Häufige externe Kleinkindbetreuung kann das kindliche Verhalten beeinflussen

Studie: Je mehr Zeit Kleinkinder in der Tagesbetreuung verbringen, desto eher zeigen sie auffällige Verhaltensweisen

Wie wirkt sich die außerfamiliäre Betreuung auf die Entwicklung vom Kindes- bis ins Jugendalter aus? Forschende der Universität Zürich befragten dazu rund 1.300 Zürcher Schulkinder, ihre Eltern und Lehrpersonen. Das Ergebnis: Je mehr Zeit in Krippen oder bei Tagesmüttern verbracht wurde, desto eher zeigten sich auffallende Verhaltensweisen, die nach dem Primarschulalter allerdings wieder verschwanden.

Das Jacobs Center for Productive Youth Development der Universität Zürich hat untersucht, wie die externe Kinderbetreuung die Entwicklung des Kindes bis ins Erwachsenenalter beeinflusst. Die analysierten Daten wurden im Rahmen des Zürcher Projektes zur sozialen Entwicklung von der Kindheit ins Erwachsenenalter (z-proso) erhoben und umfassen rund 1.300 Stadtzürcher Schulkinder von sieben Jahren bis zum Alter von 20 Jahren.

Auswirkungen im Primarschulalter

Rund 67 Prozent dieser Kinder wurden vor dem Kindergartenalter fremd betreut. Davon besuchten 32 Prozent eine Kindertagesstätte, 22 Prozent eine Spielgruppe. Weitere 22 Prozent waren zeitweise bei Familienmitgliedern, drei Prozent bei Bekannten oder Nachbarn, zwölf Prozent bei Tagesmüttern. Die Forschenden befragten die Kinder wie auch die Eltern und Lehrpersonen zu auffallend extrovertiertem oder introvertiertem Verhalten, zu Straffälligkeit und Drogenkonsum. Dabei zeigte sich, dass sich die im Primarschulalter beobachteten Verhaltensweisen je nach Auskunftspersonen und je nach besuchter externer Betreuung unterschieden.

Nach Einschätzung der Eltern zeigten die Primarschülerinnen und Primarschüler mehr Aggressivität, ADHS-Symptome, aber auch Ängstlichkeit und Depressivität je mehr Zeit sie im Vorschulalter in einer Krippe verbrachte hatten. Die Angaben der Kinder selbst weisen teilweise in dieselbe Richtung.

Laut den Lehrpersonen sind Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeitsprobleme oder aggressives Verhalten eher bei denjenigen Schülerinnen und Schülern zu beobachten, die mehr als zwei Tage pro Woche bei einer Tagesmutter verbracht oder an mindestens drei Tagen pro Woche eine Spielgruppe besucht hatten.

Auffallende Verhaltensweisen verschwinden meist wieder

Wie lassen sich diese Befunde erklären? „Einerseits ist es möglich, dass eine externe Kinderbetreuung zu einer weniger sicheren Bindung und Interaktion zwischen Eltern und Kindern führen kann“, sagt Erstautorin Margit Averdijk. Andererseits könnten Kinder in Krippen und Spielgruppen das Problemverhalten von Gleichaltrigen nachahmen und es teilweise auch einsetzen, um von den Betreuungspersonen Aufmerksamkeit zu erhalten.

„Obwohl wir nicht direkt prüfen konnten, welche dieser Mechanismen unsere Ergebnisse am wahrscheinlichsten erklären, unterstützen beide unsere Ergebnisse“, erklärt die Forscherin. Die gute Nachricht: Die in der Primarschule beobachteten Verhaltensauffälligkeiten nehmen mit der Zeit ab und verschwinden ab dem 13. Altersjahr weitgehend. Nur die Symptome von ADHS halten sich etwas hartnäckiger.

