Beobachtung und Dokumentation: Ansätze und Praxishilfen für die Kita

Fachbeiträge, Videos und Praxismaterial zum Download rund ums Thema

„Beobachtung ist die Grundlage für eine Pädagogik, in der das KIND und sein Recht auf eine möglichst förderliche Entwicklung im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Mit der Beobachtung fängt jede entwicklungsförderliche Pädagogik an und bildet den Grundstein (das Fundament) für wertschätzende Beziehungserlebnisse sowie begleitende Entwicklungsimpulse“, schreibt Prof. Armin Krenz in seinem Beitrag mit dem Titel „Kindliche Entwicklungsprozesse beobachten und dokumentieren“, den wir bei SPIELEN und LERNEN publiziert haben.

Damit dies einfacher gelingt, ist ein Konzept für die systematische Beobachtung in der Kita notwendig. Eine ganze Reihe von Arbeitshilfen und Instrumente können dabei sehr nützlich sein. Sehr gefragt ist unser Leitfaden zur Vorbereitung für Entwicklungsgespräche, den wir seit langer Zeit schon gratis zum Download anbieten. Bei unserer Internetrecherche ist uns vor allem der deutsche Bildungsserver aufgefallen. In der Rubrik „Entwicklungs- und Bildungsprozesse beobachten und dokumentieren“ finden sich zahlreiche Anregungen und Praxishilfen.

Ansätze und Konzepte

Für alle, die erst einmal einen groben Überblick zum Thema haben wollen, bietet sich das Video zum Thema „Bildungsdokumentation“ von „Schulen ans Netz e.V.“ an. Der kleine Film ist so einfach und eingängig, dass ihn auch Laien gut verstehen können. Mit einer Gesamtlänge von 3:56 Minuten ist er auch gut für einen Elternabend als Einstieg zum Thema geeignet:

Unter den Ansätzen und Konzepten zur systematischen Beobachtung fanden wir vor allem den Beitrag zum Wahrnehmenden Beobachten stark. Die Website zu dem prozessorientierten Verfahren zur Beobachtung und Dokumentation bietet neben zahlreichen Downloads, etlichen Literaturtipps und Praxisbeispielen eine ganze Reihe Online-Vorträge, in denen Prof. Dr. Marjan Alemzadeh durch die vier praktischen Schritte des Wahrnehmenden Beobachtens führt.

Weitere spannende Beiträge finden sich etwa

Eine Vorlesung der Hochschule Hildesheim zum Thema „Kindheitspädagogische Beobachtung und Dokumentation“ von Prof. Dr. Peter Cloos ist auf Youtube zu sehen. Der Vortrag dauert etwa 75 Minuten:

Ebenfalls von der Uni Hildesheim stammt auch das Buch Organisationsentwicklung in Kitas – Beispiele gelungener Praxis“ von Cindy Mieth. Das Buch lässt sich kostenlos als PDF downloaden.

Praktische Hilfen

Verschiedene Firmen bieten aktuell eine Fülle von Software zur Beobachtung und Dokumentation an. Da wir aber keine Möglichkeiten hatten, diese zu testen und wir uns zudem auf kostenfreie Angebote konzentrieren wollten, stellen wir hier keine kompletten Programme vor.

Vieles geht aber auch ohne PC. Und die beste Variante ist, wenn die Wahl Ihnen überlassen bleibt. Das ist etwa beim Kompik-Beobachtungsbogen der Fall. Mit Kompik können Sie die Entwicklung von Kita-Kindern im Alter von 3,5 bis 6,0 Jahren beobachten und dokumentieren. Das Programm lässt sich einfach herunterladen und installieren. Der Fragebogen kann auch ohne PC in Papierform ausgefüllt werden.

Das Netzwerk frühkindliche Entwicklung BIBER bietet einen guten Überblick mit praktischen Hilfen zur Bildungsdokumentation und Portfolioarbeit. „Um die Persönlichkeitsentwicklung bestmöglich zu fördern, wird das Kind – sein Verhalten, Spiel, Bewegung, Sprache – gezielt beobachtet. Diese Beobachtungen sind Grundlage für individuelle Förderschritte, die in der Bildungsdokumentation sichtbar gemacht und festgehalten werden“, beschreibt BIBER den Inhalt der Website.

Rund um das „Bildungsbuch“ dreht sich alles auf der Seite der Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW). Hier heißt es: „In nahezu allen Bildungsplänen für Kindertagesstätten wird verlangt, Bildung zu beobachten und zu dokumentieren. Aber wie lässt sich Bildung sichtbar machen? Ein Team von Pädagogen aus Praxis, Wissenschaft und Fort-/Weiterbildung geht seit Jahren dieser Frage nach und hat das Projekt ,Bildungsbuch‘ entwickelt, das zur Zeit in Kindertagesstätten praktiziert, weiterentwickelt und reflektiert wird.“ Daneben findet sich auf dem Bildungsserver auch „Das Übergangsbuch“ im PDF-Format. Hier dokumentieren Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte den Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule.

Ebenfalls auf dem Bildungsserver finden sich weitere Links etwa

Eine ganze Reihe weiterer Fachartikel hält auch „Das Kita-Handbuch“ bereit.

Datenschutz

Wer viel dokumentiert, sollte auch auf den Danteschutz achten. In den Beispielen, die oben aufgeführt sind, finden sich dazu etliche Leitfäden und Hinweise. Wer es noch detaillierter wünscht, sollte sich die „Empfehlungen zum Datenschutz bei Bildungs- und Lerndokumentationen in Kindertagesstätten“ downloaden. Herausgegeben hat das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Bundeslandes Rheinland-Pfalz die Empfehlungen. Sie dürften aber wohl für alle Bundesländer Geltung haben.

Weitere Fachbeiträge




Beobachtung, Dokumentation – und dann?

Fortbildung vom 23. bis 24.01.2023 in der Akademie im Park, Wiesloch

Viele Teams haben sich im Rahmen der Umsetzung des Orientierungsplans auf den Weg gemacht, ein für die Einrichtung passendes Beobachtungskonzept zu erarbeiten. Dazu wurden die verschiedensten Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren erprobt und diskutiert.

Aber wie geht es weiter?

In dieser Fortbildung geht es um Ihre Erfahrungen, um Ihre Fragen und Unsicherheiten, die Ihnen auf Ihrem Weg begegnen, mit einem ressourcenorientierten Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren die Bildungs- und Entwicklungsprozesse jedes einzelnen Kindes vertiefend in den Blick nehmen zu können und diese im Alltag zu implementieren.

Ziele / Kompetenzen

Am Ende der Fortbildung

  • haben die Teilnehmer:innen den Nutzen verschiedener ausgewählter Beobachtungskonzepte kennengelernt.
  • haben die Teilnehmer:innen die einzelnen Schritte des Beobachtungskonzepts von der Beobachtung und der Dokumentation über die Reflexion zur pädagogischen Planung und Umsetzung geübt.
  • haben die Teilnehmer:innen ihr Verständnis bezüglich der Notwendigkeit des Dialogs mit dem Kind in diesem Prozess vertieft und können diese Erkenntnisse sinnvoll in die Abläufe integrieren.
  • haben sich die Teilnehmer:innen mit dem Zeitmanagement sowie den Voraussetzungen eines erfolgreich gelingenden Beobachtungskonzepts auseinandergesetzt.

Inhalte

  • Beobachtungskonzept – kennen und unterscheiden lernen von Bildungs- und Entwicklungsbeobachtung und dem jeweiligen Nutzen im pädagogischen Alltag
  • Beobachtungskonzept – kontinuierlicher Prozess von der Beobachtung und Dokumentation über die Reflexion hin zur Umsetzung im Sinne einer individuellen pädagogischen Beantwortung
  • Beteiligung und Partizipation des Kindes als Grundlage der individuellen pädagogischen Beantwortung
  • Auseinandersetzung mit den strukturellen Rahmenbedingungen für eine gelingende Umsetzung des Beobachtungskonzepts

Methoden

  • Theorie zum „Anfassen“ – Theorie direkt verknüpft mit praktischen Beispielen
  • Kurzinputs, Gesamtdiskussionen, Kleingruppenarbeiten
  • Übungen zum Beobachten, Dokumentieren und Auswerten sowie Planen der pädagogischen Intervention anhand konkreter Videobeispiele

Termin: 23. – 24.01.2023 (09:00 – 16:30 Uhr)
Ort: Akademie im Park
Heidelberger Str. 1 a
69168 Wiesloch
Dozentin: Sylvia Zöller
Seminargebühr: 290,00 € für Mitgliedseinrichtungen, 330,00 € für Nichtmitgliedseinrichtungen
Ansprechpartnerin: Elke Rümenap
Tel.: 06221 4161-190
E-Mail: ruemenap@caritas-dicv-fr.de

Weitere Informationen und Anmeldung finden Sie hier.




Die Bedeutung von Beobachtung und Wahrnehmung in Kindertagesstätten

Professionelle und humanorientierte Anforderungen an ErzieherInnen

Die gesamte pädagogische Arbeit in Kindergarten und Hort – angefangen von der Gestaltung der pädagogischen Einflussnahme auf Tagesablauf, Gesprächssituationen über Teamarbeit bis hin zum persönlichen Management – richtet sich nach der Art und Weise, wie ErzieherInnen Informationen auf- und wahrnehmen. Und da es täglich ungezählte Situationen und Ereignisse gibt, die wahrgenommen werden, ergibt sich die Notwendigkeit, sich diesem bedeutsamen Phänomen einmal in besonderem Maße zuzuwenden.

Erkenne dich selbst, bevor du Kinder zu erkennen trachtest

Wolfgang Liegle

Zunächst: Jede Reaktion des Menschen ist eine subjektiv geprägte Handlung, die sich daraus ergibt, wie, wann und wo ein wahrgenommener Reiz über die Sinnesrezeptoren, persönliche Empfindungen und die subjektive Bewertung zu einem persönlich geprägten Wahrnehmungsgegenstand wird. So spielt es eine Rolle, ob wir in guter Stimmung mit einer laut lärmenden Kindergruppe zusammen sind oder in schlechter, gereizter Stimmung mit laut lärmenden Kindern einen Teil des Tages gemeinsam verbringen, ob das Zusammensein mit ihnen am Vormittag, zur Mittagszeit oder am Ende des Arbeitstages stattfindet, ob wir gerade einen erholsamen Urlaub hinter uns haben oder seit Wochen beruflich und privat unentwegt in starkem Maße gefordert sind, ob wir durch die eigenen Kinder an einen bestimmten Lärmpegel gewöhnt sind oder nicht, ob die lärmenden Kinder in den eigenen Gruppenräumen Krach machen oder wir mit den Kindern zu Gast in einer anderen Einrichtung sind, ob die Kinder ihre lärmenden Aktivitäten nach draußen verlagern können oder ein entsprechendes Außengelände gar nicht zur Verfügung steht.

