Den Frühling mit Kindern entdecken

seifenblasen frühling

Zeit des Erwachens:

Der Frühling macht alles neu – ist das tatsächlich so? Die Beschäftigung mit Planzen hat einen großen Einfluss auf uns. Hier finden Sie viele praktische Tipps und Ideen, um den Start in den Frühling und die Vorbereitung auf Ostern mit besonderen Erfahrungen und Erlebnissen zu füllen.

Frühlingsanfang

Am 21. März ist Tagundnachtgleiche: Der Frühling beginnt. Früher begrüßten ihn die Kinder, indem sie mit langen Stangen und Zeptern, die mit Weidenkätzchen, Papierblumen, roten Eiern und Bändern geschmückt waren, durch ihren Ort zogen. Welche Farben verbinden denn die Kinder heute mit dem Frühling? Wie würden sie ihre Stecken schmücken? Jetzt heißt es erst einmal raus in die Natur gehen, um zu schauen, welche Farben der Frühling zu bieten hat.

Sind es die frischen zarten Grüntöne, die nach dem langen Winter das Herz so fröhlich stimmen, oder ist es die üppige Blumenpracht, mit der wir schon im Frühling verwöhnt werden: das satte Gelb der Forsythien, die roten Tulpen und zartgelben Narzissen? Oder ist es das leuchtende Rosa der blühenden japanischen Kirschbäume, deren Krone wie eine dicke rosa Wolke über den Köpfen schwebt und in die man sich am liebsten verkriechen möchte? Vielleicht auch der Flieder, dessen Duft so unverwechselbar ist? Welcher gefällt denn besser, der weiße oder der lila Flieder? Der Frühling hat so viele Farben. Zu Hause kann dann jeder seinen Stecken mit Bändern und Eiern in seiner Lieblingsfarbe schmücken. So wird eine bunte Farbenpracht entstehen.

Eine alte Sache: Eier färben

Das Eierfärben zur Osterzeit ist gar nicht mehr wegzudenken. Dieser Brauch ist uralt. Schon vor fünftausend Jahren sollen die Chinesen zum Frühlingsanfang bunt bemalte Eier verschenkt haben. Sie galten als Symbole der Fruchtbarkeit. Diese Bedeutung hatten die Eier früher auch bei uns, allerdings wurden hier weiße Eier verschenkt. Erst im zwölften und dreizehnten Jahrhundert gibt es Berichte darüber, dass sie bemalt wurden. Das Osterei galt im christlichen Sinne als Symbol der Auferstehung. Die Schale steht für das Grab, aus dem ein lebendiges Wesen schlüpft. Dass zu Ostern Eier verschenkt wurden, hatte aber auch noch einen anderen Grund. Die Kirche hatte ein Verbot erlassen, während der Fastenzeit Eier und Eierspeisen zu verzehren. Da dies aber mit der besonders guten Legezeit der Hühner zusammenfiel, kamen auf diese Weise jede Menge Eier zusammen, die man sich dann am Ostertag großzügig gegenseitig schenkte. Die Eier wurden gleich hart gekocht, da sie so besser zu transportieren waren und es damals keine Möglichkeit gab, frische Eier lange zu lagern. So entstand also die Sitte, zu Ostern hart gekochte Eier zu verschenken.

Eier färben mit Naturfarben

Früher wurden die Eier mit Naturfarben gefärbt, und vielleicht haben die Kinder ja Freude daran, das auch einmal auszuprobieren. Es ist sehr einfach, und die Ergebnisse sind wunderschön. So manche Oma wird sich noch daran erinnern können und vielleicht gern mitmachen, weil dadurch schöne Kindheitserinnerungen wach werden. Bestimmt erinnert sie sich auch an die Speckschwarte, mit der die Eier dann eingerieben wurden, damit sie schön glänzten.

  • Zwiebelschalen und Tee, in Wasser aufgekocht, färben die Eier braun. Getrocknete Zwiebelschalen lose um rohe Eier gewickelt, ergeben marmorierte Eier.
  • Efeu- und Brennnesselblätter färben die Eier grün.
  • Safran und Kümmel färben die Eier gelb, wenn man die Gewürze zuerst im Wasser aufkochen lässt.
  • Rote-Bete-Saft färbt die Eier rot. Wird dem Wasser noch ein Schuss Essig zugegeben, leuchten die Farben intensiver.
  • Hart gekochte Eier werden so lange ins warme Farbbad gelegt, bis die Farbe intensiv genug ist.
  • Rohe Eier kocht man von Anfang an mit der Farbe oder den Blättern mindestens 10 Minuten, wenn die Eier hart gekocht werden sollen.

Interessante Muster ergeben sich auch, wenn hart gekochte Eier zunächst in flüssiges Bienenwachs getaucht werden, in das man nach dem Erkalten mit einer dicken Stopfnadel Muster kratzen kann. Erst dann kommen sie in ein Farbbad. Das Wachs schmilzt, und die Eier bekommen die interessantesten Muster. Zu beobachten, wie sich die Eier färben, finden Kinder immer wieder aufregend und spannend. Hier ist noch eine Methode, die Kindern früher viel Spaß gemacht hat, obwohl sie vielleicht ein bisschen knifflig klingt: Die Kinder pinseln die Eier mit Eiweiß ein und schneiden dann aus Zwiebelschalen Sterne, Buchstaben, Zahlen oder andere Figuren, die auf das bepinselte Ei gelegt werden. Wenn die Zwiebelschalen dabei brechen sollten, ist das überhaupt nicht schlimm, denn auch die zerbrochenen Formen ergeben wunderschöne gelbe Muster. Wie mögen sie diese Eier damals wohl genannt haben, vielleicht „Überraschungseier“? Früher haben die Kinder auch das wollfadendicke Mark von Binsen oder Gräser um Eier gewickelt und sie dann ins Farbbad getaucht. Ob das mit ganz normalen Wollfäden auch geht? Das muss doch gleich mal ausprobiert werden. Die Kinder werden sicher auch noch auf eigene Ideen kommen, was man mit den Eiern alles anstellen kann, um sie noch schöner zu gestalten.

Raus auf die Wiese

Nach dem langen Winter haben die Jungen und Mädchen genauso wie die Kinder früher einen besonderen Drang nach wilden Spielen. Aber vielleicht interessiert es sie auch, was die Kinder damals auf dem Dorfanger, der gemeindeeigenen Dorfwiese, gespielt haben. Besonders beliebt waren Ballspiele, wobei der Ball vermutlich das Symbol für die Sonne gewesen ist. Der hohe Wurf als Zeichen der Hoffnung galt für ihren wieder länger und höher werdenden Lauf. Die Bälle wurden meistens selbst genäht. Es waren bunte, bemalte Lederbälle, verschieden groß, je nachdem, ob sie mit der Hand geworfen oder mit einem Stock geschlagen oder getrieben wurden.

Erbsbälle

Material: Transparentpapier, Stoff, Schere, Nadel, Faden, Stecknadeln, Füllwatte oder anderes Füllmaterial, Reißverschluss

Wer Lust hat, kann sich ja einmal seinen eigenen Ball nähen. Auch wenn Ledernadeln die Arbeit mit Leder erleichtern, ist es für jüngere Kinder sicherlich einfacher, einen Stoffball zu nähen. Und wer etwas ganz Besonderes will, der hat sicher Spaß an einer Riesenerbsenschote, die fünf Bälle enthält. Wenn jüngere Kinder noch Schwierigkeiten im Umgang mit der Nadel haben, sollten die Großen das Nähen übernehmen. Die Kleinen werden dann begeistert die fertigen Bälle mit Hirse, Reis oder Sand füllen. So kann die Herstellung der Erbsenschote mit den fünf „Erbsen“ eine schöne Gemeinschaftsproduktion werden.

Erbsball

Die Schnittmusterteile werden, nachdem sie mit dem Kopiergerät oder am PC vergrößert wurden, mit Transparentpapier kopiert und auf den Stoff gelegt. Besonders schön ist grüner Nickistoff, aber auch andere Stoffe sind geeignet. Man benötigt vier Teile für die größte Erbse, acht für die beiden mittelgroßen und acht für die beiden kleinen Erbsen. Für die Erbsenschote wird das Papier gefaltet dann zweimal kopiert, ausgeschnitten und auf den Stoff gelegt.

Die einzelnen Papierteile werden mit Stecknadeln auf dem Stoff befestigt und ausgeschnitten. Noch einmal: Zu jeder Erbse gehören vier gleiche Teile. Diese Teile werden zusammengenäht, wobei eine Öffnung zum Füllen gelassen wird. Das Ganze wird umgestülpt, sodass die Nähte innen sind.

In die fast fertigen Bälle kommt noch Füllwatte, Hirse, Sand oder Reis, bevor man sie ganz zunäht. Vielleicht interessiert es einige zu hören, dass früher die Bälle mit Haaren gefüllt wurden. Also, wer opfert wohl seine Haarpracht? Oder führt der Heimweg vielleicht beim Friseur vorbei, damit man es so genau wie möglich den Großeltern nachmachen kann? Ach was, Füllwatte geht auch. Der Stoff für die Erbsenschote wird nach dem Ausschneiden aneinandergenäht. Der Reißverschluss wird an die geraden Seiten genäht. Schon ist die Erbsenschote fertig, die Erbsenkinder können es sich in der Schote gemütlich machen. Allerdings wird das nicht lange währen, denn die Ballspiele warten ja darauf, ausprobiert zu werden. Also los, es geht mit der Erbse raus auf die Wiese!

