ADHS und Autismus: Wenn das Gehirn anders tickt

FernUni-Forschung zeigt, wie neurodivergente Menschen in Schule und Beruf besser unterstützt werden können

Immer mehr Eltern und Erzieher*innen beschäftigen sich mit den Themen ADHS bei Kindern oder Autismus im Alltag. Noch immer gibt es viele Vorurteile: „Zappelphilipp“, „Modekrankheit“ oder „sozial schwierig“. Doch Fachleute betonen: Menschen mit Autismus oder ADHS sind nicht krank – sie sind neurodivergent. Ihr Gehirn arbeitet anders, und genau das kann eine große Stärke sein.

Forschung für mehr Inklusion

Die Psychologin Dr. Kerstin Erdal untersuchte in ihrer Promotion an der FernUniversität in Hagen, wie sich Menschen mit ADHS und Autismus auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden. Heute forscht sie in Göteborg und arbeitet therapeutisch mit autistischen Erwachsenen. Ihre Ergebnisse zeigen:

  • Nur vier von zehn Menschen mit Autismus in Deutschland haben einen Arbeitsplatz.
  • Erwachsene mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, ihre Stelle langfristig zu behalten.
  • Arbeitslosigkeit wirkt sich stark negativ auf die seelische Gesundheit aus.

Diese Zahlen machen deutlich, dass mehr Inklusion in der Schule und im Arbeitsleben dringend notwendig ist – zum Wohle der Betroffenen und der gesamten Gesellschaft.

Individuelle Unterstützung macht den Unterschied

Ob in Schule, Ausbildung oder Beruf: Menschen mit ADHS oder Autismus profitieren von individuell zugeschnittenen Lösungen. Das können sein:

  • ein ruhiges Arbeitsumfeld,
  • klare Strukturen und verständliche Anweisungen,
  • Rückzugsmöglichkeiten,
  • technische Unterstützung oder
  • die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.

Wenn Arbeitgeber*innen, Lehrkräfte oder Eltern die besonderen Bedürfnisse berücksichtigen, profitieren alle Seiten. Denn neurodivergente Menschen bringen häufig besondere Fähigkeiten mit: hohe Detailgenauigkeit, Kreativität oder die Fähigkeit, komplexe Prozesse neu zu strukturieren.

Stress wird intensiver erlebt

Erdals Forschung zeigt auch: Menschen mit ADHS und Autismus nehmen Stress stärker wahr. Neurowissenschaftliche Studien weisen auf Unterschiede in der Amygdala, der „Angstzentrale“ des Gehirns, hin. Diese machen Betroffene sensibler für Stress und emotionale Belastungen. Ohne Unterstützung drohen Einsamkeit oder psychische Erkrankungen.

Gleichzeitig gibt es Wege, Resilienz aufzubauen – etwa durch feste Routinen, klare Kommunikation, Bezugspersonen im Team oder gezielte Strategien zur Stressbewältigung.

Neurodivergente Stärken nutzen

Ob im Klassenzimmer oder am Arbeitsplatz: Neurodivergente Menschen haben viel zu geben. „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, auf ihre Talente zu verzichten“, betont Erdal. „Was wir brauchen, sind passende Rahmenbedingungen – und mehr Bewusstsein für ihre besonderen Fähigkeiten.“


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ADS im Blick: Fachlich fundierte Ratgeber für Schule und Familie

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Mehr Freude am Unterrichten mit dem lösungsorientierten Ansatz

ben schule

Rezension: Ben Furman – Lösungsorientiert Schule machen. Wie Unterrichten wieder mit mehr Freude gelingt

Der lösungsorientierte Ansatz ist keineswegs neu. Ganze Schulen arbeiten bereits seit Jahren danach. Umso erstaunlicher ist es, dass er einem nicht an jeder Schule begegnet. Denn hier stehen Classroom-Management sowie die Zufriedenheit der Lehrkräfte und der Schülerschaft im Vordergrund. Mit einem empathischen Zugang wenden sich Lehrkräfte den Kindern, Jugendlichen und Eltern zu, um gemeinsam herausfordernde Situationen anzugehen. Dabei wird nicht nach Schuld gefragt, sondern heilende Potenziale werden aufgegriffen und gestärkt.