Immer (!) treten bei den vielfältigsten Wahrnehmungen persönliche, räumliche, strukturelle und organisatorische Motive und Gegebenheiten in eine Vernetzung mit der Wahrnehmung selbst. Um bei dem Beispiel der lärmenden Kinder(gruppe) zu bleiben: eine nicht unerhebliche Rolle spielt auch die Tatsache, welche Kinder den Lärm erzeugen, wie unsere Beziehung zu diesen Kindern gestaltet ist, ob wir sie mögen / wertschätzen  oder  aufgrund  eigener  „Erfahrungen“   in  ihnen  „schon  immer grenzüberschreitende Störenfriede“ gesehen haben. Wahrnehmungsergebnisse sind also die Folgen subjektiv erlebter Wahrnehmungserlebnisse, die uns dazu führen, ein bestimmtes Bild von bestimmten Situationen zu haben. Anders ausgedrückt: ein „objektiver Reizgegenstand (hier: ein bestimmter, in Dezibel zu messender Reizgegenstand Lautstärke) wird über eine Summe von Filterwirkungen zu einem individuell-persönlich gefärbten Wahrnehmungsgegenstand (hier: un/aushaltbarer Lärm/Krach).

Die Bedeutung der eigenen Persönlichkeit im Wahrnehmungsprozess

Wenn es daher – sowohl von sozialpsychologischer als auch anthropologischer Sicht – keine Objektivität einer Wahrnehmung gibt, gilt es zunächst, weniger den äußeren Reizen als vielmehr den intrapsychischen/inneren Wahrnehmungen eine hohe Wertigkeit beizumessen und sich diesen entsprechend zu widmen.


Krenz

Viele kennen Prof. Dr. Armin Krenz als Begründer des „Situationsorientieren Ansatzes“; andere aus seinen zahlreichen Fortbildungen. Zu seinen Kernthemen gehören unter anderem die Förderung der Professionalität und der Kompetenzen frühpädagogischer Fachkräfte. Bei Burckhardthaus sind dazu spannende Bücher erschienen.


Und schon stoßen wir dabei auf die Bedeutung der eigenen Persönlichkeit im Wahrnehmungsprozess! Hier kommt es beispielsweise darauf an, wie (un)zufrieden wir mit unserem eigenen Leben sind, wie (un)ausgefüllt unsere Tages-/Lebensgestaltung ist, wie (un)gerne wir unserem gewählten Beruf nachgehen, wie (de)motiviert wir die Herausforderungen des Lebens/unseres Berufes aufgreifen und aktiv/passiv gestalten, wie (un)wichtig wir uns innerhalb unserer Tätigkeit einschätzen und verhalten, wie (un)aufmerksam wir für die vielen, kleinen Dinge im Alltag sind, wie (un)achtsam wir mit uns selbst umgehen, wie (un)sorgsam wir mit tag/täglich mit der Vielfalt alter und neuer Situationen umgehen und wie aktiv bzw. passiv, neugierig bzw. abwehrend wir uns selbst begegnen.

Schon vor vielen Jahrzehnten schrieb Dr. Janusz Korczak: „Menschen, die sich selbst nicht lieben und achten können und ihre Mitmenschen nicht zu lieben und achten vermögen, müssen Macht, Herrschaft und Kontrolle über den anderen, das Kind, und in krankhafter Verzerrung über sich selbst ausüben. Ihr Bewusstsein ist gespalten, was sie destruktiv handeln lässt, gegen sich und andere.“ (in: Klein, F.; Bad Heilbronn 1996).

Unter Berücksichtigung dieser deutlichen Aussage und in gleichzeitiger Kenntnis der Wirkung, die ErzieherInnen durch ihre ständigen Verhaltenssignale auf Kinder aussenden, kann der Aussage von Max Frisch (in seinem ersten Tagebuch) nur zugestimmt werden, wenn er schreibt: „Auch wir sind die Verfasser der anderen; wir sind auf eine heimliche und unentrinnbare Weise verantwortlich für das Gesicht, das sie uns zeigen, verantwortlich nicht für ihre Anlage, aber für die Ausschöpfung dieser Anlage.“

Vier basislegende Worte

Nehmen wir uns einmal die vier basislegenden Worte in dieser Aussage kurz vor. Wenn ErzieherInnen VerfasserInnen anderer Menschen sind, dann können sie mit BuchautorInnen verglichen werden: In Publikationen oder Konzeptionen/Manuskripten können LeserInnen schwarz auf weiß nachlesen, was die Inhalte sind. Dadurch sind Auto­rInnen für andere transparent und können zur Rechenschaft gezogen werden, was sie zu Papier gebracht haben. Gleiches gilt für Menschen, die tag-/täglich einen Ein-drucks-einfluss auf Kinder haben.

Und wenn nun beim Lesen der vorigen Zeile der Einwand käme, dass wohl auch noch Eltern „das Wesen der Kinder prägen“, so ist dies sicherlich einerseits richtig, andererseits lenkt es aber auch sofort von der vorher beschriebenen „inneren Wahrnehmung“ ab.

Zum zweiten ist in der Aussage von Frisch von einer „heimlichen“ Wirkungsweise die Rede. Heimliche Wirkungen entstehen alleine durch unsere Anwesenheit, unsere gelebten, inneren Grundgefühle, unsere nicht ausgesprochenen Empfindungen und unsere aktuelle Gestimmtheit in den vielfältigen Tagessituationen. Die Frage ist dabei nicht, ob wir als ErzieherInnen wirken wollen, sondern alleine durch unsere Anwesenheit, getreu der alten kommunikationspsychologischen Wahrheit, dass sich der Mensch nicht nicht verhalten kann. So geht es auch hier um die Wahrnehmung intrapsychischer Gegebenheiten!

Das dritte basislegende Wort lautet „unentrinnbar“. Kinder und Jugendliche können nicht ohne Weiteres den Kindergarten/Hort für immer aus freien Stücken verlassen, sondern sind vielmehr der unentrinnbaren Wirkung der ErzieherInnen ausgesetzt. Unentrinnbar – ohne Wahlmöglichkeit, je jünger ein Kind ist. Unentrinnbar im Sinne einer Ausweglosigkeit oder in der Auswahl von Alternativen. Und schließlich folgt das Wort der „Verantwortung“ für die Ausschöpfung genetischer und dispositionaler Merkmale. Ergibt sich nicht gerade aus diesem Umstand eine höchste Bedeutung für die kontinuierliche, tiefe innere Wahrnehmung, um den hunderten von objektiv gegebenen Reizgegenständen/-umständen möglichst wahrnehmungsoffen zu begegnen? Carl Gustav Jung hat es einmal so formuliert:

„Wenn wir bei einem Kind etwas ändern wollen, sollten wir zuerst prüfen, ob es sich nicht um etwas handelt, das wir an uns selbst ändern müssen.“

Selbstwahrnehmung könnte im Sinne von Stephan Krebs eine faszinierende Wirkung haben. Er schreibt: „Nach und nach die alten Häute abstreifen und mir selbst näher kommen, die Masken fallen lassen und Fassaden einreißen, keinen Schein mehr wahren, keine Rollen mehr spielen bis ich mich gefunden habe, bis ich bin, wer ich bin. Was bleibt, mag kümmerlich wirken, doch es ist massiv – und echt. Nach und nach.“ Intrapsychische Reize wahrnehmen heißt, sich der eigenen Verantwor­tung für Ereignisse bewusst zu werden und Vernetzungen zwischen sich und den gezeigten Verhaltensweisen anderer zu entdecken, um aus gewonnenen Erkenntnissen Veränderungen in sich selbst zu initiieren.

Reize als Grundlagen für anstehende Beobachtungen

Nur so können dann von außen wahrgenommene Reize situationsgerecht und inhaltlich belegbar als Grundlagen für anstehende Beobachtungen dienstbar gemacht werden.

  • Für entwicklungsförderliche Raumgestaltungen im Innen- und Außenbereich von Kindertagesstätten und Horte,
  • für klare Elterngespräche und kompetente Elternbildung,
  • für die Verbesserung der Umgangs- und Kommunikationskultur im Kollegium, für eine qualitätsgeprägte Grundlagenorientierung innerhalb der Einrichtung,
  • für eine engagierte Orientierung an den tatsächlichen Grundbedürfnissen der Kinder,
  • für eine professionell-humanistische, partizipatorisch orientierte Arbeit mit Kindern und eine fachkompetente Gestaltung der Leitungsfunktion,
  • für eine zielgerichtete, persönlichkeitsbildende Fort- und Weiterbildung,
  • für eine kompetente Kooperation mit dem Träger und den einrichtungsverbundenen Institutionen sowie
  • für eine starke (berufs)politische Einsatzfähigkeit.

Wahrnehmungen sind der Schlüssel für private und berufliche Türen – sind sie mit vorgefassten Meinungen, Vorurteilen, vergangenheitsbindenden Hemmnissen, Zukunftsängsten oder anderen wahrnehmungseinschränkenden „Werten“ belegt, können weder Beobachtungen noch zielgerichtete Planungsabsichten von einem erhofften Erfolg gekrönt sein. Um beispielsweise die inhaltlich sehr bedeutsame, in der Praxis aber häufig schnell dahergesagte Worthülse – „wir holen das Kind dort ab, wo es steht“ – mit Inhalt zu füllen, ist es not­wendig, auf der Grundlage der „inneren Wahrnehmung“ nun langsam, gezielt, strukturiert, effizient und unaufhörlich in die große Aufgabenstellung der Pädagogik einzutauchen: nämlich alle Prozess- und Produktqualitäten auf der Basis von gewonnenen Erkenntnissen aus Beobachtungen heraus auf- und auszubauen.

Fragen zur Wahrnehmung und Registrierung von Vorgängen

Nach wie vor ist eine Beobachtung eine sehr aufmerksame, zeitintensive, planvolle und zielsetzungsorientierte Wahrnehmung und Registrierung von Vorgängen, die stets in ihrer besonderen Vernetzung mit anderen, gleichzeitig wirksamen Faktoren in Beziehung stehen. So ergeben sich wiederum neue Fragen:

• Mache ich etwas, weil es mir persönlich gefällt oder ist es fachlich sinnvoll, dies oder das zu tun?

• Gehe ich einer Anforderung aus dem Weg, weil ich dabei persönlich an Grenzen stoße oder ist es notwendig, an genau dieser Stelle grenzüberschreitende Erfahrungen zu wagen?

• Will ich persönlich etwas durchsetzen oder ist es tatsächlich der Entwicklungsunterstützung dienlich, wodurch Kinder/Jugendliche für den Auf-/Ausbau ihrer Kompetenzen profitieren werden?