Kappenball

Material: Kappen oder Hüte, Ball

Wie gut, dass viele Kinder heute wieder Kappen tragen. Die Baseballkappen werden bei dem nächsten Spiel nämlich gebraucht. Beim Kappenspiel legen die Kinder ihre Mützen oder Kappen nebeneinander auf den Boden. Das Kind, das sich freiwillig als erster Werfer gemeldet hat, wirft den Ball in eine der Mützen. Der Besitzer dieser Mütze nimmt den Ball so schnell wie möglich heraus und ruft schnell „Halt!“. Die davonlaufende Kinderschar muss dann sofort in ihrer Bewegung innehalten und in der Position verharren. Das Kind mit dem Ball versucht jetzt, ein Kind zu treffen. Der getroffene Mitspieler wird zum nächsten Werfer. Wenn viele kleinere Kinder mitspielen, ist es günstig, das Spielfeld zu begrenzen. Jetzt weiß man endlich, warum Mütter immer sagen: „Und vergiss deine Mütze nicht!“ Sie haben das Spiel offenbar auch gern gespielt.

Frühlingsimpressionen

Wenn man sich richtig ausgetobt hat, dann hat man auch wie der Muße, die immer wiederkehrenden Wunder der Natur zu bestaunen. Vielleicht können die Kinder in kleinen Gruppen mit einem Fotoapparat, Smartphone oder Tablet mit Kamera losziehen. So viele schöne Fotomotive gibt es im Frühling draußen zu entdecken.

Die ersten Bilder werden garantiert nicht besonders, und es werden auch statt der Blüten nur die Schuhspitze des Fotografen zu bewundern sein, aber Übung macht den Meister. Die Kinder werden bald herausgefunden haben, wie dicht sie an das abzulichtende Objekt herangehen können, damit das Bild scharf wird.

Es gibt noch so viel zu entdecken, was unbedingt festgehalten werden muss. Und die Kinder werden danach viel aufmerksamer hinschauen und ihre „Objekte“ immer wieder besuchen wollen, um zu sehen, ob der Lieblingsbaum schon grüner geworden ist, das Gras schon wieder höher steht und ob das Amselnest denn schon fertiggebaut ist.

Wer die aufblühende Natur so eingehend betrachtet, der sieht leider auch, dass ihr nicht alle Menschen mit der not wendigen Achtung und Ehrfurcht begegnen. Wenn die Kin der ein Gefühl für die Schönheit der Natur bekommen haben, werden sie sich sicher an dem ganzen Müll und Schrott stören, den manche Menschen im Wald abladen. Sie werden verstehen, warum ein Gedenktag für die Erde eingerichtet worden ist – der Earth Day, der am 22. April 1970 von einem ehemaligen amerikanischen Senator zur Rettung des geschundenen Planeten ausgerufen wurde. An diesem Tag wurde das US­Umweltschutzamt gegründet und das Gesetz zur Reinerhaltung der Luft trat in Kraft. Dieser Tag wird seitdem „gefeiert“, indem Naturschützer dazu aufrufen, Müll zu sammeln. Bäume zu pflanzen, Autos stehen zu lassen und Giftfässer vom Meeresboden zu heben – wenigstens einmal im Jahr. Ob sich die Kinder daran beteiligen wollen und mit Müll säcken losziehen, um im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein Stück Wald von Unrat zu befreien? Wenn Eltern, Freunde und Verwandte bei dieser Aktion mitmachen, können sich al le nicht nur an der Gemeinschaft und dem Bewusstsein freuen, etwas für ihre Umwelt getan zu haben, sondern anschließend gemeinsam Spiele ausprobieren, die gespielt wurden, als sie noch jung und voller Übermut waren.

Diesen Artikel haben wir aus Maya Hasenbecks Buch mit dem Titel „Frühling, Sommer und viel mehr“ entnommen.

Frühling, Sommer und viel mehr
Die Jahreszeiten mit Kindern erleben
Maya Hasenbeck
Burckhardthaus-Laetare
3 bis 6 Jahre, 96 Seiten
ISBN: 9783944548135
14,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




Diese Straßen sind zum Spielen da

Das „Wohnstraßenspielebuch“ gratis zum Download:

Spielstraßen oder Wohnstraßen heißen die verkehrsberuhigten Bereiche.  Autos müssen hier Schrittgeschwindigkeit fahren. Kinderspiele sind überall erlaubt.  Im Wohnstraßenspielebuch finden Sie viele Ideen dazu. Es steht hier gratis zum Download bereit.

Zur Idee der Spielstraße

In den Siebziger Jahren sind die hierzulande die ersten verkehrsberuhigten Bereiche entstanden. Umgangssprachlich nennen sie viele von uns Spielstraßen. In Österreich heißen sie Wohnstraßen.  Zur Idee der Spiel- oder Wohnstraße gehört, dass die Straße für alle da sein soll und jeder sie nutzen darf. Autos dürfen hier nur Schrittgeschwindigkeit fahren. Ansonsten stehen hier die Menschen im Mittelpunkt. Passanten müssen den Autos zwar Platz machen und dürfen parkende Autos nicht beschädigen. Aber jeder darf die Fahrbahn betreten und nutzen. Kinder dürfen hier überall spielen.

Freiräume für Kinder

In Zeiten schwindender Freiräume für Kinder ist es an der Zeit, die verkehrsberuhigten Bereiche wieder zu beleben. Das „Wohnstraßenspielebuch“ der „Forschungsgesellschaft Mobilität FGM aus dem österreichischen Graz hilft dabei. Es zeigt, was alles möglich ist und wie sich die Anwohner die Straße als Lebensraum zurückholen können. Zudem finden sich darin viele Spielideen. Das Wohnstraßenspielebuch liegt hier zum Download bereit.

Die gedruckte Broschüre ist hier erhältlich:
Fratz Graz – Werkstatt für Spiel(t)räume
Karmeliterplatz 2 – 8010 Graz
Mail: office@fratz-graz.at
Web: www.fratz-graz.at

Es sind nur die Versandkosten zu bezahlen!




Startschuss für den Kinderwettbewerb „Erlebter Frühling“

Kinder und Erwachsene erforschen den Weißstorch und seine Lebensweise:

Mit dem Kinderwettbewerb „Erlebter Frühling“ lädt die NAJU (Naturschutzjugend im NABU) jedes Jahr alle Kinder dazu ein, die Tier- und Pflanzenwelt im Frühjahr zu erforschen. Welche Pflanzen zeigen sich als erste? Welche Zugvögel kehren zurück? Wer erwacht da aus dem Winterschlaf?

Ab März kommen die Weißstörche zurück

In diesem Jahr steht der Weißstorch im Mittelpunkt des Kinderwettbewerbs, und mit ihm alle Tiere auf Wiesen, Weiden und an Flussauen. Ab März kehren die Weißstörche aus ihren Überwinterungsgebieten in Afrika und Spanien nach Deutschland zurück, um hier zu brüten und ihre Jungen aufzuziehen. Was die Störche zu sich nehmen, warum sie oft in der Nähe der Menschen leben und wie wir sie und andere Tiere schützen lasse – all das sollen die Kinder erforschen.

Teilnahmebedingungen

Um am Wettbewerb teilzunehmen, sollen die Kinder Fotos ihrer Aktionen und Projekte auf der NAJU-Webseite hochladen und dort direkt den Teilnahmebogen ausfüllen: www.NAJU.de/erlebter-frühling.

Teilnehmen können alle Kinder bis 13 Jahre, Teilnahmeschluss ist der 31. Mai 2021.

Die beste Einsendung aus jedem Bundesland wird gekürt. Als Preis erwartet die Gewinner ein spannender Erlebnistag in der Natur.

Materialien für Lehrkräfte, ErzieherInnen und Eltern

Für LehrerInnen, ErzieherInnen, Eltern und Gruppenleitungen bietet die NAJU pädagogische Begleitmaterialien zum Wettbewerb an: ein Aktionsheft mit Forscher- und Aktionstipps zum Weißstorch, einen Aufkleber, ein Poster zum Gestalten sowie Aktionshefte zu allen bisherigen Frühlingsboten wie Grasfrosch, Salweide oder Honigbiene. Die Materialien können unter www.NABU-shop.de bestellt werden.

Mehr Informationen zum Wettbewerb gibt es unter www.NAJU.de/erlebter-frühling.




Ein deutliches Ausrufezeichen für die geballte Kraft des Spiels

Sabine Weinberger und Helga Lindner: Faszination Spiel

Viele Erwachsene sehen das „Spiel“ noch als eine typische Kinderaktivität an, die zu jeder Phase einer Kindheit gehört, auch wenn demgegenüber manche Eltern und sogar einige pädagogische Fachkräfte im Rahmen der vor Jahren begonnenen ‚Bildungsoffensive’ dem Spiel(en) der Kinder eine zunehmend untergeordnete Bedeutung beimessen. 