Alltägliche Probleme im Schulalltag

Die Probleme, die Ben Furman in seinem Buch beschreibt, sind in Schulen allgegenwärtig. Regelmäßig hören und lesen wir in den Medien von Klassen, die kaum mehr zu regulieren sind. Übergriffe auf Lehrkräfte, Mobbing im Alltag und im Netz sind keine Seltenheit. Manchmal fragt man sich, wie Kinder unter solchen Umständen überhaupt noch lernen können.

Das Buch zeigt, dass diese Herausforderungen weltweit auftreten – auch in Skandinavien oder Asien. Der lösungsorientierte Ansatz eröffnet jedoch einen besonderen Blick: Störungen sind lösbar!

Der Glaube an den gemeinsamen Lösungswillen

Wesentlich dafür ist das Wissen und der Glaube an einen Lösungswillen auf allen Seiten. Der Ansatz geht davon aus, dass auch Kinder und Jugendliche unter schwierigen Situationen leiden und es bevorzugen, wenn man ihnen eine Hand reicht, um diese zu überwinden.

Mit zahlreichen Beispielen führt uns der Autor vor Augen, dass ganze Klassen – „Meisterklassen“ – oder einzelne Kinder sich aktiv für ein gutes Miteinander einsetzen wollen. Dabei geht es nicht primär um Lerninhalte oder besondere didaktische Angebote. Im Fokus steht die Persönlichkeit des Einzelnen.

Im Mittelpunkt: die Persönlichkeit der Lernenden

In einem mehrschrittigen Ablauf, der identisch mit der „Ich schaff’s“-Methode des Autors ist, wird gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen nach Lösungen gesucht und der Weg beschritten. Im Vordergrund steht dabei stets das gute Miteinander im schulischen Alltag. Umso mehr stellt sich die Frage, warum dieser Ansatz nicht längst an allen Schulen angekommen ist. Mag sein, dass das Einzelkämpfertum vieler Lehrkräfte dies verhindert – oder dass er an den Hochschulen nicht ausreichend vermittelt wird. Dies jedoch ist ein gravierendes Versäumnis, wie sich zeigt, wenn man auf der Internetseite, die über den QR-Code am Ende des Buches erreichbar ist, die Videos und Beispiele betrachtet.

Gefahr der Verkürzung: Methoden ohne Haltung

Dort wird zugleich deutlich, dass Methoden verfälscht werden können, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden. So etwa die „Entschuldigung“, die pervertiert wird, wenn sie ohne echte Empathie nur noch als leeres Pflichtprogramm abgearbeitet wird. Genau das geschieht häufig in Kitas und Schulen, weil Erwachsene nicht verstehen, dass es bei jeder Methode auf die dahinterliegende Haltung ankommt. Ein aufgesetztes Verhalten ist lediglich ein Ausdruck von Adultismus – und hat nichts mit dem lösungsorientierten Ansatz zu tun.

Ein Buch zum Weiterdenken – und Weiterhandeln

Gerade deshalb ist es wichtig, nicht einzelne Methoden isoliert zu betrachten, sondern den gesamten Inhalt dieses Buches gründlich zu durchdringen. Mit seinen rund hundert Seiten ist es schnell gelesen, bietet jedoch reichlich Stoff zum Weiterdenken. Sehr empfehlenswert sind außerdem die ergänzenden Materialien im Netz. Dort finden sich kostenfreie Communities, die Unterstützung bieten und bei denen man weitere Informationen und Austauschmöglichkeiten erhält.

Viel Freude beim Inspirieren des Kollegiums – und beim Abschneiden alter Zöpfe!

Daniela Körner

ben-schule

Ben Furman
Lösungsorientiert Schule machen
Wie Unterrichten wieder mit mehr Freude gelingt

978-3-8497-0548-0
107 Seiten, Kt, 2024
Erscheinungsdatum 10.09.2024

Carl-Auer Verlag




Recht auf Bildung: Geflüchtete Kinder bleiben zurück

kind bildung

Viele Kinder warten Monate oder Jahre auf Schulplätze – Kinderhilfswerk warnt: Deutschland verletzt Kinderrechte beim Schulzugang

Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) schlägt Alarm: Geflüchtete Kinder und Jugendliche in Deutschland haben oft keinen rechtzeitigen Zugang zu Schulen. Laut einer aktuellen Analyse der Kinderrechtsorganisation wird die EU-Aufnahmerichtlinie, die einen Schulstart spätestens drei Monate nach Asylantrag vorsieht, vielfach nicht eingehalten. Stattdessen warten viele Betroffene monatelang, teilweise sogar mehrere Jahre, bevor sie eine Regelklasse besuchen dürfen.