• Lege ich eigene, subjektive Wertemaßstäbe an, wenn es um pädagogische Fragestellungen und deren Beantwortung geht oder haben die Wertevorstellungen für Kinder und ihre Entwicklung einen ethischen/ästhetischen Wert?

• Nutze ich ein aktuelles Wissen für die Beantwortung pädagogischer Fragen/für die Planung aktueller Projekte/für die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Berichtsarbeit über Entwicklungsdaten der Kinder und Jugendlichen oder fantasiere ich meine Vermutungen/gedachten Bilder zu einem subjektiven Ganzen zusammen?

• Was weiß ich wirklich über Kinder, ihre Biographien, die Elternteile, ihre seelischen Grundbedürfnisse, entwicklungspsychologische Gesetzmäßigkeiten, Erzählwerte von den unendlich vielen Ausdrucksformen kindeigener Ausdrucksmöglichkeiten oder was denke ich, was es ist, dass es so ist?

• Worin können Gründe und Verstärkerwirkungen für Verhaltensirritationen der Kinder und Jugendlichen liegen, die in der Einrichtung, in mir, in einer entwicklungshinderlichen Kommunikation-/ Interaktionsstruktur, im Kollegium, an der Didaktik, in den Räumlichkeiten zu suchen und zu finden sind?

• Haben Kinder mit sich selbst Probleme, die es abzubauen gilt oder mache ich/machen wir/ macht die Institution den Kindern Probleme, so dass erst im Umfeld der Kinder Veränderungen anzuregen/anzustellen/vorzunehmen sind?

Und „falsche“ Fragen

Diese und viele weitere Fragen sind im Zuge einer Wertschätzung der Begriffe „Beobachtung“ und „Wahrnehmung“ an erster Stelle in den Mittelpunkt einer Betrachtung zu setzen. Doch stattdessen werden häufig ganz anderen Fragen mit anderen Zielsetzungen gestellt. Beispielsweise: wie können ELTERN noch zufriedener mit unserer Arbeit sein? Wie können Kinder noch früher (vor) schulisch gefördert werden? Wie können Kindergruppen bei zunehmender  Anmeldezahl   noch stärker „aufgefüllt“   werden?   Welche  Methoden  gibt  es, verhaltensirritierte Kinder „zu fördern“? Was macht Kindern „Spaß“? Wie kommen eigene Wünsche und Vorstellungen in der kollegialen Zusammenarbeit nicht zu kurz? Was sollte geschehen, damit ein persönliches Wohlbefinden in der Einrichtung gesichert/ermöglicht wird? …

Neue Stigmatisierungs- und Symptomfocussierungsprozesse

Außenpräsentanz einer Einrichtung und personale Ich-Zufriedenheit gewinnen seit Jahren im Gegensatz zu einer professionell gestalteten und humanorientierten Pädagogik an steigender Beliebtheit. Es werden Begriffe (ADS-Kind/ ADHS-Kind) in der Bezeichnung von Kindern gebraucht,   ohne   zu   bemerken,   dass neue   Stigmatisierungs- und Symptomfocussierungsprozesse zu neuen Bewertungen von Kindern führen. Aus diesem Grunde haben die Grundlagen einer kindorientierten Pädagogik, nämlich Wahrnehmung und Beobachtung, eine nicht zu ersetzende Bedeutung.

Modernistische Theorien, zeittendenziöse Aspekte, vorwiegend politisch-finanziell intendierte Diskussionen und/oder trägerspezifische Dogmen verleiten schnell dazu, subjektiv geprägte Erwartungen bzw. Vorgaben als Betrachtungsgrundlage zu akzeptieren oder diese ebenso – ohne genauere Beschäftigung – unreflektiert abzulehnen. Der wichtige Prozess einer Wahrnehmung im Hinblick auf ihre mögliche Berechtigung wäre in beiden Fällen nicht vorhanden.

Doch der Aufwand lohnt sich

Natürlich ist es für pädagogische Fachkräfte immer schwerer – zeitaufwendiger, arbeitsintensiver, kräftezehrender, anstrengender, ermüdender –, sich auf umfassende, eigene Wahrnehmungen einzulassen, grundlegende Eckwerte selbst zu erarbeiten und fachlich gesicherte Zielsetzungen zu formulieren, um dann aus gezielten Beobachtungen zu einem inhaltlich stimmigen Ergebnis zu kommen. Doch lohnt sich dieser Aufwand immer – im Hinblick auf die eigene Entwicklung, die Entwicklung der Einrichtungsqualität, der Beziehungsqualität zu Kindern, den Kolleg/innen und Eltern sowie die Entwicklung der gesamten elementarpädagogischen Profession.

(Armin Krenz)




Kindliche Entwicklungs­prozesse beobachten und dokumentieren

Ausgangspunkt und Grundlage für eine kindorientierte Pädagogik

Beobachtung ist die Grundlage für eine Pädagogik, in der das KIND und sein Recht auf eine möglichst förderliche Entwicklung im Mittelpunkt der Betrachtung stehen (…). Mit der Beobachtung fängt jede entwicklungsförderliche Pädagogik an und bildet den Grundstein (das Fundament) für wertschätzende Beziehungserlebnisse sowie begleitende Entwicklungsimpulse.

Im Unterschied zur Wahrnehmung, bei der sowohl äußere als auch innere Reize als Sinneseindrücke auf den Menschen einwirken und dabei subjektiv geprägte Empfindungen und Einschätzungen auslösen, ist Beobachtung anders konzipiert. Hier geht es nicht darum, dass Menschen durch persönliche, soziale oder strukturbedingte Einflussfaktoren zu einer individuell ausgerichteten Einstellung zur wahrgenommenen Person oder zum Wahrnehmungsgegenstand und damit zu einer subjektiven Beurteilung einer Person oder Situation kommen! Beobachtung ist demgegenüber eine „aktive, planmäßige, auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtete und methodisch aufgebaute, zweckorientierte Registrierung von Ereignissen oder Verhaltensweisen einzelner Menschen oder Gruppen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Situationen und Rahmenbedingungen“.

Insofern ist Beobachtung immer eine aktive Suche nach bedeutsamen Informationen, ausgerichtet auf einen beobachtungsgeleiteten Zielgedanken. Das Beobachtungsergebnis führt zu einer Erkenntnis und dient dabei als Ausgangspunkt für das weitere Verhalten, um gesetzte Ziele, die erreicht werden wollen, in Angriff zu nehmen.

Stellenwert der Beobachtung in der (Sozial)Pädagogik

In der (Sozial)Pädagogik und (Sozial)Psychologie gibt es unterschiedliche Methoden zur Erfassung von Informationen. Hier sind vor allem folgende – in der Praxis gebräuchliche – „Datenerfassungstechniken“ zu nennen: das zielgerichtete Gespräch, das strukturierte Interview, die Fragebogenerhebung, soziometrische Verfahren (z.B. das Soziogramm), die Anamnese, Testverfahren und Inhaltsanalysen anhand eines vorliegenden Materials (z.B. die Auswertung von Dokumenten) sowie eine Fülle sehr unterschiedlicher Beobachtungsverfahren. In der (Sozial)Pädagogik hat dabei die Beobachtung einen besonders hohen Stellenwert! Sie ermöglicht es dem Beobachter, umfassende Kenntnisse über den Beobachtungsschwerpunkt/eine Situation/eine Person/eine Gruppe zu gewinnen. Die Beobachtung wird aber nur dann zu einem nutzbringenden Beobachtungsergebnis führen, wenn die Methodenentscheidungen (welche Beobachtungsform für die Fragestellung am besten geeignet ist; welche Situationsauswahl die umfassendsten Informationen liefern wird; welche Beobachtungsdokumentation angebracht ist) wohl überlegt sind.

Beobachtung als umfassende Grundlage für alle Facetten der (sozial)pädagogischen Arbeit

Es gibt keine Situation im Arbeitsalltag der ErzieherInnen, die es nicht erforderlich machen würde, Entscheidungen auf der Grundlage von Beobachtungsergebnissen zu fällen. Insofern gehören die Merkmale „Beobachtung“ und „Beobachtungsfähigkeit“ zur grundsätzlichen Kompetenz der elementarpädagogischen Fachkräfte.

Beobachtungen tragen dazu bei, Situationen und Geschehnisse im Berufsalltag gezielt zu registrieren, Personen in vernetzten Situationen zu verstehen sowie ihre besonderen Ausdrucksformen dokumentieren zu können und Vorhaben gezielt zu planen, durchführen und auswerten zu können. Dabei werden sich Beobachtungsvorgänge auf die unterschiedlichsten Arbeitsschwerpunkte beziehen:  vor allem auf die eigene Person und deren Wirkweisen, die Einflussnahme auf andere und die individuelle Arbeitsgestaltung, die Arbeits- und Verhaltensweisen der anderen Mitarbeiter/innen und ihre Auswirkung auf andere Personen und die Entwicklung von Geschehnissen, die Zusammenarbeit und Umgangsweisen mit den Eltern und die Kommunikation zwischen Kindern und deren Eltern, die allgemeine und besondere Kommunikation und Interaktion unter den Kindern, die allgemeine Umgangskultur zwischen Erwachsenen und Kindern, die besonderen Merkmale innerhalb der Beziehungs- und Interaktionsebene zwischen ErzieherInnen und einzelnen Kindern, die Entwicklungsgeschichte einzelner Kinder und ihre Entwicklungsverläufe, die Zusammenhänge von Entwicklungsverläufen bei Kindern und dem Einfluss der Gestaltung der von Kindern erlebten Projektarbeit, Entwicklungsbrüche in der Lebensgeschichte einzelner Kinder und die Deutung besonderer Ausdrucksformen. Dabei führen die vorgenommenen Beobachtungen zu einer umfangreichen Datengrundlage, die es den Fachkräften ermöglicht, Erkenntnisse zu gewinnen, die ihnen sonst häufig verschlossen bleiben und damit gleichzeitig eine professionell gestaltete Arbeit zunichte machen würden. Beobachtungen stellen darüber hinaus ein hilfreiches Instrumentarium dar, um einerseits ganz bestimmte Einzelsituationen zu erfassen und andererseits Zusammenhänge zwischen bestimmten Bedingungen und erfassten Beobachtungsergebnissen herzustellen. Beobachtungen sind nie isolierte Ergebnisse einzelner Facetten!

