindern förderliche Bildungs- und Entwicklungsbedingungen in den KiTas bieten zu können.“ (Bertelsmann Ländermonitor 2013 S.5).“

Die Parameter für eine gute Kita-Qualität sind unstrittig

Beide Statements könnte man genauso aktuell im Jahre 2023 abdrucken. Die damaligen Befürchtungen waren berechtigt. Bund, Länder und Kommunen haben nicht die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt, und es mangelt nach 10 Jahren weiterhin an Kita-Plätzen, Fachkräften und kindgerechten Rahmenbedingungen. Die Parameter für eine gute Kita-Qualität sind unstrittig. Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein großes Umsetzungsproblem. Solange im föderalen System die finanzielle Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Kommunen hin und her geschoben wird, wird die Kita-Krise auch in den kommenden 10 Jahren nicht gelöst werden.

Kitas sind in einer modernen Gesellschaft mit einem gleichberechtigten Berufsleben beider Elternteile systemrelevant. Das Wirtschaftsland Deutschland ist auf eine funktionierende Kita-Betreuung sowie gute frühkindliche Bildung mehr denn je angewiesen. Viele Kita-Kinder verbringen unter der Woche mehr Zeit in der Kita als zuhause. Wenn Kitas zu Verwahranstalten verkommen, verschenken wir unglaublich viel Talente und Potentiale. Wir brauchen auch in Zukunft gut gebildete, belastbare junge Menschen, welche die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Kinder sind auf entwicklungsförderliche Bedingungen in ihren Einrichtungen angewiesen. Die Mindestanforderungen an eine gute pädagogische Qualität wurden vor Jahren definiert und sind in Wissenschaft und Fachpraxis unstrittig. Etabliert wurden diese Mindeststandards bisher in keinem Bundesland.

„Viele Kinder auf engem Raum mit wenig Personal verhindern eine gute pädagogische Qualität“

Für Kinder und Kita-Fachkräfte ist die Kita-Welt nicht in Ordnung. „Wir können unserem gesetzlichen Auftrag, Kinder bedürfnisorientiert zu betreuen, sie zu bilden und zu fördern, nur sehr eingeschränkt nachkommen.“ So die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Bayern, Veronika Lindner. „Viele Kinder auf engem Raum mit wenig Personal verhindern eine gute pädagogische Qualität.“ Dem stimmt Melanie Krause, die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Niedersachsen/Bremen zu:

„Jedes Jahr schicken wir schweren Herzens Kinder mit sprachlichen, motorischen Defiziten oder Verhaltensauffälligkeiten in die Schule, weil wir in den Kitas nicht genug Zeit und Raum haben, uns den Kindern so zuzuwenden und sie in ihrer Entwicklung zu begleiten, wie das notwendig wäre.“

Die Kita-Fachkräfteverbände sind sich einig, dass Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit unter den aktuellen Rahmenbedingungen auf der Strecke bleiben. Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Hier werden die Grundlagen der Bildungsbiografie gelegt, Talente gefördert oder viel Potential brachliegen gelassen. Wir brauchen endlich ein Kita-Qualitätsgesetz, das seinen Namen zu Recht trägt. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam festlegen, wer zu welchen Teilen einen kindgerechten Kita-Alltag für unsere Jüngsten finanziert. Wenn wir uns als Gesellschaft einig sind, dass Kinder das Wichtigste sind, was wir haben, muss frühkindliche Bildung und eine kindgerechte Betreuung, auch wenn es um die Finanzierung geht, an erster Stelle stehen. Kindgerechte Kitas sind keine Frage des Schicksals, sondern des politischen Willens.

Kontakt und Rückfragen: Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V., info@verband-kitafachkraefte-bayern.com

Quelle: Pressemitteilung der Kita-Fachkräfteverbände in Deutschland