Klimawandel begreifen und gemeinsam handeln

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Fortbildung für Kinder und pädagogische Fachkräfte soll Kompetenz schaffen

Wenn Kinder fragen, wo im Winter der Schnee bleibt oder warum der See hinter der Kita fast ausgetrocknet ist, dann suchen Pädagoginnen und Pädagogen oft nach der richtigen Antwort. Wo sollen sie anfangen? Wie können sie mit Kindern über den Klimawandel sprechen, ohne sie zu überfordern? Hier setzt die Fortbildung der Stiftung Kinder forschen an. Sie soll Pädagoginnen und Pädagogen einen Einstieg ins Thema bieten und zeigen, dass Veränderungen im Kleinen und direkt in ihren Einrichtungen beginnen können.

Über den Klimawandel sprechen

Die Frage, wie pädagogische Fachkräfte mit Kindern über den Klimawandel sprechen können, greift die Fortbildung auf. Sie soll sich am Alltag der Kinder orientieren. Dies erklärt die Stiftung anhand eines Beispiels: „Wenn Kinder merken, dass es dem Hund im Sommer zu warm ist, Vögel kein Futter finden oder ihr Lieblingsbaum seine Blätter verliert, machen sie sich oft Sorgen und wollen helfen.“ Die Pädagoginnen und Pädagogen sollen lernen, die Gefühle der Kinder aufzugreifen und gemeinsam mit ihnen Klimaschutz zu gestalten. Sie erfahren auch, wie sie in ihren Einrichtungen besser mit Starkregen und Hitze umgehen können, und was sie für ihre pädagogische Arbeit aus der Tierwelt lernen können.

Kitas zu Lernorten für nachhaltiges Handeln machen

Die neue Fortbildung ist ein weiterer Schritt, mit dem die Stiftung Kinder forschen dazu beitragen will, dass Kitas, Horte und Grundschulen zu Orten werden, an denen Kinder Antworten auf ihre Fragen finden und auf künftige Herausforderungen vorbereitet werden. „Was macht der Schneehase ohne Schnee? Klimawandel begreifen, gemeinsam handeln“ ist im Rahmen des Projekts Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) entstanden, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Ziel des Projekts ist es, Kitas, Horte und Grundschulen dabei zu unterstützen, zu Lernorten für nachhaltiges Handeln zu werden. Denn wo beginnt die Zukunft, wenn nicht in der Kita? Unter stkf.site/fortbildung-klimawandel finden Pädagoginnen und Pädagogen mehr Infos zur neuen Fortbildung und Buchung. 

Quelle: Mitteilung Stiftung Kinder forschen




Familien mit niedrigem Bildungsstand sind anfälliger für Übergewicht

Ulmer Studie belegt Zusammenhang von Elternhaus und kindlicher Adipositas

Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsstand sind anfälliger für Übergewicht. Auch ein geringes Haushaltseinkommen und Migrationshintergrund spielen eine Rolle. Zu diesem Ergebnis kamen Forschende um Professor Jürgen M. Steinacker und Dr. Susanne Kobel von der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin des Ulmer Universitätsklinikums. Ihrer aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Archives of Public Health zufolge steigt das Risiko für Übergewicht ebenfalls bei Kindern, wenn Mütter und Väter zu viel auf die Waage bringen – auch weil das Gewicht der Kinder von den Eltern falsch eingeschätzt wird.

Gesundheitsgerechtigkeit für Kinder

„Gesundheitsgerechtigkeit ist ein wichtiges Ziel von Forschung und Politik“, erklärt Professor Jürgen M. Steinacker. Der Mediziner, der bis Ende September 2023 am Universitätsklinikum Ulm die Sektion für Sport- und Rehabilitationsmedizin geleitet hat, engagiert sich seit vielen Jahren für die Gesundheit von Kindern. „Denn globale Ungleichheiten, Kriege, die Globalisierung, erzwungene Migration und Klimawandel sind Probleme, die auch das Recht von Kindern auf optimale Gesundheit und Entwicklung verletzen.“ Da es solche Ungerechtigkeiten nicht nur auf globaler und nationaler, sondern auch auf lokaler Ebene gibt, nahm sein Team das Problem in Baden-Württemberg unter die Lupe.

„Komm mit in das gesunde Boot“

Die Untersuchung „Beyond correlates: the social gradient in childhood overweight“ basiert auf einer Evaluation des Gesundheitsförderprogramms „Komm mit in das gesunde Boot“ der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin des Universitätsklinikums. Finanziert von der Baden-Württemberg Stiftung hat es zum Ziel, in Schulen und Kindergärten auf spielerische Art Freude an Bewegung und gesunder Ernährung zu wecken. Knapp 1 000 Drei- bis Sechsjährige in beteiligten Kindergärten in Baden-Württemberg waren für die Evaluation untersucht worden. Während Größe und Gewicht der Kinder direkt in den Kindergärten gemessen wurde, erfasste man Bildungsstand, Einkommen und etwa das Gewicht von Vätern und Müttern per Elternfragebogen.

Unterschiede zwischen Einschätzung und Realität

In der Studie wurde untersucht, inwieweit Eltern das Gewicht ihrer Kinder korrekt einschätzen und ob dies das Gewicht des Nachwuchses beeinflusst. Zudem wurde analysiert, in welcher Beziehung der Grad der Fehleinschätzung mit sozialen Faktoren wie Einkommen, Bildung, Migrationshintergrund sowie dem Körpergewicht der Eltern steht. Dazu wurden die Daten des Gesundheitsförderprogramms per Querschnittsanalyse untersucht und miteinander in Beziehung gesetzt. Mithilfe statistischer Methoden wurden Abweichungen zwischen dem objektiv gemessenen Gewicht von Kindern und der Einschätzung durch ihre Eltern, aber auch zwischen einzelnen soziodemographischen Gruppen aufgedeckt.

Der Bildungsstatus der Eltern ist entscheidend

Die Ergebnisse: „Zum einen sind Kinder häufiger übergewichtig, wenn sie in einer Familie mit geringem Haushaltseinkommen oder Migrationshintergrund aufwachsen oder ein Elternteil selbst Übergewicht hat“, so die Sportwissenschaftlerin Dr. Susanne Kobel. „Noch entscheidender scheint jedoch der Bildungsstatus der Eltern zu sein. Gesundheitsbezogene Risiken treten insbesondere in Familien mit niedrigem Bildungshintergrund auf, und das schon bei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren.“

Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss waren doppelt so oft übergewichtig wie diejenigen von Akademikerinnen und Akademikern. Dabei machte es keinen Unterschied, ob beide Elternteile über einen Hochschulabschluss verfügten oder nur einer. Wie die Erstautorin der Studie, Dr. Lina Hermeling, hinzufügt, scheint zudem die korrekte Einstufung des Gewichtsstatus der Kinder durch ihre Eltern von entscheidender Bedeutung für deren Gesundheit zu sein. „Wenn eine Mutter oder ein Vater selbst übergewichtig ist, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung besonders hoch“, so Hermeling, die zur Zeit der Studie der Präventionseinrichtung der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin angehörte.