So kommt genau zum richtigen Zeitpunkt das Buch der beiden Psychotherapeutinnen Sabine Weinberger und Helga Lindner heraus, die dem SPIEL seine außergewöhnlich hohe Bedeutung für bedeutsame Entwicklungsvorgänge erneut zusprechen und diese mit vielen Informationen belegen sowie mit vielen Hinweisen ausführen. Es geht dabei um so genannte Schlüsselqualifikationen wie beispielsweise eine humanistisch orientierte Kommunikationsqualität, um Lern- und Lebensfreude, Kreativität, Begeisterungsfähigkeit oder um eine Selbstbildungsmotivation, die dem Menschen helfen, viele angelegte Potenziale zu entdecken, aufzugreifen, auszubauen und zu verfeinern. 

Dabei – und das ist das Besondere in dieser Veröffentlichung – wenden sich die beiden Autorinnen nicht nur dem Bedeutungswert des Spiels für die kindliche Entwicklung zu. Sie konzentrieren sich in ihren spannenden und überaus lesenswerten Ausführungen in der Hauptsache auf die fünf Lebensphasen, die wir Menschen erfahren dürfen: die frühe Kindheit, das Schulalter, die Jugendphase, das Erwachsenenalter und das Leben als Senior*in. 

Nachdem sich Weinberger und Lindner dem Phänomen der „Faszination“, also einer  stark emotionsgeprägten Aufmerksamkeit und ihren  Begleitelementen wie Staunen, Achtsamkeit, möglichen so genannten Flow- und Tranceerlebnissen zugewandt und das Spiel in seinen vielfältigen und ganz unterschiedlichen Facetten näher erläutert haben, folgen die fünf Kapitel mit den altersspezifischen Schwerpunkten und Besonderheiten, die sich im Spiel verbergen und mit dem Spielen zum Ausdruck kommen. 

Geschichten, Metaphern, Beispiele, viele punktgenaue und nachdenkenswerte Zitate, Zusammenfassungen und die interessanten Textausführungen sorgen zu jedem Zeitpunkt für ein tiefes Leseerlebnis, das es schwer macht, eine Pause beim Lesen einzulegen. Und besonders interessierte Leser*innen erhalten nach jedem Kapitel Hinweise auf Vertiefungsliteratur und Quellentexte. 

Dieses Buch setzt ein dringend notwendiges, schon seit einiger Zeit längst überfälliges und zugleich deutlich formuliertes Ausrufezeichen, um die geballte Kraft des Spiels und dessen förderliche Auswirkungen für alle Altersstufen herauszustellen. Gleichzeitig beinhaltet es auch mit einem doppelten Ausrufezeichen ein Gegengewicht zur immer stärker werdenden, kognitiv orientierten Verplanung von Kindheiten, zur häufig seelenlosen und übermächtigen Digitalisierung als kommunikationsunterdrückender Zeit-/Beziehungsdieb und zum zunehmend egozentrisch gestalteten Selbstoptimierungs-wahn bei vielen Erwachsenen. Um diesem Trend eine wundervolle Alternative entgegenzusetzen, lohnt es sich für Eltern und pädagogische Fachkräfte, sich neugierig, interessiert und mit einer hohen Motivation auf die „Faszination Spiel“ einzulassen. 

Armin Krenz

Bibliographie

Sabine Weinberger und Helga Lindner
Faszination Spiel
Wie wir spielend zu Gesundheit, Glück und innerer Balance finden
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden 2020
Softcover, 168 Seiten
ISBN: 978-3-658-27049-0 
19,99 €uro

Mehr zum Buch




Inklusion beginnt in den Köpfen und in den Herzen

down kind mit brille

Ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Maschke über Inklusion und warum sie ein Gewinn für uns alle wäre:

Bei Spielen und Lernen geht es uns immer in erster Linie um die Kinder und die Menschen, die sich um die Kinder kümmern. Deshalb lautet unsere Kernfrage: „Was können wir dazu tun, um Kinder in ihrer Entwicklung optimal zu unterstützen?“ Diesmal geht es um Inklusion. Mit Herrn Professor Thomas Maschke konnten wir einen bekannten Wissenschaftler und Praktiker für unser Interview gewinnen. Wir hätten ihn eigentlich noch viel mehr fragen müssen, nur hätte dies den Rahmen komplett gesprengt

spielen und lernen: Herr Professor Maschke, Sie sind Professor für inklusive Pädagogik mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Sie leiten das Institut für Waldorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität an der Alanus Hochschule in Mannheim. Sie haben Pädagogik, Sonderpädagogik und Behindertenpädagogik sowie Waldorfpädagogik studiert. Das ist ja eine ganze Menge. Sie haben dann auch noch zwei Mal promoviert. Da würde uns natürlich als allererstes interessieren, wie kommt man auf so einen Bildungsweg?

thomas maschke
Prof. Dr. Thomas Maschke, geboren 1962 in Wolfenbüttel, Vater von vier erwachsenen Kindern, lebt in Überlingen am Bodensee. Er ist Professor  für Inklusive Pädagogik mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung an der Alanus Hochschule in Mannheim. Dort leitet er auch das Institut für Waldorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität.

Thomas Maschke: Vielen Dank für die Frage. Ich fange mal von mir ganz basal an und damit komme ich auch schon fast zu einer Kernaussage. Als junger Mann wollte ich Philosophie studieren, weil ich mich schöngeistigen Ideen hingegeben habe. Das war mein Ziel. Ich ging dann nach Würzburg, um meinen Zivildienst in einer Kinderklinik zum machen. Dort habe ich sogenannte schwerst-mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche gepflegt. Und dann wollte ich dort im Anschluss studieren. Aber das Verhältnis, das ich zu diesen Kindern entwickelt habe, hat mich dann von meinen schöngeistigen Ideen weggebracht. Ich erlebte, was Begegnung tatsächlich macht. Begegnung mit den Kindern, Verbindlichkeit, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit mit diesen Kindern zu arbeiten. Daraufhin habe ich mich entschlossen Sonderschullehrer zu werden und Sonderpädagogik zu studieren.

Ich erlebte, was Begegnung tatsächlich macht. Begegnung mit den Kindern, Verbindlichkeit, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit mit diesen Kindern zu arbeiten.

sl: Können sie uns ein einschneidendes Erlebnis aus dieser Zeit schildern?

TM: Für mich sind Elemente aus dieser Zeit sehr unmittelbar noch in Erinnerung. Ich hatte einen jungen Mann zu pflegen, der ein Jahr jünger war als ich. Er wog 27 Kilo als ich kam, bei einer Körpergröße von einem Meter fünfzig. Und als ich gegangen bin, wog er über 40 Kilo. Das heißt, die Beziehung, das zuverlässige da sein, das regelmäßige da sein, natürlich über die Zeit hinaus, all das führte dazu, dass er auch an Lebenskräften zunahm. Das ist tatsächlich etwas, was sich auch ganz real zeigte.

Ich habe Sonderpädagogik studiert und mich den Kindern gewidmet, die unter manchen Umständen aus dem System herausfallen. Das war mir wichtig. Das war in den achtziger Jahren, in denen man Menschen mit Beeinträchtigungen noch nicht unbedingt im Straßenbild sah. Und ich weiß noch genau, wie es mir ergangen ist, als ich mit einem Jungen, den ich dort nur für eine kurze Zeit betreut hatte, ins Kino gegangen bin. Man ist im Grunde dafür angefeindet worden, dass man die Öffentlichkeit jetzt mit so einem Menschen im Rollstuhl konfrontierte. Wir könnten uns fragen: „Ist das denn heute grundlegend anders? Oder ist es vielleicht nur unter dem Mäntelchen von political correctness verborgen?“ Das ist eine große Frage.

Thomas Maschke (Hg.)

Bildungsinnovation: Impulse aus Reformpädagogik und Inklusiver Pädagogik
Impulse für [schulische] Entwicklungen aus „klassischer“ Reformpädagogik und Inklusiver Pädagogik.

Die Unterzeichner-Staaten der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich auf dem Feld der Bildung (Art. 24) zu einem umfassenden Reformprozess verpflichtet. Inklusive Pädagogik kann daher als aktuell-innovative reformpädagogische Entwicklung bewertet werden, besonders insofern sie die Möglichkeiten und Potenziale aller Schüler*innen für Aktivität und Teilhabe aufgreift. Grundlagen, Persönlichkeiten und praktische Erfahrungen aus der „klassischen“ Reformpädagogik können in vielerlei Hinsicht für diesen Prozess hilfreich sein. Sie werden in diesem Buch umfassend dargestellt und können zur Entwicklung eigener innovativer pädagogischer Praxis anregen.

Mit zahlreichen SW-Abbildungen, 288 Seiten
ISBN: 9783990530313
30 €

sl: Wie ging es dann weiter?

