Schlechte Eltern frönen oft digitalen Medien

Studie sieht Zusammenhang mit negativen Erziehungspraktiken wie Nörgeln und Schreien

Eltern, die sich verstärkt digitalen Medien zuwenden, um zu entspannen, versagen öfter bei der Kindererziehung. Wenn sie viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, vernachlässigen sie nicht nur ihre Familien, sondern greifen auch zunehmend zu negativen Erziehungspraktiken wie Nörgeln oder Schreien. Zu dem Ergebnis kommt eine multinationale Studie der University of Waterloo http://uwaterloo.ca , die den Zusammenhang zwischen digitalem Medienkonsum von Eltern, ihren Erziehungsmethoden und das mentale Wohlbefinden ihrer Sprösslinge analysiert.

Technologie dominiert alles

„Wenn wir in einer Gesellschaft, die voll von Technologie ist, die Familien verstehen wollen, kommt es auf jedes Familienmitglied an“, so Jasmine Zhang, Doktorandin im Fach Klinische Psychologie an der University of Waterloo. Es seien eben nicht immer nur Kinder und Jugendliche, die zu viel Zeit mit digitalen Geräten verbringen würden. „Auch die Eltern greifen aus den verschiedensten Gründen auf diese Medien zurück. Dieses Verhalten kann das Leben ihrer Kinder dramatisch beeinflussen“, erklärt die Wissenschafterin.


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Für ihre Studie hat sie 549 Teilnehmer aus unterschiedlichen Ländern befragt, die alle mindestens zwei Kinder im Alter zwischen fünf und 18 Jahren haben. Diese mussten unter anderem genau angeben, wie viel Zeit sie mit digitalen Medien verbringen, wie sie ihre und die geistige Gesundheit ihres Nachwuchses einschätzen und welche Erziehungspraktiken sie einsetzen. Das Ergebnis zeigt, dass Eltern mit höherem Stresslevel sich öfter vor dem Bildschirm entspannen und dabei nicht selten die Erziehung vernachlässigen. „Sie ziehen sich dann oft zurück, sind nicht für ihre Kinder präsent und setzen negative Erziehungspraktiken ein“, fasst Zhang zusammen.

Nicht nur negative Effekte

Die Forscherin betont allerdings auch, dass nicht gleich der gesamte Medienkonsum in einem negativen Zusammenhang mit den angewandten Erziehungsmethoden gestellt werden kann. Eine Ausnahme sei zum Beispiel die Möglichkeit, über digitale Kanäle soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. In einem solchen Fall könnten manchmal auch positive Effekte wie eine Reduktion der Angstlevel und eine geringere Anfälligkeit für Depressionen auftreten, heißt es in der Studie.

„Die Medienlandschaft, die einer Familie zur Verfügung steht, wird immer größer“, meint Dillon Browne, Co-Studienautor an der University of Waterloo. „Da diese Entwicklung immer weiter voranschreitet, ist es umso wichtiger, dass wir uns im Klaren darüber sind, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf unser eigenes Wohlbefinden und das unserer Kinder haben kann.“

Markus Steiner/pressetext.redaktion




Emotionale Intelligenz Schritt für Schritt entwickeln

Warum ErzieherInnen und Eltern bei der Entwicklung der sozialen Kompetenzen der Kinder besonders gefordert sind

Jedes Kind bringt bei der Geburt sein unverwechselbares Temperament als emotionale Anlage mit auf die Welt. Es ist das Startpaket für seine lange emotionale Karriere. Schritt für Schritt entwickelt es die Vielfalt seiner emotionalen Fähigkeiten im alltäglichen Umgang mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und den vielen Menschen aus seiner Umwelt, und zwar von frühester Kindheit an bis ins hohe Alter.

Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt!

Ernst Wiechert

Der emotionale Typus eines Kindes ist also angeboren; die Reifung zu einer emotional intelligenten Persönlichkeit ist jedoch sozial erworben. Erst aufgrund dieser einmaligen Mischung von Anlage und Umwelt entwickelt sich unsere Gefühlszentrale, das limbische System: von den überlebenswichtigen Basisfunktionen hin zu den höher entwickelten Fähigkeiten, die für unser komplexes soziales Miteinander erforderlich sind.

Emotionale Reaktionen sind sozial vermittelt

Da die meisten unserer emotionalen Reaktionen sozial vermittelt und somit individuell sind, gibt es für Eltern und Pädagogen viel zu tun. Denn wir alle müssen von klein auf lernen, unsere angeborenen Gefühle zu steuern, auf diejenigen unserer Mitmenschen zu reagieren und die Wertvorstellungen unserer Kultur zu respektieren. Gefühle bilden sozusagen die Gleise für den Zug des Lebens. Wenn sie in der Kindheit breit und stabil angelegt werden, dann ist ein Entgleisen sehr unwahrscheinlich.

Unsere Kinder brauchen im unsteten Fluss der gesellschaftlichen Veränderungen verlässliche Geländer. Wer glaubt, ein großes Wissensrepertoire allein reiche aus, um ihnen diese Sicherheit zu geben, der übersieht, dass zur Bildung im 21. Jahrhundert vor allem eine Schlüsselqualifikation gehört: emotionale Intelligenz. Ist diese gut ausgeprägt, so geht damit eine positive schulische Entwicklung einher. Umgekehrt bedeutet eine geringe emotionale Kompetenz jedoch einen Risikofaktor für die Schul- und Berufskarriere. Gefühle wirken demnach als Motor der geistigen Entwicklung eines Kindes.


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Viele Jahre lang hat die Pädagogik die emotionale Entwicklung der Kinder dem Zufall überlassen. Das hat traurige Konsequenzen: Etliche Kinder und Jugendliche leiden unter psychischen Erkrankungen wie Essstörungen oder Depressionen. Charmaine Liebertz fordert dazu auf, die Herzensbildung der Kinder zur wichtigsten Aufgabe zu machen. Dazu gibt sie neben gut verständlichen theoretischen Grundlagen über den aktuellen Stand der Hirnforschung auch viele praktische Tipps, stellt Spiele und Übungen zusammen, um die eigenen Emotionen kennen zu lernen, mit ihnen umzugehen, Empathie zu entwickeln und soziale Kompetenz zu erwerben.

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Vernunft und Verstand sind eigebettet in die emotionale Struktur

Jeder Mensch meistert kritische Augenblicke, schwierige Phasen, gefährliche Versuchungen, dauerhafte Belastungen und ungünstige Lebensbedingungen umso besser, je ausgeprägter seine emotionale Intelligenz ist. Er vermag seine eigenen Gefühle und Reaktionen – ebenso wie die anderer – in verschiedenen Situationen einzuschätzen, zu handhaben und zu bewerten.

Die Hirnforschung lehrt uns heute, dass Vernunft und Verstand eingebettet sind in die emotionale Struktur des Menschen. Emotionale Reize wirken auf nahezu alle Bereiche der Großhirnrinde, die unsere Wahrnehmung und komplexen Denkabläufe steuert. Das limbische System bewertet und wägt alles, was wir tun, mit unserem emotionalen Erfahrungsschatz ab. Gedanken und Gefühle sind also im neuronalen Netzwerk eng miteinander verknüpft; sie funktionieren als ganzheitliche Einheit.

Den Umgang mit Gefühlen lernen

Wer in seiner Kindheit und Jugend gelernt hat, mit seinen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen umzugehen, der vermag sein geistiges Potenzial voll auszuschöpfen, ohne zum Spielball seiner Emotionen zu werden. Kinder und Jugendliche mit hoher emotionaler Intelligenz verfügen über ein stabiles Selbstwertgefühl, über Problemlösungsstrategien, über ein inneres Krisenmanagement, und vor allem kennen sie Alternativen zu Gewalt und Drogen, um sich selbst zu spüren.

Eines ist jedoch besorgniserregend: Immer mehr Kinder beziehen ihre Identität aus der Interaktion mit zahlreichen Medien. Fernab vom realen Leben stattet sie die virtuelle Welt mit der ersehnten Omnipotenz aus und schenkt ihnen Beachtung. In dieser – etwa in Chatrooms oder Spielen erworbenen – künstlichen Identität verbringen sie oftmals mehr Zeit als in ihrer realen.

Pädagogen im Wettkampf mit virtuellen Erziehungsagenten

Im Wettkampf mit den virtuellen Erziehungsagenten, wie Fernsehen oder Computer, müssen wir Pädagogen mehr denn je den Respekt vor der Würde des Menschen, seine Fähigkeit zum Mitleid und seine emotionale Spannbreite im sozialen Miteinander fördern. Wir können uns nicht länger allein hinter den Strategien der Wissensvermittlung verschanzen und in Sachen Herzensbildung ein Ungenügend abliefern, während die Kinder orientierungslos nach starken Vorbildern suchen.

Das vielfältige Orchester der Gefühle braucht einen Dirigenten! Eine unserer wichtigsten Erziehungsaufgaben ist es, das Kind im Laufe seiner emotionalen Entwicklung zu einem kompetenten Dirigenten heranzubilden. Wir Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräfte neigen oft dazu, dieses emotionale Wachstum als selbstverständlich, jede kleinste, neue Bewegung oder Wortschöpfung dagegen als Meilenstein in der kindlichen Entwicklung anzusehen.

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Charmaine Liebertz „Spiele zur Herzensbildung“. Herzensbildung bedeutet, die Entwicklung des Kindes zu einem offenen, stabilen Erwachsenen, der das Leben als ein Miteinander versteht. Emotionale Intelligenz und das Zusammenspiel von Körper, Geist und Emotion sind der Schlüssel zu einem glückenden Leben. Mit zahlreichen leicht umsetzbaren Spielen, hilft Charmaine Liebertz, eigene Emotionen zu entdecken und soziale Kompetenzen aufzubauen und umzusetzen.

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Dr. Charmaine Liebertz ist Heilpädagogin und Lehrerin. Sie war zehn Jahre lang wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Heilpädagogik an der Universität Köln. Lernen besteht für sie nicht nur aus dem Anhäufen von Fakten, sondern muss im Einklang von Körper, Herz, Geist und Humor geschehen. Dafür setzt sie sich in der Gesellschaft für ganzheitliches Lernen e.V. ein, die sie 1996 gründete.