Gesundheitsgerechtigkeit durch Bildung

„Bildung – nicht in Bezug auf Gesundheit, sondern ganz allgemein – scheint bei der Prävention von Übergewicht eine enorme Rolle zu spielen“, so Jürgen M. Steinacker. „Dies sollte in politischen Leitlinien zur Gesundheitsgerechtigkeit unbedingt berücksichtigt werden.“ Das Programm „Komm in das gesunde Boot“ haben die Forschenden in Reaktion auf die Studie bereits angepasst: Während man bislang ausschließlich Lehrkräfte und Erziehende mit Materialien und Fortbildungen unterstützte, um das Bewegungs-, Ernährungs- und Freizeitverhalten von Kindern positiv zu beeinflussen, bietet das Programm nun auch Online-Elternabende (www.gesundes-boot.de) an. Mütter und Väter können sich dabei direkt beim Team des Universitätsklinikums darüber informieren, wie ihre Familien einen aktiven und gesunden Lebensstil führen können.

Originalpublikation:

Hermeling, L., Kobel, S., Steinacker, J.M. (2024). Beyond correlates: the social gradient in childhood overweight. Archives of Public Health. https://archpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13690-023-01232-x

Anja Burkel




Lehrkräftemangel an Grundschulen bald überwunden?

Berechnungen der Bertelsmann Stiftung sagen Entspannung an Grundschulen voraus

Seit Jahren leiden die Grundschulen in Deutschland unter dem Mangel an Lehrkräften, doch einer neuen Prognose zufolge wird sich dieser Trend bis Mitte des Jahrzehnts umkehren. Wie der Bildungsforscher Klaus Klemm gemeinsam mit dem Bildungsexperten der Bertelsmann Stiftung, Dirk Zorn, berechnete, dürften von 2023 bis 2035 insgesamt rund 96.250 fertig ausgebildete Lehrkräfte fürs Grundschullehramt zur Verfügung stehen. Der Bedarf an neuen Einstellungen im selben Zeitraum wird jedoch voraussichtlich nur etwas mehr als 50.000 Personen umfassen. Bis zum Jahr 2035 werden also zusammengenommen 45.800 Grundschullehrer:innen mehr bereitstehen, als erforderlich wären, um den Unterricht abzudecken. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte in ihrer Prognose aus dem vergangenen Monat noch einen Gesamtüberschuss von nur 6.300 Absolvent:innen ermittelt.

Verantwortlich für diese Abweichung ist die Trendwende in der demografischen Entwicklung: Während 2021 in Deutschland noch 795.500 Kinder geboren wurden, waren es 2022 noch 738.800 und 2023 hochgerechnet nur noch 689.300. Dieser deutliche Rückgang um mehr als 100.000 Geburten führt dazu, dass auch die Anzahl der Schüler:innen ab 2028 stärker zurückgehen wird, als in der KMK-Prognose angenommen. Auch für die Folgejahre gehen die Studienautoren von geringeren Geburtenzahlen aus. Laut den Berechnungen wird der Bedarf an Grundschullehrkräften im Jahr 2025 mit mehr als 213.000 seinen Höchststand erreichen und dann bis 2035 auf rund 180.000 abnehmen. Der Bedarf an Neueinstellungen wird voraussichtlich in den Jahren 2029 bis 2032 besonders stark sinken, danach allerdings wieder etwas ansteigen, da mehr Lehrkräfte in den Ruhestand eintreten.

Mehrangebot an Lehrkräften bedeutet pädagogische Chance und politische Verantwortung

„Der Lehrkräftemangel in der Grundschule wird schon bald vielerorts überwunden sein. Angesichts der schlechten Nachrichten für das deutsche Bildungssystem in den vergangenen Monaten, vom IQB-Bildungstrend bis PISA, ist das eindeutig ein Lichtblick“, sagt Dirk Zorn, Director Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung. Allerdings bleibe die Lage in anderen Schulstufen und in bestimmten Fächern weiterhin angespannt, merkt der Experte an. Vor allem in den nicht-gymnasialen weiterführenden Schulen sowie in den MINT-Fächern herrscht noch auf absehbare Zeit ein großer Mangel an Lehrkräften.

Das zu erwartende Mehrangebot an Lehrkräften im Grundschulbereich – schon für das laufende Jahr 2024 rechnen die Studienautoren mit einem Überschuss von rund 2.300 Personen – stellt an die Schulpolitik aber zugleich die Herausforderung, den Absolvent:innen verlässliche Perspektiven zu bieten. Zorn: „Durch die zusätzlichen ausgebildeten Lehrkräfte besteht eine große Chance, in die pädagogische Qualität an den Grundschulen zu investieren, was aufgrund des Personalmangels lange Zeit kaum möglich war. Dieses Potenzial sollte die Politik unbedingt nutzen.“

Einsatzmöglichkeiten für die zusätzlichen Lehrkräfte

Die Studienautoren empfehlen, drei Bereiche besonders in den Blick zu nehmen: Erstens könnten die zusätzlichen Lehrkräfte das ab dem Schuljahr 2024/2025 von Bund und Ländern geplante Startchancen-Programm verstärken. Es soll dazu dienen, 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler:innen gezielter zu fördern, davon ca. 2.400 Grundschulen. Die Experten raten dazu, zusätzliche Lehrkräftestellen für das Programm einzurichten, die aktuell nicht vorgesehen sind. „Es besteht die seltene Gelegenheit, die Schulen mit den größten Bedarfen personell deutlich besser auszustatten“, betont Zorn.

Zweitens könnten die Lehrkräfte im Grundschul-Ganztag zum Einsatz kommen. Hier besteht Handlungsdruck, da ab 2026 der Rechtsanspruch auf eine ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter greift. Im Rahmen multiprofessioneller Teams könnten die Lehrer:innen den großen Zusatzbedarf an pädagogischen Fachkräften zumindest teilweise abfedern. Drittens erscheint es sinnvoll, einen Teil der Lehrkräfte in den Jahrgangsstufen fünf und sechs einzusetzen, wo weiterhin viele Lehrer:innen fehlen. Dazu bedarf es allerdings einer zusätzlichen Qualifizierung, etwa bereits im Zuge des Lehramtsstudiums. 

Angesichts des zu erwartenden Mehrangebots an regulär ausgebildeten Lehrkräften stellt sich auch die Frage, welche Rolle Quereinsteiger:innen an Grundschulen künftig spielen. Dirk Zorn geht davon aus, dass sie punktuell nach wie vor benötigt werden. Das gelte etwa für Grundschulen in Regionen, in denen weiterhin mit einem Mangel an Lehrkräften zu rechnen ist.

Den Zyklus aus Mangel und Überschuss durchbrechen

Grundsätzlich regen die Studienautoren an, die Geburtenentwicklung aktueller zu berücksichtigen, um belastbarere Prognosen zur Schüler:innenzahl und damit auch den künftigen Bedarf an Lehrkräften zu treffen. Ausbildungswege sollten so flexibel gestaltet sein, dass sie besser auf demografische Schwankungen reagieren können, etwa durch Quereinstiegs-Masterstudiengänge. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, den schon oft beobachteten Zyklus aus Mangel- und Überschussphasen in der Ausbildung von Lehrer:innen zu durchbrechen.