Kein genereller Zusammenhang mit Substanzkonsum im Jugendalter

Die Forschenden fanden auch keine Hinweise darauf, dass externe Kinderbetreuung generell mit Delinquenz und Substanzkonsum im Jugendalter zusammenhängt. Einzig bei Kindern aus prekären Verhältnissen geht eine häufige Krippenbetreuung im Vorschulalter mit mehr Substanzkonsum im Jugendalter einher. „Es scheint, dass solche Kinder mit zunehmendem Alter auch eher zu Ängsten oder depressiven Symptomen neigen. Diese können sich aufgrund der Abwesenheit ihrer Eltern weiter verstärken“, erklärt Averdijk.

Vorsicht bei der Interpretation

„Unsere Studie beleuchtet mögliche ungünstige Zusammenhänge zwischen externer Kinderbetreuung und der kindlichen und späteren Entwicklung“, fasst Letztautor Manuel Eisner zusammen. Der Soziologieprofessor warnt jedoch davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Zwar entspräche die Studie höchsten wissenschaftlichen Qualitätsstandards, basiere aber auf Beobachtungs- und Befragungsdaten, mit denen sich Rückschlüsse auf ursächliche Zusammenhänge nicht immer klar ziehen ließen. Auch konnte die Qualität der außerfamiliären Betreuung in der Studie nicht berücksichtigt werden.

Literatur:

Margit Averdijk, Denis Ribeaud, and Manuel Eisner. External childcare and socio-behavioral development in Switzerland: Long-term relations from childhood into young adulthood. PLOS ONE, 9 March. DOI: 10.1371/journal.pone.0263571

Hier der Link: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0263571

Quelle: Mitteilung der Universität Zürich




Kinder sind Zeitreisende

Annette Drüner: Kinder bis drei – geborgen und frei. Dialogisch arbeiten in der Frühpädagogik

Um es gleich vorweg zu sagen: Annette Drüner hat eines der besten Bücher im Bereich Frühpädagogik geschrieben, das in den letzten Jahren erschienen ist! Warum? Weil es am Krippenalltag ansetzt. Und dabei sowohl die Erfahrungen der Erzieherinnen, die strukturellen Gegebenheiten der Betreuung und vor allem die Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben der Kinder im Blick hat.

Grundlegend dafür ist das Verständnis von Zeit. Kleine Kinder haben nicht unseren linearen Zeitbegriff, können sich nicht am abstrakten „16 Uhr“ orientieren. Das ist ihnen aus Gründen der Hirnentwicklung gar nicht möglich. Sie daran gewöhnen zu wollen ist also bestenfalls vergebene Mühe – schlimmstenfalls ein brutales Pressen in eine für sie nicht nachvollziehbare Struktur.

„Wann kommt Mama wieder?“ Eine Antwort, die Zweijährige verstehen können, wäre also zum Beispiel „nach dem Mittagsschlaf“ oder „nach dem Snack“. Das ist konkret, an den sich immer wiederholenden Abläufen des Tages orientiert.

Womit schon einige von Drüners Grundprinzipien dargestellt sind: Die Erzieherin wendet sich dem Kind zu. Sie gibt eine Antwort, die seiner Entwicklung und seinen Bedürfnissen gerecht wird. Sie gibt Sicherheit durch die Wiederholung der Tagesstruktur. Sie ist also mit dem Kind im Dialog.

Mit Krippenkindern im Dialog

Dialog? Hä? Mit Kindern, die gerade mal Zweiwortsätze schaffen? Ja, auch. Aber wesentlich ist die Haltung: Das ganze Kind sehen. Seinen Körperausdruck, seine Mimik, seine Bewegung. Darauf antworten wir alle, auch wir Erwachsenen, ständig. Aber meist ist uns das nicht bewusst. Ein zur Seite gedrehter Kopf signalisiert „da ist jemand nicht wirklich interessiert, nicht wirklich für mich da“. Das Kind nimmt das wahr. Wird nach einigen Wiederholungen die Erzieherin nicht als offen für seine Bedürfnisse einschätzen. Was nicht gerade förderlich für die Beziehung ist.