Die nachhaltige Entwicklung des Kindes braucht professionelle Fachkräfte

Professionalität: Herausforderung und Notwendigkeit, um handlungskompetent zu agieren

Neben den prägenden Einflüssen der Eltern(teile) und dem weitgefächerten soziokulturellen Umfeld des Kindes hat auch die Kindertageseinrichtung mit ihrem individuell-spezifischem Konzept, ihrer Konzeption mit den entsprechend festgelegten Eckdaten, ihren MitarbeiterInnen und deren Haltung/Selbstverständnis/Arbeitsweise einen ganz erheblichen Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung des Kindes, das in Abhängigkeit von den genannten Faktoren in entwicklungsförderliche oder –hinderliche Prozesse kommt. Dieser unverrückbaren Tatsache haben sich elementarpädagogische Fachkräfte zu stellen und damit immer wieder auseinanderzusetzen, um persönliche Verantwortung für das zu übernehmen, was um sie herum geschieht. .

Professionalität wird unterschiedlich diskutiert und definiert

Der Begriff „Professionalität“ wird im Berufsfeld der elementarpädagogischen Fachkräfte / Kindheitspädagog/innen seit über 25 Jahren – sicherlich auch durch die Qualitätsoffensive in Gang gesetzt – verstärkt in den Mittelpunkt der Pädagogik gerückt, verbunden mit sehr unterschiedlichen, sich ergänzenden aber auch sehr widersprüchlichen Frage- und Aufgabenstellungen, Ansatzmodellen, Hypothesen und Anforderungen an die Ausbildungsinstitutionen, Fort- und Weiterbildungsinstitute, die Träger sozialpädagogischer Einrichtungen und im Sinne einer Delegation von Erwartungen an die Fachkräfte selbst. Dabei ist es derzeit unmöglich, ein vollkommen einheitliches Bild zur „Professionalität im Beruf“ zu entwerfen, zumal die Betrachtungsweisen in der Theorie und Praxis von sehr unterschiedlichen Ausgangswerten und Sichtweisen ausgehen: mehr oder weniger fachlich, aus unterschiedlichen Haltungsrichtungen und aus sehr unterschiedlichen Absichten!  Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, „Professionalität im Beruf“ anhand von einzelnen, ausgewählten Grundüberlegungen fassbarer zu beschreiben, um den besonderen Wert des „Berufsbildes elementarpädagogischen Fachkräfte/Kindheitspädagog/innen“ und die enorme Bedeutung des elementarpädagogischen Handelns für die Kinder und eine humanistisch orientierte Gesellschaft – in Gegenwart und Zukunft – hervorzuheben.

Der Begriff „Professionalität“ leitet sich aus dem lateinischen Wort >professio< ab, was mit >Bekenntnis, Gewerbe, Beruf< übersetzt werden kann. Professionelles Denken und Handeln ist zweifelsohne ein unverzichtbares Element in jedem verantwortungsvollen Beruf – damit auch in der Elementar-/ Kindheitspädagogik. Professionalität ergibt sich aus der Summe vorhandener Spezialqualifikationen (a), einem wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen, das über allgemeine Grundkenntnisse deutlich hinausgeht (b), durch eine tiefe, innere Bindung der Person zum Beruf und den Menschen, mit denen die Fachkräfte in Kontakt stehen – Abgrenzung: Beruf[ung] vs. Job- (c), durch eine entwicklungsförderliche Kommunikations- und Interaktionspraxis (d), eine lösungssuchende Handlungsorientierung auf der Grundlage humanistischer Werte (e) sowie ein gezieltes, fachgerechtes und fundiertes Vorgehen bei Handlungsvollzügen in der beruflichen Alltagsgestaltung (f) – im Gegensatz zu einem willkürlichen, emotional geleitetem Handeln auf der Grundlage unreflektierter und subjektiv festgelegter Maßstäbe.

Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.

Hermann Hesse

Professionalität und fach-/sachkompetentes Handeln sind untrennbar miteinander verknüpft

Der überaus vielfältige Aufgabenbereich der Fachkräfte und die Menge der beruflichen Herausforderungen ergeben sich aus der ständigen Veränderung einer sich permanent wandelnden Gesellschaft, die ihre Auswirkungen auch in die sozialpädagogischen Einrichtungen hineinträgt und mit denen sich die Fachkräfte sowohl im beruflichen Alltag als auch bezüglich ihrer eigenen Lebenskonzepte und Lebensgestaltung auseinandersetzen müssen! So vielfältig die Ausgangsbedingungen und damit verbundenen Grundlagen für eine professionelle sozialpädagogische Arbeit sind (SGB VIII. Band; die länderspezifischen Kita-Gesetze und Bildungsrichtlinien; die UN-Charta „Rechte des Kindes“; Grundlagen der Entwicklungspsychologie [frühe Lebensjahre] sowie der Neurobiologie; ethnologische und anthropologische Kenntnisse; der Bildungs- und Bindungsforschung; Berufsbild der Kindheitspädagog/innen und deren spezifische Anforderungen), so notwendig ist es auch, diese zu kennen (!) und bejahend zu akzeptieren, dass diese Basisdaten in der praktischen Arbeit berücksichtigt und auch praktisch umgesetzt werden wollen. Dies gelingt nur, wenn aus einem von außen gesetzten >Sollen/ Müssen< ein innerlich bejahendes >Wollen< wird.

Wer immer nur funktioniert, entzieht sich dem Abenteuer des Lebens.

(Armin Müller-Stahl)

Elementare Herausforderungen an ein professionelles Handeln

Die früher häufig gebrauchte Aussage, „ja wenn die Eltern nicht mitarbeiten bzw. entwicklungshinderliche Einflüsse weiter bestehen bleiben, dann können wir als Kita auch nichts gravierend bewirken“, hat seit den bahnbrechenden Ergebnissen der Resilienz- und Genderforschung und dem hohen Bedeutungswert, der sich aus den Erkenntnissen der Bindungsforschung ergibt, keine Berechtigung mehr. So haben alle Kindertageseinrichtungen ganz besondere Querschnittsaufgaben zu erfüllen: a) Unterstützung der Individalentwicklung und der Selbstbildungsprozesse des Kindes, b) Realisierung einer Inklusion von Anfang an, c) Prävention durch eine offensive Ressourcenorientierung im Rahmen der pädagogischen Qualität, d) ein tatsächliches Partizipationserleben in alltäglichen Situationen statt pseudorelevanter Einzel“projekte“ , e) eine humanistisch geprägte Werteorientierung durch Alltagserfahrungen, f) Kooperation im Innen- und Außenbereich in einer konstruktiven Vernetzung mit allen bedeutsamen Personen/ Institutionen. Um diese vielfältigen, fachlich notwendigen und komplexen Aufgaben erfüllen zu können bedarf es ganz bestimmter Kompetenzen, die sich nur durch ein professionelles Handeln ausdrücken können.

Die Welt gehört dem, der in ihr mit Heiterkeit nach hohen Zielen wandert.

(Ralph Waldo Emerson)

Fachlich-personale Kompetenzen, die eine Professionalität ermöglichen

Neben einer hohen Fachkompetenz (auf der Grundlage eines breiten Wissensspektrums), einer innovativen Perspektivübernahme (was ist jetzt und demnächst wirklich not-wenig?) und einem visionären Weitblick (was darf nicht aus dem Auge verloren werden?), einem Interesse an einer nachhaltigen Selbstbildung für sich ganz persönlich, der Kunst einer Selbstmotivation (wie bekomme ich hier und jetzt „die Kuh vom Eis“?), einer mutigen, offensiven und wahrnehmungsoffenen, berufsbegleitenden Selbstreflexion (über eigene, selbst gesetzte Grenzen gehen und sich auf unbekanntes Terrain wagen), einer angemessenen Identifizierung mit der Einrichtung und deren Zielsetzungen, einer Ziel-, Lösungs- und konstruktiven Aufgabenorientierung (thematisieren, ändern statt klagen), einem gerechten und fairen Verhalten (Verabschiedung von eine Sieger-/Verlierermentalität) , einer differenzierten Betrachtung alter und neuer Aufgabenstellungen (was hat fachlich betrachtet und begründet Bestand, was nicht?), einer ständigen Überprüfung eigener Handlungsauswirkungen (welche Folgen hat das eigene Verhalten – für sich selbst und auf andere?), einem Interesse an berufspolitischen Fragestellungen (Mitwirkung bei Professionalitätdebatten), einer realistischen Einschätzung eigener (In)kompetenzen sowie einem Veränderungswillen, Schwächen in Stärken zu wandeln zeigt sich Professionalität immer wieder im Prozess eines entdeckenden Alltaglernens, einem kritischen Hinterfragen von Routinen und Gewohnheiten, wo auch Misserfolge als hilfreiche Erfahrungen betrachten werden. Kollegiale Konkurrenz ist dabei ebenso ein Fremdwort wie Problemverschiebung oder Verantwortungs-/ Schuldelegation, Harmoniebestreben, Starrheit oder Konfliktverstärkung, Veränderungsangst oder Toleranz. So geht es immer wieder darum, Wesentliches von Unwesentlichem, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, über den eigenen „Zaun“ zu schauen, Mitwirkungsrechte umfassend/ mutig zu nutzen und selbstbewusst den täglichen Anforderungen entgegenzugehen.

Das Staunen ist der Anfang der Erkenntnis.