Hier geht es zur Studie: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/weniger-geburten-mehr-lehrkraefte

Quelle: Bertelsmann Stiftung




Wird 2024 zum Jahr der großen Bildungswende?

Die neue KMK Präsidentin will das Bildungssystem mutig verändern – was ihr entgegensteht

Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Christine Streichert-Clivot (Foto), will das Bildungssystem mutig verändern. Gegenüber dem Deutschlandfunk erklärt die saarländische Bildungsministerin, dass man bereits begonnen habe, den Fokus auf den Erwerb von Basiskompetenzen zu legen. Das will sie gemeinsam mit den Akteuren aus dem Bildungssystem tun. Allein schaffe das die Schule ohnehin nicht. Es brauche eine Zusammenarbeit über die Ressortgrenzen hinaus. Helfen solle dabei das Startchancenprogramm, das ab Herbst nun endlich helfen solle, multiple Problemlagen zu lösen.

Laut Studien ist unser Bildugnssystem so schlecht wie nie zuvor

Irgendwie haben wir das alles schon mal gehört. Seit dem ersten PISA-Schock zur Jahrtausendwende gab es in regelmäßigen Abständen großartige Ankündigungen, dass sich nun alles bessern werde. Dabei ist offensichtlich kaum etwas besser geworden, sondern vieles schlechter. Belege dafür gab es im vergangenen Jahr genug. Mit Blick auf die Ergebnisse der PISA-, IQB- und IGLU-Studien zeigt sich deutlich, dass unser Bildungssystem zu einem leckenden Wrack verkommen ist.

An Kompetenz mangelt es nicht

Dabei mangelt es gar nicht am Wissen. Über die Entwicklung des Menschen und das Lernen ist fast alles bekannt. Auch mangelt es nicht an gelungenen Beispielen: Mit dem jährlich vergebenen Schulpreis gibt es aktuell über 100 Schulen zu bestaunen, in denen lehren und lernen bekanntlich gelingt. Was läuft auf Politikseite also schief, dass es trotz vielfältiger Bemühungen in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen ist, ein funktionierendes Bildungssystem aufzubauen?

Veränderung ist schwer und manchem zu schwer

„Veränderung ist am Anfang schwer, in der Mitte chaotisch und am Ende wunderschön“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Wer unser Bildungssystem nur ansatzweise kennt, weiß, wie schwer es ist, die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Die Nutznießerinnen und Nutznießer des Systems sind nicht nur mächtig, sondern verteidigen es auch mit fast allen Mitteln. Die meisten Reformbemühungen von Politikseite scheitern schon im Ansatz, weil zahlreiche Politikerinnen und Politiker die Interessen ihres Klientels, das sie in ihrer Position stützt, vertreten. Es versteht sich, dass Kinder so gut wie nie zu diesem Klientel gehören. So ersticken schon die meisten sinnvollen Initiativen im Parteienstreit oder scheitern an der Bürokratie.

Expertentum statt Lobbyismus ist überfällig

Leider gilt der Spruch nicht: „Wem Gott gibt ein Amt, dem schenkt er auch den Verstand“. Die meisten Ministerinnen und Minister sind nicht vom Fach. Christine Streichert-Clivot hat etwa sieben Jahre lang Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre studiert, aber eben kein Lehramt oder Pädagogik. Das ist durchaus üblich. Schließlich geht es in diesem Amt erst mal darum, mit dem Ministerium klar zu kommen. Die Bildung kommt dann erst an zweiter Stelle.

Um diesen Nachteil auszugleichen, haben viele Politikerinnen und Politiker Fachberaterinnen und -berater. Leider verwechseln sie diese allzu leicht mit den Lobbyisten. So spricht Streichert-Clivot von den Akteuren aus dem Bildungssystem. Viele von diesen sind in Verbänden, Stiftungen oder Vereinen tätig, die keineswegs an erster Stelle die Interessen der Kinder und Jugendlichen vertreten. So ist etwa der didacta Verband kein Verband, der sich in erster Linie für eine gelungene Bildung oder Pädagogik engagiert. Als Verband der Bildungswirtschaft vertritt er die Interessen seiner Mitglieder und als Wirtschaftsunternehmen haben diese völlig legitim ihre Profitinteressen im Auge.

Gleiches gilt etwa für den Verband der Bildungsmedien oder – aus unserer Sicht – für die Stiftung Lesen, deren Mitglieder bzw. Stifterrat zum Großteil Wirtschaftsunternehmen sind. Auch die Gewerkschaften, der Realschullehrerverband oder der Philologenverband haben in erster Linie die Interessen ihrer Mitglieder im Auge und das sind eben nicht die Schülerinnen und Schüler. Gleiches gilt auch für die zahlreichen Bildungsträger, die oftmals zumindest die Interessen der Eltern berücksichtigen. In all den beschriebenen Vereinigungen gibt es zwar tatsächlich engagierte Menschen, die sich ehrlich für die Belange der Kinder und Jugendlichen einsetzen. Im Zweifel jedoch stehen die eigentlichen Interessen dieser Organisationen für den wirtschaftlichen Erfolg oder den Erfolg der Mitglieder an erster Stelle.

An den Früchten sollt ihr sie erkennen

Es bedarf schon einiger Mühe tatsächliche Expertinnen und Experten zu identifizieren, die vorwiegend darauf zielen, die Bildung von Kindern und Jugendlichen unterstützen wollen. An erster Stelle seien hier die tatsächlichen Forscherinnen und Forscher genannt, die sich leider nicht durch den Professoren- oder Doktortitel identifizieren lassen, sondern durch ihre konkrete Arbeit. Und diese leisten sie nicht auf Empfängen mit dem Sektglas in der Hand. Hier sollte der gesunde Menschenverstand helfen.

Auch der Deutsche Kinderschutzbund oder das Deutsche Kinderhilfswerk engagieren sich ehrlich für die Interessen der Kinder- und Jugendlichen, nur eben selten auf der Bildungsseite. Eine rühmliche Ausnahme bildet der Grundschulverband, der sich zum Ziel gesetzt hat, die berechtigten pädagogischen Interessen der Kinder zu vertreten.

Zu viel steht auf dem Spiel

Wer diese Prozesse versteht, der möchte manchmal einfach davonlaufen, kapitulieren oder schlimmeres tun. Schließlich skizzieren die oben beschriebenen Mechanismen einige Ursachen dafür, warum sich entweder nichts bewegt oder einfach in die falsche Richtung agiert wird. Andererseits gilt es, den kritischen Blick zu schärfen, um jenen besser auf die Finger zu schauen, die solche Prozesse in Gang setzen und durchführen. Den Ehrlichen wird es recht sein. Alle anderen mögen das gar nicht. Kneifen gilt aber nicht. Schließlich lassen sich die meisten Missstände in demokratischen Staaten auf einen Mangel an Bildung zurückführen. Der Schlüssel liegt also in einem menschengerechten, wertschätzenden, modernen Bildungssystem.