Beobachtungsformen

Entsprechend der besonderen Aufgabenstellung, die für jede Beobachtung als ein Einzelfall zu betrachten ist, ergibt sich für eine qualitätsgeprägte Beobachtung die jeweilige Beobachtungsform. Die erste Unterscheidung in den Beobachtungsformen bezieht sich auf das Feld einer Selbst- oder Fremdbeobachtung. Dabei geht es bei der Introspektion um die Registrierung eigener, persönlicher Vorgänge (im kognitiven, motorischen, emotionalen oder sozialen Bereich) und bei der Fremdbeobachtung um die Verhaltensbeobachtung äußerer Aspekte und anderer Menschen. Im Unterschied zur Gelegenheitsbeobachtung (auch naive Beobachtung genannt), bei der es zu zufälligen Beobachtungen kommt und situationsbedingte Zufälligkeiten im Vordergrund stehen, besitzt die systematische Beobachtung ein exakt beschriebenes Leitsystem. Letztere kann in Form einer nicht-teilnehmenden Beobachtung (protokollierenden/technischen) oder einer teilnehmenden Beobachtung durchgeführt werden – als aktiv teilnehmender Beobachter (als mithandelnde Person im Interaktionsgeschehen) oder passiv teilnehmender Beobachter (als „Zuschauer“ im Beobachtungsfeld). Die Beobachtung selbst kann als strukturierte oder unstrukturierte Beobachtung, als eine Beobachtung in natürlichen oder künstlich hergestellten Situationen, als offene oder verdeckte Beobachtung, als Kurzzeit- oder Langzeit- bzw. Dauerbeobachtung, als kontinuierliche oder diskontinuierliche Beobachtung, als beschreibende oder registrierende Beobachtung (Schätzskalen/Quantitätserfassungen) geplant und umgesetzt werden. (Sozial)Pädagogische Fachkräfte können nach entsprechender Auseinandersetzung mit den Beobachtungsformen und einer gezielten Einübung jede dieser Beobachtungsformen in ihrer Praxis planen, strukturieren und einsetzen. Die jeweilige Beobachtungsform erschließt sich einerseits aus der exakten Aufgaben- und Zielstellung, andererseits aus den Möglichkeiten der Person und den strukturellen Bedingungen vor Ort. Unabhängig davon werden allerdings immer die Qualität und Effizienz einer systematischen Beobachtung davon abhängen, wie folgende Beobachtungsprinzipien beachtet werden: Konzentration auf den Beobachtungsvorgang, Sachlichkeit in der Vorgehensweise, zielbestimmtes Verhalten, Berücksichtigung von Zusammenhängen und Bewusstmachung der Tatsache, dass jede Beobachtung lediglich das aktuelle Geschehen erfasst. Rückschlüsse auf bestimmte Hintergründe und in der Vergangenheit liegende Ereignisse sind ebenso häufig hypothetisiert – und damit fehlerbehaftet – wie der Versuch, aus aktuellen Einzelbeobachtungen Zukunftsentwicklungen abzuleiten.

Einflussfaktoren auf den Beobachter

Beobachtungsergebnisse sind stets in mehr oder weniger starkem Maße von einer ganzen Reihe sehr unterschiedlicher Einflüsse und Zusammenhänge vor, während und nach einem Beobachtungsvorgang abhängig. So können bestimmte Bedingungsfaktoren das Beobachtungsergebnis prägen und damit auch deutlich verfälschen.

Zum einen sind es häufig Merkmale, die mit dem Beobachter selbst zu tun haben (1), zum anderen sind es Faktoren, die sich aus der Einrichtungsstruktur (2) oder der Programmstruktur (3) ergeben. Und schließlich muss sich der Beobachter darüber im Klaren sein, dass das Beobachtungsergebnis ausnahmslos ein aktueller Ausschnitt aus einer Vielzahl zusammenhängender Vernetzungen ist. Selbst die zu beobachtenden personalen Verhaltensweisen bzw. Situationen sind stets einmalige und in ihrer Besonderheit nicht wiederholbare Ereignisse!

zu 1) Einflussfaktoren, die sich aus der Person des Beobachters ableiten können: z.B. aus seiner besonderen Persönlichkeitsstruktur und den damit automatisch verbundenen Persönlichkeitsmerkmalen; seiner beruflichen Erfahrung/Unerfahrenheit; den schon vor der Beobachtung feststehenden (un)bewussten und handlungsleitenden Erwartungen an das Beobachtungsergebnis; der Einstellung zum Beobachtungsvorgang selbst; der Einstellung zur Situation und/oder zur Person, die beobachtet werden soll; den zurückliegenden – und emotional besetzten – Erfahrungen und Erlebnissen im Hinblick auf den Beobachtungsgegenstand; den von außen gesetzten Erwartungen; der individuellen methodisch/didaktischen Arbeitsgestaltung des Beobachters; das Werte- und Normensystem des Beobachters; der grundsätzlichen Einstellung zum Beruf …

zu 2) Einflussfaktoren, die mit der Einrichtungsstruktur zusammenhängen: mit der Raumgestaltung; der konzeptionellen Grundlage für die Arbeitspraxis (dogmatische Prägung); der Gruppengröße; dem in einer bestimmten Form gestalteten Tagesablauf; den verhaltensbeeinflussenden Materialien; der besonderen Ortslage der Einrichtung; der besonderen soziokulturellen Gruppenzusammensetzung;

zu 3) Einflussfaktoren, die mit der Programmstruktur der Einrichtung verbunden sind: mit den Schwerpunkten der Didaktik; der ideologischen Ausrichtung der Einrichtung; der spezifischen Methodik zur Umsetzung von Zielen; der besonderen Auslegung und Gestaltung der konzeptionellen Schwerpunkte; …

Ausgangspunkte für eine qualitätsgeprägte Beobachtung

Jede Beobachtungsaktivität wird nur dann zu einem qualitätsgeprägten Ergebnis führen,

a) wenn sie gut vorbereitet worden ist,

b) eine klare, unmissverständliche Zielsetzung besitzt,

c) der Beobachter während der Beobachtungszeit konsequent das Beobachtungsziel verfolgt,

d) die Beobachtung eine offene Zielfindung zulässt – ohne dass schon im Vorfeld frühzeitige Bewertungen das Beobachtungsergebnis beeinflussen –

e) und dabei auch die Beobachtungsergebnisse praktische Konsequenzen für die weitere Gestaltung hergeben.

Systematische Beobachtungen werden immer schriftlich festgehalten. Dafür bieten sich – je nach Aufgabenstellung – unterschiedliche Beobachtungsbögen, -schemata und -protokolle an (s. Literaturverzeichnis: A. Krenz). 

Fragen des Beobachters vor jeder Beobachtung

Damit jede Beobachtung zielorientiert durchgeführt werden kann und gleichzeitig die formulierte Ausgangsfrage auch tatsächlich zum Ausgangspunkt des weiteren Vorgehens wird, hat sich der Beobachter vor jeder Beobachtungsaktivität folgende Fragen zu stellen:

Warum soll beobachtet werden? (z.B. um typische Kommunikations- und Interaktionsmuster zwischen sich und dem Kind zu entdecken; um die (Un)Wirksamkeit bisheriger pädagogischer Maßnahmen zu überprüfen; um eine aktuelle Bestandsaufnahme spezifischer Fähigkeiten und/oder Fertigkeiten bestimmter Kinder mit Blick auf die Beurteilung ihrer Schulfähigkeit vornehmen zu können; …)

Wer soll beobachtet werden? (z.B. ein bestimmtes Kind in seiner Spielsituation mit einem anderen Kind; die Gesamtkindergruppe, um die aktuelle Verteilung von Rollen in der Gruppe zu erkennen; eine bestimmte Teilgruppe von Kindern, um ihr besonderes Kommunikationsverhalten im Vergleich mit einer anderen Teilgruppe in Beziehung zu setzen; man selbst im Sprach- oder Spielkontakt mit bestimmten Kindern, um Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede im eigenen Verhalten in Abhängigkeit von eigenen Einstellungen/bestimmten Kindern zu erkennen; …)

Was genau soll beobachtet werden? (z.B. welches Kind in welcher Situation welche Spielform bevorzugt bzw. welcher Spielform aus dem Wege geht; welche besonderen Fähigkeiten und/oder Fertigkeiten bestimmte Kinder in bestimmten Situationen zum Ausdruck bringen; welche Kommunikations- und Konfliktkultur zwischen Mitarbeiter/innen und Kindern ausgedrückt wird; …)

Wann soll beobachtet werden? (z.B. in der Zeit der Ankunft der Kinder oder vor/während des Abholens durch die Eltern; während bestimmter Spielphasen; während des Frühstücks; in der Zeit des Freispiels; …)

Wie lange soll beobachtet werden? (z.B. in einer festgelegten Zeitspanne von 15, 30, 45 oder 60 Minuten; einen ganzen Vor- oder Nachmittag; während des Frühstücks; …)

Wo soll beobachtet werden? (z.B. im Gruppenraum; wenn die Kinder sich auf dem Außengelände aufhalten; bei Exkursionen außerhalb des Kindergartengeländes; …)

Wie soll beobachtet werden? (z.B. mit einer Video-Kamera; mit einem bestimmten Beobachtungsbogen; in Form einer teilnehmenden Gelegenheitsbeobachtung; als offene oder verdeckte Beobachtung; …)

Sorgsam geplante und durchgeführte sowie zielgerichtete Beobachtungen tragen dazu bei, Beobachtungsergebnisse zu deuten (nicht zu interpretieren), beobachtete Vorgänge zu beschreiben (nicht zu beurteilen) und beobachtbare Prozesse in Zusammenhängen zu verstehen (nicht zu isolieren bzw. zu funktionalisieren).

Wie oben erwähnt, ist es nicht möglich oder aus fachlicher Sicht zu empfehlen, sich bei einer Beobachtungsaufgabe (mit einer festgesetzten Fragestellung) als erstes auf das Kind auszurichten. Die erste Form einer Beobachtung ist stets die Selbstbeobachtung, ganz im Sinne von Prof. Dr. Wolfgang Liegle, der einmal gesagt hat: >Erkenne dich selbst, bevor du andere zu erkennen trachtest<. Selbstbeobachtung ist nicht einfach, weil dies bedeuten würde, sich selbst mit einem sachlich-kritischen Blick und einer notwendigen Distanz zu sich selbst ins „Kreuzverhör“ zu nehmen und damit sowohl ganz bestimmten entwicklungsförderlichen als auch -hinderlichen Verhaltensmerkmalen auf die Spur kommen zu können. Dabei würden sich Vorlieben und Abneigungen, Vorurteile und vorurteilsarme Einstellungen herauskristallisieren, es würden berufliche Stärken und auch Schwächen offenkundig, liebgewonnene Gewohnheiten kämen gleichzeitig auf einen kritischen Prüfstand und vor allem könnten sich gerade liebgewonnene Denk-/Handlungsmuster als entwicklungshinderliche Facetten herausstellen, die es im Hinblick auf das zu beobachtende Kind zu verändern gilt. Jeder Mensch hat dabei seine „rosarote Brille“ aufgesetzt, indem er unangenehme Beobachtungen/Erkenntnisse beschönigt und intrasubjektiv verstellt. Doch das entbindet ihn nicht von seiner Verpflichtung, sich dieser Herausforderung zuzuwenden. So könnten sich elementarpädagogische Fachkräfte beispielsweise folgende Fragen stellen:

1.) Was kann ich bei meinem Beobachtungswunsch des Kindes schwer aushalten bzw. was fällt mir leicht?