(Platon)

Schwierigkeiten stehen einer geforderten Professionalität nicht selten im Weg

So berechtigt diese Merkmale und Forderungen sind, so schwierig ist es oftmals, diese auch umzusetzen, weil unterschiedliche Hindernisse dabei entgegenwirken (können). Seien es Schwierigkeiten, die auf der individual-personalen Ebene liegen (persönlich geprägte Vorlieben/ Abneigungen/ Vorurteile gegenüber Unbekanntem, eine eingeschränkte Belastbarkeit, Ziellosigkeit durch Unwissen, Persönlichkeitsstörungen unterschiedlicher Art, fehlende/ eingeschränkte Berufsmotivation, festgefahrene Routinemuster, Theoriefeindlichkeit, …) oder durch einen überhöhten Erwartungsdruck bzw. unberechtigte, öffentliche Anspruchshaltungen an die Gestaltung der Alltagspädagogik (durch Eltern, Grundschulen, Kinderärzte, Fachberater/innen …), bei dem der Eindruck entsteht, alle wollen auf die Arbeit ihren Einfluss geltend machen. Oder durch ungünstige Rahmenbedingungen, die eine partizipatorische, humanistisch orientierte und fachlich erforderliche Pädagogik stark einschränken bzw. unmöglich machen (eingeschränkte Finanzen, ungünstige Personalbesetzung, fehlende Unterstützung bei Fort-/ Weiter-/ Zusatzausbildungswünschen …), durch immer wieder neue pädagogische Zielsetzungen, deren Berechtigung im Einzelfall genau (!) und sachlich-undogmatisch geprüft werden muss (u.a. Lerntagebücher; die unüberschaubare Fülle an teilisolierten Förderprogrammen im kognitiven, motorischen und sozialen Bereich, zu häufige Entwicklungsberichte; Qualitätsmanagementverfahren, die sich durch die Fülle der Dokumentationen ad absurdum führen; funktionalisierte Portfolios, …), durch bildungspolitische Strömungen, die wie Eintagsfliegen plötzlich den pädagogischen Horizont durchschweben oder durch  bestimmte Dienstanweisungen vom Träger, die in manchen (vielen?) Fällen auch fachlich unberechtigt und kontraproduktiv sind. Schließlich können massive Störungen im Kollegium (ausgelöst oder verursacht durch einzelne KollegInnen) das gesamte Arbeitsklima vergiften und ein professionelles Handeln im Beruf sehr erschweren, zumal dann, wenn keine regelmäßigen Supervisionssitzungen oder Coachings zum festen Bestandteil einer Berufsausübung gehören. Doch die zuvorderst bestehende Grundschwierigkeit in einer praxisrelevanten Professionalität besteht darin, dass pädagogische Forderungen, die elementarpädagogische Fachkräfte zu erfüllen haben, dadurch massiv erschwert werden, wenn Arbeitsvorgaben/ -erwartungen mit selbst erlebten Einschränkungen unvereinbar sind (z.B. eine erwarte Loyalität zum/vom Arbeitgeber vs. Freiheit eigener Entscheidungen, Fremdbestimmungen vs. Selbstbestimmung, Schulorientierung der Elementarpädagogik vs. emotional-soziale Stabilisierung des Selbstwertgefühls der Kinder, Schulung/ Training von Fertigkeiten vs. kindgerechter Aufbau von Fähigkeiten, Bildung aus II. Hand vs. Bildung aus I. Hand, unzureichende Bezahlung der Fachkräfte vs. intrinsisch motivierte Arbeits- und Lernfreude).

Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt. Der andere packt sie kräftig an … und handelt.

(Dante Aligheri)

Professionalität und Identität sind aufs Engste miteinander vernetzt

Pädagogische Zielsetzungen für Kinder können nur dann erreicht werden, wenn dieselben, emanzipatorisch-humanistisch Zielsetzungen für Kinder auch von den Fachkräften in den eigenen, alltäglichen Arbeitserfahrungen praktisch erlebt werden können.

Professionalität und Identität der Person (als Fachkraft) sind aufs Engste miteinander verknüpft und können nicht voneinander losgelöst betrachtet werden. Um sein Gegenüber und seine Lebenswelt zu verstehen setzt Professionalität voraus, zunächst immer wieder (berufsbegleitend) sich selbst zu betrachten, die eigene Persönlichkeit und das aktuelle Handeln in biographischen Zusammenhängen zu verstehen und immer wieder neu gewonnene Erkenntnisse im Sinne der eigenen Entwicklung produktiv zu nutzen. Um Entwicklungs- und Bildungsprozesse anderer zu initiieren und zu begleiten bedarf es einer eigenen Selbstaktivierung und Begleitung eigener Bildungsprozesse.

Professionalität entsteht in einer systematischen Dynamik von innen nach außen.

D.h.: vom Ich zum DU, so wie auch jede Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen nur und ausschließlich von der Personqualität zur pädagogischen Qualität bei einer entwicklungsförderlichen Strukturqualität geschieht. Professionalität entwickelt sich stets durch den Auf-/ Ausbau von

a) Selbstkompetenzen (z.B. durch ein stabiles Selbstwertgefühl, Offenheit gegenüber Neuem, Neugierde auf neues Wissen und neue Erkenntnisse aus den unterschiedlichen, wissenschaftlichen Fachdiziplinen, Selbstmotivation bei Arbeitserfordernissen, Freude an Selbsterfahrung, selbstaktive Erweiterung der eigenen Lernkompetenz, ein hohes Maß an Angstfreiheit, Selbststeuerungskräfte, Konzentration auf Wesentliches, Nutzung von erlebtem Stress als Kraftimpuls für Lösungsorientierungen…)

b) Sachkompetenzen ( z.B. Selbstständigkeit bei der Umsetzung von Arbeitsvorhaben, Lösungsorientierung statt Problemfixierung, Innovationsfreude, kritische Auseinandersetzung mit alltäglichen Anforderungen, Umsetzung des innerlich integrierten Wissens, sach-, methoden- und zielkompetente Umsetzung von notwendigen Erfordernissen, Lernumgebungen erkunden und förderlich-partizipatorisch mitgestalten, Zielsetzungen aufstellen und systematisch umsetzen, Konzepte einer humanistisch-pädagogisch ausgerichteten Qualitätsentwicklung aktiv unterstützen…) 

c) Sozialkompetenzen (z.B. Neugierde auf Menschen, Wahrnehmungsoffenheit im Umgang mit Kindern, Eltern und Kolleg/innen, eine konstruktive Kommunikationskultur, Vorurteilsfreiheit und Akzeptanz einer gesellschaftlichen Vielfalt, Besitz einer fühlenden Empathie, Umsetzung soziokulturell bedeutsamer Werte [statt einer Normorientierung], Konflikt(lösungs)kompetenz, Gruppenprozesse systemisch erfassen und konstruktiv mitgestalten, Inklusion authentisch bejahen, Pflege einer stimmigen Teamarbeit…)

Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.

(Ernst Bloch)

Professionalität erfordert ein allseitiges Interesse an Entwicklung!

Wenn Professionalität – wie häufig in verschiedenen Veröffentlichungen und öffentlichen Diskussionen festzustellen ist – primär als „formales Modell“ mit einer „Akademisierung“ gleichgesetzt wird, so greift diese Betrachtung zu kurz! Vielmehr geht es um eine „Qualität von Beruflichkeit“, die sich durch hohe, anspruchsvolle Kompetenzen ausweist. Professionalität wird sich dort entwickeln (können), wo Fachkräfte eine qualitativ hochwertige Ausbildung absolvieren können und permanente Weiterbildung wahrnehmen. Fachkräfte stellen sich zugleich den beruflichen Anforderungen  und erfüllen diese mit Menschlichkeit und gutem, aktuellem Fachwissen. Außerdem bestehen in professionell gestalteten Einrichtungen überwiegend Strukturbedingungen, in denen auch eine Professionalität der Fachkräfte (von Seiten des Trägers/ den Fachberater:innen) wirklich gewünscht ist und darüber hinaus nicht nur ein Lippenbekenntnis von Wissenschaft/ Politik/ ministerieller oder trägerspezifischer Seite bleibt. Last not least haben auch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zu lernen, ihre Erkenntnisse und Forderungen mit der PRAXIS zu verbinden, Träger und alle tarifverantwortlichen Kräfte haben dafür zu sorgen, dass Fachkräfte mit ihrer professionellen Tätigkeit entsprechend ihrer bedeutsamen Arbeit angemessen entlohnt werden und Arbeitsbedingungen vorfinden, die ein professionelles Alltagshandeln erst ermöglichen bzw. erleichtern. PROFESSIONALITÄT ist kein isoliertes Vihiculum, das sich nur auf Kindheitspädagog/innen zubewegt.

Das Anmahnen von entwicklungsförderlichen Bedingungen darf aber nicht zum Alibi auf Seiten der Fachkräfte vorgebracht werden, es könne wegen ungünstiger Bedingungen keine Professionalität aufgebaut/ weiterentwickelt werden. Professionalität verlangt Eigeninitiative, Selbstständigkeit und immer wieder Selbstmotivation sowie die feste Gewissheit, dass eine Professionalitäts(weiter)entwicklung mit eigenen Schritten beginnt und nur durch diese auch ausgebaut/ nachhaltig stabilisiert wird. Nur so. Dazu gehört gerade in dieser sehr diffusen und wirtschaftsgeprägten „Welt der Kleinkindpädagogik“, in der zunehmend wirtschaftsgeleitete Funktionsträger (zumeist Nichtpädagogen) das elementarpädagogische Ruder an sich reißen (wollen) und die Fahrtrichtung vorgeben, eine sich noch stärker zu bildende Lobby an professionellen Kindheitspädagog/innen, die nicht alles mit sich machen lassen sondern in professioneller Manier denen die „Rote Karte“ zeigen, die den Kindern das lebendige Alltagsleben immer mehr zerstören und Kindheitspädagog/innen den Weg einer „Entwicklung von Professionalität“ versperren.      

Die mächtigste Kraft der Welt ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist.  

(Victor Hugo)   

Literaturhinweise

von Balluseck, Hilde (Hrsg.): Professionalisierung der Frühpädagogik. Perspektiven, Entwicklungen, Herausforderungen. Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008

Krenz, Armin: Grundlagen der Elementarpädagogik. Unverzichtbare Eckwerte für eine professionell gestaltete Frühpädagogik. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2014

Krenz, Armin: Elementarpädagogik und Professionalität. Lebens- und Konfliktraum Kindergarten: Grundsätze zur Qualitätsverbesserung in Kindertagesstätten. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2013

Krenz, Armin: Elementarpädagogik aktuell. Die Entwicklung des Kindes professionell begleiten. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2013

Krenz, Armin (Hrsg.): Psychologie für Erzieherinnen und Erzieher. Cornelsen Verlag, 3. Aufl. 2016 (Kapitel I: Die Erzieherin im psychologischen Kontext;/ Kapitel IV: Psychologie als persönlicher Gewinn)

Rudow, Bernd: Beruf Erzieherin/ Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. Münster 2017

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor a.D. , Wissenschaftsdozent für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspädagogik




Skizzen einer demokratischen Erziehung nach Janusz Korczak

Demokratielernen mit Geschichten und Organisation der Lebensgemeinschaft

Für Kinder schrieb Janusz Korczak Geschichten zur Selbsterprobung. Die Geschichten – „Wenn ich wieder klein bin“, „Jack handelt für alle“, „König Hänschen der Erste“, „König Hänschen auf der einsamen Insel“, „Der Bankrott des kleinen Jack“ oder „Kaitus, der Zauberer“ – ermöglichen dem einzelnen Kind seine Vorstellungen zu erweitern und Fantasie zu entwickeln, Alternativen zur Wirklichkeit durchzuspielen, zu gehorchen (nicht weil es Angst hat, sondern weil es selbst Ordnung haben will), Identifikationen vorzunehmen, sich zu wandeln und seine Hoffnungen zu stärken.