Es wird also spannend sein, zu beobachten, mit welchen Akteuren aus dem Bildungssystem Streichert-Clivot zusammenarbeiten will, und wo diese dann noch aktiv sind.

Veränderung bedeutet immer auch Widerstand

Die neue KMK-Präsidentin muss wirklich sehr mutig sein, wenn sie etwas nachhaltig zum Guten verändern möchte. Schließlich gilt es zunächst viele alte Zöpfe abzuschneiden, die in den vergangenen 30 Jahren nun schon kläglich versagt haben und uns in diese Katastrophe geführt haben. Das wird Ärger geben. Dabei wird sie zwar auf vielseitiges Verständnis stoßen, ehrliche Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden, wird ihr dagegen schwerfallen. In jedem Fall sollte sie die Kinder und Jugendlichen hören und jene Akteure im Bildungssystem, die in den vergangenen Jahren den Schulpreis erhalten haben.

Als unabhängiges und kritisches Pressemedium werden wir diesen Prozess begleiten, Sie informieren, das schlecht nennen, was schlecht ist, und das loben, was zu loben ist.

Gernot Körner




Wissenschaftler fordern dringend Aufschub der Digitalisierung

Wissenschaftliche Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse

In Frankreich sind Smartphones an Schulen bereits seit 2018 verboten. In Neuseeland soll das demnächst geschehen. Auch in den USA und Großbritannien wurden solche Schritte bereits erprobt. Nun fordert die Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V. (GBW) die Digitalisierung in Kitas und in der Grundschule auszusetzen.

„Die Folgen der digitalen Technologien müssen erst abschätzbar sein“

„Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe (Kl. 6): Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden. Diese haben nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen.“, heißt es in der Erklärung, die 41 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterzeichnet haben.

„Negative Auswirkungen des Bildschirmlernens auf das Lernen“

Zu untersuchen seien insbesondere Fragen der medizinisch-psychologischen, der pädagogisch-didaktischen und der politisch-demokratietheoretischen Implikationen. Zu den wissenschaftlich fundierten Einsprüchen zählt etwa die Stellungnahme von fünf Professorinnen und Professoren des schwedischen Karolinska-Instituts. Sie warnen vor negativen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf das Lernen und die Sprachentwicklung von Kindern. Der U.S. Surgeon General warnt vor den Folgen für die generelle mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter bei Bildschirmmedien.

Das korrespondiert mit Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Empfehlungen von Kinderärzten und Psychologen. Die UNESCO kritisiert im „2023 Global Education Monitor“ darüber hinaus, dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen. Dazu kommen immer mehr Datenverarbeitungssysteme, die als „Künstliche Intelligenz“ (KI) automatisiert beschulen und testen sollen, um fehlende Lehrkräfte zu ersetzen. Dabei hat zuletzt die Corona-Pandemie das Scheitern solcher Ersatzsysteme belegt. Der Deutsche Ethikrat warnt daher in seinen Empfehlungen zur „KI und Bildung“ explizit vor der Ersetzung der Lehrkräfte durch Computerprogramme, die UNESCO empfiehlt den Umgang mit KI erst ab 13 Jahren.

Einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in KITAs und Schulen revidieren

Es sei daher dringend notwendig, die einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in KITAs und Schulen zu revidieren, um interdisziplinär und wissenschaftlich fundiert, mit Fokus auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse über IT und KI in Bildungseinrichtungen zu diskutieren. Bei Erziehung und Unterrichten muss das Wohl der Lernenden und die Wirksamkeit pädagogischen Handelns im Mittelpunkt stehen. Dazu fordern wir ein Moratorium und den öffentlichen Diskurs über die notwendigen pädagogischen Prämissen des Einsatzes digitaler Medien in Bildungseinrichtungen, heißt es weiter.

Wer diesen Aufruf selbst unterzeichnen möchte, kann eine eMail mit seinem Namen, Beruf und Ort an gbw-moratorium@bildung-wissen.eu, Betreff „GBW-Moratorium unterzeichnen“ schicken-

Grundschulverband stellt sich gegen die Forderung

Während der Deutsche Lehrerverband sich gegen solche Maßnahmen stellt, schließt sich dem nun auch der Grundschulverband an. Dabei geht der Verband nicht auf die gesundheitlichen Risiken ein, sondern betont die entscheidende Rolle von Schulen und Kindertageseinrichtungen für die Förderung digitaler Kompetenzen in der heutigen und zukünftigen Bildungslandschaft. „In einer Welt, in der digitale Technologien nahezu alle Lebensbereiche durchdringen, betont der Verband die Notwendigkeit, Kinder gezielt und strukturiert in diese Kultur der Digitalität einzuführen. Studien belegen, dass Kinder in einem medial durchdrungenen Umfeld aufwachsen und dass Kinder in deutschen Schulen die erforderlichen Kompetenzen in deutlich geringerem Maß erwerben als in anderen Ländern. Dies und die vielfältigen Folgen für das Aufwachsen von Kindern erfordert eine frühe und systematische Einführung in den sicheren und souveränen Umgang mit digitalen Medien.“, heißt es in der Erklärung.

Laut einem Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit“ sieht der neue neuseeländische Ministerpräsident Christopher Luxon gerade im Einsatz von Smartphones eine Ursache dafür, dass die Leitungen der Schüler konstant nachlassen. Der Leistungsabfall in den vergangenen 30 Jahren gefährde nicht nur den künftigen Lebensunterhalt der Kinder, sondern auch den Wohlstand Neuseelands.

Anbei die Liste der Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner

Prof. Dr. Volker Bank, Technische Universität Chemnitz, Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Chemnitz

Prof. Dr. med. Jürg Barben, Leitender Arzt Pneumologie/Allergologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen

Prof. Dr. Peter Bender, Universität Paderborn, Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik, Paderborn

Prof. em. Dr. Carl Bossard, Gründungsrektor Pädagogische Hochschule PH Zug

Dr. Jutta Breithausen, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften,Institut für Erziehungswissenschaft, Wuppertal

Prof. Dr. Ute Büchter-Römer, apl. Professorin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln

Dr. med. Uwe Büsching, Kinder- und Jugendarzt, Bielefeld

Prof. Dr. Thomas Damberger, Bildungs- und Erziehungswissenschaften im Kontext der Digitalisierung, Freie Hochschule Stuttgart

Prof. Dr. Karl-Heinz Dammer, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Erziehungswissenschaft

Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophie und Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik, Heidelberg

Dr. med. Dr. h.c. Michaela Glöckler, Kinder-und Jugendärztin

Prof. Dr. Johannes Grebe-Ellis, Universitätsprofessur für Physik und ihre Didaktik, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Bergische Universität Wuppertal

Prof. Dr. Bernhard Hackl, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Schulpädagogik, Abteilung Schulpädagogik, Graz