Ein wesentliches Dialoginstrument für die Erzieherin, gerade in Stressmomenten, sind die Hände. Offene Hände, vor dem Körper nach außen gedreht, vermitteln: Ich habe Zeit und Aufmerksamkeit für dich. Ich setze dich nicht unter Druck, fordere nichts von dir. Bin aber da, um dich zu unterstützen.

Ja, das klappt. Sogar beim Anziehen für den Spielplatz. Wenn ein Kind langsamer ist – warum sollten die anderen nicht schneller vor die Tür gehen? Dann kann die Erzieherin sich allein mit dem Kind zur Garderobe bewegen, sich von ihm den Haken zeigen lassen und fragen, womit es anfangen möchte. Mit den Schuhen? Die weitergehende Frage „oder mit der Jacke?“ würde ein Zweijähriges überfordern. Ein Lächeln reicht als Antwort. „Soll ich dir auch mit der Jacke helfen?“ Vielleicht gibt das Kind von sich aus der Erzieherin das Kleidungsstück, oder es nickt. Bei all dem begibt sich die Erzieherin auf „Kinderhöhe“ und hält bei den Fragen die Hände offen vor sich. Sie gibt kein Tempo vor – „los jetzt, die anderen sind schon längst fertig!“ – sondern lässt sich auf den Rhythmus des Kindes ein. Und schafft damit eine wunderbare Lernsituation, in der das Kind nach mehreren Wiederholungen nicht nur die Technik des Anziehens versteht, sondern auch die Beziehung zur Erzieherin festigt und Demokratie lebt.

Demokratie leben in der Krippe

Demokratie? Ja! Denn das bedeutet nicht, im Stuhlkreis die Hand heben, wenn man etwas sagen will. Sondern Teilhabe im Rahmen der eigenen Möglichkeiten. Für die Langsamen und die Schnellen. Für die Jüngeren und die Älteren. Demokratie heißt auch, eigene Entscheidungen treffen und die von anderen respektieren. Genau das hat die Erzieherin in diesem Beispiel getan. Und somit beispielhaft gewirkt. .

Drüner gibt in ihrem Buch sehr viele praktische Beispiele, wie mit und auch für die Kinder der Alltag gestaltet werden kann. Sie macht Mut, sich von eingespielten Ritualen zu befreien, wenn sie nur alle stressen. Ankommen, ausziehen, spielen, essen, anziehen, rausgehen – das ist für viele kleine Kinder zu viel. Muss nicht sein, lässt sich anders machen. Hier sind Ideen und kollegiales Miteinander gefragt. das gilt insbesondere für „heilige Kühe“ wie den Morgenkreis. Warum sollen alle auf Kommando singen und Fingerspiele machen und dabei still auf dem Po sitzen? Wenn sie doch gerade Bewegungsdrang haben? Das lässt sich anders lösen – auch hier gibt sie viele Beispiele, die dem Alltag der Krippe entstammen.

Wesentliche Kapitel von Drüners Buch sind der Bewegung gewidmet, der Einrichtung der Krippe, dem Vorbereiten von Spielsituationen. Wichtig ist dabei immer: Die Kinder beobachten. Wohin geht ihre Aufmerksamkeit, womit sind sie innerlich beschäftigt? Sie plädiert außerdem dafür, Pflegesituationen als Lernsituationen zu begreifen. Denn sie machen etwa 80 Prozent der Tätigkeit der Erzieher und Erzieherinnen aus! Und Kinder lernen viel, wenn die Windel gewechselt und der Po eingecremt wird: Nähe und Berührung zulassen und damit spielen, eigene Entscheidungen treffen und sehen, dass sie respektiert werden, Bewegung auf weichem und festem Boden und Vieles mehr. Drüner streut in allen Kapiteln selbstreflektierende Fragen ein, bietet immer wieder Übungen, um die Einfühlung in die Kinder zu stärken.