Neue EU-Regeln: Höchstens zwei Monate Wartezeit

Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die noch vom Bundestag beschlossen werden muss, sollen die Fristen für den Schulzugang verkürzt werden. Künftig soll der Schulstart „so bald wie möglich“ erfolgen – längstens zwei Monate nach Asylantragsstellung. Zudem soll die Beschulung in Vorbereitungsklassen oder Übergangsangeboten auf höchstens einen Monat begrenzt werden.

Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention

„Die Bundesrepublik Deutschland und die Länder haben sich mit Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, das Recht auf Bildung für alle Kinder zu gewährleisten. Doch viele geflüchtete Kinder bleiben über Jahre hinweg in Übergangslösungen hängen und verpassen entscheidende Lernzeit“, erklärt Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des DKHW. Das führe nicht nur zu Rechtsverletzungen, sondern auch zu erheblichen Nachteilen bei der Bildungsintegration.

Unbegleitete Minderjährige besonders betroffen

Besonders problematisch ist die Lage unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter. Während des sogenannten Clearingverfahrens haben sie meist gar keinen Zugang zur Schule. Obwohl gesetzlich nur fünf Wochen vorgesehen sind, dauert dieses Verfahren in vielen Bundesländern mehrere Monate. Damit bleibt fraglich, ob die Rechte dieser besonders schutzbedürftigen Gruppe eingehalten werden.

Fehlende Daten verschleiern das Ausmaß

Ein zentrales Problem ist laut DKHW der Mangel an verlässlichen Daten. Weder die Dauer der Wartezeiten zwischen Asylantrag und Schulaufnahme noch die tatsächliche Länge von Vorbereitungsklassen wird systematisch erfasst. Auch Informationen über den weiteren Bildungsverlauf geflüchteter Kinder fehlen fast vollständig. Ohne diese Daten könne weder überprüft werden, ob Vorgaben eingehalten werden, noch wie effektiv die Integration in die Regelklassen tatsächlich gelingt.

Appell an Bund, Länder und Kommunen

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert deshalb dringend eine gemeinsame Strategie, die sowohl einen schnelleren Zugang zum Bildungssystem als auch eine systematische Datenerhebung sicherstellt. „Investitionen in eine zügige Umsetzung des Rechts auf Bildung zahlen sich langfristig für Schulen und Gesellschaft aus“, betont Hofmann.

Hintergrund: Kinderrechte-Index

Die Analyse „Einschränkungen beim Recht auf Bildung: Geflüchtete Kinder bleiben auf der Strecke“ basiert auf einer Befragung der Landesregierungen und ist Teil des zweiten „Kinderrechte-Index“ des DKHW. Dieser vergleicht die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in den Bundesländern und wird im Dezember veröffentlicht.

👉 Die vollständige Analyse kann auf der Website des Deutschen Kinderhilfswerks heruntergeladen werden.




Mit Köpfchen gegen KI-Fakes

klicksafe startet bundesweite „Back to School“-Kampagne 2025umfangreiche Materialliste für alle Klassenstufen

Ob Hausaufgabenhilfe, Bilderrätsel oder Videos: Künstliche Intelligenz (KI) ist längst auch in der Lebenswelt von Grundschulkindern angekommen. Viele Kinder begegnen KI-Inhalten, ohne sie als solche zu erkennen – etwa in kurzen Clips oder in Chat-Programmen. Damit sie von Anfang an lernen, kritisch hinzuschauen, startet die EU-Initiative klicksafe im September ihre bundesweite „Back to School“-Kampagne.

Für Chancen und Risiken sensibilisieren

Die Kampagne bietet Lehrkräften, Eltern und pädagogischen Fachkräften neue Materialien und Tipps, um Kinder frühzeitig für Chancen und Risiken von KI zu sensibilisieren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Deepfakes: manipulierten Bildern, Videos oder Tonaufnahmen, die täuschend echt wirken. Gerade jüngere Kinder können solche Inhalte oft nicht von echten unterscheiden – ein wichtiges Thema also für den Unterricht in den unteren Klassenstufen.