2.) Welche „Bilder“ habe ich zu dem Kind im Kopf und welche Vermutungen schränken meine Wahrnehmungsoffenheit bezüglich eines noch offenen Ergebnisses vielleicht ein?

3.) Wie schätze ich mein Beziehungsverhältnis zu dem Kind ein und welchen Einfluss könnte die Beziehung auf die Beobachtung/das Beobachtungsergebnis haben?

4.) Betrachte ich die Ausdrucksweisen des Kindes aus meiner eigenen Werte-/Normenwelt oder gelingt es mir, mich in die Biographie des Kindes einzudenken/einzufühlen?

5.) Bin ich eher darauf ausgerichtet, die Stärken des Kindes zu erfassen oder richte ich meine Aufmerksamkeit eher auf dessen Schwächen?

6.) Was könnten die Ausdrucksformen des Kindes mit meiner Person/der Qualität meiner Beziehung zum Kind/meiner pädagogischen Arbeit/den Rahmenbedingungen zu tun haben?

Grundsätze zur Durchführung und Auswertung erhobener Daten

Auch wenn die Beobachtung einzelner Kinder oder einer Gruppe im Mittelpunkt der gesamten Pädagogik steht und den Ausgangspunkt für kindorientierte Entwicklungsbegleitungen bildet, müssen sich Beobachter/innen selbst immer wieder bestimmter Grundsätze bewusst sein. Dazu hat Dr. Erika Kazemi-Veisari 10 Thesen aufgestellt, die in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind. (2005, S. 124 f.).

1. „Beim Be(ob)achten werden keine Fakten, sondern Botschaften wahrgenommen (gesehen, gehört, gefühlt, gedacht).“ Beobachtungen werden über unsere Wahrnehmungssinne registriert, und diese provozieren automatisch eigene Erinnerungen, eigene Vorlieben, eigene Abneigungen, eigene Ängste und Befürchtungen, eigene Glücksempfindungen oder eigene Abwehrmechanismen. Insofern sind es stets persönliche Bilder, die sich aus Fremdbeobachtungen und der eigenen Lebensbiographie zusammensetzen und ein Konglomerat aus persönlichen Einschätzungen und beobachteten Einzelfaktoren bilden.

2. „Be(ob)achtungen wählen aus; sie heben hervor, übersehen, deuten.“ Beobachtungen sind immer in ein vielfältiges Bild eingebunden, das durch Beobachtungsaufgaben in Einzelteile zerlegt wird. Gleichzeitig kann bzw. muss davon ausgegangen werden, dass Beobachter/innen schon im Vorwege ein bestimmtes „Ergebnisbild“ im Kopf haben und eine Bestätigung von Annahmen suchen. Solche Teilbilder können nur unvollständig sein und es besteht immer die Gefahr, dass nicht nur Situationsausschnitte ein Ergebnis verzerren, sondern auch vorgefertigte Antworten zu subjektiven Ergebnissen führen müssen.

3. „Be(ob)achtungen erfassen nur sichtbare und hörbare Aspekte; die Persönlichkeit des Kindes ist aber immer mehr als die Summe der beobachtbaren Teile.“ Jedes Verhalten eines Menschen ist zu jeder Zeit von zwei Einflussgrößen abhängig: der individuellen Persönlichkeit selbst und dem Umfeld. Bei allen Beobachtungen kann nur das registriert werden, was das Kind in einer Beobachtungssituation mit wem, wo und wie lange tut. Beobachtungen erfassen nicht (un)mittelbare Vorgeschehnisse, die aktuelle Grundstimmung des Kindes und seine Lebensgeschichte mit den entsprechenden verhaltensprägenden Erlebnissen, die zum Zeitpunkt der Beobachtung mit zum Ausdruck kommen.

4. „Die Art und Weise, wie Kinder sich ausdrücken, ist nicht unmittelbar zu verstehen.“ Die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten von Kindern – ihr Malen und Zeichnen, ihr Verhalten, ihre Motorik, ihre Sprache und ihr Sprechen, ihre Träume und ihr Spiel(en) – steckt voller Symbole (Metzinger, A.,2005; Hauch, G., 2004; Romberg-Asboth, I., 1999; Finger, G. & Simon-Wundt, T., 2003; Steinhausen, H.-Chr., 2004; Krenz, A., 2012). Beobachtungen ergeben zwar eine Bestandsaufnahme der kindeigenen Ausdrucksformen – sie lassen sich aber erst aus einem professionellen Verstehen begreifen. Dadurch ergeben sich häufig völlig andere Sichtweisen zum Kind und seinen offenbarten Ausdrucksmöglichkeiten.

5. „Be(ob)achtungen werden oft durchgeführt, weil Erwachsene ihre Probleme mit dem Kind lösen wollen.“ Bei allen Beobachtungen muss immer wieder die Frage im Vordergrund stehen, wer tatsächlich das Problem mit den vom Kind geäußerten Verhaltensweisen hat. In der Regel ist es so, dass die Probleme „im Kind liegend“ gesehen werden – vielleicht ist es aber eher so, dass Erwachsene Schwierigkeiten mit der Lautstärke des Kindes, seiner Lebendigkeit, seiner Offenheit, seiner Direktheit, seiner Neugierde, seinem kreativen Verhalten, seiner angemessenen Aggressivität haben.

6. „Be(ob)achtungen sind entscheidend geprägt von der Haltung, mit der sie durchgeführt werden. Beobachtungen unterliegen einer ethischen Verantwortung.“ Erfahrungen zeigen, dass die meisten Beobachtungen darauf ausgerichtet sind, „Defizite“ in bestimmten Entwicklungsbereichen von Kindern genauer zu erfassen, ohne vor allem Hintergründe sowohl im mittelbare Umfeld des Kindes (z.B. in der vergangenen bzw. gegenwärtigen Familiengeschichte) und insbesondere im unmittelbaren Einflussbereich (z.B. der Gruppenzusammensetzung, dem räumlichen Umfeld in der Einrichtung, der Hausatmosphäre, der Didaktik, dem pädagogischen Ansatz, der Erzieher/in selbst) zu suchen. So entscheidet die Sichtweise, die Einstellung der Fachkräfte über die Zielrichtung der Beobachtung und vor allem über die Frage, ob die gewählte Beobachtung vor allem einen lösungsorientierten oder festschreibenden Ausgangspunkt besitzt.

7. „Kinder reagieren auf Be(ob)achtungen; sie ‚richten sich darauf ein’, was sie als Beobachtete spüren.“ Beobachtungen finden nicht in einem „verdunkelten, versteckten“ Raum statt. Vielmehr registrieren Kinder sehr genau, dass Erwachsene Beobachtungen durchführen. Durch diese erlebte Aufmerksamkeit kann es passieren, dass sie ihr Verhalten ändern, was letztlich zu einem anderen Beobachtungsergebnis führen kann als bei einer Beobachtung, die von dem Kind nicht wahrgenommen werden würde.

8. „Be(ob)achtungen können nur zu Achtungen führen, wenn sie dialogisch sind. Sie werden nicht „am Kind“ durchgeführt, sondern sind eine Form der Kommunikation mit dem Kind.“ Beobachtungen stellen keine „Methode“ dar, um etwas „am Kind vorbei“ zu unternehmen. Vielmehr haben Kinder unter dem Aspekt von Wertschätzung und Achtung ein Recht darauf zu erfahren, warum, was und wozu entsprechende Beobachtungen angestellt werden sollen. Das hat in der Praxis drei Konsequenzen. Zum einen sollten Kinder um ihre Einverständniserklärung für die Datenerhebung gebeten werden, zum anderen ist es möglich, ihnen die Aufzeichnungen oder Ergebnisse mitzuteilen. Schließlich erhalten Kinder die Möglichkeit, ihre persönliche Einschätzung zu den Aufzeichnungen und Ergebnissen abzugeben.

9. „Auch Kinder be(ob)achten ständig und aufmerksam; auch sie deuten, was sie wahrnehmen.“ Kinder bewerten ihre Erlebnisse, ihre Erfahrungen und die Ereignisse um sie herum ebenso wie Erwachsene. Aus dieser Tatsache heraus leitet sich die Forderung ab, auch mit Kindern immer wieder über ihre Deutungen und Situationsinterpretationen ins Gespräch zu kommen.

10. „Aus Be(ob)achtungen lassen sich immer (!!) widersprüchliche und verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. Deshalb müssen Schlussfolgerungen kommuniziert werden.“ Beobachtungen laufen nicht in einer eindimensionalen Kausalität ab – sie geben lediglich Hinweise auf mögliche Korrelationen. Um sich selbst vor einseitigen oder vorschnellen „Wenn-dann-Aussagen“ zu schützen und vor allem auch die beobachteten Kinder nicht in persönlich geprägten Alltagstheorien einzubinden, sollten Beobachtungsergebnisse immer in einem Austausch mit anderen besprochen und kritisch reflektiert werden.

Die Gestaltung von Entwicklungsberichten und die aktive Durchführung einer Entwicklungsbegleitung

Damit die elementarpädagogischen Fachkräfte selbst und auch die Adressaten von Entwicklungsberichten (Eltern, Grundschulen, sozialpädagogische/psychologische Dienste, Fachpraxen, Kinderärzte) entsprechende kompetent verfasste Informationen erhalten, müssen alle Entwicklungsberichte fachlich korrekt strukturiert und inhaltlich klar aufgebaut sein.

Darüber hinaus bilden konkrete Beobachtungsergebnisse die Grundlage für aktive Entwicklungsbegleitungen, um den Kindern zu helfen, Stärken zu stärken und Schwächen zu schwächen.

Der Versuch, an dieser Stelle einen zumindest einigermaßen vollständigen Überblick über Aufbau und Struktur von Entwicklungsberichten und Gliederungshilfen für die Erstellung von Beurteilungen auf der Grundlage von gewonnenen Erkenntnissen aus Beobachtungen wiederzugeben, ist aufgrund der unüberschaubaren Vielfalt an Möglichkeiten und unterschiedlichen Herangehensweisen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Auf der einen Seite liegt es daran, dass die Merkmale und Schwerpunktsetzungen von Entwicklungsberichten und Beurteilungsbögen aufgrund der vielfältigen Fragestellungen sehr unterschiedlich gehalten sind, auf der anderen Seite ist festzustellen, dass sich auch im Laufe der Zeit die Schwerpunkte für Entwicklungsberichte und Beurteilungshilfen immer wieder verändert haben und sich auch heute noch in Veränderungen befinden. Dazu kommt, dass jede psychologische Richtung und jeder pädagogische Ansatz eigene, besondere Schwerpunkte setzt.