Visionen von einer Welt ohne Krieg

So erfindet Korczak mit König Hänschen einen Kinderkönig, also ein Kind, das Macht und Verantwortung hat, aber dennoch Kind bleibt. Das Kind kann seine Unerfahrenheit und Ohnmacht erkennen und die Macht der Großen durchschauen, ihre Grenzen und Schwierigkeiten wahrnehmen. Es kann erkennen, dass Macht und Verantwortung zwei Seiten einer Medaille sind.

Das Kind erfährt, wie sich König Hänschen mit den Unzulänglichkeiten, die in der Welt herrschen, auseinandersetzen muss: Mit Ministern, die ihn belügen, oder mit seinem Freund Fritz, der sich bestechen lässt. Aber es erfährt auch, wie es die Welt zum Guten wenden und Schritte auf dem Weg zu einer gerechteren Welt tun kann. Und es erfährt, wie sich König Hänschens Einstellung zum Krieg ändert, welchen Lernprozess er von der Kriegs- zur Friedensbereitschaft durchmacht. Die Geschichten zeigen auch Visionen von einer Welt, in der es keinen Krieg mehr geben muss.

Aufgaben, die ein Kind erfüllen kann

In Korczaks Geschichten für Kinder gibt es keinen machtvollen Sieger wie in vielen Kinderbüchern. Mächtig zu sein befriedigt ja nur ein augenblickliches Lustbedürfnis. Geschieht dies nicht, dann greift Frustration um sich, die wohl die größte Quelle der Aggression ist.

Wir finden in Korczaks Geschichten nicht Forderungen um jeden Preis, sondern Aufgaben, die ein Kind erfüllen kann. König Hänschen zeigt Aufgaben und risikoreiche Wege zu ihrer Bewältigung, denen jedes Kind sich gewachsen fühlen kann. Freilich ist der gute König am Ende ein trauriger König auf der einsamen Insel. Offenbar ist es in unserer Welt so eingerichtet, dass ein Mensch, der Gutes tut, zunächst einsamer sein wird als andere. Er wird aber von denen geachtet, die für eine gerechtere Welt eintreten.

Überwinden, ermöglichen und sensibilisieren

Korczaks Geschichten sind ein bedeutsames Erziehungsmittel gerade in Kindertageseinrichtungen, die Kinder von Flüchtlingen und Kinder mit Behinderung besuchen. Die Geschichten halten den Zielsetzungen der neuen Kinder- und Jugendliteratur stand: Sie überwinden Fixierungen auf Autoritäten, ermöglichen Kritikfähigkeit, sensibilisieren für eigene und fremde Interessen. Sie tragen zur Entwicklung eines Realitätsbewusstseins bei, das eine illusionistische und pessimistische Weltsicht überwindet.

Korczak hat in seinen Geschichten die Gegensätze nicht in einer Synthese aufgehoben, sie oszillieren vielmehr und halten das Denken in Bewegung. Die Geschichten laden zum Mitdenken ein, bei dem keiner den Anderen zu vereinnahmen braucht und jeder kann sich als Teil des Ganzen fühlen: Kinder und Erwachsene, Studierende und Lehrende.

Organisation der Lebensgemeinschaft

Korczak strukturiert im Waisenhaus die Organisation der demokratischen Erziehungsgemeinschaft, bei der das Kind ein gleichwertiger, gleichwürdiger und gleichberechtigter Partner ist. Da aber der Erzieher durch seine Erfahrungen gegenüber dem Kind einen Vorsprung hat, ist er verpflichtet die Perspektive des Kindes und gleichzeitig die eigene zu achten. Bei diesem achtsamen Dialog geht es darum, dem Kind seinen eigenen Gestaltungswillen in der nach republikanischen Regeln geordneten Gemeinschaft zu ermöglichen.

Korczaks breit gefächertes Konzept der demokratischen Erziehung enthält ein pädagogisches System: Für Kinder entwickelt Korczak differenzierte Spielregeln für die Selbstverwaltung mit wenig bestrafenden Paragraphen. Mit ihnen erprobt er Spielregeln in der Kinderrepublik. Das Kindergericht der Erziehungsgemeinschaft ist um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit bemüht und orientiert sich am Grundsatz des Verzeihens. Die selbst zu verantwortende Verwaltung ermöglicht den Kindern ihre gemeinsamen Angelegenheiten zu erkennen und zu definieren, Regeln und Formen des gegenseitigen Einvernehmens zu erfinden. Durch diese Selbstverwaltungsstruktur in der „kleinen Kinderrepublik“ können sich Kinder selbst disziplinieren und „mehr Demokratie wagen“.

Ferdinand Klein

Hier geht es zu einem weiteren Artikel von Prof. Ferdiand Klein zu Korczaks Pädagogik.

Mehr über Janusz Korczak und Inklusive Erziehung von Prof. Ferdinand Klein

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Geschwister prägen ein Leben lang

Gerade in Corona-Zeiten können Geschwister füreinander eine gute Untersützung sein

Manchmal hat das Familienleben etwas Herzzerreißendes. Mia ist drei Jahre alt, ihre ältere Schwester Svenja gerade sechs. Beide sitzen am Küchentisch und essen. Mia versucht die Aufmerksamkeit ihrer Schwester zu erregen, indem sie laut zu singen beginnt. Svenja ist ohnehin schon sauer. „Hör auf, Du nervst!“, herrscht sie die kleine Schwester an, die völlig aus der Fassung gerät und schluchzend ruft: „Aber ich will dich doch gar nicht nerven. Ich will doch nur so sein wie du.“

Fluch und Segen von Geschwisterbeziehungen

Fluch und Segen von Geschwisterbeziehungen beschäftigen die Menschheit seit Jahrtausenden. Ideale Geschwister, wie Kastor und Pollux, die füreinander bedingungslos einstehen, kannte schon die griechische Mythologie. Die Brüder Grimm, Wright oder Mann haben Enormes geleistet. Seit Kain und Abel wissen wir aber auch, wie schief so manche Geschwisterbeziehung laufen kann. Und nur selten fördern die kindlichen Kabbeleien den Lebenserfolg so nachhaltig wie bei den Klitschkos.

Manche Eltern wissen wahre Horrorgeschichten von den Streitigkeiten ihrer Kinder zu erzählen. Blaue Flecken, Kratzer und manchmal ein ausgeschlagener Zahn sind keine Seltenheit. Warum wünschen sich so viele dennoch mehr als ein Kind oder sogar einen reichen Kindersegen? Sicher sind wir nicht von Hanni und Nanni hypnotisiert.

Unterm Strich positiv

Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten, Frühpädagoge und Familienforscher, bringt es auf den Punkt: „Geschwister erleben Tag für Tag ein Wechselbad der Gefühle: Neid auf den anderen, Enttäuschung, Angst vor Verlust und Versagen – aber auch die Sicherheit von Zusammengehörigkeit und gegenseitigem Vertrauen.“ Zwar hat er auch die Nachteile des Geschwisterlebens analysiert, weiß aber, dass in aller Regel die positiven Seiten überwiegen. „Einen Bruder oder eine Schwester zu haben, bedeutet für jedes Kind in erster Linie einen Gewinn an Sicherheit, Zusammengehörigkeitsgefühl, Vertrauen, Erfahrung im Umgang miteinander und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten, den Einzelkinder nicht erleben.“ Blut ist eben doch dicker als Wasser, wie der Volksmund sagt.

Schutz- und Risikofaktoren

„Geschwisterkinder ahnen nicht, wie mühsam es ist, immer sozialkompetent zu sein, denn das ist die Voraussetzung für Einzelkinder, um Mitspieler zu bekommen, die ja nicht automatisch mit im Zimmer oder im Garten sind,“ berichtet die Verhaltensbiologin und Inhaberin der selbstständigen Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen PD Dr. Gabriele Haug-Schnabel aus ihrer täglichen Arbeit. Auch als Mutter zweier Kinder erklärt sie: „Wer Geschwister hat, weiß, dass mit Geschwistern beglückende und vernichtende Erfahrungen gemacht werden können. Geschwister können als Schutzfaktoren im eigenen Entwicklungsverlauf wirken – sie können aber auch Risikofaktoren sein, die weit über den Auszug aus dem Elternhaus hinaus Einfluss auf das eigene Leben nehmen. Das haben Geschwisterkinder erlebt und Geschwisterforscher detailliert untersucht.“

Was die Forscher zudem entdeckt haben: Den Eltern kommt die größte Bedeutung zu, wenn es um die Geschwisterbeziehung geht.  Wir prägen mit unserem Vorbild und beeinflussen mit unserem Verhalten das Verhältnis unserer Kinder. Insofern können wir viel zum Gelingen beitragen.

Aus der Sicht des Kindes

Als Ausgangspunkt rät Prof. Kasten: „Wichtig ist, dass Sie immer wieder versuchen, die Dinge einmal aus der Sicht Ihrer Kinder zu betrachten: Wie ist das zum Bespiel für ein Kind, wenn sich ein zweites Baby ankündigt und man plötzlich nicht mehr die Hauptrolle in der Familie spielt? Auf einmal soll man der große, vernünftige Bruder sein. Wie hätten Sie an seiner Stelle reagiert?“

Für viele erstgeborene Kinder wächst sich die Entthronung durch ein neues Geschwisterchen zum echten Trauma aus. Monika Schloß erzählt in ihrem Buch „Wie Geschwister Freunde werden“ eine rührende Geschichte dazu: „Eines Tages nimmt die Mutter ihren kleinen Sohn auf den Schoß und sagt: ,Papi und Mami haben eine große Überraschung für dich. Bald bekommst du ein Geschwisterchen. Jetzt sag’ mal: Was möchtest du lieber haben – ein Brüderchen oder ein Schwesterchen?’ Worauf der Kleine lakonisch antwortet: ,Einen Hund!’“

Vielleicht will der kleine Junge tatsächlich einen Hund. Wahrscheinlich wäre zudem, dass er von der Furcht getrieben ist, die Liebe und Aufmerksamkeit seiner Eltern künftig teilen zu müssen. Schon neun Monate alte Babys wissen, dass sie mit ihrem Verhalten Aufmerksamkeit auf sich lenken können. Sie lernen zu lächeln und zu brabbeln. Gleichzeitig bemerken sie, wenn andere Kinder sich entsprechend verhalten und entwickeln Konkurrenzgefühl und Eifersucht.