Prof. Dr. Gaby Herchert, Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften, Germanistik, Duisburg

Prof. Dr. habil. Edwin Hübner, Lehrer und Medienpädagoge, Inhaber des von Tessin-Lehrstuhls für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart

Prof. Dr. Norbert Hungerbühler, Departement Mathematik, ETH Zentrum, HG E63.1, Rämistrasse 101, CH-8092 Zürich

Universitätsprofessor a.D., Dr. rer. pol. Hans-Carl Jongebloed, Universität Kiel,  Institut für Pädagogik, Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Prof. Dr. Rainer Kaenders, Mathematisches Institut, Hausdorff Center for Mathematics, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn

Dr. Beat Kissling, Psychologe und Erziehungswissenschaftler/Gymnasiallehrer, Zürich

Prof. em. Dr. Hans Peter Klein, Didaktik der Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt

Prof. Dr. Jochen Krautz, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Design und Kunst

Prof. em. Dr. Hans-Dieter Kübler, Professor für Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

PD Dr. Axel Bernd Kunze (Univ. Bonn)

Prof. Dr. Volker Ladenthin, Arbeitsbereich Bildungswissenschaft, Lehrstuhl für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft, Bonn

Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Fakultät Medien, HS Offenburg

Hon.Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Hannover

Prof. Dr. Jürgen Rekus, Institut für Allgemeine Pädagogik, Universitätsbereich im Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe

Prof. Dr. Ingo Reuter, Kulturwissenschaften, Univ. Paderborn

Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer, Professor für Erziehungswissenschaft am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen

Dr. Klaus Rodens, Kinder- und Jugendarzt, Angertorstr. 6, 89129 Langenau

Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski, Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität zu Köln, Köln

Dr. Klaus Scheler, Physikdidaktiker (Kindergarten bis Klasse 10), ehem. am Institut für Naturwissenschaften, Geographie und Technik, Pädagogische Hochschule Heidelberg

Prof. Dr. Thomas Sonar, Institut Computational Mathematics, AG Partial Differantial Equations PDE, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig

Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III

Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt, Neurobiologin, ehem. Universität Bielefeld

Prof. Dr. Christoph Türcke. em. Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

Prof. Dr. Anke Wegner, Institut für Germanistik, Didaktik der deutschen Sprache/Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universität Trier

Prof. Dr. Ysette Weiss, Institut für Mathematik, AG Fachdidaktik Mathematik, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz

Prof. em. Dr. Dr.h.c Erich Ch.Wittmann, Projekt Mathe 2000, Technische Universität Dortmund

Prof. Dr. Tomáš Zdražil, Professor für schulische Gesundheitsförderung, Freie Hochschule Stuttgart

Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik, Universität Augsburg




Was folgt aus der PISA-Studie?

Viele Forderungen gehen an Kindern und Jugendlichen vorbei, dienen aber Profitinteressen

In den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich die PISA-Studie zu einem der effektivsten Werbemittel für die Bildungswirtschaft. War den zahlreichen Maßnahmen, die nach den ersten Studien ergriffen wurden, noch ein bescheidener Erfolg vergönnt, stehen wir nach 23 Jahren ziemlich schlecht da. Denn laut der aktuellen Studie haben die getesteten 15-Jährigen noch schlechter abgeschnitten als jene im Jahr 2000. Dabei handelt es sich um Leistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Für die Anstrengungsbereitschaft der Jugendlichen, ihre Motivation oder ihre sozialen Fähigkeiten interessiert sich dagegen die Studie nicht.

Aber sind die PISA-Ergebnisse nun wirklich ein „Debakel“ oder gar ein „Bildungs-Desaster“ wie vielfach zu lesen ist? Letztlich waren diese ja zu erwarten. Die Antwort darauf ist in einer Hinsicht einfach, in anderer nur schwer zu geben. Eines ist schon mal sicher: Unsere 15-Jährigen sind die Betroffenen, ganz sicher aber nicht die Schuldigen.

Viel hilft nicht viel

In Bezug auf die Maßnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten ergriffen wurden, ist das aktuelle Ergebnis eine Bankrotterklärung. Der ganze „Bildungswahn“, wie er seit der Jahrtausendwende einsetzte, hat uns nichts gebracht, manchmal sogar geschadet. Das war die einfache Antwort. Schon heute beschäftigen sich die ersten Forschenden mit Defiziten bei Studierenden, die daraus entstanden sind, dass sie vor allem zahlreiche sinnliche Erfahrungen in ihrer Kita-Zeit nicht mehr sammeln konnten, weil diese durch einseitige Förderprogramme erdrückt wurden.

Lösungen und gute Beispiele gibt es genug

Jetzt kommt das Komplizierte: Es stimmt, dass unser Bildungssystem seit etlichen Jahrzehnten nur unzureichend funktioniert. Deshalb ist es durchaus legitim, eine grundlegende Reform des Bildungssystems zu fordern. Nur worin sollte diese denn bestehen? Aus wissenschaftlicher Sicht wissen wir heute fast alles über das Lernen. Damit wäre auch geklärt, wie der Bildungsbetrieb heute laufen müsste. Und dass dies auch in der Praxis gut funktioniert, erleben wir Jahr für Jahr bei der Verleihung des deutschen Schulpreises. 102 Bildungseinrichtungen gibt es auf der Website des Deutschen Schulpreises zu bestaunen (https://www.deutscher-schulpreis.de/).

Wirtschaftliche Interessen verhindern den Fortschritt

Schade nur, dass die guten Beispiele so wenig Nachahmerinnen und Nachahmer finden. Die Gründe dafür sind vielfältig und gelegentlich kompliziert. Beginnen wir einmal damit, dass sich Entscheidungsträger nicht von Lobbyisten beraten lassen sollten, deren erstes Interesse darin besteht, die Profitinteressen ihrer Verbände und ihrer Mitglieder zu befriedigen. Das mag zwar billig und auf den zahlreichen Empfängen angenehm sein, entspricht aber bestenfalls teilweise den Interessen der von Bildungsbemühungen Betroffenen.

Bildung als gesellschaftliche Aufgabe

Nachdem diesen einfachen Umstand schon so viele nicht verstehen wollen oder können, wird es noch viel schwieriger, in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die wir nicht einfach den Behörden überlassen dürfen. Während sich letztere – frei von jeglicher pädagogischer und didaktischer Kompetenz – oftmals nicht als Unterstützer sondern Bremsklötze notwendiger Neuerungen auszeichnen, gilt es sich gesamtgesellschaftlich aus der Komfortzone zu begeben.