Gibt es auch was zu meckern? Ja. Das geht allerdings an den Verlag. Denn leider wird immer stärker an der redaktionellen Durchsicht eines Manuskripts gespart. Und die hätte dieses Buch sicher noch besser gemacht. Denn einige sprachliche Mängel sind schon vorhanden, der innere Aufbau einiger Kapitel ist nicht zwingend und manche Zitate unnötig, unwichtig oder, was manche Untersuchungen und Studien angeht, schlichtweg zu alt.

Zum Schluss muss ich mich allerdings wiederholen: Es ist eines der besten Bücher zur Frühpädagogik, das in den letzten Jahren erschienen ist!

Ralf Ruhl




Teams – Hemmschuh oder Segen?

Wie aus Gruppen gelungene Arbeitsgemeinschaften entstehen

Tim ist patschnass. Eigentlich sollte er nur seine Marmeladenfinger von der gröbsten Klebrigkeit befreien. Aber jetzt steht er bedröppelt da, weil sich das Nasse nicht so toll anfühlt. Und unglaublich stolz, weil er den Wasserhahn aufdrehen und mit dem Finger den Strahl lenken konnte. Eine große Leistung für einen Eineinhalbjährigen! Aber seine Erzieherin ist in Eile. Jetzt muss sie Tim auch noch völlig umziehen. Sie seufzt und dreht das Wasser zu. Tim dreht es wieder auf. Die Erzieherin wird etwas lauter.

Dennis Meiners, 35 Jahre, Erzieher in der Kreuz- und Quer-Kita in Göttingen, kommt hinzu. „Oh, ich sehe, ihr habt Stress. Soll ich euch mal ein bisschen entlasten und übernehmen?“ Die Erzieherin nickt dankbar und wendet sich den anderen Kindern zu. Meiners lobt Tim erst einmal für seine Leistung, hüpft ein bisschen herum, tut so, als würde er vor dem Wasser flüchten. So schafft er eine Beziehung zu dem Kleinen. In drei Minuten hat Tim nicht nur das Wasser abgedreht, sondern auch Pullover und Hose gewechselt.

Dieselbe Kollegin entlastet Meiners wiederum, wenn er seinerseits mit den Kindern in einer anderen Situation in Stress gerät.

Krippe und Kiga – der große Unterschied
Eine Krippe ist kein kleiner Kindergarten! Die meisten Krippen nehmen Kinder nach dem ersten Geburtstag auf. Die wenigsten können dann laufen, sprechen, ihre Bedürfnisse artikulieren oder gar sich selbst versorgen. Ihr Leben spielt sich auf dem Boden ab. Der sollte daher warm, sicher und optisch gut unterteilt sein. Alles, was außerhalb ihrer Reichweite ist, kann als bedrohlich wahrgenommen werden und ist eben unerreichbar. Klare Strukturen, auch optisch, helfen ihnen, sich sicher zu fühlen und sich zurecht zu finden. Wie dies praktisch aussehen kann, muss im Team geklärt werden.
Krippenerzieherinnen berichten, dass über 80 Prozent ihrer Tätigkeit in pflegerischen Aufgaben besteht: Füttern, An- und Ausziehen, Wickeln, Waschen, Schlafen. Immer wieder ist daher eine einzelne Pädagogin in direktem Kontakt mit einem Kind außerhalb des Gruppenraumes beschäftigt. Das muss im Team abgesprochen werden. Auch die Wertigkeit des Pflegens braucht Würdigung: In der Krippe ist Pflege Bildung! Damit sind nicht nur das mit Worten Begleiten und die Fingerspiele beim Wickeln gemeint. Es sind vor allem die liebevolle Zuwendung und die Anerkennung des Kleinkindes als gleichwertiges Gegenüber. Oder würden Sie, liebe Leserin, sich einfach so auf ein „komm mal her, anziehen“ die Arme in einen Mantel stopfen lassen?

Vorsicht Alphatiere!