Wenn das zweite Kind kommt

Leider lassen sich diese Gefühle auf Dauer kaum vermeiden. Dennoch können wir einiges tun, damit sie nicht zu stark auftreten. Wenn ein Baby unterwegs ist, neigen viele Eltern dazu, sich auf die Schwangerschaft und das Neugeborene zu konzentrieren. Dabei braucht gerade jetzt das ältere Kind besondere Beachtung.

Wie Geschwister Freunde werden

Wie sich Geschwister positiv führen lassen, dass sie harmonisch miteinander leben und gegenseitig voneinander profitieren, darauf gibt Monika Schloß wertvolle praktische Lösungsvorschläge und Anregungen.

Monika Schloß (Hrsg.):
Wie Geschwister Freunde werden
So helfen Sie Ihren kleinen Rivalen, sich zu verstehen und zu vertragen

Hardcover, 207 Seiten
ISBN: 978-3-934333-26-0
14,95 €

Binden Sie deshalb das Kind dauerhaft mit ein. Bringen Sie das Thema immer wieder zur Sprache, damit es sich daran gewöhnen kann. Dabei dürfen Sie ruhig darüber reden, dass Schwangerschaft anstrengend ist und so manche Gereiztheit ihre Ursache darin hat. Ihr Kind versteht dann, warum Sie manchmal anders reagieren als bisher. Richten Sie mit ihm gemeinsam das Kinderzimmer ein, beteiligen Sie es an der Namensfindung, nehmen Sie es mit zur Ultraschalluntersuchung und unternehmen Sie viel gemeinsam, damit ihr Kind nicht den Eindruck hat, dass es zu kurz kommt.

„Schick das Baby doch zurück“

Bei so einer Vorbereitung kann Ihr Kind eine Menge Angstgefühle abbauen und freut sich vielleicht auf das Geschwisterchen.

Nun kann es natürlich ganz anders kommen und ihr Kind ist verzweifelt nachdem gerade das neue Geschwisterchen im Haus ist. Es versteht nicht, wie Sie dieses schreiende, runzlige Etwas lie haben können. Dass das Baby alles darf. In die Windeln machen, nachts die Eltern aufwecken – während es selbst gar nichts mehr darf.

„Niemand hat mich mehr lieb!“, könnte das Gefühl Ihres Kindes beschreiben. Es wird jetzt vermutlich alles versuchen, um Ihre Aufmerksamkeit zurück zu bekommen. Ihr Kind leidet. Seien Sie deshalb bitte nicht schockiert, wenn es sagt „Schick, das Baby doch zurück!“ Ihr Kind ist nicht böse, sondern nur verzweifelt. Lassen Sie es seine Wut artikulieren. Nehmen Sie sich Zeit. Erklären Sie, dass Sie das Kleine nicht zurückgeben können. „Ich habe das Kleine genauso lieb wie dich. Und dich würde ich auch niemals hergeben.“

Kampf um Liebe und Anerkennung

Geschwister wetteifern um die Liebe und Anerkennung ihrer Eltern. Zwar lässt es sich nicht ändern, einen Bruder oder eine Schwester zu haben. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder dies kampflos akzeptieren. Deshalb kommt es oftmals zum Streit.

Je nach Geschwisterfolge können Eltern auf ganz unterschiedliche Herausforderungen stoßen. Und auch hier ist es wichtig, Verständnis für die Situation des Kindes aufzubringen. Die Situation des ältesten haben wir uns schon angesehen. Schloß stellt etwa noch die Situation des „Sandwich-Kindes“ und des „Nesthäkchens“ heraus.

Von Sandwich-Kindern und Nesthäkchen

Sandwich-Kinder stehen zwischen dem Ältesten und dem Jüngsten. Oftmals bekommen die beiden anderen mehr Beachtung – oder das mittlere Kind empfindet das so. Für mehr Anerkennung entwickelt sich deshalb so manches Kind zum Clown, Tollpatsch oder Rebellen. Dabei gibt es auch Vorteile, das Mittlere zu sein. Weil es nicht so sehr im Fokus steht, kann es sich bereits früh entfalten, wird schneller selbstständig und setzt leichter seine Ideen um. Mittlere Kinder orientieren sich gerne an den älteren. Deshalb entwickeln Sandwich-Kinder oft ein gutes Gespür für Diplomatie, können leichter Kompromisse schließen und vermitteln. Eltern sollten sich deshalb bewusst intensiv mit ihm beschäftigen. Denn das Kind hat viele Eigenschaften, die es zu fördern gilt.

Hilfe, meine Kinder streiten

Von den Autorinnen des Weltbestsellers „So sag ich’s meinem Kind“

Anhand zahlreicher anschaulicher Fallbeispiele und Comics erklären die Autorinnen, wie sich Sie durch einfache Gesprächs- und Umgangsregeln Rivalitäten zwischen den Kindern abbauen können. Zudem erläutern sie, wie Kinder lernen, unangenehme Gefühle auszudrücken, ohne handgreiflich oder beleidigend zu sein und was Bezugspersonen dazu tun können, die Motivation und das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken.

Adele Faber/Elaine Mazlish
Hilfe, meine Kinder streiten
Wie Sie Kindern helfen, einander zu respektieren

Broschur, 240 Seiten
ISBN 978-3-96304-011-5
19,95 €

Das jüngste Kind nimmt dagegen immer eine Sonderstellung in der Familie ein. Es muss erst mal lernen, sich gegen die Älteren durchzusetzen – mal mit Bitten, mal mit Charme, mal mit Schmeicheln und mal mit Nerven und Gebrüll. Weil das Jüngste meist ein Leben lang den „Babybonus“ hat, bekommt es von den Eltern oft den größten Handlungsspielraum. Hier sind klare Grenzen notwendig. Andererseits müssen die Jüngsten erfahren, dass es sich lohnt, sich anzustrengen, auch wenn die Älteren immer voraus sind. Oftmals suchen sie sich ein Spezialgebiet, in dem sie die anderen überflügeln können. Dafür und für die Entwicklung zur Selbstständigkeit, brauchen die Kinder genügend Freiraum. Dabei sind Grenzen und Freiraum kein Widerspruch. Kasten zitiert dazu ein altes Sprichwort: „Kleinen Kindern müssen wir helfen, Wurzeln zu fassen. Großen Kindern müssen wir Flügel schenken.“

Vom Wert der Familie

Wie sich Geschwister entwickeln und gegenseitig prägen, lässt sich nie vorherbestimmen. Als Eltern erreichen wir am meisten durch unser Vorbild, durch das Verständnis für die Situation und entsprechendes Handeln und durch das Fördern familiärer Werte und Eigenschaften wie Solidarität, Vertrauen und Geborgenheit.

Daraus entstehen dann jene positiven Beispiele: Statt miteinander zu konkurrieren, solidarisieren sich Kinder miteinander, spielen zusammen und sind wirklich ein Herz und eine Seele. Dieses Verhalten lässt sich aber nicht erzwingen. Schloß nimmt in ihrem Buch Geschwisterbeziehungen aus etlichen Blickwinkeln unter die Lupe und gibt wertvolle Hinweise, wie sich die Kinder positiv führen lassen.

„Natürlich hängt auch viel von den Eltern ab“, erklärt sie. „Wenn die darauf achten, kein Kind dem anderen vorzuziehen, lässt sich aufkeimende Rivalität leichter vermeiden.“

Jedes Kind ist anders

Möglich, dass Sie an dieser Stelle einwenden, dass es gar nicht so einfach ist, kein Kind dem anderen vorzuziehen. Schließlich sind ja auch die Kinder völlig unterschiedlich. Doch genau darin liegt die Lösung.

Natürlich sind sie das. Deshalb ist eine völlige Gleichbehandlung auch nicht möglich. Jedes Kind hat aber seine eigenen Stärken. Ist das eine sportlich, hat das andere vielleicht mehr ein Gefühl für Musik. Schloß empfiehlt deshalb folgendes:

  • Stellen Sie die Stärken des jeweiligen Kindes heraus.
  • Tadeln Sie möglichst kein Kind für seine Leistungen im Beisein der anderen. Am besten tadeln Sie überhaupt keine Leistungen, sondern fördern die Stärken ihrer Kinder.
  • Stellen Sie keines Ihrer Kinder einem anderen als Vorbild dar. Das schafft nur Unmut.
  • Hören Sie zu, statt zu schimpfen.
  • Greifen Sie bei Streitereien ein, ohne Partei zu nehmen.
  • Geben Sie allen eine Chance und lassen Sie möglichst die Kinder ihre Auseinandersetzungen miteinander lösen.

Dabei müssen Sie sich auch nicht schämen, wenn Sie sich innerlich einem Kind näher fühlen als einem anderen. Das ist natürlich. Wichtig ist nur, dass Sie diese Vorliebe nicht nach außen kehren. Schließlich ist jedes Kind etwas Besonderes. So schlägt Schloß etwa auf die viel gefürchtete Frage „Mami, wen hast Du am liebsten?“ folgende Antwort vor: „Lieb hab ich Euch alle gleich. Aber jeden von Euch lieb’ ich aus anderen Gründen besonders.“ Denn jedes Kind will etwas Besonderes sein und nicht genau so wie die anderen Kinder. Dies ist gleichzeitig der beste Weg zur Entwicklung des eigenen Selbstbewusstseins und zu einer glücklichen Geschwisterbeziehung.

10 Regeln wenn es kracht

  1. Spielen Sie bei Streitereien unter den Geschwistern nie den Richter, der zwischen Schuldig und Nicht-Schuldig entscheidet.
  2. Bestrafen Sie niemals ein Kind allein. Damit verschärfen Sie den Konflikt und das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.
  3. Bleiben Sie ruhig – wer brüllt hat Unrecht.
  4. Suchen Sie nach der Ursache für den Streit.
  5. Stellen Sie fest, warum sich Ihre Kinder genau so verhalten.
  6. Helfen Sie, eine für alle zufriedenstellende Lösung zu finden.
  7. Lassen Sie Ihre Kinder eine Weile allein, damit sich der Zorn legen kann. Reden Sie anschließend ruhig miteinander.
  8. Setzen Sie auf Ihre natürliche Autorität. Kinder brauchen eine Respektsperson, an der sie sich orientieren können.
  9. Schaffen Sie ein Ventil zum Abreagieren. Ein Punchingball wirkt manchmal Wunder.
  10. Lassen Sie zu, dass Ihre Kinder Aggressionen aktiv abbauen. Von der Kissenschlacht über Wutgebrüll bis zum Wettlauf ist alles angebracht, das Adrenalin abbaut.