Umfangreiche Materialliste für alle Klassenstufen

Begleitend stellt klicksafe altersgerechte Materialien bereit: Neben einer umfangreichen Materialliste für alle Klassenstufen gibt es Angebote, die sich besonders gut für die Grundschule eignen, etwa kurze Infokarten, Quiz-Formate oder praxisnahe Tipps zur Förderung von Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen im Netz. Sie unterstützen Lehrkräfte dabei, schon mit jüngeren Kindern Fragen wie „Kann ich diesem Bild trauen?“ oder „Woher kommt diese Information?“ zu besprechen.

Für die pädagogische Praxis stellt klicksafe verschiedene neue Materialien bereit:

  • Die Handreichung „Deep Fake. Deep Impact.“ mit Sachinformationen und Projektideen für Jugendliche ab Klasse 7.
  • Das Online-Quiz „Deepfake Detectives“ zum spielerischen Erkennen manipulierter Inhalte.
  • Die „10 Gebote der KI-Ethik“, entwickelt mit dem Institut für Digitale Ethik und JUUUPORT, als Infokarte und Booklet.
  • Eine Materialliste für alle Klassenstufen mit weiterführenden Angeboten.

Zusätzlich bietet klicksafe vom 15. bis 19. September 2025 eine Q&A-Woche an. Lehrkräfte und Eltern können ihre Fragen rund um KI und Deepfakes direkt per E-Mail an Expert*innen stellen.

Digitale klicksafe-Schulstunde

Die Kampagne läuft den ganzen September. Höhepunkt ist die digitale klicksafe-Schulstunde am 1. Oktober 2025. Zwar richtet sie sich vor allem an Schüler*innen ab Klasse 7, doch auch Grundschulen können die Veranstaltung begleiten – etwa als Anlass, altersgerechte Gespräche über Echtheit, Manipulation und den sicheren Umgang mit digitalen Medien zu führen.

Medienkompetenz ist Demokratiekompetenz

Bundesjugendministerin Karin Prien hebt hervor, dass Kinder Unterstützung brauchen, um KI sicher zu nutzen. Dr. Marc Jan Eumann, Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, betont: „Medienkompetenz ist Demokratiekompetenz.“ Für die Grundschule bedeutet das: Kinder möglichst früh an die Hand nehmen, damit sie lernen, kritisch zu fragen und digitale Inhalte besser einzuordnen.

Alle Materialien stehen kostenlos bereit unter www.klicksafe.de/materialien




Arbeitsgedächtnistraining steigert Leistungen und bessert Bildungswege

Langfristige Effekte einer im Unterricht verankerten Intervention bei Erstklässlern

Kinder, die bereits in der ersten Klasse gezielt ihr Arbeitsgedächtnis trainieren, profitieren langfristig nicht nur in diesem Bereich, sondern auch in anderen schulischen und kognitiven Fähigkeiten. Das zeigt eine groß angelegte Feldstudie, geleitet von Ernst Fehr, Professor für Mikroökonomik und experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich sowie Direktor des UBS International Center of Economics in Society. Gemeinsam mit Eva M. Berger, Henning Hermes, Daniel Schunk und Kirsten Winkel untersuchte er die kausalen Auswirkungen eines in den regulären Schulunterricht eingebetteten Arbeitsgedächtnistrainings bei 6- bis 7-jährigen Grundschulkindern.

„Wir stellen erhebliche Zuwächse bei der WM-Kapazität fest und dokumentieren positive Spillover-Effekte auf Geometrie, fluiden IQ und inhibitorische Kontrolle“, so die Autorinnen und Autoren. Drei Jahre nach Abschluss der Intervention war die Wahrscheinlichkeit, dass die teilnehmenden Kinder einen akademischen Bildungsweg einschlagen, um 16 Prozentpunkte höher als in der Kontrollgruppe.

Fünf Wochen Training im Schulalltag

Das Training erstreckte sich über 25 aufeinanderfolgende Schultage und wurde anstelle des regulären Unterrichts in Mathematik oder Deutsch in einer der ersten beiden Stunden durchgeführt. Die Kinder erhielten eine Reihe strukturierter Übungen, die von den Lehrkräften als normale Unterrichtseinheit präsentiert wurden. „Die Kinder in der Versuchsgruppe wussten nicht, dass sie an einem Experiment teilnahmen“, betonen die Forschenden.