TM: Ich habe den Ort gewechselt, weil Würzburg doch relativ konservativ war und ging nach Bremen, an die sogenannte Reform-Universität. Dort habe ich Georg Feuser kennengelernt.Feuser hat einen interessanten Satz geprägt. Der hat nämlich den Buberschen Satz „Der Mensch wird am Du zum Ich.“, dahingehend erweitert, dass er sagte: „Er wird zu dem Ich, dessen Du wir ihm sind.“

Wir sind die personale Umgebung dafür, wie Kinder oder wie Menschen sich überhaupt entwickeln.

Also wir sind die personale Umgebung dafür, wie Kinder oder wie Menschen sich überhaupt entwickeln. Und das habe ich dann in 23 Jahren als Sonderschullehrer an einer Schule, damals hieß sie Schule für Erziehungshilfe, versucht zu leben.

sl: Das war an der Kaspar-Hauser-Schule…

TM: Das war die Kaspar Hauser Schule in Überlingen, eine Waldorf Sonderschule. Ich habe dort als Klassenlehrer gearbeitet und später auch als Schulleiter. Als Klassenlehrer in einer Schule mit Waldorf Hintergrund ist man viele Jahre für eine Klasse verantwortlich. Ich habe in meinem letzten Durchgang die Kinder von der ersten bis zur neunten Klasse durchgängig als Klassenlehrer betreut.

Kann ich mich einlassen darauf, tatsächlich in die Begegnung zu gehen?

Ich habe immer alle Kinder aufgenommen. Das war auch so ein Moment. Ich erinnere mich an eine Situation, als mich ein verzweifelter Vater am Ende der Sommerferien anrief und sagte, er habe keine Schule für seine Tochter. Und ich habe gesagt: „Tut mir leid, die Klasse ist voll. Ich kann es den anderen Kindern gegenüber auch nicht verantworten.“ Der Vater war sehr geschickt. Er kam einfach am ersten Schultag mit seiner Tochter und stellte sie mir vor. Natürlich habe ich sie genommen. Ich habe immer alle Kinder genommen, die ich gesehen habe. Aber das ist so ein Moment. Und daran sehen sie wieder, das ist Begegnung. Kann ich mich einlassen darauf, tatsächlich in die Begegnung zu gehen?

sl: Der Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist ja auch emotionale und soziale Entwicklung.

TM: Genau!

sl: Was kann man darunter gegenüber dem verstehen, was Sie uns jetzt schon gesagt haben?

TM: Wir stellen uns durch unser Verhalten ja in einer bestimmten Weise in die Welt. Und wir erleben. Also, wir nehmen auf und wir zeigen uns nach außen. Man spricht in der heilpädagogischen Psychologie davon, dass die Seele quasi eindrucks- und ausdrucksfähig ist. Ich bekomme Eindrücke. Und so wie es mir geht, drücke ich es wiederum nach außen aus. Wenn das nicht harmonisch oder belastet ist, zeigt sich das in Formen, die wir als gestört oder als schwierig im Sinne von Verhalten ausdrücken. Früher hieß diese Pädagogik Verhaltensgestörten-Pädagogik. Heute sagt man, es gibt einen Förderschwerpunkt für die emotionale und soziale Entwicklung. Das heißt: Die emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ist durch spezifische Umstände beeinträchtigt. Damit sind sie auch nicht handlungsfähig in einer vielfältigen und adäquaten Weise. Aber man merkt, wenn ich so ein bisschen stammele, dann liegt das daran, dass da ganz viel Bewertung drin ist.

Ich muss das Verhalten verstehen, unter Umständen auch aus einer Geschichte heraus. Dann kann ich auch Unterstützung geben, vielleicht andere Erlebnisformen auch zu erweitern und zu ermöglichen für Kinder, Jugendliche, aber auch für Erwachsene.

Was ist denn das richtige Verhalten? Ist mein Verhalten angemessen ihnen gegenüber? Man spricht eigentlich davon, wenn man genauer hinschaut, dass die Kinder und Jugendlichen oder eigentlich jeder Mensch sich immer positiv verhalten möchte, weil sie oder er in Beziehung sein möchte. Das heißt, mein Verhalten ist eigentlich Ausdruck meiner aktuellen Fähigkeit. Deswegen ist es auch kein Defizit, sondern es ist eigentlich die bestmögliche Art, mich zu verhalten. Und Deswegen muss ich schauen, warum sich ein Mensch so verhält. Also ich muss das Verhalten verstehen, unter Umständen auch aus einer Geschichte heraus. Dann kann ich da quasi auch Unterstützung geben, vielleicht andere Erlebnisformen auch zu erweitern und zu ermöglichen für Kinder, Jugendliche, aber auch für Erwachsene.

sl: Und das bei Kindern, jetzt Jugendlichen, mit einem besonderem Förderbedarf. Habe ich das richtig verstanden.

TM: Naja, der Förderbedarf gestaltet sich dann oder wird dann evident, wenn Kinder und Jugendliche tatsächlich in ihren Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten vereinseitigen. Man spricht von zwei grundlegenden Tendenzen. Die eine ist zum Beispiel: Sie kennen alle diese sogenannten „aggressiven“ Kinder oder jetzt auch „hyperaktiven“ Kinder. Hier geht man davon aus, dass diese Kinder tatsächlich in ihren Handlungsweisen vereinseitigen. Das heißt, sie sind einerseits sehr expansiv, aber die Arten des Ausdrucks, also die Bandbreite, die Möglichkeiten, sind quasi eingeschränkt. Das ist immer ähnlich. Und das mag unterschiedliche Gründe haben. Das können physiologische Gründe sein. Es können aber auch Fragen von Erziehung, von Sozialisation sein. Was sich da auch immer bis dahin getan hat.

sl: Ich wollte nur mal auf einen Punkt zurückkommen, den Sie vorhin erwähnt haben. Sie haben erwähnt, wenn Sie früher mit den Kindern irgendwo hingegangen sind, dann sind Sie auf große Ablehnung gestoßen. Hat sich heute diesbezüglich etwas verändert? Hat sich denn in der Beziehung etwas verändert?

TM: Ja, es hat sich was verändert, aber es hat sich nicht genug verändert. Es hat sich einerseits verändert, dass wir darüber reden, dass es normal ist, verschieden zu sein. Da ist dieser Satz von Richard von Weizsäcker: „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Der ist irgendwie Allgemeingut geworden. Andererseits leben wir in einer Welt, die sehr utilitaristisch geprägt ist. Es geht um Machbarkeit; es geht um Nutzbarmachung. Und wenn Sie etwa die Diskussionen um die Pränataldiagnostik verfolgen, dann ist eine Pränataldiagnose Down-Syndrom zu 95 Prozent ein Todesurteil. Insofern stellt sich die Frage tatsächlich, ob es akzeptiert ist, verschieden zu sein. Man kann sie auf verschiedenen Ebenen beantworten. Ich denke, bewusstseinsmäßig ist da einiges passiert. Aber wir haben diesen Umschwung, tatsächlich jeden Menschen so zu nehmen, wie sie oder er ist und das als positiv zu bewerten, noch lange nicht erreicht.

Wir haben diesen Umschwung, tatsächlich jeden Menschen so zu nehmen, wie sie oder er ist und das als positiv zu bewerten, noch lange nicht erreicht.

Und gerade weil ich das Beispiel Down-Syndrom erwähne: Mir berichten Eltern, deren Kind tatsächlich mit einer Trisomie 21 geboren wurden, dass sie beim Stadtspaziergang angesprochen werden. So nach dem Motto, „da hätte man doch was machen können“ …. Da haben Sie recht, wenn Sie sich schütteln, weil es grausam ist. Aber es ist natürlich Ausdruck dessen, wie wir mit einem Normalitätsbegriff umgehen, der nach Nutzbarkeits- Gesichtspunkten die Menschen bewertet. Ich finde, das kann sich jeder Mensch auch fragen: Wo geht es mir denn so? Wo gehe ich mit meinem Kind so um, dass ich sage, jetzt muss es aber mal schnell gehen zum Beispiel. Wo habe ich bestimmte Erwartungen an meine Partnerin, dass es so und so laufen muss? Wie gehe ich mit Schülerinnen und Schülern um, wie in der Kita? Das sind ja alles wichtige Fragen. Und ich glaube, da tragen wir tief in uns etwas, das wir als Gesellschaft noch lange nicht überwunden haben; einzelne Menschen natürlich schon.

sl: Ist das die größte Herausforderung für die Inklusion, oder sehen sie diese auch noch woanders?

TM: Es wird gesagt, Inklusion beginnt in den Köpfen und in den Herzen. Das würde ich eindeutig unterschreiben. Dieser Satz wird von vielen AutorInnen immer wieder betont. Aber dennoch: Wenn wir Inklusion in Schule und Kitas umsetzen wollen, handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Wir bekommen es aber nicht zum Nulltarif. Das ist einfach so. Es kostet Geld. Nur geht es dabei nicht um die Menschen mit besonderen Bedürfnissen, sondern es geht bei der Umsetzung von Inklusion um alle Menschen.