Was sich hier so einfach anhört, ist es aber nicht. Viele so genannte Teams entwickeln sich zur Bühne für Alphatiere, die ihre Arbeitskollegen bloßstellen und sich hervortun. Sie stehen im Mittelpunkt. Das hat viele negative Effekte. So verhalten sich andere deutlich zurückhaltender, gehen in der Gruppe unter und handeln nur noch nach Aufforderung. Eigeninitiative Fehlanzeige. Statt effektiver Teamarbeit entsteht eine Gruppe, in der nur die Ideen der Alphatiere zählen. Das führt in schwierige Arbeitssituationen, unter der alle leiden. Solche falschen Teamprozesse führen dann eben auch zu Vorurteilen wie „dass Teams die einzelnen Mitglieder in ihrer Entwicklung unterdrücken“.

 „Es geht eben nicht darum zu zeigen, was für ein toller Erzieher man ist oder wo die Kollegin oder der Kollege jeweils Fehler machen“, sagt Meiners, „sondern darum, uns in Stresssituationen gegenseitig zu entlasten und vor allen Dingen das Kind in jeder Situation als lernenden Menschen zu sehen.“ „Wenn mehrere Kinder zu betreuen sind, entstehen leicht Überforderungssituationen, in denen Wahrnehmung und Unterstützung von Kollegen untereinander unglaublich hilfreich sein können. Solche Fehler sind nicht zu vermeiden“, meint Annette Drüner, Sozialpädagogin und Coach für Erzieherinnen. „Es ist wichtig, wie wir damit umgehen.“ Um Fehler als solche akzeptieren zu können, braucht es ein gutes Team – und das heißt Vertrauen zueinander haben. Das wächst natürlich nicht von heute auf morgen.

Praxistipp: Unser gemeinsames Boot

Als Einstieg in den Teamtag malt jede Erzieherin ein Bild, in dem das eigene Team dargestellt wird. Sehr gut eignet sich hier das Bild des Bootes, in dem bekanntlich alle gemeinsam sitzen. Auf die künstlerische Gestaltung kommt es nicht an, wichtig ist, dass alle MitarbeiterInnen abgebildet werden. Dabei werden auch die Rollen, die sie im Boot einnehmen, beschrieben: Wer ist der Kapitän, wer der Koch, wer schrubbt das Deck, wer hisst die Segel, wer sitzt am Funkgerät?

Dauer: ca. 30 Minuten
Material: Stifte, Papier, Pinnwände, Stecknadeln, Flipchart

Sind alle Bilder fertig, werden sie an den Pinnwänden aufgehängt. Anschließend schauen alle ErzieherInnen die Gemälde an, ohne Kommentare zu geben. In der Runde erhält jede/r die Gelegenheit, sein/ihr Bild vorzustellen. Wer ist wer? Wer hat welche Funktion? Wer steht nah bei wem, wer ist von wem am weitesten entfernt? Was fiel mir leicht zu gestalten, was fiel mir schwer? Welche Gefühle hatte ich beim Malen? Danach ist Zeit für die KollegInnen, ihre Sicht auf das Bild darzustellen. Durch die eigenen Gedanken und die der BetrachterInnen werden die Beziehungen, Stimmungen und Konflikte im Team deutlich. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden als Stichworte auf ein Flipchart für alle sichtbar aufgeschrieben. So ergibt sich eine gute Grundlage für die kommenden Gespräche.
„Grundsätzlich braucht es eine gemeinsame pädagogische Ausrichtung, auf die sich alle geeinigt haben und die sie auch alltäglich leben“, so Drüner. Zum Beispiel, dass Kinder immer lernen und dieser Aspekt jeweils anerkannt wird. Dann werden solche Situationen auch nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung erlebt. „Entsprechend kann ich sehen, wie der andere mit solchen Situationen umgeht und mir etwas davon abschauen“, sagt Drüner, „und fühle mich nicht bewertet oder sogar niedergemacht.“ Für eine solche Ausrichtung sind intensive Prozesse notwendig. In vielen Einrichtungen hätte das Verhalten des kleinen Tim genügend Anlass dazu gegeben, ihm kurz und knapp klare Grenzen aufzuzeigen. In der Kreuz- und Quer-Kita hat sich das Personal für den schwierigeren, für Tim sicher besseren Weg, entschieden. Auch dafür sind funktionierende Teams eine wichtige Voraussetzung.