  1. Wir können nicht mehr Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte fordern, wenn die Menschen, die diese Berufe ergreifen sollen, niemals geboren wurden. Denn die oftmals zu Unrecht gescholtene Boomergeneration muss sich zumindest einen Vorwurf gefallen lassen: Sie hat zu wenige Kinder bekommen. Jetzt muss es darum gehen, wie wir mit dem vorhandenen Personal klarkommen und die Berufe im Bildungsbereich attraktiv gestalten können.
  2. Wir müssen uns wieder selbst mehr um unsere Kinder kümmern. Die oftmals überlasteten und von Personalnot gezeichneten Betreuungs- und Bildungsstätten können das voraussichtlich immer weniger leisten. Eltern und Elterninitiativen, die finanziell und organisatorisch deutlich besser gefördert werden müssen, sollten sich mehr engagieren können. Dabei wäre es von entscheidender Bedeutung, dass das Leben mit Kindern und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für diese stärker in den Mittelpunkt gerückt wird.
  3. Wenn die soziale Ungleichheit in dieser Gesellschaft dafür verantwortlich ist, dass Bildungschancen ungleich verteilt sind, müssen wir uns endlich nachdrücklich für mehr soziale Gerechtigkeit engagieren. Neu ist das übrigens überhaupt nicht. Das Problem gibt es schließlich schon seit Jahrtausenden.
  4. Gleiches gilt für die Inklusion. Selbstverständlich ist diese durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland ein verbindliches Recht. Das ist darin begründet, dass Inklusion eine große Chance für unsere Gesellschaft ist. Wenn wir aufhören, Menschen nach ihrem vermeintlichen materiellen Nutzen oder ihrer Macht Wert zu schätzen (was übrigens niemandem nutzt), wird unsere Gesellschaft zusammenwachsen. Sinn einer Gemeinschaft ist doch, sich gegenseitig zu helfen.
  5. Ebenso bekannt sind die Herausforderungen, vor denen Kinder stehen, die nicht oder nur schlecht unsere Sprache sprechen. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass neben Sprachförderung nur eine gelungene Integration helfen kann, die Probleme zu beheben. Wie heißt es so schön in Goethes Faust: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns nun endlich Taten sehen!“
  6. Wir müssen der Wissenschaft einen deutlich breiteren Raum im gesellschaftlichen Bewusstsein einräumen als bisher. Der Wissenschaftsbetrieb liefert uns regelmäßig Erklärungen für Fragen rund um Bildung und Lernen. Aber Vorsicht: Nicht jede oder jeder, der einen Professoren- oder Doktortitel trägt, ist auch eine ernsthafte Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler.
  7. Alle an der Gesellschaft Beteiligten sollten über mehr Wissen im Bereich der geistigen und körperlichen Entwicklung des Menschen verfügen. Denn nicht was uns gefällt, ist gut für ein Kind, sondern das, was es auf seiner jeweiligen Entwicklungsstufe benötigt und ihm guttut.
  8. Investitionen in den Bildungsbetrieb sollten für alle von größter Bedeutung sein. Dabei sollte an erster Stelle stehen, dass die Kinder und das Bildungspersonal sich in ihrer Bildungseinrichtung wohl fühlen. Stinkende Toiletten oder kaputte Heizungen sind ein unverzeihlicher Skandal.
  9. Nicht zuletzt gilt es, Räume für Kinder und Jugendliche wieder zu öffnen, in denen sie ungestört spielen, ihren eigenen Interessen nachgehen und sich miteinander austauschen können. Naturräume würden zudem Möglichkeiten für sinnliche Erfahrungen öffnen, in denen Kinder auch Selbstwirksamkeit zusätzlich erleben könnten.
  10. Wir müssen jene Politiker untersützen, die diese Punkte unterstützen, und jene abwählen, die hier keinen Zugang finden.

Bildung gehört ins Zentrum der Politik

Neben der Gesellschaft sind selbstverständlich Politik und auch der Bildungsbetrieb gefragt. Es ist durchaus fraglich, ob es möglich ist, der heutigen Politikerinnen- und Politikergeneration klar zu machen, dass eine gute Bildung die Lösung für alle Herausforderungen ist. Deshalb gehört Bildung auch in das Zentrum der Politik. Dabei geht es aber eben nicht nur um Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. An erster Stelle wären hier Kreativität, Forschergeist, Selbstbewusstsein, Anstrengungsbereitschaft und soziale Fähigkeiten gefragt. Bildung muss unabhängig sein von Weltanschauung, Ideologie und wirtschaftlichen Interessen. Bevor wir einen Menschen mit unseren Ansichten und unseren Erwartungen belasten, muss er sich erst soweit entwickeln können, dass er dies auch beurteilen kann. Insofern sollten auch Politikerinnen und Politiker sich an den Rat von wirklich unabhängigen Fachleuten halten und gegenüber Verbänden und Interessensgruppen eine gesunde Skepsis an den Tag legen.

Die berechtigen Interessen werden unterdrückt

Und der Bildungsbetrieb selbst? Qualifikation, Mut, Engagement und ein ehrliches Interesse an den Kindern wären gefragt. Bei der Ausbildung fängt es an. Aber viel fataler ist es, dass sich viele Fachkräfte, sobald sie in einer festen Anstellung oder gar verbeamtet sind, nicht mehr weiterbilden müssen. Das führt dazu, dass viele an alten Zöpfen hängen bleiben, die uns auch nicht vorangebracht haben. Dabei muss jedem, der im Bildungsbetrieb aktiv ist, klar sein, dass er die berechtigen pädagogischen Interessen der Kinder und Jugendlichen an erster Stelle zu vertreten und zu erfüllen hat. Dafür ist Mut und jede Menge Engagement notwendig. Gleichzeitig gilt es jeder Versuchung zu widerstehen, die darauf zielt, Menschen nach einem Idealbild zu formen. Erstens hat das noch niemals in der Geschichte geklappt und zweitens ist das der beste Weg zu verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche wirklich entwickeln können.

Die vielgliedrige System hat erneut versagt

Zudem sollten wir uns endlich davon verabschieden, dass unser drei- bzw. viergliedriges Schulsystem eine sinnvolle Lösung ist. Kinder sind viel zu unterschiedlich dafür. Die internationale Erfahrung zeigt, dass die erfolgreichen Systeme vor allem jene sind, die auf ein möglichst langes gemeinsames Unterrichten setzen. Und genau das würde auch für einen besseren gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen.

All das würde uns schon ein ordentliches Stück weiterbringen. Aktionismus, wie etwa die vielbeschworene Rückkehr in irgendwelche Pauksysteme oder das Vorantreiben der Digitalisierung werden uns dagegen nicht nutzen. Pauksysteme sind gut für eintönige Arbeiten oder den veralteten, überkommenen Militarismus, der uns in unsägliches Leid geführt hat. Und digitale Geräte mit dem notwendigen Lehrpersonal können nur ein zusätzliches Angebot sein, um den Kindern und Jugendlichen in Ihrer Orientierung in einer wachsenden digtalisierten Welt zu sein. Ihre Wirkung auf das Lernen ist nicht ansatzweise erforscht. Am Anfang stehen jedoch sinnliche Erfahrungen und Menschen, die für die Erfahrung des Lebens und der Welt begeistern.

Mehr Vertrauen in die Kinder und ihren eigenen Selbstbildungsprozess verlangt nicht mehr Aktion, sondern mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung. So wird aus weniger mehr, um Raum für echte Bildungserfahrungen zu öffen.