Nur geht es dabei nicht um die Menschen mit besonderen Bedürfnissen, sondern es geht bei der Umsetzung von Inklusion um alle Menschen.

Das heißt, wir profitieren alle von besseren Bildungsangeboten. Und wenn wir in Schulen Lehrkräfte immer im Team arbeiten lassen würden, dann würden davon alle profitieren und nicht nur die Kinder mit einer Beeinträchtigung.

Götz Kaschubowski / Thomas Maschke (Hrsg.)

Anthroposophische Heilpädagogik in der Schule
Grundlagen – Methoden – Beispiele

Die Anwendung anthroposophischen Denkens auf die Heilpädagogik geht auf Rudolf Steiner zurück, der seinen heilpädagogischen Kurs als eine Vertiefung der Waldorfpädagogik betrachtete. In Deutschland gibt es heute ca. 80 anthroposophische heilpädagogische Schulen und ca. 15 integrativ arbeitende Waldorfschulen.  Das Buch erörtert die Grundlagen zur Geschichte, der Methodik, zum Curriculum und zur Lernpsychologie. Anhand von Unterrichtsbeispielen wird das an diesen Schulen praktizierte Bildungsmodell anschaulich. Entlang einzelner Schulportraits werden die Profile der Institutionen deutlich und die „Spezifika’“ im Schulalltag herausgestellt. Das Konzept des Buches ist so gestaltet, dass es in der Aus- und Fortbildung von Lehrern für diese Einrichtungen zum Einsatz kommen kann. Zugleich richtet es sich auch an interessierte Fachkollegen.

244 Seiten
ISBN: 978-3-17-022479-7
29,90 €

Der Ehrenvorsitzende des Allgemeine Behindertenverband in Deutschland, Ilja Seifert, war Bundestagsabgeordneter und lebt im Rollstuhl. Er hatte immer die Forderung nach „Sonderschulen für alle“. Er sagte, dass das, was da an Ressourcen, an Möglichkeiten und personellen und auch sachlichen Ressourcen vorhanden sei, das müssten eigentlich alle Kinder zur Verfügung haben. Wir brauchen Rahmenbedingungen, ganz klar.

sl: Nun waren sie viele Jahre lang Lehrer und dann Schulleiter an einer Schule, wo es eben um die ganz gezielte Förderung von Menschen mit Behinderungen ging. So wie ich das aber mitbekommen habe, sind Sie jemand, der auch ganz, ganz massiv für das Thema eine Schule für alle eintritt. Wie vereinbart sich das?

TM: Jetzt haben Sie meinen biografischen Widerspruch erwischt. Wobei, das ist vielleicht kein Widerspruch. Wenn wir uns die Inklusionsdebatte anschauen oder die Genese von Inklusion, dann kommt sie aus zwei Richtungen. Die eine ist tatsächlich die Sonderpädagogik. Die Menschen, die in der Sonderpädagogik gearbeitet haben, die führenden „Pioniere“ sind jetzt alle Menschen um die 80 herum, haben tatsächlich mit ihrem sonderpädagogischen Blick diesen Kindern überhaupt ein Bildungsrecht zugesprochen. Das ist die eine Richtung. Das war in der Schulpädagogik nicht vorhanden. Und da komme ich auch her. Das heißt, ich habe Kinder kennengelernt. Ich habe Familiensysteme kennengelernt. Ich habe schulische Katastrophen kennengelernt, die mich dazu bewogen haben, nicht nur diesen Kindern zu helfen, das war meine sonderpädagogische Tätigkeit, sondern tatsächlich dafür zu werben und auch dafür zu arbeiten, Schule so zu verändern, dass diese Kinder nicht mehr rausfallen.

Georg Feuser, Thomas Maschke (Hg.)

Lehrerbildung auf dem Prüfstand
Welche Qualifikationen braucht die inklusive Schule?

Bereits seit vier Jahrzehnten werden Integration und Inklusion in der Schule diskutiert und praktiziert. Dennoch wird die aktuelle LehrerInnenbildung den Ansprüchen eines inklusiven Schulwesens nicht gerecht. Diesen unbefriedigenden Zustand nehmen die FachautorInnen zum Anlass, die Voraussetzungen gelingender inklusiver Schul- und Unterrichtspraxis herauszuarbeiten. Die Rahmenbedingungen werden ebenso erörtert wie rechtsphilosophische Grundfragen und Möglichkeiten der Bewältigung alltäglicher Grenzerfahrungen von PädagogInnen durch Aus- und Weiterbildung sowie beratende Prozesse. Eine ausführliche Darstellung bestehender Ausbildungsgänge und -formen rundet den Band ab.

352 Seiten
ISBN 978-3-8379-2300-1
29,90 €

Ich habe in den vergangenen Jahren meiner schulischen Tätigkeit verstärkt den sogenannten sonderpädagogischen Dienst gemacht. Das heißt, wenn eine Schule rief und sagte: „Wir haben hier ein schwieriges Kind“, dann habe ich geantwortet: „Okay, ich komme, mal gucken, wie das Problem um das Kind ist.“ Die Leute dort nahmen dann an, ich käme und würde das Kind mitnehmen. Und da habe ich gesagt: „Nein, ich komme und versuche euch zu helfen, dass das Kind bleiben kann. Dafür ist aber eine gewisse Fachlichkeit notwendig, um zu verstehen, warum zum Beispiel Kinder sich so und so verhalten. Insofern brauchen wir tatsächlich auch eine ganz bestimmte Expertise im Sinne von Diagnose und auch von pädagogischen Fähigkeiten. Es gibt Menschen, die sagen, Inklusion braucht die Sonderpädagogik. Ich würde das ein bisschen relativieren. Ich würde sagen, wir brauchen multiprofessionelle Teams, die sich gegenseitig tatsächlich befruchten und gegenseitig offen sind für die jeweilige Expertise des oder der anderen.

Es gibt Menschen, die sagen, Inklusion braucht die Sonderpädagogik. Ich würde das ein bisschen relativieren. Ich würde sagen, wir brauchen multiprofessionelle Teams, die sich gegenseitig tatsächlich befruchten und gegenseitig offen sind für die jeweilige Expertise des oder der anderen.

sl: Sie haben auch ein Buch zum Thema Lehrerausbildung geschrieben. Was braucht die Schule der Zukunft dann? Wären das dann diese Lehrerteams, die Sie gerade beschrieben haben. Können Sie noch ein bisschen näher darauf eingehen?

TM: Mir ist es wichtig, dass es hier um multiprofessionelle Teams geht. Also wie verstehe ich mich in meiner Lehrerrolle? Bin ich quasi der König, der auch mit geschlossenen Türen in seinem Reich regiert oder bin ich offen dafür, dass ich Anregung bekomme? Das heißt, ich muss mich immer weiter bilden.

Wenn sie meinen, sie sind fertiger Lehrer, dann gehen Sie bitte in Rente.

Das ist etwas, das niemals abgeschlossen ist. Ich sage meinen Studierenden immer: „Wenn sie meinen, sie sind fertiger Lehrer, dann gehen Sie bitte in Rente.“ Wir sprechen heute von drei Phasen der Lehrerbildung: Die erste ist die universitäre Lehrerbildung, die zweite die Praxis-Ausbildung und die dritte die lebenslange Weiterbildung. Das finde ich ganz wesentlich. Das heißt, in der ersten Phase ist es natürlich wichtig, dass man auf der theoretischen Ebene sich mit den unterschiedlichen Bedingungen des Menschseins auseinandersetzt. Also auch mit Formen von Beeinträchtigung, mit Exklusionsmechanismen und vielem anderen. In der zweiten Phase kennenlernen, ausprobieren und in der dritten Phase quasi immer wieder neu Schule gestalten. Und damit ist das eine Anforderung, die sich an die an die Lehrkräfte dauerhaft und lebenslang richtet.

sl: Das war eigentlich schon ein schönes Schlusswort. Dann danke ich Ihnen für dieses Interview und wünsche Ihnen weiter viel Erfolg. Wiedersehen!

TM: Vielen Dank. Auf Wiedersehen.

sl: Danke Ihnen.




„Tag der kleinen Forscher“ 2021 – kostenfreies Aktionsmaterial

Thema „Papier – das fetzt!“ für Kitas, Horte und Grundschulen:

Akkurat gefaltet, zu Bällen geknüllt oder in bunte Konfettischnipsel zerrissen: Papier ist tausendfach formbar, fliegt oder schwimmt. Anlässlich des bundesweiten Mitmachtags am 16. Juni 2021 ruft die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ Erzieherinnen und Erzieher sowie Grundschullehrerinnen und -lehrer auf, Eigenschaften und Fähigkeiten von Papier mit Kindern zu entdecken und zu erforschen. Ideen zur Umsetzung und Hintergrundwissen liefert das kostenfreie Aktionsmaterial zum „Tag der kleinen Forscher“ 2021.

Bundesweiter Mitmachtag

Der „Tag der kleinen Forscher“ ist ein bundesweiter Mitmachtag. Er widmet sich jedes Jahr einem neuen, spannenden Thema rund um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik (MINT) und Nachhaltigkeit und zeigt: Gute frühe MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung macht Kinder stark und befähigt sie, selbstbestimmt und verantwortungsvoll zu handeln.