Keine Zeit für Einzelkämpfer

Einzelkämpfer haben es heute immer schwerer. Ansprüche und Arbeitsprozesse sind schwieriger und vielschichtiger geworden. Und weil niemand zu jeder Zeit alles perfekt machen kann und jeder unterschiedliche Stärken hat, liegt die Notwenigkeit zu guten Teams auf der Hand. Wer seine Stärken in einem Team optimal einbringt und seine Mitstreiter unterstützt, erreicht weitaus mehr.

Wie aber wird man so ein vertrautes Team? „Das fängt schon bei der Personalauswahl an“, erklärt Drüner, „die Leitung kann schon im ersten Gespräch die pädagogische Grundhaltung und damit das Menschenbild erfragen.“ In der heutigen Zeit weiß aber jeder, dass der Arbeitgeber von ihm Teamfähigkeit erwartet. Und wenn ein Bewerber die Arbeitsstelle in einer Einrichtung haben möchte, macht er fast alles – auch wenn er die Teamarbeit hasst.

Andrea Schreiber, Leiterin der Kita St. Nicolai in Coppenbrügge und seit 30 Jahren Erzieherin, hat genügend Erfahrung, um schnell zu erkennen, ob eine Bewerberin in ihr Krippenteam passen könnte: „Wenn sie in der Lage ist, sich wirklich auf den Dialog mit dem Kind einzulassen, sich zurückzunehmen, erst zu beobachten und nicht sofort einzugreifen, dann lade ich sie zu einem Probetag ein.“ Dann holt sie sich die Rückmeldung der Kolleginnen. „Haben die ein gutes Gefühl, sehen sie die Neue als Ergänzung, glauben sie, sich auf sie verlassen zu können, dann können wir den Vertrag unterschreiben.“ Während aber die einen Teams verabscheuen, weil sie darin ineffektive Zeitfresser sehen, überfrachten sie andere mit viel zu hohen Erwartungen. Das übergroße Harmoniebedürfnis einzelner und die Annahme, darin nur Freunde zu finden, hemmen die Zusammenarbeit ebenso. Dabei sind die wesentlichen Grundlagen nicht Freundschaft und Harmonie, sondern Wohlwollen, Respekt und Wertschätzung. Diese Eigenschaften liegen in vielen Menschen. Damit diese aber zum Vorschein kommen, gilt es, den Blick für die positiven Elemente von Teams zu öffnen. 

Teams brauchen Zeit und sparen Zeit

Dafür ist Zeit notwendig und professionelle Hilfe. Das kostet oftmals auch Geld. So mancher Träger scheut deshalb die Durchführung von Teamprozessen und die Teampflege mit oftmals fatalen Folgen.

In Andrea Schreibers Kita gibt es fünf Studientage im Jahr. „Wir haben erkannt, dass wir unseren Jahresplan entrümpeln mussten. Es gab von Weihnachten über Ostern bis Sommerfest viel zu viele Anlässe, die vorgeben, was zu tun ist.“ Das widerspricht dem Grundsatz, das Kind entscheiden zu lassen, womit es sich beschäftigen will. „Oberste Priorität hat das Kind, nicht das Angebot“, so Schreiber. Sie bringt das Beispiel der Kastanien und bunten Blätter im Herbst. Das ist tolles Spielmaterial, die Kinder fühlen, tasten, ordnen, benennen. „Und das reicht. Da muss man nicht noch Männchen bauen, Bilder kleben und ein Herbstfest organisieren, wenn die Kinder das gar nicht wollen.“ Da die Kinder das altersgemäß oft nicht sprachlich äußern können, sind Feinfühligkeit und Beobachtung gefragt.