Gernot Körner




PISA-Studie: Leistungsabfall in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften

Die Kompetenzen der 15-Jährigen sind gegenüber den Tests 2018 deutlich gesunken

Die Jugendlichen in Deutschland schneiden in Mathematik, im Lesen und in Naturwissenschaften deutlich schlechter ab als noch 2018. Dies zeigt die neue PISA-Studie. Rund ein Drittel der getesteten 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei Bereiche nur sehr geringe Kompetenzen. Die Ergebnisse bestätigen einen Abwärtstrend, der sich in den vorherigen PISA-Studien bereits angedeutet hatte. Die Schülerinnen und Schüler erreichen in Mathematik und Lesen nur noch das Durchschnittsniveau der OECD-Staaten. Lediglich in den Naturwissenschaften liegen ihre Ergebnisse weiterhin darüber.

In Deutschland sind die Leistungseinbußen überdurchschnittlich groß

Die PISA-Studie untersucht regelmäßig, wie gut 15-jährige Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den Naturwissenschaften lösen können. Die aktuelle Studie, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert und in Deutschland vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) geleitet wird, wurde im Frühjahr 2022 durchgeführt.

In vielen OECD-Staaten haben sich die durchschnittlichen Mathematik- und Lesekompetenzen der Jugendlichen im Vergleich zur vorherigen PISA-Studie von 2018 verringert. Dies gilt in geringerem Maße auch für die naturwissenschaftliche Kompetenz.

In Deutschland sind die Leistungseinbußen in allen drei Bereichen überdurchschnittlich groß. Deutschland liegt damit nur noch in den Naturwissenschaften signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (492 zu 485 Punkten). In Mathematik (475 zu 472 Punkten) und Lesen (480 zu 476 Punkten) entsprechen die Ergebnisse jetzt dem OECD-Durchschnitt, der in beiden Bereichen ebenfalls gesunken ist.

Unter dem Niveau von 2000

Nach der ersten PISA-Studie 2000 hatte Deutschland seine Ergebnisse zunächst verbessern und auf hohem Niveau halten können. In den vergangenen PISA-Runden hatte sich allerdings ein Abwärtstrend angedeutet. Die Ergebnisse in Mathematik und Naturwissenschaften liegen nun unter dem Niveau der PISA-Studien der 2000er Jahre, als Mathematik (PISA 2003) und Naturwissenschaften (PISA 2006) jeweils zum ersten Mal vertieft untersucht wurden. Beim Lesen entsprechen die Ergebnisse in etwa der PISA-Studie 2000, als Lesen erstmals Studienschwerpunkt war.

Nur sehr wenige OECD-Staaten konnten zwischen 2018 und 2022 Teile ihrer Ergebnisse verbessern, beispielsweise Japan im Lesen und in den Naturwissenschaften sowie Italien, Irland und Lettland in den Naturwissenschaften. In Mathematik haben die Jugendlichen in Japan und Korea im Schnitt die höchsten Kompetenzen. Im Lesen stehen Irland, Japan, Korea und Estland an der Spitze. In den Naturwissenschaften erreichen Japan, Korea, Estland und Kanada die besten Werte.

Schwerpunkt der achten PISA-Studie: Mathematik

Bei der achten PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) wurden in Deutschland die Kompetenzen von rund 6.100 repräsentativ ausgewählten 15 Jahre alten Schülerinnen und Schüler an rund 260 Schulen aller Schularten getestet. Zudem wurden die Jugendlichen zu ihren Lernbedingungen und Einstellungen sowie ihrer sozialen Herkunft befragt. Schulleiterinnen, Schulleiter, Lehrkräfte und Eltern beantworteten Fragen zu Gestaltung und Ressourcen des Unterrichts sowie zur Rolle des Lernens in der Familie. Weltweit nahmen rund 690.000 Schülerinnen und Schüler an der Studie teil. Jede PISA-Studie nimmt einen Bereich intensiver unter die Lupe, diesmal Mathematik.

Der deutsche Teil der Studie wird im Auftrag der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom ZIB geleitet, an dem neben der TUM das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) beteiligt sind.

Mehr Schülerinnen und Schüler erreichen nur sehr geringe Kompetenzen

Entsprechend der im Test erreichten Punktzahlen ordnet die Studie die Schülerinnen und Schüler sechs Kompetenzstufen zu. Schülerinnen und Schüler, deren Kompetenzen nicht über der Kompetenzstufe eins liegen, benötigen zusätzliche Förderung, um eine berufliche oder weitere schulische Ausbildung bewältigen und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können.

Rund ein Drittel der 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei getesteten Felder nur diese sehr geringen Kompetenzen. Circa jeder sechste Jugendliche hat in allen drei Bereichen deutliche Defizite. Die Anteile dieser besonders leistungsschwachen Jugendlichen sind seit 2018 größer geworden und betragen in Mathematik rund 30 Prozent, im Lesen rund 26 Prozent und in den Naturwissenschaften rund 23 Prozent.

Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schüler. In Mathematik ist ihr Anteil auf rund neun Prozent und im Lesen auf rund acht Prozent gesunken. In den Naturwissenschaften blieb dieser Anteil bei rund zehn Prozent stabil.

Faktor Corona-Pandemie

Aus den Befragungen von Schulleiterinnen, Schuleitern, Schülerinnen und Schülern lassen sich Hinweise für mögliche Gründe für die verschlechterten Ergebnisse ableiten: Zum einen gehen die Forschenden davon aus, dass die Schulschließungen während der Corona-Pandemie einen negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb hatten. In Deutschland wurde der Distanzunterricht weniger mit digitalen Medien und mehr mit Materialien, die an die Jugendlichen geschickt wurden, bestritten als im OECD-Durchschnitt. „Deutschland war im internationalen Vergleich nicht gut auf den Distanzunterricht vorbereitet, was die Ausstattung mit Digitalgeräten angeht – hat dann aber aufgeholt“, sagt die Studienleiterin Prof. Doris Lewalter, Bildungsforscherin an der TUM und Vorstandsvorsitzende des ZIB. Förderangebote wurden von weniger als der Hälfte der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler wahrgenommen.

Die Auswertung der internationalen Daten zeigt allerdings, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Schulschließungen und Leistungsrückgängen zwischen 2018 und 2022 gibt. Es gibt sowohl Staaten mit relativ wenigen Schließtagen, die deutlich schlechtere Ergebnisse vorweisen als 2018, als auch Staaten mit relativ vielen Schließtagen, die nur geringfügig weniger oder sogar etwas mehr Punkte erreichen als 2018.

Faktor Sprachschwierigkeiten

Ein zweiter möglicher Faktor für die Erklärung der Ergebnisse im Studienschwerpunkt Mathematik: In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen den Kompetenzen der Jugendlichen und dem sozioökonomischen Status der Familien wie auch ihrem Zuwanderungshintergrund weiterhin stark ausgeprägt. Die 15-Jährigen, die selbst zugewandert sind, haben heute deutlich geringere Kompetenzen in Mathematik als die entsprechende Gruppe im Jahr 2012, in dem diese Frage zuletzt untersucht wurde. In den Familien dieser Jugendlichen wird heute zu Hause seltener Deutsch gesprochen als in den entsprechenden Familien 2012.