2021 lautet das Motto des Aktionstags „Papier – das fetzt!“. Damit rückt eines der wichtigsten und wertvollsten Materialien für Kinder in den Mittelpunkt.

Kinder lieben Papier

Kinder lieben Papier – und das längst nicht nur zum Malen. Deshalb hat die Stiftung verschiedene Angebote entwickelt, mit denen die Mädchen und Jungen die Vielseitigkeit und den Wert von Papier umfassend entdecken können.

Dabei geht es auch darum, Kinder zu inspirieren, Papier im Alltag bewusst einzusetzen. Denn wie jede Produktion von Werkstoffen ist auch die Papierherstellung mit dem Verbrauch von Ressourcen, beispielsweise von Holz und Energie, verbunden. Und der Papierverbrauch in Deutschland ist hoch und steigt weiter. Es gilt daher, Papier mit Bedacht einzusetzen.

Forscherfeste, Projektwochen und besondere Aktionen

Die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ lädt alle Kitas, Horte und Grundschulen ein, sich zu beteiligen – sei es im Rahmen eines Forscherfests, einer Projektwoche oder einer anderen, besonderen Aktion. „Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie viel Flexibilität bei der Alltagsgestaltung und Betreuung in Kita, Hort und Grundschule gefordert ist“, sagt Michael Fritz, Vorstandsvorsitzender der Stiftung. „Der ‚Tag der kleinen Forscher‘ bietet zahlreiche Gelegenheiten, sowohl die Kinder zu begeistern als auch zu zeigen, was Bildungseinrichtungen tagtäglich leisten.“

Stiftungsmagazin „Forscht mit“ gratis bestellen

Pädagogische Fach- und Lehrkräfte aus Kitas, Horten und Grundschulen die noch nicht am Fortbildungsprogramm der Stiftung teilgenommen haben, können ab heute kostenfrei die „Tag der kleinen Forscher“-Ausgabe des Stiftungsmagazins „Forscht mit!“ online unter hdkf.de/aktionsmaterial bestellen. Einrichtungen, die die Zeitschrift bereits regelmäßig erhalten, bekommen ihr Exemplar voller Anregungen zum Forschen mit und Hintergrundwissen zum Werkstoff Papier in diesen Tagen automatisch zugestellt.

Auf der Website zum Aktionstag gibt es ab dem 1. März 2021 unter tag-der-kleinen-forscher.de spannende begleitende Forscheraktivitäten, die bis Juni regelmäßig neue Aspekte von Papier aufgreifen.




Flüchtlingskinder in die Gruppe integrieren

Wie wir Kinder mit Fluchterfahrung aufnehmen und eingewöhnen können

Der erste Schritt zur Integration von Kindern mit Fluchterfahrung ist die Aufnahme in die Gruppe. Ist das geschafft, beginnt die Eingewöhnung. Die Diplom-Sozialpädagogin und Spieltherapeutin Regina Grabbet arbeitet seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe. In ihrem Beitrag skizziert sie die Integration in den ersten Wochen. Der Beitrag stammt aus „Schön, dass ihr da seid – Das Erzieherinnenbuch“.

Der Begriff „Flüchtlingskinder“

Vorweg möchte ich noch klären, ob die Bezeichnung „Flüchtlingskinder“ nicht eine Stigmatisierung dieser Kinder bedeutet und die Bezeichnung „Kinder geflüchteter Menschen“ nicht sinnvoller wäre, wie es in Pädagogenkreisen manchmal diskutiert wird.

Meiner Meinung nach ist das „Wortklauberei“. Ich habe die betroffenen Personen selber gefragt und sie finden die Bezeichnung in Ordnung. Wir sollten uns darum kümmern, es den geflüchteten Menschen in Deutschland so angenehm wie möglich zu machen, uns um Ideen für Bildungsangebote kümmern, um Ideen zur Integration, statt stundenlang über Wortdefinitionen zu diskutieren. Weniger Diskussion, mehr praktische Umsetzung durch Aktivitäten – das ist meine Devise. 

Hilfen beim Umgang mit fremden Werten, Gewohnheiten, Traditionen…

Alle in der Kita werden zu WegbegleiterInnen der Kinder in ein neues, anderes Leben. Wir holen uns Informationen zu den Werten, Normen, Traditionen, welche die Kinder gewohnt sind. Andererseits ist es natürlich unser Ziel, dass sie sich an unsere Gesellschaft anpassen. Das geht nur gemeinsam mit den Eltern. Für sie ist es oft nicht leicht, mit dem Rollenbild der Frau in unserer Gesellschaft zurechtzukommen oder mit gewaltfreier Erziehung.

Wir müssen den Kindern Sicherheit geben bei der Integration in eine Kita. Dazu gehört viel Wertschätzung auch für die Eltern. Folgende Aspekte sind für den Umgang der Kinder untereinander zu beachten:

  • Wir sollten die Kinder, die schon länger in der Kita sind, auf die neuen Kinder vorbereiten.
  • Wir sollten mit den Stärken der geflüchteten Kinder arbeiten.
  • Die Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, können bereits besser Deutsch und haben bereits Kompetenzen erworben, welche die Flüchtlingskinder bisher nicht erwerben konnten, – daher sollten wir darauf achten, dass keine Minderwertigkeitskomplexe bei den Neuankömmlingen entstehen.
  • Kontaktkinder sollten sensibel mit den Ängsten der Flüchtlingskinder umgehen.
  • Situationen in denen Ängste entstehen können, sollten wir vermeiden.
  • Wir sollten möglichst viele Situationen schaffen, in denen Kinder mit- und voneinander lernen; je spielerischer, liebevoller und lustvoller diese Situationen gestaltet sind, umso besser.
  • Die Kinder sollten sich nicht unter Druck gesetzt fühlen.

Spielerisch mit Spaß lernen

Es ist ein großer Unterschied, ob ein Kind lachend, in der Gesellschaft anderer Kinder, gemütlich, mit vielen bunten Kissen, auf einem Teppich sitzt und „spielerisch“ mit Spaß lernt, oder ob es an einem Tisch sitzt und ernst dazu aufgefordert wird, eine Aufgabe zu erfüllen, und dabei vielleicht auch noch mit fremden Erwachsenen zu tun hat, statt mit Kindern. Nur wenn die Flüchtlingskinder sich wohlfühlen, lernen sie mit fremden Verhaltensweisen, Werten und Umgangsformen umzugehen.

Sprachförderung mit lustigen Klatsch- und Rhythmus- oder Bewegungsspielen ist etwas anderes, als nur nüchterne Arbeitsblätter zu bearbeiten und Begriffe für Bilder zu nennen. Manchmal ist auch der Wechsel zwischen beidem hilfreich.

Orientierungshilfen und Konstanz

Auf jeden Fall sind Orientierungshilfen in Form von Bildern und Piktogrammen sinnvoll, die überall in den Räumen hängen. Die Bezugspersonen für die Kinder sollten möglichst selten wechseln.

Wenn festangestellte pädagogische Fachkräfte mit den Kindern arbeiten und zusätzlich von ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt werden, ist das eine andere Basis für die Kinder als die hohe Fluktuation im Bereich der ehrenamtlichen Mitarbeiter.

Während der Eingewöhnungsphase sollten alle Situationen vermieden werden, die bedrohlich auf die Kinder wirken könnten. Außerdem sollte Druck vermieden werden. Es muss nicht sein, dass gleich mit rasanten Förderprogrammen gearbeitet wird. Die Kinder sollten die Möglichkeit bekommen, sich nach und nach einzugewöhnen. Man muss ihnen Zeit geben, die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Möglichst viel sollten sie im Kontakt mit anderen Kindern lernen.

Eltern sollten dabei bleiben

Kinder mit Fluchterfahrungen, haben oft Trennungsängste. Deshalb sollten wir die Eltern so lange in der Eingewöhnungsphase dabeisein lassen, bis die Kinder soweit sind, loslassen zu können. Damit die Eltern sich nicht langweilen, sollten sie einbezogen werden – dafür gibt es in der Kita viele Möglichkeiten, sodass wir durch die Eltern auch Hilfe und Unterstützung erfahren können. Ein großes Problem in den Unterkünften ist zudem die Langeweile, auch für die Eltern.

erzieher

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Schön, dass ihr da seid – Das Erzieherinnenbuch
NEUE Ideen für Bildungsaktivitäten mit Kindern aus Flüchtlingsunterkünften
Regina Grabbet
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548265
112 Seiten
12,95 €
Mehr dazu auf www.burckhardthaus-laetare.de

Ich habe erlebt, dass Mütter aus Syrien und Eritrea froh über die Möglichkeit waren, mit uns gemeinsam zu spielen, beim Sortieren der Spielsachen zu helfen, mitzusingen, den Tisch mit abzudecken, usw. Die Väter der Kinder waren mitunter froh, sich mit handwerklichen Arbeiten nützlich machen zu können.