Erziehung in schwierigen Zeiten braucht viel Humor und Gelassenheit

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Drei Haltungs-Momente, um eigene und fremde Ressourcen zu fördern:

Ferdinand Klein ist Professor für Heil- und Sonderpädagogik. Er blickt auf eine langjährige Erfahrung zurück. In seinem kurzen Artikel schreibt er, wie PädagogInnen und Eltern ihren Kindern in schwierigen Zeiten begegnen sollten.

Jede Theorie muss vom Menschen ausgehen

Bei der Erziehung der Kinder aller Altersstufen wurde mir ein Satz des englischen Arztes und Sozialpsychiaters Ronald D. Laing bedeutsam. Für Laing ist jede Theorie, die nicht vom Menschen ausgeht, „Lüge und Betrug am Menschen“. Seinem Standpunkt folge ich.

Mein Denken geht vom Kind aus, von seinem Bedürfnis, Können und Wollen. Gerade wenn das Lernen im Elternhaus und in der Schule durch äußere Umstände eingeschränkt ist und nicht wie gewohnt erfolgt, ist das Bemühen der Erwachsenen um einen dreifachen Kontakt geboten: Um Kontakt mit sich selbst, mit dem Lernenden und mit dem Inhalt. Wie das gemeint ist, das zeigt die Abbildung, die auf den amerikanischen Psychotherapeuten Carl Rogers zurückgeht.

Rogers erkannte drei Haltungs-Momente, die für gute Beziehungen charakteristisch sind und die eigenen Ressourcen sowie die Ressourcen des anderen Menschen fördern:

  • Achtung des Anderen,
  • Einfühlung in die seelische Welt des Anderen und
  • Aufrichtigkeit, Klärung eigener Gedanken und Gefühle und Selbstöffnung gegenüber dem Anderen.

Die drei Haltungs-Momente sind grundlegend für jede Situation, in der Menschen einander begegnen und sich miteinander austauschen.

Für eine Erziehung mit Humor und heiterer Gelassenheit

Humorvoll und heiter zu handeln ist ein Grundsatz für das Erziehen des Kindes in der Schule und im Elternhaus, das ihm seine persönliche Entwicklung zu ermöglichen hat. Dieser Grundsatz verhindert das Abrichten des Kindes für fremde Zwecke, die von außen gesetzt werden.

Was Humor nun wirklich ist, kann nicht klar definiert werden. Er lässt sich aber beschreiben und an Beispielen erläutern: Humor kann als Gabe eines Menschen verstanden werden, der die Unzulänglichkeiten der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit begegnet. Dieser Mensch hat einen unverwüstlichen, ja einen goldenen Humor. Er ist heiter und glücklich. Seine innere Heiterkeit ist sein eigentliches Glück. Dieses Glück ist ein Geschenk des Friedens, den die Welt nicht geben kann.

Unzulänglichkeiten mit heiterer Gelassenheit begegnen

Der gute Erzieher im Elternhaus und in der Schule nimmt die gegebene schwierige Situation wahr und spürt den in ihr verborgenen Sinn auf. Sein Handeln wird nicht von den angetroffenen Bedingungen bestimmt, sondern von Entscheidungen, die er trifft. Wenn er sich von der schwierigen Situation distanziert und sich in innerer Schau dem Erleben des Kindes zuwendet, kann er aus dem Störenden das Positive herausfiltern und zum Guten wandeln. Mit dieser guten Haltung hat er gar keine Chance mehr sich über Schwierigkeiten zu ärgern.

Ein Beispiel aus der Praxis

Mit Kindern des Saarländischen Pflegeheimes „Seid Getrost“, die wegen ihrer schweren Behinderung als bildungsunfähig galten, traurig herumsaßen, sehr wenig oder nicht sprachen und kaum kommunizierten, mit stereotypen und monotonen Bewegungen sich äußerten, mit Medikamenten ruhig gehalten und wegen ihrer Aggressionen oft fixiert wurden, starteten wir einen Bildungsversuch. Schon nach einem Jahr wurde aus dem Versuch eine anerkannte Schule.

Über die Einweihungsfeier der Schule schrieb der Erzieher Manfred Sandner: „Wir musizieren in der Gruppe. Klaus schlägt den Reihenrhythmus auf den Klangstäben, Diana, Karin und Carmen spielen die hohen Töne auf dem Metallophon und Glockenspiel, Sascha bedient Pauke und Becken und ich spiele die Melodie auf dem Glockenspiel. Mit sechs Personen „fahren“ wir einen „Top-Sound“. Kinder, die etwas sprechen können und Lust haben, singen das Lied mit. Manche Töne und Wörter sind zwar nicht immer richtig, aber wer ist schon unfehlbar? Hauptsache, wir sind zusammen und haben Freude beim Spielen und Singen. Und den Gästen hat es auch gefallen, sie lachten und freuten sich“.

Ihr Lachen erinnert mich an Charlie Chaplin, der einmal sagte: „Auf dem Grund des Lachens schwimmt eine Träne“. Humor ist offenbar eine ernste Angelegenheit und deshalb frage ich: Gibt es einen besseren Unterricht in Schule und Universität, als etwas selbst zu tun, selbst zu forschen und sich bei dieser Arbeit zu freuen?

Freude erleben“ ist der ursprüngliche Sinn aller Bildung

In meiner langen Praxis erkannte ich, dass es für Kinder kein besseres Lernziel gibt als „Freude erleben“. Freude am Erleben, Tun und Zusammensein war der ursprüngliche Sinn der Bildung. Und heute sprechen Psychiater vom „Lernziel: Neurose“ vor allem auch deshalb, weil viele Erzieher verlernt haben, das lebensbejahende und fröhliche Lernen des Kindes zu achten und zu fördern. Ihre Ängste stören die Entwicklung des Erlebens der Freude des Kindes. Deshalb haben die Erzieher darauf zu achten, was der Kabarettist Joachim Ringelnatz sagte: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“.

In Elternhäusern und Schulen, in denen die Kinder mit Lust und Freude lernen, fühlt sich jedes Kind angenommen und geborgen. Es erlebt die aufschließende und ordnende Kraft des Vertrauens in die eigene Person und in das eigene Tun, in die Person des Anderen und in dessen Tun. Wer mit Freude lernt, trotzt den Widerständen.

Prof. Dr. Ferdinand Klein




Warum wir viel mehr spielen und lernen brauchen

Kinder spielen und lernen im Wald

Für eine moderne Welt der Bildung und Erziehung:

Entwicklungsgerechtes Lernen geht nur beim Spielen. Diese Erkenntnis spiegelt sich mittlerweile in vielen Konzepten und in der pädagogischen Praxis wider. Mit spielen und lernen ist online ein neues Medium entstanden, das im Verbund mit Wissenschaft und Praxis diese Entwicklung weiter unterstützt.

Weil spielen und lernen immer entwicklungsgerecht ist

Kindgerechtes Lernen ist Lernen beim Spielen. Als Erhard Friedrich 1968 die Zeitschrift spielen und lernen gründete,  konnten die Wissenschaftler das lediglich durch die Beobachtung der Kinder belegen. Über 50 Jahre später können Biochemiker stichhaltig nachweisen, dass Lernen beim Spielen für Kinder bis ins späte Grundschulalter der einzig richtige Bildungsweg ist.

Einseitige Förderung trotz genauer Erkenntnisse

Trotz dieser mittlerweile gesicherten Erkenntnisse, gibt es innerhalb des Bildungssystems und der Pädagogik Strömungen, die Kinder mit speziellen Förderprogrammen zu besseren „Leistungen“ bringen wollen. Das gelingt zwar zum Teil, fast immer aber mit üblen Folgen. Denn durch einseitige Förderung bleiben die geförderten Kinder meist in anderen Bereichen zurück. Das Gras wächst eben nicht schneller, wenn man daran zieht. Dennoch sehen wir uns mehr und mehr einer stark ergebnisorientierten Bildung und Pädagogik gegenüber. Umso wichtiger ist es, ganzheiutliche Ansätze wieder zu unterstützen.

Die Chance „online“ nutzen

Und dank der digitalen Medien haben wir heute die Möglichkeit, eine Plattform für Theorie und Praxis rund um alle Themen zum Spielen und ganzheitlichen Lernen zu inszenieren, die für alle jederzeit zugänglich ist.

Ziel: Entwicklung ganzheitlich unterstützen

Unser Ziel ist es, Kinder in ihrer Entwicklung ganzheitlich zu unterstützen. Damit das gelingt, haben wir ein Angebot geschaffen, das vor allem ErzieherInnen und LehrerInnen für ihre tägliche Arbeit

  • neue Erkenntnisse, Ideen und praktische Handreichungen bietet,
  • Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung aufzeigt,
  • Wege zur Förderung öffnet,
  • neue Produkte präsentiert und bewertet,
  • Transparenz im Bereich Erziehung, Bildung und Bildungspolitik schafft.

Und nachdem in der Redaktion von spielen und lernen FachredakteurInnen arbeiten, die von ihrem Metier etwas verstehen, lassen sich alle Themen in allgemeinverständlicher Weise vermitteln. Damit ist das Angebot auch für engagierte Eltern geeignet, die viel über moderne Bildung und Entwicklungsunterstützung erfahren möchten.

Lesen Sie dazu auch den Artikel von Prof. Dr. Armin Krenz.

Plattform und Lobby für moderne Bildung

Wir wollen eine Plattform und Lobby für alle sein, die sich für modernes Spielen und Lernen engagieren und damit einen Beitrag für eine verantwortungsbewusste, kreative und demokratische Gesellschaft leisten.

Im Mittelpunkt steht dabei unser Newsletter, den wir alle 14 Tage an gut 33.000 EmpfängerInnen versenden. Zudem gibt es fast täglich neue Beiträge auf spielen-und-lernen.online. Und auf Facebook und später auch Instagram entsteht unter „spielen und lernen“ eine Plattform zum Austausch und zur Diskussion.

Von FachredakteurInnen, WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen

Herausgeber und Chefredakteur ist Gernot Körner, der viele Jahre lang auch Chefredakteur, Verlagsleiter und geschäftsführender Verleger der Zeitschrift spielen und lernen war. Er will gemeinsam mit FachredakteurInnen, WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen die vorhandenen Kanäle vorantreiben und das Angebot weiter ausbauen.