Eine in der Praxis vielbewährte Form zur Ersterfassung der unterschiedlichen Entwicklungsbereiche könnte in folgender Gliederung liegen:

a) Grobmotorik (Gleichgewichtsreaktionen; Körpergeschick; Situationsangepasstes Bewegungsverhalten),

b) Feinmotorik (Handgeschick; Zusammenspiel von Auge und Hand),

c) Emotionale Entwicklung (Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen; Einfühlungsvermögen; Frustrationstoleranz; Selbstbewusstsein),

d) Soziale Entwicklung (Kontaktfähigkeit; Hilfsbereitschaft; Konfliktbewältigung; Regelorientierung; Selbstständigkeit),

e) Sprachentwicklung (Freude am Sprechen, Lautbildung und Artikulation; Wortschatz; Satzbau und Grammatik; Inhalts- und Sprachverständnis),

f) Kognitive Entwicklung (Merkfähigkeit; Erfassung von Zahlen, Mengen und Größen; Abstraktes und logisches Denken),

g) Spiel- und Lernverhalten (Verschiedene Interessen; Kreativität; Ausdauer und Konzentration)

Neben vielen Beispielen für typische Verhaltensweisen sind die (elementar)pädagogischen Fachkräfte aufgefordert, kindbezogene Beobachtungen zu verschriftlichen, eine Beurteilung des Förderbedarfs vorzunehmen und bestimmte Maßnahmen zur Förderung aufzuführen.

Die Beobachtungsbögen zur Erfassung kindlichen Verhaltens und kindlicher Entwicklungen von Lueger (2005) gehen auf folgende fünf Schwerpunktbereiche ein:

1. Zunächst steht das äußere Erscheinen und der motorische Gesamteindruck im Vordergrund (Körperlicher Entwicklungsstand, körperliche Auffälligkeiten, Gepflegtheit, Gesundheitszustand & Leistungsfähigkeit, Körperbeherrschung, Grobmotorische Bewegungen, Feinmotorik, Körperkoordination, Psychomotorik).

    Es folgen Beobachtungskriterien zu den grundlegenden Bewegungsprinzipien und Bewegungsabläufen (Muskelspannung, Bewegungssicherheit, Bewegungsgleichgewicht, Bewegungselastizität, Bewegungskoordination, Bewegungsschnelligkeit, Bewegungskräfte, Reaktionsfähigkeit und Bewegungsabläufe), der Feinmotorik (Allgemeine Geschicklichkeiten im Spiel- und Arbeitsverhalten, Hand-Finger-Geschicklichkeit, Umgang mit Pinsel und Farbe, Visumotorische Geschicklichkeit und feinmotorische Koordination), Psychomotorik, Handlungsplanung und Steuerung (Soziale Kompetenz, Eigenaktivität, Körperschema, Motorische Überaktivität bzw. Gehemmtheit),

2. zur visuellen Wahrnehmung (Visumotorische Koordination, Figur-Grund-Wahrnehmung, Wahrnehmungskonstanz, Wahrnehmung der Raumlage und Wahrnehmung räumlicher Beziehungen), zur auditiven Wahrnehmung (Auditive Lokalisation, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Diskrimination, Figur-Grund-Wahrnehmung, auditiv-kinästhetische Koordination), zur vestibulären Wahrnehmung, zum taktil-kinästhetischen Bereich, Stellungssinn, Bewegungssinn, Kraftsinn, Spannungssinn und taktiles Differenzierungsvermögen, zur gustatorischen und olfaktorischen Wahrnehmung (= Geschmack und Geruch),

3. zum allgemeinen Sprachverhalten (Sprachliche Umgebung des Kindes, Sprachvorbild/er, Kommunikation mit Erwachsenen, der Erzieherin und mit anderen Kindern, Beteiligung des Kindes an Gesprächssituationen, Interesse an sprachlichen Aktivitäten, Begegnung des Kindes mit Schrift etc.) und den physiologischen Voraussetzungen, zur Gesprächsbereitschaft und zum Anweisungsverständnis, zur Sprachfähigkeit, zum Sprachgedächtnis, zur phonologischen Bewusstheit und zur Begegnung mit Symbolen und Schrift.

4. Schließlich geht es im Entwicklungsbereich „Denken“ um die differenzierte Wahrnehmung, das kausale Denken, die Art und Weise der Wissensaneignung, das Gedächtnis und um die Intelligenz sowie Problemlösung.

5. Der letzte Bereich befasst sich mit der Erfassung emotionaler und sozialer Kompetenzen. Auch hier sind zu allen Bereichen entsprechende Beispiele genannt und die Fachkräfte sind aufgefordert, aus einem Beobachtungszeitraum über vier Quartale entsprechende Ziele zu formulieren, Angebote zu entwickeln und Ergebnisse zu reflektieren.

Eine sehr umfangreiche Grundlage für Entwicklungs- und Beurteilungsberichte liefert Prof. Ledl von der Pädagogischen Akademie des Bundes in Wien (2003). Auch wenn er einen speziellen Bogen zum Schuleingangsbereich vorschlägt, kann die Struktur grundsätzlich auch auf ältere oder jüngere Kinder übertragen werden. Dabei entsprechen die 5 Strukturfelder exakt den Entwicklungsbereichen, die Dagmar Lueger ihren Beobachtungsbögen zur Erfassung kindlichen Verhaltens und kindlicher Entwicklungen zu Grunde legt:

1. Motorischer Bereich (Grobmotorik – allgemeine Geschicklichkeit, Bewegungssicherheit, Bewegungselastizität, Bewegungskoordination, Bewegungsschnelligkeit, Reaktionsfähigkeit, Visumotorische Koordination; Bewegungsgeschicklichkeit. Feinmotorik – allgemeine Geschicklichkeit, Hand-Finger-Geschicklichkeit, feinmotorische Koordination. Handlungsplanung und Handlungssteuerung – Körperschema, Raumlage, bilaterale Koordination, Überkreuzung der Körpermitte, motorische Aktivität, ausgewogene Lateralität, Seitigkeitsprüfung.);

2. Wahrnehmungsbereich: a) visuelle Wahrnehmung, b) auditive Wahrnehmung, c) taktil-kinästhetische Wahrnehmung, d) Gleichgewichtswahrnehmung, e) Mnestische Funktionen (=Aufmerksamkeit und Konzentration);

3. Sprachlicher Bereich: a) Gesprächsbereitschaft, b) Anweisungsverständnis, c) Sprachfähigkeit, d) Sprachgedächtnis, e) Auffälligkeiten in der Sprache;

4. Kognitiver Bereich: a) Kurz- und Langzeitgedächtnis,
b) Produktives und rechnerisches Denken;

5. Sozial-emotionaler Bereich: a) emotionale Stabilität, psychische Verfassung, Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl; b) Sozialverhalten (Kontaktverhalten, Kooperations- und Konfliktverhalten, Selbstkontrolle und Regelbewusstsein); c) Lern- und Arbeitsverhalten (Lernbereitschaft, Arbeitshaltung, Selbstständigkeit).

Der „Beobachtungsbogen zur Erfassung von Entwicklungsrückständen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindergartenkindern“ (Mayr, 1998) soll die Früherkennung besonderer Schwierigkeiten erleichtern und Fachkräften dabei behilflich sein, Alltagsbeobachtungen festzuhalten, zu strukturieren und als Hinweis für Hilfsangebote, Gesprächsgrundlage mit Kolleginnen, Eltern oder Fachdiensten dienen. Die Höhe der Ausprägung eines Problems kann dabei in drei Stufen skizziert werden (unauffällig, leicht ausgeprägt und stark ausgeprägt) und eigene Beispiele, Beschreibungen und Anmerkungen sollen eine möglichst genaue Faktenabbildung wiedergeben.

Im Einzelnen geht es um die 5 folgenden Bereiche:

a) Sprache und Sprechen (Lautbildung, Satzbau, Grammatik, Stimme, Atmung, Redefluss, Kommunikation, altersgemäße Sprache, Sprachverständnis, Mundmotorik),

b) Kognitive Entwicklung (ordnen & unterscheiden, Merkfähigkeit & Gedächtnis, Auffassungsgabe & logisches Denken, Ideenreichtum & Kreativität),

c) Wahrnehmung und Orientierung (visueller, auditiver, taktil-kinästhetischer Bereich), Motorik (Grobmotorik, Krafteinsatz, Feinmotorik),

d) Verhalten (Aggression in der Gruppe, Aggression im Kontakt mit der Erzieherin, Schüchternheit & Hemmung, Distanzlosigkeit, Angst vor Nähe, Überempfindlichkeit, motorische Unruhe, Aufmerksamkeit, Konzentration & Ausdauer, Arbeitsverhalten, Selbstständigkeit, Soziale Kontakte & Stellung in der Gruppe),

e) Einzelsymptome, Gesundheit & körperlicher Zustand sowie familiäre und psychosoziale Belastungen.

Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Verfahren ist es auch möglich, Entwicklungsberichte oder Beurteilungen frei von bestimmten Entwicklungsbereichen zu formulieren. So schlägt Strätz (2005) in Ausrichtung auf den Vorschlag des Caritasverbandes für die Diözese Münster e.V. (Referat Tageseinrichtungen für Kinder, 2004) folgenden Aufbau einer persönlichen Dokumentation über alle Kinder in der Gruppe vor und dabei sieht er es als hilfreich an, durch Impulsfragen und freie Formulierungen zu aussagekräftigen Beschreibungen zu kommen:

1. Welche Stärken und individuellen Talente oder Vorlieben hat das Kind? (Bezogen z.B. auf Bewegungsfähigkeit, Sprachkompetenz/Ausdrucksfähigkeit/Kommunikationsfähigkeit, Spielverhalten, Gestalten/Kreativität/Fantasie, Umgang mit Medien, Erschließung von Lebenswelten/Natur und kultureller Umwelt, soziale Kompetenzen …);

2. Persönlichkeitsentwicklung des Kindes (z.B. Selbstständigkeit, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, Ausgeglichenheit, Emotionalität, Empathie …);

3. Engagiertheit des Kindes (Womit beschäftigt sich das Kind besonders gern? Wie intensiv, engagiert und konzentriert geht es dieser Beschäftigung nach? Welche Themen/Anliegen sind für das Kind besonders wichtig? Welches Spiel oder welche Aktivitäten bevorzugt das Kind? Wie ist das individuelle Lerntempo des Kindes?)