Diese Einbettung in den Schulalltag sorgte für hohe Akzeptanz bei Kindern und Lehrkräften. Dass dabei 25 Unterrichtsstunden in den Hauptfächern ersetzt wurden, erwies sich nicht als Nachteil. Im Gegenteil: „Unsere Behandlungseffekte beinhalten bereits die Opportunitätskosten der versäumten Schulstunden. Das bedeutet, dass die Kinder einen Nettonutzen aus dem WM-Training gezogen haben.“

Langsame, aber nachhaltige Wirkung

Während sich Verbesserungen im Arbeitsgedächtnis sofort nach dem Training zeigten, traten andere Effekte erst mit zeitlichem Abstand auf. „Die Spillover-Effekte treten nicht kurzfristig auf. Stattdessen zeigen sie im Verlauf mehrerer Evaluierungswellen ein steigendes Muster.“

Nach sechs Monaten wurden Fortschritte in Geometrie und im fluiden IQ messbar, nach zwölf bis dreizehn Monaten kam eine Verbesserung der inhibitorischen Kontrolle hinzu – also der Fähigkeit, impulsive Reaktionen zu hemmen. Die Effektstärken in diesen Bereichen lagen zwischen 0,24 und 0,38 Standardabweichungen.

Warum frühe Förderung wirkt

Die Forschenden führen die Erfolge auch auf die hohe Plastizität des kindlichen Gehirns in diesem Alter zurück. Früh erworbene Fähigkeiten erleichtern den Erwerb weiterer Kompetenzen – ein Prozess, den die Bildungsökonomie als Selbstproduktivität und dynamische Komplementarität beschreibt. „In einer Phase erworbene Qualifikationen erhöhen die in späteren Phasen erworbenen Qualifikationen“, heißt es in der Studie.

Bedeutung für die Praxis

Für Lehrkräfte macht die Untersuchung deutlich, dass gezielte Förderung exekutiver Funktionen wie des Arbeitsgedächtnisses nicht nur kurzfristige Lerneffekte bringen kann, sondern langfristig den gesamten Bildungsweg beeinflusst. Entscheidend ist dabei die Integration in den regulären Unterricht und die kontinuierliche Durchführung über mehrere Wochen.

Quelle:

Berger, Eva M.; Fehr, Ernst; Hermes, Henning; Schunk, Daniel; Winkel, Kirsten (2025): The Causal Effects of Working Memory Training on Cognitive and Noncognitive Skills in Children. Journal of Political Economy, 133(2), The University of Chicago Press.




Keine Quote für die Herkunft

Der Grundschulverband warnt vor Migrationsobergrenze und fordert Schule der Vielfalt

In einem Interview mit dem Sender Welt-TV hat Bildungsministerin Karin Prien (CDU) eine Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund an Schulen als „denkbares Modell“ bezeichnet. In der Sendung Politikergrillen mit Jan Philipp Burgard äußerte sie, man solle Erfahrungen anderer Länder prüfen und ergänzte: „Ob das 30 Prozent oder 40 Prozent dann am Ende sind.“ Entscheidend sei, so Prien, dass Kinder beim Schuleintritt über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

Der Vorschlag stößt auf scharfe Kritik. Besonders deutlich positioniert sich der Grundschulverband, der in einer aktuellen Pressemitteilung die Einführung einer sogenannten „Migrant:innenquote“ aus pädagogischer und gesellschaftspolitischer Sicht entschieden ablehnt.

Schule muss Ort der Vielfalt, nicht der Selektion sein

„Der Vorschlag ignoriert die Realität der schulischen Vielfalt und gefährdet die Grundprinzipien von Chancengleichheit, Inklusion und Demokratiebildung“, erklärt der Vorstand des Grundschulverbands. Die Schule müsse ein Ort bleiben, der allen Kindern offensteht – unabhängig von Herkunft, Sprache oder Religion.

In seinem Positionspapier fordert der Verband:

  • gleiche Lern- und Entwicklungschancen für jedes Kind
  • Wertschätzung individueller Stärken
  • Vermittlung demokratischer Werte
  • Schutz vor Diskriminierung
  • klare Absage an jede Form von Ausgrenzung

Diese Forderungen seien keine Idealvorstellungen, sondern konkrete Anforderungen an ein demokratisches Bildungssystem.

Kinder sind keine Quoten – sondern Träger von Rechten

Der Grundschulverband macht deutlich: Der Migrationshintergrund eines Kindes sei kein Indikator für Lernfähigkeit, Bildungsbereitschaft oder soziale Kompetenz. Eine festgelegte Obergrenze suggeriere Defizite, stärke Vorurteile und führe zur Stigmatisierung.