Weitere Informationen

Gerne stehen wir Ihnen mit weiteren Informationen und für Fragen zur Verfügung: Gernot Körner, Körner Medien, Wannerstraße 1, 79106 Freiburg, 0761-429943-19, info@spielen-und-lernen.online.




Spielen und lernen

Kinder spielen und lernen

Nur wenn ein Kind wirklich spielfähig ist, wird es auch schulfähig:

Heute wissen wir, dass unsere gesamte Denkentwicklung daraus entsteht, wie häufig und intensiv wir als Kind aktiv gewesen sind. Diese Aktivität besteht bei Kindern fast immer aus dem Spiel. Darüber und über vieles andere schreibt Prof. Dr. Armin Krenz in seinem Beitrag über das Spielen und Lernen.

„Spiel“ – ein Wort, das ungeahnte Möglichkeiten birgt

Gerade das Thema Spiel(en) gleicht aufgrund der Häufigkeit seiner Bearbeitung fast einem „ausgelatschten Schuh“, weil kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Buch über das „Spiel“ veröffentlicht wird. Und fast keine Fachzeitschrift der Pädagogik darauf verzichtet, zumindest einmal in ihrer Ausgabe zum Phänomen „Spielen“ Stellung zu beziehen. Spielseminare werden veranstaltet. Spielemessen durchgeführt, Spielpädagogik in Schulen unterrichtet und Spielmittelvertreter bieten immer neuere Produkte an. Wo also hingeschaut wird, begegnet uns der Begriff „Spiel“. Einerseits scheint eine ungeheure Faszination von dem Wort auszugehen, andererseits birgt es ungeahnte Möglichkeiten, sich damit zu beschäftigen.

Die Folgen häufigen Aussagenmatsches

Tja, und nun dieser Artikel: Was kann er schon Neues bringen, ohne alte Kamellen aufzuwärmen, und warum lohnt es sich, ihn zu lesen? Die Antwort ist klar und unmissverständlich: Weil viele Veröffentlichungen das Phänomen „Spiel“ zerschlissen, zu viele Aussagen das Thema verwässert und zu viele Menschen das „Spiel“ zerredet haben. Was bleibt, ist nicht selten ein „Matsch von Aussagen“, die wirklichkeitsfremd, zu abgehoben und letztlich unklar sind.

Deshalb soll in dem Artikel ein Bereich besonders beachtet werden: bestehende Zusammenhänge zwischen Spiel- und Schulfähigkeit bei Kindern im Kindergartenalter. Die Folge häufigen „Aussagematsches“ über das Spiel sind bedenklich und nicht selten in der Praxis des Kindergartens zu beobachten:

Es werden zum Beispiel so unsinnige Trennungen gezogen zwischen dem „freien“ und „gebundenen Spiel“. Spiel wird als methodisches Mittel eingesetzt oder in den Erklärungen von ErzieherInnen Eltern gegenüber, warum das Spiel für Kinder wichtig ist, folgen ungenaue und unvollständige Erklärungen. Außerdem sind Seminare zum Thema „Spiel“ nahezu immer ausgebucht. Obgleich ja davon ausgegangen werden kann, dass ErzieherInnen während ihrer Ausbildung in dieser Frage genügend Spielkompetenz erworben haben. Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass etwa acht von zehn Kindergärten, die einen Referentenelternabend durchführen, den Wunsch äußern, zum Thema dieses Artikels dezidierte Ausführungen zu hören.

Spielen ist lernen – nicht mehr und nicht weniger

Wenn, wie wir wissen, die gesamte Denkentwicklung von Menschen daraus entsteht, wie häufig und intensiv sie als Kind aktiv gewesen sind/sein konnten, und wir gleichzeitig wissen, dass das gesamte Handeln von Kindern dazu dient, sich selber als ein „selbstbestimmter Bewirker“ zu erleben, sich in seinen Möglichkeiten und Grenzen zu erfahren, alte Erfahrungen auf neue Situationen zu übertragen und neue Erfahrungen zu bestaunen, dann heißt das zunächst einmal, dass das Tun für Kinder absolute Priorität vor allen anderen Äußerungsmöglichkeiten hat.

Wenn wir zudem wissen, dass das Spiel die Hauptaktivität von Kindern ist – nicht das Reden oder Zuhören, nicht das Besprechen von irgendwelchen Situationen –, dann ergibt sich die logische Zusammenführung, dass das Spiel eine kindgemäße, von ihm selbst gewünschte und mit Erlebnissen besetzte Handlungsaktivität ist, die immer im Zusammenhang mit seiner Lebensumwelt verbunden und daher für das Kind ernst, bedeutungsvoll und real ist.

Kinder lernen durch Handeln

Nur durch Tätigkeit lernt ein Kind Verhaltensweisen, die es in sein Verhaltensrepertoire aufnimmt und damit in seine Persönlichkeit integriert. Daher nimmt es – in diesem Zusammenhang – nicht wunder, dass zum Beispiel viele Gespräche mit Kindern über irgendetwas in der Regel keine langfristigen Auswirkungen haben. Und dies den Kindern zum Vorwurf zu machen hieße, entwicklungspsychologische Schritte bei Kindern zu missachten.

Spielen ist ein innerer Impuls

So heißt „Spielen“ für Kinder, den eigenen, inneren Impulsen nach Aktivität zu entsprechen, bestimmte Handlungsmöglichkeiten zu erproben und seinen Verhaltensspielraum zu erweitern. Es erscheint in diesem Zusammenhang fast überflüssig zu sein, eindringlich darauf hinzuweisen, dass also der Begriff „Lernen“ zunächst nichts mit „Intelligenzerweiterung“, „Begabungsausbau“ oder ähnlichen Begriffen zu tun hat. zumal – wie oben erwähnt – Kinder in ihrer Entwicklung mit/aus ihrem Spielen Verhaltensweisen (zum Beispiel Konzentration, Aufmerksamkeit) auf- und ausbauen.

Spielförderung bedeutet Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung

Spielförderung von Kindern im Kindergarten geht somit mit der Persönlichkeitsentwicklung und ihrer Fähigkeitenerweiterung Hand in Hand; Fähigkeiten, die sowohl für ihr eigenes Leben als auch für die Schule wichtig und bedeutsam sind. Die Entwicklung der Spielfähigkeit bei Kindern unterbrechen heißt, sie in ihrer Gesamtpersönlichkeitsentwicklung zu bremsen, Teilleistungsschwierigkeiten (zum Beispiel in der Sprache) zu provozieren und wesentliche Kompetenzen bezüglich der Schulfähigkeit zu beschneiden.

Spielfähigkeit als Voraussetzung zur Schulfähigkeit

Auf Grund der zuletzt vorgenommenen Aussage ist es nicht verwunderlich, dass zum Beispiel bei schulversagenden Kindern, die trotz durchschnittlicher, guter oder sogar sehr guter Begabung/Intelligenz große oder größte Schwierigkeiten in der Schule zeigen, immer wieder folgende Daten auffallen:

  • Sie wurden zu früh eingeschult.
  • Sie wurden im Kindergarten und/oder zu Hause zu früh mit kognitiven Ansprüchen konfrontiert und damit über- fordert und
  • ein überaus großer Teil der Kinder ist in seiner Spielfähigkeit eingeschränkt.

Es kann in diesem Zusammenhang nicht Aufgabe sein, in besonderem Maße auf die ersten beiden Punkte einzugehen. Nur soviel sei kurz angemerkt: Häufig werden in der Beurteilung von Schulfähigkeit bei Kindern zwei Merkmale miteinander verwechselt: Begabung und Schulfähigkeit. Unter Begabung verstehen wir die Leistungskapazität von Kindern. Also ihre Möglichkeiten, sich sprachlich auszudrücken, logisches Denken zu realisieren, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen oder Sinnzusammenhänge zu erfassen.

Demgegenüber ist Schulfähigkeit etwas völlig anderes, nämlich neue und unbekannte Anforderungen auf Grund einer stabilen Selbstsicherheit neugierig und aufmerksam sowie angstfrei aufzugreifen und mit Interesse und Konzentration nach einer Lösung zu suchen und zu finden.

Geht es bei der Begabung also um eine eher kopforientierte (= kognitive) Leistungsmöglichkeit, so zeichnet sich Schulfähigkeit durch eine reale, zu beobachtende Handlungsaktivität aus.

Ein simpler Vergleich sei erlaubt: Eine Person mit Angst vor Hunden kann zwar wissen, dass ein bestimmter Hund nicht beißt, wird aber dennoch die Straßenseite wechseln, um ihm nicht zu begegnen. Das Wissen hilft der Person also nicht dabei, ihren Weg auf der Straßenseite mit dem Hund fortzusetzen. Oder: Ein Kind mit massiven Sprachschwierigkeiten weiß zwar, dass ihm nichts Ernsthaftes passiert, wenn es spricht und dabei stottert, schränkt seine Sprechhäufigkeit aber trotzdem immer weiter ein. Wissen (= Begabung) und Können (= Schulfähigkeit) sind daher immer zwei deutlich unterschiedliche Bereiche.

Kinder wollen ihre Lebenssituation begreifen

Zum anderen wissen wir, dass Kinder im Kindergartenalter – gerade auf Grund heutiger veränderter Lebenssituation im Vergleich zu früheren Kindheitserfahrungen – vor allem darum bemüht sind, ihre besondere Lebenssituation zu begreifen, Erfahrungen zu verarbeiten, Enttäuschungen und „Unbegreiflichkeiten“ (zum Beispiel Elternstreit unverstandene Fernsehgeschichten) nachzuvollziehen und für sie offene Fragen zu beantworten. Kinder sind mit sich beschäftigt, ihrer Sicht von Wirklichkeit und ihrem Verständnis von Richtigkeit. Dabei stören letztendlich irgendwelche, von Erwachsenen ausgearbeitete Denkaufgaben den Prozess der Kinder sich zu definieren und umfassend zu begreifen.

Auch wenn vorschulische Arbeit von ErzieherInnen und Eltern mit noch so guten Absichten eingesetzt wird: Dies geht grundsätzlich an der Aufgabe des Kindergartens vorbei, entspricht nicht der Entwicklungsrealität von Kindern und bedingt langfristig genau das Gegenteil im Hinblick auf Intelligenzförderung. Verschiedene Untersuchungen belegen dies eindeutig. Leider ist dies schon lange bekannt. Dennoch hält sich das Märchen von der „frühen Vorschulförderung als ein guter Start fürs Leben“ weiterhin aufrecht mit dramatischen Folgen für Kinder.