„Dieser Befund erklärt die Gesamtergebnisse aber nur zum Teil“, betont Lewalter. „Die mathematischen Kompetenzen der Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund sind im Vergleich zu 2012 ebenfalls geringer geworden – sogar deutlicher als bei den Jugendlichen, deren Eltern zugewandert, die aber selbst in Deutschland geboren sind.“

Faktor Interesse und Motivation

Um den längerfristigen Negativtrend zu erklären, schauen die Forschenden deshalb auch auf die Befragungen der Schülerinnen und Schüler zu Motivation, Einstellungen und Unterrichtsgestaltung. Im Vergleich zum Jahr 2012 haben die Jugendlichen weniger Freude und Interesse an Mathematik. Zugenommen hat dagegen die Ängstlichkeit gegenüber dem Fach. Zudem sehen die 15-Jährigen weniger Nutzen darin, Mathematik zu lernen.

„Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich die Schülerinnen und Schüler weniger durch ihre Mathematiklehrkraft unterstützt fühlen – diese Unterstützung ist aber ein wichtiges Merkmal für guten Unterricht. Zudem nehmen die Jugendlichen den von ihren Lehrkräften intendierten Lebensweltbezug im Unterricht nur in Teilen wahr. Das erschwert es ihnen zu erkennen, welche Bedeutung Mathematik in ihrem Leben spielt – worunter wiederum die Motivation für das Fach leiden kann“, sagt Lewalter.

„Gemeinsame Kraftanstrengung“

Als wichtigste Konsequenzen aus den PISA-Ergebnissen empfehlen die Bildungsforscherinnen und Bildungsforscher:

• eine systematische Diagnose und Förderung von Sprach- und Lesekompetenz von der Vorschule bis zum Sekundarbereich. „Die Beherrschung der deutschen Sprache ist die Basis für jeden schulischen Erfolg“, sagt Lewalter.

• eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Unterrichts und den Einbezug digitaler Medien. „Die Lebensrealitäten der Jugendlichen ändern sich rasant und damit auch die Ausgangslage für die Anwendung von Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften“, sagt Lewalter.

• eine bedarfsorientierte Ressourcenzuwendung, um die Ausstattung von Schulen zu verbessern, die viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und mit Zuwanderungshintergrund unterrichten.

„Deutschland hat es nach der ersten PISA-Studie 2000 geschafft, mit wirksamen Förderprogrammen die Kompetenzen der Jugendlichen deutlich zu verbessern“, sagt Lewalter. „Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Schulen und Gesellschaft kann es wieder möglich sein, einen solchen Aufschwung einzuleiten.“

Publikation:

Doris Lewalter, Jennifer Diedrich, Frank Goldhammer, Olaf Köller, Kristina Reiss (Hrsg.): PISA 2022. Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland. Münster 2023. DOI: 10.31244/9783830998488

https://www.pisa.tum.de/pisa/pisa-und-pisa-ceco-publikationen/

Weitere Informationen:

PISA 2022: https://www.pisa.tum.de/pisa/pisa-2022/

Beispielaufgaben: https://www.pisa.tum.de/pisa/beispielaufgabe

Quelle: Mitteilung der Technischen Universität München




9 % des Kita-Personals fehlt eine entsprechende Ausbildung

Weniger Bildungsmöglichkeiten, mehr Betreuung durch Laien

Viele Eltern in Deutschland erleben gerade unmittelbar die Auswirkungen der fehlenden Fachkräfte: Immer mehr Kitas reduzieren die Betreuungszeiten oder bieten zeitweise nur eine Notbetreuung an. Vor dem Hintergrund fehlender pädagogischer Fachkräfte in Kitas werden die sogenannten Fachkräftekataloge in einigen Bundesländern deutlich erweitert. Diese setzen die Qualifikationsanforderungen für die pädagogische Arbeit fest. Ziel ist es, mehr personelle Ressourcen in die Kitas zu bringen.

In einigen Bundesländern dürfen nun beispielsweise auch Logopäden und Geburtshelfer ohne die spezifische, fachschulische Ausbildung für die Arbeit mit Kita-Kindern als pädagogische Fachkraft in einer Kita arbeiten. Der Indikator „Qualifikationsniveau des pädagogischen Personals in Kitas“ im Ländermonitor gibt Auskunft über das Ausbildungsniveau der Fachkräfte.

Die Aufweichung des Fachkräfteangebots steht dabei im Zusammenhang mit dem Personalmangel in Kitas und verhält sich doch konträr zum Anspruch, gute pädagogische Arbeit leisten zu wollen. Eine Studie, die ebenfalls in Kooperation zwischen Bertelsmann Stiftung und FernUni entstanden ist, zeigt die Auswirkungen des Personalmangels auf das pädagogische Handeln: Weniger Bildungsmöglichkeiten für die Kinder, mehr reine Betreuung – unter Aufsicht zunehmend pädagogischer Laien.

Abhängig von der Mitarbeit der Auszubildenden

Hatten 2012 noch 94,1 Prozent des pädagogischen Personals in Kitas (inklusive Horte) einen fachlichen Berufsabschluss (Ausbildung oder Studium), so sind dies zum 1. März 2022 nur noch 90,9 Prozent. Hingegen steigt im selben Zeitraum der Anteil der Beschäftigten ohne Ausbildung sowie von Personen, die sich aktuell noch in der Ausbildung befinden von 5,9 Prozent auf 9,1 Prozent. In Berlin ist dieser Anteil besonders stark von 6,5 Prozent (2012) auf 16,1 Prozent (2022) gestiegen. Die Anzahl der Personen in Kitas (inklusive Horten), die sich aktuell in Ausbildung befinden, hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Waren 2012 noch 3,4 Prozent der Beschäftigten Auszubildende, sind es 2022 6,8 Prozent. Das pädagogische Berufsfeld der frühen Bildung ist damit zunehmend von der Mitarbeit und Unterstützung ihrer Auszubildenden abhängig.

Das Hauptmotiv, sich für den anspruchsvollen Beruf Erzieherin oder Erzieher zu entscheiden, ist noch immer in erster Linie die Freude an der Arbeit mit Kindern. „Damit diese Motivation in der praktischen Arbeit nicht auf der Strecke bleibt, braucht es gute Arbeitsbedingungen und verlässliche Strukturen. Dazu gehören auch Kolleginnen und Kollegen, die die gleichen Fachkompetenzen vorweisen, so dass nicht zusätzliche Belastungen durch die Anleitung der fachfremd Tätigen entstehen“, sagt Prof. Dr. Julia Schütz, Leiterin des Lehrgebiets Empirische Bildungsforschung. „Hierfür braucht es einerseits eine gute Fachberatung sowie andererseits unbedingt Fort- und Weiterbildungsangebote.“

Weitere Informationen: https://www.laendermonitor.de/de/startseite

Carolin Annemüller, FernUniversität in Hagen