„Schulen müssen Orte sein, an denen jedes Kind die gleichen Chancen erhält – unabhängig von Herkunft oder Religion“, heißt es in der Mitteilung. Eine Quote hingegen würde Kinder zu „Problemanteilen“ degradieren und die gesellschaftliche Spaltung fördern. Stattdessen müsse Diversität professionell begleitet und als Chance begriffen werden.

Unterstützung statt Selektion: Schulen besser ausstatten

Anstelle von Quoten fordert der Verband gezielte Investitionen in Schulen:

  • mehr pädagogisches Personal
  • interkulturelle Fortbildungen
  • kleinere Klassen in belasteten Regionen
  • Stärkung der Sprachförderung
  • multiprofessionelle Teams für individuelle Förderung

Nicht die Zusammensetzung der Schüler:innenschaft sei entscheidend, sondern die strukturellen Rahmenbedingungen. „Die Verantwortung für Bildungserfolg darf nicht auf die Kinder abgewälzt werden“, betont der Verband.

Schule als Spiegel der Gesellschaft – Vielfalt ist kein Problem

Die Schule spiegelt die gesellschaftliche Realität wider – mit all ihrer Diversität. Herkunftsbasierte Quoten verstoßen laut Grundschulverband gegen das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot (Artikel 3 GG) und gefährden das demokratische Fundament des Bildungssystems.

Zahlreiche Schulen arbeiteten bereits erfolgreich mit heterogenen Gruppen und seien dabei Orte des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das Engagement dieser Schulen dürfe nicht durch politisch motivierte Zählweisen delegitimiert werden.

Grundschulverband fordert klare Haltung gegen Diskriminierung

Der Verband ruft dazu auf, sich klar gegen diskriminierende Maßnahmen zu positionieren und für eine Schule einzutreten, die allen Kindern unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder sozialem Status offensteht. „Kinderrechte und Chancengleichheit müssen handlungsleitend für die Bildungspolitik sein“, so der Verband.

Die vollständige Stellungnahme des Grundschulverbands finden Sie hier.

Hintergrund: Was spricht gegen eine Migrationsquote?

Gegen eine feste Obergrenze für Schüler:innen mit Migrationshintergrund spricht laut GSV zudem Folgendes:

  • Rechtliche Probleme: Artikel 3 GG verbietet Diskriminierung aufgrund von Herkunft. Eine Quote könnte gegen die Schulpflicht und das Recht auf wohnortnahe Schulplätze verstoßen.
  • Pädagogisch fragwürdig: Studien zeigen, dass soziale Herkunft und Sprachkenntnisse weit entscheidender für den Bildungserfolg sind als der Migrationsstatus.
  • Politisch umstritten: Karin Prien verweist auf Dänemark, wo es jedoch keine feste Quote gibt, sondern verpflichtende Sprachtests und gezielte Förderprogramme.
  • Kaum umsetzbar: In vielen Städten liegt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bei über 50 %, teilweise sogar bei 80–90 %. Eine 30 %-Grenze würde Kinder vom Schulbesuch in ihrer Nachbarschaft ausschließen.

Weitere Informationen

Gernot Körner




Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Kinderhänden

Mit Greenpeace-Materialien Umweltbildung in der Grundschule stärken

Wie kann Umweltschutz altersgerecht vermittelt werden? Und wie lassen sich Themen wie Bienen, Ozeane oder Klimawandel so aufbereiten, dass Kinder nicht nur verstehen, sondern auch handeln lernen? Greenpeace bietet für Grundschullehrkräfte umfassende, didaktisch durchdachte Unterrichtsmaterialien, die genau das ermöglichen.

Umweltbildung in der Grundschule: Früh übt sich

Bereits in der Grundschule wird der Grundstein für ein verantwortungsbewusstes Umweltverhalten gelegt. Die kostenlosen Greenpeace-Unterrichtsmaterialien greifen zentrale Themen der Nachhaltigkeit auf – anschaulich, alltagsnah und mit viel Raum für eigene Entdeckungen und Ideen der Kinder.

Ob es um das Leben der Bienen, den Schutz der Meere oder den Umgang mit Plastikmüll geht: Die Materialien liefern nicht nur fundiertes Wissen, sondern auch kreative Methoden, um Kinder zum Mitdenken und Mitgestalten zu bewegen.