Schulversagen und Einschränkung der Spielfähigkeit

Nun folgt eine entscheidende Beobachtung: Kinder, die in Teilbereichen oder auf ganzer Linie in der Schule versagen, zeigen in hohem Maße Einschränkungen in ihrer Spielfähigkeit. Umgekehrt ist es so, dass Kinder mit einer ausgesprochen guten Spielfähigkeit durchweg den Anforderungen in der Schule entsprechen.

Natürlich können und müssen hier Vermutungen geäußert werden: Offensichtlich haben Kinder mit einer guten Spielfähigkeit Kompetenzen zur Verfügung, die notwendig für ihr Bestehen in der Schule sind. Gleichzeitig bringen kognitive Förderungsprogramme den emotionalen Entwicklungsprozess bei Kindern durcheinander, der wiederum dafür verantwortlich ist, dass sie in ihrem Aufbau der Spielfähigkeit gehandicapt werden. Und genau hier schließt sich der Kreis. Folgendes Schaubild mag dies verdeutlichen:

Eingeschränkte Spielfähigkeit, bedingt durch Geschehnisse/Situationen in der unmittelbaren Umgebung des Kindes = eingeschränkte Schulfähigkeit

Im Gegensatz dazu:

Gute Spielfähigkeit bedingt durch kindgerechte Rahmenbedingungen im Kindergarten bezüglich des Spiels und einer hohen Wertschätzung durch die Eltern = vorhandene Schulfähigkeit

Was „Spielfähigkeit“ bedeutet

Spätestens jetzt kommt die Frage auf, was denn unter Spielfähigkeit verstanden wird: Darunter verbirgt sich die grundsätzliche Fähigkeit (= Kompetenz), die Fülle der Spielformen, wie zum Beispiel Rollen-, Imitations-, Bewegungs-, Regel-, Fantasie-, Strategie-, Funktions-, Imaginations- und darstellendes Spiel aktiv zu erleben und ohne und mit Material, alleine und mit anderen Personen, langfristig und ausdauernd sowie mit Neugierde, Aufmerksamkeit und Konzentration belastbar eine Spielsituation zu gestalten.

Selbstverständlich können sich Kinder nur dort spielend erfahren und verwirklichen, wo einerseits die gesamte Atmosphäre zum Spielen motiviert, andererseits Kinder genügend Raum zur Verfügung bekommen, in dem sie sich ernst genommen fühlen. Dies passiert dann, wenn Kinderbedürfnisse zum Ausgangspunkt der Pädagogik gemacht werden und nicht Eltern/ErzieherInneninteresse die Arbeit bestimmt.

Schulfähigkeit als Folge von Spielfähigkeit

Es fasziniert immer wieder, Verhaltensweisen bei Kindern zu beobachten, die viel und intensiv spielen, im Kindergarten, zu Hause und mit Freunden in deren Umgebung. Sie zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie in der Regel ausgeglichen, zuversichtlich, voller eigenem Vertrauen, bewegungsaktiv und -koordiniert, kontaktfreudig, ausdauernd und motiviert, sprachaktiv und kooperativ, wahrnehmungsoffen und aufmerksam, interessiert, neugierig und fantasievoll sind. Bringen wir diese Beobachtungen und weitere differenzierte Wahrnehmungen in ein Ordnungsraster im Hinblick auf grundsätzliche Kriterien zur Schulfähigkeit, so ergibt sich folgendes Bild: Schulfähigkeit ist definiert als ein Kompetenzgefüge mit folgenden Teilfähigkeiten:

Kognitive Schulfähigkeit, zum Beispiel

  • Kinder zeichnen sich durch Konzentration, also Ausdauer und Genauigkeit aus,
  • haben ein aktives Sprechverhalten,
  • besitzen einen guten Sprachfluss, einen großen Wortschatz,
  • denken in folgerichtigen Kausalzusammenhängen,
  • können Informationen abstrakt und logisch weitergeben,
  • besitzen eine gute Wahrnehmungs- und Beobachtungsfähigkeit.

Emotionale Schulfähigkeit, zum Beispiel

  • Kinder sind gefühlsmäßig eher ausgeglichen,
  • stehen neuen Anforderungen zuversichtlich gegenüber,
  • haben Vertrauen in die eigene Person,
  • verarbeiten Enttäuschungen eher ruhig und konstruktiv,
  • können uneindeutige Situationen in gewissem Rahmen aushalten,
  • zeigen eine hohe Anstrengungsbereitschaft

Motorische Schulfähigkeit, zum Beispiel

  • Kinder haben ein gutes Reaktionsvermögen,
  • zeichnen sich durch eine gute visuellmotorische
  • Koordinationsfähigkeit aus,
  • können ihre Feinmotorik steuern,
  • setzen grobmotorische Aktivitäten bewusst ein.

Soziale Schulfähigkeit, zum Beispiel

  • Kinder haben eine altersentsprechende Toleranzhaltung,
  • nehmen gerne Kontakt zu anderen Menschen auf,
  • sind in einer Gruppe ansprechbar,
  • halten Kontakte einerseits aufrecht, brechen aber auch Kontakte überlegt und gezielt ab,
  • haben keine Schwierigkeiten, sich von vertrauten Personen zu lösen,
  • halten Regeln ein beziehungsweise arbeiten an ihrer Veränderung.

Spielfähigkeit und Schulfähigkeit

Vergleichen wir nun die Fähigkeiten von Kindern, die sich durch eine gute Spielfähigkeit auszeichnen, mit den Anforderungen der Verhaltensweisen, die einer Schulfähigkeit zugerechnet werden, fällt auf, dass Deckungsgleichheit besteht. Das heißt im Einzelnen:

  • Kinder erwerben beim Spielen die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie brauchen, um schulfähig zu sein.
  • Schulfähigkeit ist eine mittelbare Folge aus der Spielfähigkeit. Sie zu beschneiden hieße, Kinder im Aufbau ihrer Schulfähigkeit aktiv und passiv behindern.
  • Kognitive Lernprozesse geschehen gerade während des Spiels. Also in Situationen, die nicht von Erwachsenen im Hinblick auf kognitive Förderung strukturiert sind!
  • Eine der wesentlichen Grundlagen für Intelligenz und Selbstbewusstsein von Menschen ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen, ihre Absichten und Gedanken, hinein- versetzen zu können. Genau dies geschieht im Spiel und gerade nicht beim so genannten „vorschulischen Arbeiten“.
  • Die „allgemeine Schulfähigkeit“ ist immer nur dann ge- geben, wenn die „emotionale Schulfähigkeit“ ausgeprägt ist. Sie dominiert an erster Stelle und kann sich nur dort entwickeln, wo Kinder ausgiebig spielen.
  • Nur wenn die „emotionale Schulfähigkeit“ bei Kindern ausgeprägt ist, kann sich die „kognitive Schulfähigkeit“ am besten entwickeln.

Ausblick

Spiel schafft Kindern Identität und vermittelt ihnen, wer sie sind, was sie können, wie ernst sie genommen werden und welche Achtung sie real erfahren. Natürlich wäre es völlig falsch, die Förderung der Spielfähigkeit lediglich unter dem Aspekt einer Schulfähigkeit zu sehen: Damit würde das Spiel pervertiert werden. Vielmehr dient das Spiel den Kindern dazu, sich in ihrer Gesamtpersönlichkeit zu erfahren und zu entwickeln. Weil es genau ihre Möglichkeit ist, ihr Leben spielend zu begreifen.

Wir wissen, dass auf der einen Seite die Lebensrealität von Kindern sowohl durch Elternforderungen und familiären Druck, massiv zunehmende Medieneinwirkungen und ökologische Dramen gekennzeichnet ist. Auf der anderen Seite durch gleichbleibend ungünstige Bedingungen in pädagogischen Einrichtungen immer größere Anforderungen an Kinder ( Eltern und ErzieherInnen) gestellt werden. So nimmt es nicht wunder, dass „auffällige Verhaltensweisen“ bei Kindern in einigen Verhaltensbereichen, wie zum Beispiel Sprache, Psychosomatik und Selbstwertgefühl, in Form von Sprachauffälligkeiten, körperlicher Anfälligkeit bei seelischer Belastung und zunehmender Angst in den letzten beiden Jahr- zehnten erheblich zugenommen haben.

Dem muss kompetent begegnet werden in Gesprächen mit KollegInnen, Eltern, MitarbeiterInnen anderer Einrichtungen, Berufs- verbänden und mit Trägern sowie in der Veränderung von Situationen. So auch in der Forderung, zum Beispiel dem Spiel absolute Priorität im Umgang mit Kindern zu gewähren, vorschulische Arbeitsblätter und -programme zu verbannen und eine Öffentlichkeitsarbeit zur Bedeutung des Spiels für die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern – auch im Hinblick auf ihre Schulfähigkeit – voranzubringen, dass gerade ErzieherInnen auf Grund ihres faktischen Wissens daran mitarbeiten, die Welt von Kindern aktiv mitzuverändern im Sinne des Schaffens von Spielwelten, wo es Spaß macht, als Kind zu leben und ausgiebig zu spielen.

Gleichzeitig sind aber auch politische Mandatsträger gefordert, Vorschulen systematisch aufzulösen, für wirklich attraktive Spiel- flächen und -plätze zu sorgen und vor allem endlich Konsequenzen aus Untersuchungsergebnissen zu ziehen, wenn es zum Beispiel um das Einschulungsalter geht. Wir wissen, dass die Zahl der schulversagenden Kinder, die mit knapp sechs Jahren eingeschult werden, um ein Vielfaches höher ist als die Anzahl der Kinder, die erst mit sieben Jahren eingeschult werden. Gleichzeitig wissen wir, dass die Entwicklung der Spielfähigkeit sich bis ins 7. Lebensjahr der Kinder hineinbringt (Parallelität von Schul- und Spielfähigkeit).

Welch ein Beleg zur Durchsetzung der Forderung, Kinder erst mit sieben Jahren einzuschulen! Die Schule muss sich fragen, wie kinderfreundlich und kindfähig sie ist. Lehrerinnen haben eine Antwort auf die Frage zu finden, welches Lernverständnis sie zur Grundlage ihres Unterrichts gewählt haben und wie kindzentriert ihre Schulstunden ausgerichtet sind. Die Arbeit der ErzieherInnen wird sich daran messen, wie spielkompetent die Kinder während der Kindergartenzeit wurden, ohne dass das Spiel zu einem methodischen Mittel degradiert und sinnentleert wurde.

Armin Krenz