Wenn die Flüchtlingskinder das Gefühl haben, wieder Kinder sein zu dürfen, und die Eltern das Gefühl haben, gebraucht zu werden, ist schon viel erreicht. Wenn wir dann selbst erleben, wie glücklich das die Kinder und ihre Eltern macht, bewirkt das auch etwas in uns selbst. Wir sind dann auch glücklich, ihnen dafür eine Brücke gebaut zu haben.

Kinder und Eltern brauchen in einem fremden Land das Gefühl akzeptiert zu werden. Manchmal erleben sie leider das Gegenteil.In öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Einkaufen … bei Begegnungen mit rechten Demonstranten vor ihrer Unterkunft. Wir sollten diesen Eindrücken, die Kinder und ihre Eltern verunsichern, etwas entgegensetzen.

Herausforderungen bei der Integration – Erwartungen

Arabische Eltern haben oft hohe Erwartungen an den Kindergarten und teilweise andere pädagogische Vorstellungen als deutsche Eltern. Sie glauben, dass Bildung sich aus hoher Leistung ergibt, die durch Anpassung erbracht wird. Sie möchten, dass Kinder brav ihre Aufgaben erfüllen und zweifeln daran, dass Selbstbildungsprozesse effektiv sind.

Fortschrittliche deutsche Pädagogen jedoch möchten, dass Kinder beim Lernen nicht unter Druck stehen. Wir haben also die Aufgabe, die Eltern mit ins Boot zu holen, ihnen bei ihrem Besuch in der Kita (auch tagsüber) zu zeigen, dass es bei Selbstbildungsprozessen nicht nur um die Aneignung von Lerninhalten geht, sondern auch um den Erwerb der Kompetenz, selbstständig zu lernen.

Sprechen in der Muttersprache und die Rückübersetzung

Häufig taucht die Frage auf, ob es okay ist, wenn Eltern ihre Kinder in der Kita in ihrer Muttersprache ansprechen. Dazu schreibt der Fortbilder und Autor Volker Abdel Fattah in seinem Buch „Flüchtlingskinder in der Kita“, dass man in solchen Momenten die Eltern um eine Rückübersetzung bitten sollte. Das Verhalten an sich solle aber akzeptiert werden. Fachkräfte sind auch oft unsicher, wie korrekt sie mit der deutschen Sprache umgehen sollten. Abdel Fattah ist der Meinung, dass die Begrenzung auf infinitive Verbformen nicht der Ausbildung einer guten Sprachkompetenz dient. Es sollten, ähnlich wie bei anderen Kindern mit Migrationshintergrund, die gleichen Regeln gelten. Oft stoßen Kita-Mitarbeiter bei der Arbeit mit Flüchtlingskindern an ihre sprachlichen Grenzen – deshalb ist es wichtig, offen miteinander über die Herausforderungen zu sprechen. Eine Kooperation mit Hochschulen ist nützlich. Dort gibt es Studierende mit eigenem Migrationshintergrund, die helfen können. Für die Betreuung der Kinder in Kitas gibt es verschiedene Modelle. Von mobilen Kitas bis zur Aufnahme in normale Kitas. Oft gibt es nicht genügend freie Plätze, da ja die deutschen Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben. Des Weiteren gibt es das Problem, dass Flüchtlingsfamilien oft keine staatliche Einmischung bei der Erziehung wünschen.

„Willkommenskitas“

Das Ziel „Willkommenskitas“ zu schaffen, mit dem Hintergrund des Inklusionsgedankens, ist nicht einfach voranzubringen. Oft scheitert es an den begrenzten Möglichkeiten durch die Strukturen ringsherum, die Rahmenbedingungen. Darauf hat auch die Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung hingewiesen.

Eine kompetente Fachberatung der Träger sowie Coaching des betreuenden Personals sind nötig, damit die Kitas mit den Herausforderungen zurechtkommen können. 

Deutsche Kinder für die Situation der Flüchtlingskinder sensibilisieren

Es geht zwar in erster Linie darum, dass die Flüchtlingskinder Deutsch lernen, aber es geht auch darum, dass die deutschen Kinder ein Verständnis dafür aufbringen, wie diese Kinder sich fühlen, wenn alles fremd ist. Nur dann gelingt Integration. Was können wir tun, um die Situation der Flüchtlingskinder den Nichtflüchtlingskindern näherzubringen und diese dafür zu sensibilisieren?

Wir können gemeinsam mit den Kindern überlegen, in welchen Situationen sie sich schon einmal fremd gefühlt haben. Auch kleine Filme oder Bilderbücher helfen den Kindern, sich in die besondere Situation einzufühlen.

Sie verstehen dann, warum sich die Kinder bedroht gefühlt haben und warum es sie so geprägt hat, Bedrohung hautnah zu erleben. Nur durch dieses Verständnis können die Kinder auf die Situation der Flüchtlingskinder eingehen. Pädagogen sollen nicht nur die Kinder verstehen, sondern so auf die Kinder einwirken, dass das zunächst Fremde für sie vertraut wird und sie sich in die anderen Kinder einfühlen. Erst dann können auch Patenschaften funktionieren.

Rolle und Aufgaben der Erzieher bei der Integrationsarbeit in der Kita

Um reflektiert und professionell die Integration von Flüchtlingskindern in der Kita zu ermöglichen, sollten wir folgende Aspekte bedenken: 

BEI DER EINGEWÖHNUNG:

  • Wo können wir Informationen über die Herkunftsländer beschaffen?
  • Wie können wir uns mit anderen Kitas austauschen?
  • Gibt es die Möglichkeit der Beratung und Supervision?
  • Welche Materialien brauchen wir zusätzlich?
  • Was gibt den Kindern Sicherheit?

ZUR EIGENEN HALTUNG:

Jeder Pädagoge sollte seine eigene Haltung gegenüber Fremdem kritisch reflektieren:

  • Lassen wir uns von Vorurteilen beeinflussen?
  • Wie fühlen wir uns, wenn uns etwas fremd ist?
  • Wann und warum sind wir überfordert und wo holen wir uns Hilfe?
  • Wo setzen wir Grenzen und warum?
  • Was hat gut geklappt und wie bauen wir das aus?

Ganz wichtig ist eine wertschätzende Haltung den Kindern gegenüber:

  • positiv auf die Fortschritte achten
  • nicht defizitorientiert arbeiten
  • darauf achten, dass die Kinder selbstständig arbeiten
  • sie dabei begleiten, statt alles vorzugeben
  • darauf achten, dass Integrationsprozesse möglich werden, dass Kinder nicht allein für sich arbeiten, sondern in gemischten Teams
  • Konflikte aufgreifen und besprechen
  • Probleme sensibel wahrnehmen und an Lösungen arbeiten



Wie Empathie und situatives Begleiten im Betreuungsalltag entstehen

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Das Sein der pädagogischen Fachkraft ist das erste Wirkende:

Es mag sich etwas kompliziert anhören: Aber das Erkennen des Grundsätzlichen ist die beste Basis des Handelns. So ist die simple Existenz der ErzieherIn das Erste, was auf ein Kind wirkt. Hier entsteht die Beziehungssituation, die unwillkürlich mit dem diagnostischen Handeln verbunden ist. Kaum jemand kann das so gut erklären wie Prof. Dr. Ferdinand Klein, dessen Beitrag wir seinem Buch „Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule“ entnommen haben.

Die „Liliputs im Lande der Riesen“ geben Rätsel auf

In seiner jahrzehntelangen medizinisch-pädagogischen Praxis erkennt Janusz Korczak ein „wunderbares Geheimnis“: Das Sein des Kindes hier und heute, seine Entwicklung, sein eigentümliches Fühlen, Denken und Wollen. Die „Liliputs im Lande der Riesen“ geben aber dem Riesen schier unlösbare Rätsel auf: „Schmerzliche Augenblicke erlebt der Erzieher, wenn er in der Ratlosigkeit des Kindes seine eigene Ohnmacht wahrnimmt.“ (Korczak 1978, S. 103) Wie kann die pädagogische Fachkraft sich in die gemeinsame Situation so einbringen, dass das Kind sie als gleichwertig empfindet und um Hilfe bittet? Das erinnert an Maria Montessoris Erziehungsgrundsatz: „Hilf mir, es selbst zu tun!“

Korczak ist in der dialogischen Handlungssituation bemüht, die Individualität des Kindes wahrzunehmen und sich von diesem Wahrnehmen leiten zu lassen. Er fühlt sich zuständig für das Sein des Kindes hier und heute, für das Recht des Kindes auf die „Erfüllung des Augenblicks“. Seine authentische und empathische Haltung kann mit neueren Forschungen vertieft gesehen werden, die das Sein der handelnden Erzieherin ins Zentrum stellen: Neurobiologische Lernforschung, geisteswissenschaftliche Einsichten und pädagogische Erfahrungen weisen mit Nachdruck darauf hin, dass eben das Sein der ErzieherIn das Erste ist, das seine Wirkung entfaltet; ihr Tun folgt an zweiter Stelle und schließlich kommt erst das, was sie sagt.

klein inklusion

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule
Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks
Prof. Dr. phil Ferdinand Klein
Oberstebrink
ISBN: 9783963046018
19,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de

Spiegelneurone, eine fundamentale Beziehungsbasis

Der Neurobiologe Giacomo Rizzolatti und der Wissenschaftsphilosoph Corrado Sinigaglia (Rizzolatti/Sinigaglia 2012) entdeckten im Hirnbereich Nervenzellen, die nicht nur Handlungen, sondern auch Gefühle spiegeln, und nannten sie Spiegelneurone (mirror neurons). Es zeigte sich, dass das Gehirn nicht nur beobachtete Handlungen spiegelt, sondern auch Gefühle. Dadurch erhält der ganze Bereich der Empathie und Sympathie eine ganz neue Bedeutung. Neurone gestatten unserem Gehirn, die beobachteten Bewegungen und wahrgenommenen Gefühle mit unseren eigenen in Beziehung zu setzen und dadurch deren Bedeutung zu erkennen. Beobachtet ein Kind einen Vorgang, dann werden bei ihm Nervenzellen aktiv, und zwar so, als wenn es selbst aktiv wäre. Nervenzellen werden spiegelbildlich aktiv.