4. Wie setzt das Kind seine eigenen Selbstbildungspotenziale im Bildungsprozess ein? (z.B. Wahrnehmungsfähigkeit, innere Verarbeitung durch Eigenkonstruktion, Fantasie, durch sprachliches und naturwissenschaftlich-mathematisches Denken, Fähigkeit zum sozialen Austausch, Umgang mit Komplexität und Lernen in Sinnzusammenhängen, Neugierde/forschendes Lernen/individuelle Lernstrategien …);

5. In welchem Bereich/welchen Bereichen seines individuellen Lernweges benötigt das Kind Unterstützung, Anregung, Förderung oder Freiräume? (Hinsichtlich der Bildungsbereiche/der individuellen Selbstbildungspotenziale des Kindes);

6. Welche pädagogischen Handlungsstrategien ergeben sich auf der Grundlage der aktuellen Beobachtung für das Kind? (z.B. individuelle Förderangebote, Gruppensituation, Beratungsgespräche mit Eltern, Reflexion im Team).

Neben diesen Aufzeichnungen folgen Fragen zur Selbstreflexion: Was berührt mich bei dem Kind? Welche Erwartungshaltung habe ich dem Kind gegenüber? Wodurch löst es bei mir Zuwendungs- oder Abwehrverhalten aus? Was hat dieses Erleben mit meiner eigenen Biografie zu tun? Was will mir das Kind mit seinem Verhalten sagen? An welchen Punkten hat sich meine Wahrnehmung und Einschätzung des Kindes unter Berücksichtigung meiner Selbstreflexion verändert? Was hat sich im Vergleich zur letzten Beobachtung verändert? Mit welcher Einstellung und Haltung führe ich das Gespräch mit den Eltern zu den Inhalten und Ergebnissen der Beobachtung? Wurde dies vorab im kollegialen Austausch im Team oder im Gespräch mit der Leitung zur Sicherung möglichst hoher Objektivität beraten?

Denkbar wäre aber auch ein Beobachtungsraster, bei dem die 9 Entwicklungsbereiche eines Kindes als Ausgangspunkt angesetzt und vielfältige, unterschiedliche Beobachtungen mit Beispielen beschrieben (und damit dokumentiert) werden (Sprache/Sprechen; kognitive Intelligenz; Denken, kognitive Kompetenz, Fantasie; Kommunikationsverhalten, Soziabilität; Gefühle, emotionale Intelligenz; Werte, Umgangskultur; Motorik, Selbstständigkeit; Interessen, Spiel, Freizeitverhalten; Neugierde, Lernverhalten). Auch wenn diese 9 Entwicklungsbereiche als einzelne Schwerpunktfelder aufgeführt sind, so ist in der entwicklungspsychologischen Forschung bekannt, dass alle Entwicklungsbereiche miteinander verzahnt (=vernetzt) sind. Das heißt: Selbstverständlich ist es möglich, spezifische Beobachtungen einzelnen Bereichen zuzuordnen. Gleichzeitig gilt es aber auch als eine Selbstverständlichkeit, im Nachhinein Vernetzungen herzustellen, weil zwischen den Entwicklungsbereichen gegenseitige Abhängigkeiten bestehen. So beispielsweise zwischen emotionalen Kompetenzen und kognitiven Leistungen, sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und der motorischen Entwicklung, der Sprachkompetenz und dem Spielverhalten, dem umgangskulturellen Verhalten und der sozialen Kompetenz, der emotionalen Intelligenz und dem Lernverhalten… Wer daher um diese Interdependenzen weiß, wird nicht überrascht sein feststellen zu können, dass Entwicklungsunterstützungen in einem Entwicklungsfeld (z.B. der Werteentwicklung) direkte Auswirkungen auf einen anderen Entwicklungsbereich haben können (in diesem Fall z.B. auf den sozialen Bereich). In umgekehrter Betrachtung kann es aber auch bedeuten, dass direkte, gezielte Entwicklungsförderungen (z.B. im sprachlichen Bereich) keine nachhaltigen Auswirkungen nach sich ziehen müssen, wenn beispielsweise Neugierde, Lernfreude und Lernmotivation nicht gleichzeitig in einem Entwicklungsvorgang provoziert wurden. Die (Un)Wirksamkeit von „Fördermaßnahmen“ bekommt dadurch ihren Sinn und liefert gleichzeitig eine stimmige Begründung.

Schließlich schlägt Thomas Denning (2007) eine Aufbaustruktur für Beobachtungs- und Entwicklungsdokumentationen vor, aus der an dieser Stelle einige Beispiele in Stichworten genannt seien:

a) Selbstständigkeit/Vertrauen (Lösung von Bezugspersonen; selbstständiges An- und Ausziehen; sicheres Verhalten in der Einrichtung; Ausprobieren von neuen Tätigkeiten; selbstständige Beschäftigung …)

b) Soziales Lernen (Spiel mit anderen Kindern; Akzeptanz von Spielregeln; Pflege von Freundschaften; Äußerung von Bedürfnissen; Ausdruck von Gefühlen; Konfliktlösekompetenz; Kooperationsverhalten …)

c) Spielverhalten (kann sowohl alleine als auch mit anderen Kindern spielen; kann bei einem Spiel bleiben; beherrscht unterschiedliche Spielformen; nutzt die Vielfalt der Spielmaterialien …)

d) Lebenspraxis (versorgt sich selbstständig mit Speisen; beachtet Tisch- und allgemeine Umgangsregeln; kann sich angemessen bei Unter-/Überforderungen zur Wehr setzen …)

e) Motorik (kann balancieren, hüpfen, springen, klettern, laufen; beherrscht einige Ballspiele; kann mit dem Roller, Dreirad, Fahrrad fahren; kann einen Stift entspannt halten und Gedanken in gemalte Bilder umsetzen; kann Perlen etc. auffädeln …)

f) Wahrnehmung (erkennt und unterscheidet akustische Signale, Formen, Farben; kann sich gezielt konzentrieren; kann eigene und fremde Bedürfnisse erkennen …)

g) Kognition (kann Handlungsschritte aufeinander aufbauend umsetzen; besitzt eine Merkfähigkeit; beendet begonnene Tätigkeiten; erkennt Kausalzusammenhänge; entwickelt eigene Ideen; kennt Größen- und Mengenbegriffe; erkennt Regeln; ist lernbegierig und probiert Neues aus…)

h) Sprache (beherrscht die Muttersprache vollständig; zeigt in unterschiedlichen Situationen eine Sprechbereitschaft; ist sprechsicher; erzählt von Erlebnissen und Erfahrungen; drückt Sprechfreude aus; kommuniziert mit anderen Kindern und Erwachsenen; hat eine deutliche Aussprache; bildet vollständige Sätze; formuliert die Sätze grammatikalisch richtig; hat einen altersgemäßen Wortschatz …)

i) Emotion (besitzt sowohl Frustrationstoleranz als auch eine Frustrationsgrenze; bringt seine aktuelle Befindlichkeit zum Ausdruck; besitzt Empathie; kann eigene Wünsche und Vorstellungen auch einmal zurückstellen …)

Es gilt festzuhalten, dass es aufgrund der jeweils besonderen Fragestellungen und der unterschiedlichen Zielsetzungen für Entwicklungsberichte und Beurteilungen keine eindeutige „Empfehlung für das ‚richtige’ oder ‚beste’ Verfahren“ geben kann (vgl. Rohrmann, 1996, S. 59). Vielmehr ergibt sich die Entscheidung durch die genaue Aufgabenstellung selbst und die damit verbundenen, besonderen Merkmale, die für die aufgeworfene Fragestellung besonders hilfreich zu sein scheinen und die für den Entwicklungsbericht bzw. die Beurteilung die größte Aussagekraft besitzen. Dabei kann jeder Aufbau und jede Struktur einer bestehenden Arbeitshilfe auch durch eigene Kriterien erweitert werden.

krenz elementarpaedagogik

Diesen Artikel haben wir folgendem Buch entnommen:
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik
Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln

Krenz, Armin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548029
200 Seiten, 24,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de

Literatur

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2008): Frühe Bildung beobachten und dokumentieren. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung

Denning, Thomas (2007): Schritt für Schritt zur eigenen Beobachtung und Dokumentation. Praxisbeispiele, Entscheidungshilfen, Anregungen und Musterbögen. Troisdorf: Bildungsverlag EINS

Gartinger, Silvia (2009): Früheste Beobachtung und Dokumentation. Bildungsarbeit mit Kleinstkindern. Troisdorf: Bildungsverlag EINS

Held, Nina (2010): Spielanlässe zur Erstellung von Bildungsdokumentationen. Spielerische Angebote für gezieltes Beobachten und Dokumentieren in der Kita. Münster: Ökotopia Verlag

Kazemi-Veisari, Erika: (2005) Von der Beobachtung zur Achtung. In: KiTa aktuell ND, Heft Nr. 6/2005

Krenz, A (2009): Beobachtung und Entwicklungsdokumentation im Elementarbereich. München: Olzog Verlag

Krenz, A. (2001): Qualitätssicherung in Kindertagesstätten. München, Reinhardt

Mayr, Toni + Ulich, Michaela (1998): BEK – Beobachtungsbogen zur Erfassung von Entwicklungsrückständen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindergartenkindern. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik

Rohrmann, Tim (1996): Beobachtungsverfahren und Befragungsmöglichkeiten von Kindern im Kleinkindalter. Eine Expertise im Rahmen des Projekts „Konfliktverhalten von Kindern in Kindertagesstätten“ des Deutschen Jugendinstituts München: München, DJI

Strätz, R. und Demandewitz, H. (2003): Beobachten. Anregungen für Erzieherinnen im Kindergarten. Weinheim: Beltz




Elterngespräche in der Krippe führen

Typische Konfliktpunkte und praktische Lösungsansätze für eine gelungene Kommunikation

„Wann sind denn die nächsten Termine für Elterngespräche?“ fragt eine Mutter. Meike Hosbach, Leiterin der Kindertagessätte in Diemarden, zu der auch drei Krippengruppen gehören, ist überrascht. Erst vor zehn Minuten hat sie das Kalendarium mit den Sprechzeiten ausgehängt – und schon sind alle Termine belegt. „Die Eltern sind heute sehr stark an der Entwicklung ihrer Kinder interessiert. Sie wollen wissen: wie geht es meinem Kind, fühlt es sich wohl, ist es genau so weit wie alle anderen?“, meint Hosbach. Dahinter stecke die meist unausgesprochene Frage: „Muss ich mir Sorgen um mein Kind machen?“

Über jeden Schritt des Kindes informiert sein?