Bienen verstehen – Natur begreifen

Das Unterrichtsthema „Bienen“ bietet einen faszinierenden Zugang zur Tier- und Pflanzenwelt. Kinder lernen nicht nur, wie Honig entsteht oder wie ein Bienenvolk lebt, sondern erkennen auch, wie empfindlich das ökologische Gleichgewicht ist. Die Bedrohungen, denen Bienen durch Umweltgifte, Monokulturen oder Klimawandel ausgesetzt sind, verdeutlichen auf kindgerechte Weise, wie menschliches Handeln die Natur beeinflusst.

Mit Ideen wie einem Bienen-Beobachtungskasten im Klassenzimmer oder der Umgestaltung des Schulhofs in eine bienenfreundliche Umgebung zeigt Greenpeace praxisnahe Wege, wie sich Umweltschutz in den Schulalltag integrieren lässt.

Meere schützen – Verantwortung übernehmen

Auch der Schutz der Ozeane spielt eine zentrale Rolle: Die Materialien zum Thema Meer und Schweinswal machen deutlich, wie industrielle Fischerei und Plastikverschmutzung unsere Meereswelt gefährden. Arbeitsblätter, Geschichten, Quizformate und kleine Rechercheaufgaben ermöglichen eine aktive Auseinandersetzung mit den Problemen – und regen zum eigenen Handeln an. Ergänzendes Material zum Thema Plastikmüll im Meer bietet zusätzliche Vertiefung.

Klimawandel erklären – gemeinsam für das Klima handeln

Das Thema Klimawandel ist komplex – und dennoch auch in der Grundschule wichtig. Die Greenpeace-Handreichung „Gemeinsam für das Klima“ unterstützt Lehrkräfte dabei, dieses Thema behutsam, aber deutlich zu vermitteln. Die Materialien helfen Kindern, den Klimawandel zu verstehen, ohne sie zu überfordern, und zeigen konkrete Möglichkeiten auf, wie sie selbst aktiv werden können.

Besonders hervorzuheben ist die inklusive Gestaltung: Fachbegriffe werden erklärt, Gebärdensprachvideos sowie Materialien in Leichter Sprache und in Versionen für Deutsch als Zweitsprache stehen zur Verfügung – so wird Teilhabe für alle ermöglicht.

Klimaglossare: Orientierung in der Sprachvielfalt

Ein besonderes Plus der Greenpeace-Unterrichtsmaterialien sind die mehrsprachigen Klimaglossare. Sie erklären zentrale Begriffe rund um Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit in einfacher Sprache – übersetzt in verschiedene Herkunftssprachen vieler Kinder. So werden wichtige Inhalte auch für Schüler*innen mit Deutsch als Zweitsprache zugänglich. Die Glossare fördern nicht nur das Sachverständnis, sondern auch die sprachliche Teilhabe – ein wichtiger Baustein für inklusive Umweltbildung im Klassenzimmer.

Schule als Ort gelebter Nachhaltigkeit

Neben Unterrichtseinheiten unterstützt Greenpeace auch die Entwicklung eines nachhaltigen Schulbetriebs. Die Handreichung „Schools for Earth“ liefert Impulse, wie Schulen – von der Gebäudenutzung bis zur Unterrichtsgestaltung – klimafreundlicher werden können. Schulleitungen, Lehrkräfte und Hausmeister*innen finden hier praxistaugliche Tipps und Werkzeuge für einen ganzheitlichen Wandel.

Kostenfrei und leicht zugänglich

Alle Unterrichtsmaterialien und Handreichungen können kostenlos bei Greenpeace angefordert werden. Für einen schnellen Überblick und konkrete Downloads steht die Seite
👉 greenpeace.de/unterrichtsmaterial-grundschule-klima-und-nachhaltigkeit
zur Verfügung.




Kurzvideos im Unterricht: Schnell geschaut – schlecht behalten

Zwei Studien der TU Braunschweig zeigen: TikTok & Co. erschweren tiefes Lernen und fördern oberflächliches Denken. Textbasierte Lernformen schneiden besser ab

Kurz, bunt und unterhaltsam – Kurzvideos auf TikTok, Instagram oder YouTube Shorts gehören für viele junge Menschen zum Alltag. Doch wenn es ums Lernen geht, zeigen sich klare Schwächen: Lerninhalte, die per Kurzvideo vermittelt werden, werden schlechter behalten. Wer häufig solche Clips konsumiert, denkt zudem weniger rational. Das zeigen zwei aktuelle Studien der Technischen Universität Braunschweig, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Computers & Education.