Einige Forscher sehen in den Spiegelneuronen den Ursprung für die Entwicklung von Empathie und die Bildung von Sozial- und Sprachkompetenz. Sogar Autismus, eine starke Störung der Beziehung, wird damit erklärt, dass Kinder keine Spiegelneurone entwickeln konnten und sich deshalb nicht in einen anderen Menschen hineinversetzen und kein Verständnis für seine Gefühle und Interessen entwickeln können.

Neurone sind also dann aktiv, wenn eine Handlung bei einer Person erlebt wird. Die erlebte Handlung wird innerlich so nachvollzogen, als ob der Beobachter sie selbst ausführt. Das Kind kann sich in die Gefühle anderer Menschen so hineinversetzen, dass es den zugrundeliegenden Hirnprozess des jeweils anderen spiegelt.

Beobachtet die Erzieherin das Kind oder das Kind die Erzieherin, dann wird im Gehirn derselbe Bereich aktiv, der auch beim Beobachteten aktiv ist. Das bedeutet: Das Kind spürt und empfindet den Schmerz oder das Leid, die Freude oder die Zufriedenheit der Erzieherin, und umgekehrt spürt und empfindet die empathisch wirkende Erzieherin den Schmerz und die Freude des Kindes. Sieht man beide Aspekte als zwei Seiten der Medaille, dann kann man sagen: Das Kind ist mit dem vom Erziehenden oder von den Erziehenden gestalteten Erziehungsraum leiblich und emotional verbunden. In diesem Raum begegnen sich Menschen als gleichwertige Partner auf gleicher Augenhöhe – ohne negative Zuschreibungen, ohne distanzierte Beschreibungen und Bewertungen.

Die Empathie der Erzieherin darf aber nicht zur Identifikation mit dem Kind führen. Dies würde ja bedeuten, dass sie ihre Aufgabe als situative Begleiterin nicht mehr ausfüllt, das Kind für sich vereinnahmt und dadurch seine Entwicklung behindert.

Spiegelneurone ermöglichen jedem Menschen schon ganz früh, die äußeren Bewegungen und die inneren Beweggründe der begleitenden Person im Gehirn auf neuronaler Ebene zu imitieren. Der Vorgang der Spiegelung ereignet sich simultan, intuitiv und ohne jedes Nachdenken. Von der wahrgenommenen Handlung wird eine interne neuronale Kopie hergestellt, die es dem jeweils anderen ermöglicht, die Handlung auf seine Art und Weise nachzuahmen. (Klein 2012, S. 48 f.)

Beobachten, wahrnehmen, deuten und verstehen

Sobald die pädagogische Fachkraft in der Beziehungssituation handelt, beobachtet sie unwillkürlich das Verhalten des Kindes ebenso wie das Verhalten der Gruppe. Ihr Handeln ist also mit diagnostischem Handeln eng verwoben. Sie ist bemüht, auf „fehlerhaftes“ Verhalten des Kindes möglichst passend zu reagieren. Um aber wirklich passend reagieren zu können, muss sie zunächst versuchen, das Verhalten des Kindes einigermaßen zu verstehen. Und das ist schwierig, denn sie kann nur Vermutungen anstellen, wenn beispielsweise ein Kind, das sich gerade gewaschen hat, plötzlich anfängt zu weinen.

Die pädagogische Fachkraft wird zunächst darum bemüht sein zu fragen, was im Kind, in seinem Denken, Fühlen und Wollen wirklich vor sich geht.

Sie kann fragen:

  • Was will das Kind mit seinem Verhalten ausdrücken?
  • Was will es mir mit diesem Verhalten sagen?
  • Welche Botschaft will es mir vermitteln?
  • Was bewegt es gerade zu diesem Verhalten?
  • Wie kann ich es mit seinen Problemen wirklich erkennen?

Um auf diese Fragen eine befriedigende Antwort zu finden, ist eine Gliederung des diagnostischen Nachdenkens in Phasen des

  • Beobachtens,
  • Wahrnehmens,
  • Deutens und
  • Verstehens

hilfreich. Die Phasen laufen nicht nacheinander ab. Sie gehen ineinander über und ergänzen einander.

Schon beim Beobachten wird deutlich, dass die (Heil-)Erzieherin nicht alles zur gleichen Zeit beachten kann: die Mimik und Gestik, die Bewegungsabläufe, die Stimme, Sprache und Atmung des Kindes. Sie trifft eine willkürliche oder auch eine unwillkürliche Auswahl. Dabei kann sie Wichtiges übersehen und Nebensächliches hervorheben. Oder sie kann eine Bestätigung ihrer Annahme suchen und finden.

Und beim Wahrnehmen wird sie dessen gewahr, was sie eben beobachtet hat. Auf dem Hintergrund ihrer Lebens- und Berufserfahrungen, ihrer Kenntnisse, ihres Denkens und Empfindens gibt sie dem beobachteten Verhalten einen Sinn.

Doch wie soll sie das wahrgenommene Verhalten deuten? Es kann mehrere Bedeutungen haben, und die Erzieherin kann zu unzutreffenden oder widersprüchlichen Schlussfolgerungen kommen. Sie wird deshalb versuchen, das beobachtete Verhalten vor ihrem „inneren Auge“ wiederholt ablaufen zu lassen und noch einmal zu überlegen, welchen Sinn das Verhalten nun wirklich haben könnte. Vielleicht kommt sie dann zu einer Deutung, die der tatsächlichen Situation des Kindes nahekommt.

Schließlich versucht sie das gedeutete Verhalten zu verstehen. Sie wird hier nach den psychischen Bedingungen, aber auch nach den körperlichen und sozialen Bedingungen des ungewöhnlichen Verhaltens fragen. Und sie wird immer wieder noch einmal zurückgehen und noch einmal beobachten, wahrnehmen und deuten, um zu einem „angemessenen und möglichst zutreffenden Verstehen zu kommen.“ (Sautter 2000, S. 86)

Diese erziehungsdiagnostische Aufgabe ist insbesondere auch bei Kindern mit primär psychosozial bedingten Entwicklungsgefährdungen geboten. Sie stellen die pädagogische Fachkraft vor neue Anforderungen, weil die belastenden Lebens- und Entwicklungsbedingungen häufig erst bei der Aufnahme in die Bildungseinrichtung erkannt werden.

Zwischenergebnis

  • Das erziehungsbegleitende diagnostische Handeln ist ein persönlicher Prozess, der sich in jeder pädagogischen Situation neu abspielt und zu keinen eindeutigen und sicheren Erkenntnissen führt.
  • Diese pädagogisch-psychologische Diagnostik kann mit dem Arzt Dr. Karl König als „wahre heilpädagogische Diagnostik“ bezeichnet werden, die der Erzieherin immer wieder eine neue Aufgabe stellt.
  • Da kein Mensch in der Lage ist, von sich abzusehen und den anderen Menschen objektiv (unvoreingenommen, unparteiisch) zu beurteilen, müssen die Beobachtungen mit anderen (heilpädagogisch-therapeutischen Fachkräften, Eltern, Ärzten) kommuniziert und reflektiert werden, um dadurch die Beobachtungs- und Beurteilungsfehler zu reduzieren.
  • Und schließlich: Da ein Kind sein Verhalten nach seiner Logik – und nicht nach der Logik des Erwachsenen – bewertet, ist es geboten, mit ihm ins Gespräch zu kommen und mit ihm nach den Ursachen und Gründen für seine Verhaltensbesonderheit zu suchen. Das trifft besonders für hyperaktive Kinder und für Kinder aus sozialen Brennpunkten und in erschwerten Lebenslagen zu.

Literaturliste:

Korczak, Janusz: Wie man ein Kind lieben soll, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978.
Rizzolatti, Giacomo/Sinigaglia Corrado: Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis es Mitgefühls, 4. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt 2012.
Sautter, Hartmut: Pädagogisch-psychologische Diagnostik und Intuition, In: Buchka M., Intuition als individuelle Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit in er Pädagogik, Edition SZH, Luzern 2000, S. 83 bis 95.