Verstehen kann das wohl jeder Vater und jede Mutter. Schließlich geben die Eltern ihr Liebstes an eine ihnen in der Regel unbekannte Person ab. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss! Kein Wunder, dass sie möglichst laufend über jeden noch so kleinen Schritt ihres Kindes informiert sein wollen. Und das nicht nur zwischen Tür und Angel, sondern auch in ausführlichen Gesprächen. „In der Eingewöhnungszeit bieten wir monatlich Elterngespräche an, bei Bedarf selbstverständlich häufiger. Für die älteren Kinder pendelt sich die Frequenz bei ein- bis zweimal im Jahr ein“, so Hosbach. „Mehr schaffen wir in unserer Arbeitszeit nicht.“

Selbstverständlich versteht sie, dass manche Eltern einfach ein offenes Ohr brauchen, über ihren immer noch neuen und sich immer wieder verändernden Tagesablauf mit dem Kind reden wollen, dass sie sich im Gespräch über Entwicklung und Erziehung klar werden wollen. „Aber wir sind keine Erziehungs- oder gar Lebensberatungsstelle. Wir sind Fachpersonen für die Betreuung von Kleinkindern.“

Mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder bis drei Jahre sei natürlich auch die Nachfrage gewachsen, so der Diplom-Pädagoge und Diplom-Supervisor Hans-Joachim Rohnke aus Grebenhain bei Fulda. Seit vielen Jahren berät er Kita- und Krippenteams in ganz Deutschland. „Die gesellschaftliche Akzeptanz für die öffentliche Erziehung der ganz Kleinen ist inzwischen sehr hoch. In den Metropolen haben wir für Kinder bis drei Jahre eine Betreuungsquote von zum Teil über 60 Prozent.“

Bindung und Beziehung ermöglichen

Den Eltern sei vor allem die „personelle Betreuungskontinuität“ wichtig. Denn sie wissen: Bindung und Beziehung sind in den ersten Lebensjahren der Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung. Beziehung kann aber nur sicher und dauerhaft aufgebaut werden, wenn in den Einrichtungen genügend nicht befristete Vollzeitkräfte für die Betreuung der Ganztagskinder vorhanden sind. „Nur so kann gewährleistet werden, dass die Kinder einen ständigen Ansprechpartner haben“, so Rohnke. Und den brauchen sie permanent, denn sie pendeln ständig zwischen dem Entdecken der Welt und der Sicherheit, die eine ihnen vertraute Person geben kann.

Daher arbeiten die meisten Krippen mit dem Bezugskindermodell. Diese Erzieherin ist auch die richtige Ansprechperson für ein Elterngespräch. Viele Einrichtungen sind inzwischen dazu übergegangen, Elterngespräche nur noch zu zweit zu führen. „Eine zweite Person kann die Sicht auf das Kind erweitern, kann Beobachtungen bestätigen, kann andere Aspekte einbringen“, so Hosbach. Wichtig sei aber auch: In einem Gespräch mit zwei Erzieherinnen eskaliert ein möglicher Konflikt nicht so schnell.

Konfliktpunkt: Eingewöhnung

Ein klassischer Konflikt ist laut Rohnke die Dauer der Eingewöhnung. Die meisten Krippen arbeiten nach dem Berliner Modell, das eine Phase von bis zu sechs Wochen vorsieht, bis das Kind allein in der Krippe bleibt. „Eltern sollten diese Zeit ihren Kindern schenken“, meint Rohnke, „schließlich handelt es sich um eine Schlüsselsituation für die Kleinen, in der sie zum ersten Mal in ihrem Leben von Mama, Papa oder andere Personen längere Zeit getrennt sind“. Immer wieder gebe es jedoch Eltern, die das nicht einsehen, oder die sich ihrem Arbeitgeber sehr stark verpflichtet fühlen. Doch gelinge die Eingewöhnung, gebe es viermal weniger Krankheitsfälle bei den Kindern und ebensoviel weniger Rückfälle wie ständiges Klammern, Weinen und Sich-nicht-beruhigen-lassen. „Das führt auch zu Fehlzeiten bei den Eltern und zu schlechteren Arbeitsergebnissen, da Väter und Mütter dann gedanklich nicht voll bei der Sache sind“, so Rohnke.

Das Modell der Eingewöhnung und wie es praktisch gehandhabt wird ist Teil des pädagogischen Konzeptes der Krippe. Das haben alle Eltern ausgehändigt bekommen, es wurde mit ihnen besprochen. Es ist die Grundlage des Betreuungsvertrages. „Das Prinzip ist die Erziehungspartnerschaft, nicht das Abgeben des Kindes“, sagt Rohnke. Und was Eingewöhnung für das Kind bedeutet, muss dann im Elterngespräch immer wieder erläutert werden: Eingewöhnung kann nur gelingen, wenn das Kind es will. Dazu braucht es die Sicherheit, dass Mama oder Papa da sind. Dass sie erst gehen, wenn das Kind dazu bereit ist. Dass die Eltern zeigen, dass sie Vertrauen zur Erzieherin haben. Dass sie ihr das Kind übergeben, es weder festhalten, noch wegstoßen. Auf Seiten der Einrichtung, dass es eine anregungsreiche Umgebung gibt, die dem Kind viele neue Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten bietet: Materialien, Spielangebote, andere Kinder. Und das braucht eben Zeit! Sechs Wochen sind in manchen Fällen dafür nicht zu viel.

Das Konzept ist dazu da, dass Eltern sich damit auseinandersetzen und schauen können, ob es ihnen für die weitere Entwicklung ihres Kindes zusagt oder nicht. „Wenn es da grundsätzliche Differenzen gibt, müssen sie nötigenfalls eine andere Einrichtung wählen“, sagt Rohnke.

Konfliktpunkt: Bildungsverständnis

Ein weiterer grundsätzlicher Konfliktpunkt ist oft das Bildungsverständnis. Bildung – da denken die meisten Menschen an Schule. Bücher lesen. Kognitiv Wissen aufnehmen und wiedergeben. Etwas erklärt bekommen und daraufhin verstehen. Für Kinder bis Drei ist ein solches Bildungskonzept nicht hilfreich. „In diesem Alter ist es nicht kindgerecht,  mit von der Schule entlehnten Programmen zu arbeiten und Kulturtechniken einzuüben“, so Rohnke. Viel wichtiger ist das Vorbildverhalten der Erwachsenen und anderer Kinder.

Daran entzünden sich auch immer wiederkehrende Alltagskonflikte mit Eltern. „Warum braucht ihr denn so lange für das Wickeln und Händewaschen?“, werde sie oft gefragt, berichtet Hosbach. Die Antwort: Weil Pflege in diesem Alter Bildung ist. Ganzheitliche Bildung im besten Sinne. Sie bittet das Kind um sein Einverständnis, wenn sie es wickeln will. Das braucht Feinfühligkeit und ein gutes Beobachten kleiner Nuancen von Gesten, schließlich können sich die wenigsten Wickelkinder verbal klar äußern. Das Kind lernt dabei: ich werde respektiert. Ich bin etwas wert. Niemand darf einfach über mich bestimmen! Sie spricht mit dem Kind, beschreibt, was sie tut, geht dabei auf seine Äußerungen, Gesten und Bewegungen ein. Kälte, Wärme, die sensitive Wahrnehmung auf der Haut, erste selbstständige Drehbewegungen auf dem Wickeltisch als zielgerichtete Handlungen – das sind Bildungserfahrungen, die grundlegend wichtig sind und absolut altersentsprechend.

„Ein eineinhalbjähriges Kind erreicht es nicht, wenn ich ihm eintrichtern will, dass sein Strampler rosa und sein Mützchen blau ist“, sagt Hosbach. Das ist erst im Kindergarten angebracht. Genau das sei aber wichtig, den Eltern zu erklären. Schließlich kann niemand erwarten, dass Mütter und Väter Expertinnen in Sachen Entwicklungspsychologie sind. Solche Erklärungen zeigen, dass die Erzieherinnen kompetent sind, dass sie wissen, was sie mit den Kindern machen. Dass sie gut beobachten und nicht nur einfach herumsitzen und die Kinder sich selbst überlassen. Dass die Kinder gut bei ihnen aufgehoben sind. Und dass sie bereit sind, sich und ihre Pädagogik zu hinterfragen. „Das ist eine wesentliche Grundlage für ein gutes Elterngespräch“, meint Hosbach, „die eigene Kompetenz zeigen und die Eltern in ihren Fragen und Beobachtungen ernst nehmen.“ Und es muss deutlich werden: Die Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Krippe kann durchaus anders sein als in der Familie. Sie ist nicht besser und nicht schlechter, aber genauso wertvoll.

Konfliktpunkt: Mein Kind und die Gruppe

„Lisa isst morgens um 8 Uhr und schläft um 11. Sonst ist sie mir abends zu lange wach.“ Solche Äußerungen von Eltern hört Meike Hosbach immer wieder. Gemeint sind sie als Aufforderung, diesen Vorgaben zu folgen. Klar ist: Die Erzieherin gehört nicht zum Hauspersonal der Familie. Sie empfängt keine mütterlichen Weisungen und führt sie aus. Sie ist Fachfrau für frühkindliche Pädagogik, ihr Arbeitgeber ist der Träger der Kita. Gebunden ist sie an das pädagogische Konzept, auf dessen Grundlage das Jugendamt die Betriebsgenehmigung erteilt hat. Und das ist die Basis für die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern.

Im Gespräch über Ess- und Schlafgewohnheiten wird deutlich, dass die Erzieherin Lisa sehr genau beobachtet. Dass sie die Anzeichen für Müdigkeit erkennt. „Wir gehen nach Möglichkeit auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein“, sagt Hosbach. Allerdings sind die in der Gruppe sehr verschieden, was auch am unterschiedlichen Alter der Kinder liegt. „Dann kann sich nicht immer eine Erzieherin zehn Minuten Zeit nehmen, um ein Kind allein zum Schlafen zu bringen, insbesondere, wenn die anderen gerade ein großes Bewegungsbedürfnis haben oder raus gehen wollen.“ Selbstverständlich gibt es aber Ruhemöglichkeiten, die die Kinder selbstständig aufsuchen können. Dass Lisa in ihren Bedürfnissen gesehen wird, war der Mutter im Gespräch sehr wichtig. Dass eine Notwendigkeit besteht, sich den Rhythmen der Gruppe anzupassen, wollte sie nur schwer einsehen. „Aber auch das ist eine Entwicklungsaufgabe für Kinder“, meint Hosbach, „zu erkennen, wie eigene Bedürfnisse und Gruppenbedürfnisse ausgehandelt werden.“ Der respektvolle Umgang der Erzieherinnen mit den Kindern ist hierfür Basis und Modell.

Das gilt selbstverständlich auch für die Beziehung zwischen Eltern und Erzieherin. Sind sie in der Lage, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten und Konflikte auszutragen, sind sie hierin ein Modell für die Kinder. Schwelen Konflikte längere Zeit, spüren die Kinder die Missstimmung und geraten schlimmstenfalls in Loyalitätsprobleme. Denn dass es allen Personen, die für sie wichtig sind, gut geht und dass alle miteinander auskommen – das wollen alle Kinder.

Ralf Ruhl

Nutzen Sie auch den Leitfaden für Elterngespräche. Diesen können Sie hier downloaden.