Das zentrale Ergebnis: Kurzvideos eignen sich weniger für nachhaltige Wissensvermittlung als klassische Textformate. Bereits wenige Minuten TikTok & Co. reichen aus, um Lernende in einen Modus oberflächlichen Lernens zu versetzen – mit spürbaren Auswirkungen auf die Leistung in anschließenden Wissenstests.

Schnelle Clips – seichtes Lernen

In der ersten Studie befragte Thorsten Otto, Doktorand am Institut für Pädagogische Psychologie, rund 170 Erwachsene im Alter von 18 bis 52 Jahren zu ihrem Nutzungsverhalten und überprüfte ihre Fähigkeit zum rationalen Denken. Das Ergebnis: Wer viele Kurzvideos konsumiert, schnitt beim Test für analytisches Denken signifikant schlechter ab.

In einem zweiten Experiment mit rund 120 Teilnehmenden wurde der Lerneffekt unmittelbar gemessen. Eine Gruppe konsumierte vorab unterhaltende Kurzvideos, danach wurden Inhalte entweder per Text oder Kurzvideo vermittelt – mit identischem Inhalt. Das Resultat war eindeutig: Die Gruppe mit Kurzvideo-Lernmaterial schnitt im anschließenden Quiz deutlich schlechter ab als jene, die mit Texten gearbeitet hatte. Außerdem zeigte sich: Wer vor dem Lernen Unterhaltungsclips geschaut hatte, neigte zu einem oberflächlicheren Lernstil – mit Fokus auf reines Auswendiglernen statt Verstehen.

Multimedialer Reiz – kognitive Überlastung

Kurzvideos entfalten ihre Sogwirkung durch eine Vielzahl gleichzeitiger Reize: schneller Schnitt, Musik, Untertitel, Emojis. Doch genau das birgt eine Gefahr: kognitive Überlastung. Laut der „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ behindern zu viele gleichzeitige Reize die effektive Verarbeitung von Informationen – das Lernen wird ineffizient. „Kurzvideos sind kein Ersatz für tiefgehende Lernprozesse“, sagt Thorsten Otto. Ihr Vorteil liegt in der Aufmerksamkeitsbindung, nicht in der Tiefe der Wissensvermittlung. Wenn sie im Unterricht eingesetzt werden, dann gezielt – mit Bedacht auf Tempo, Gestaltung und Ablenkungselemente.

Mehr Medienkompetenz statt Medienverzicht

Trotz kritischer Ergebnisse sieht Otto Kurzvideos nicht grundsätzlich als bildungsfern. Vielmehr betont er: „Wenn es gelingt, soziale Medien verantwortungsvoll und punktuell in den Unterricht zu integrieren, können sie das Engagement junger Menschen fördern.“ Entscheidend sei, Lernende zugleich für die Grenzen dieser Formate zu sensibilisieren.

Sein Rat für alle, die lernen oder lehren:

  • Beim Lernen auf unterhaltende Kurzvideos verzichten.
  • Im Unterricht problematisieren, wie Social-Media-Formate wirken.
  • Kurzvideos didaktisch sinnvoll einsetzen – etwa als Einstieg, nicht als Ersatz für vertiefende Auseinandersetzung.
  • Push-Benachrichtigungen abschalten, Graustufenmodus aktivieren – um den Reiz des endlosen Scrollens zu brechen.

Kein TikTok-Bashing, aber klare Grenzen

Die Ergebnisse der TU Braunschweig zeigen: Wer effizient und nachhaltig lernen will, sollte Textformaten Vorrang geben – zumindest bei komplexen Inhalten. Kurzvideos können ergänzen, aber nicht ersetzen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Social Media muss deshalb Teil moderner Bildung sein – und das gilt für Lernende genauso wie für Lehrkräfte.

Originalstudien

Otto, T. (2025). Should educators be concerned? The impact of short videos on rational thinking and learning: A comparative analysis. In: Computers & Education, Volume 234.

Von Gernot Körner, nach einer Studie von Thorsten Otto, Technische Universität Braunschweig