Teamgespräche richtig vorbereiten
Grundsätzlich gibt es drei Arten von Teamgesprächen. Sie sollten getrennt geführt werden, denn sie verlangen eine unterschiedliche Art der Vorbereitung und Gesprächsführung.

1. ) Das Organisationsgespräch. Hier werden alle Termine festgelegt wie z.B. Elterngespräche. Es geht aber ebenso um die Vorbereitung des Sommerfestes, die Verteilung der Aufgaben, den Bericht über den Stand der Dinge. Auch Verabschiedungen gehören in diesen Bereich.

2. ) Das Kindergespräch. Die meisten Krippen arbeiten mit dem Bezugskindermodell. Hier werden die Entwicklungen und Fortschritte der einzelnen Kinder, Problemlagen, Beziehungen in der Gruppe, vorgestellt. Wichtig ist, vorab über das Kind, welches im Fokus stehen soll, zu informieren. So haben auch die anderen ErzieherInnen die Chance, genauer auf dieses Kind zu achten. So können sie qualifiziert Rückmeldung geben. Ein anderer Blick hilft, frische Impulse zur Weiterarbeit zu geben oder Ursachen für Probleme zu erkennen.

3. ) Das Konzeptgespräch. Ein pädagogisches Konzept ist nie fertig, das wissen wir alle. Aber die Grundlage, auf der die Krippe arbeitet, muss festgelegt sein und von allen getragen werden. So kann sie auch Eltern ausgehändigt werden und es kann sich bei Problemen darauf bezogen werden. Wenn viele „große“ Kinder gehen und viele „kleine“ hinzukommen, ändert sich der Alltag und damit auch das pädagogische Konzept. Nicht grundsätzlich, aber im Tagesablauf oder den Schwerpunkten. Die Leitung sollte hier grundsätzlich vorgeben und den KollegInnen rechtzeitig mitteilen, worum es in der entsprechenden Sitzung gehen soll.

Teamgespräche brauchen Zeit, die Vorbereitung ebenfalls. Außerdem kommen die besten Ideen bei Spaziergängen oder beim Kaffeetrinken mit Freundinnen, im Tür-und-Angel-Kontakt mit KollegInnen. Nehmen Sie also Stift und Papier mit, notieren Sie sich die Ideen. Bringen Sie sie in einer ruhigen Stunde vor dem Teamgespräch in eine Reihenfolge. Händigen Sie die Einladung den KollegInnen aus, fragen Sie, ob sie  Ergänzungen oder weitere Themen zu besprechen haben. Überlegen Sie, welches Thema etwa wie viel Zeit beanspruchen wird, achten Sie entsprechend auf die Gewichtung und Reihenfolge. Worüber es viel zu diskutieren gibt, sollte eher am Ende des Tagesplans stehen. Schließlich neigen Diskussionen zum Ausufern und es sollte jede einmal ihre Meinung gesagt haben. Erstellen Sie einen Protokollbogen, bestimmen Sie reihum Protokollantin und Gesprächsführerin. Eine gute Leitung muss schließlich nicht immer alles selber machen, sie bezieht die KollegInnen klug und ihren Qualitäten entsprechend ein.

Den Alltag entrümpelt, den Morgenkreis abgeschafft

„Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns von diesen Vorgaben verabschiedet hatten, denn da hängen ja auch Traditionen und Elternbeteiligung dran“, so Schreiber. Aber jetzt hätten sie viel mehr Zeit für die Kinder – und vor allem nicht mehr andauernd im Kopf, was noch alles für das Herbstfest zu erledigen sei und ob sie das denn schaffen könnten. „Das kommt den Kindern zugute, wir sind freier im Kopf und können besser auf ihre Bedürfnisse eingehen.“

Ein weiteres Ergebnis eines Studientags: Was für andere ein zentrales Element ihres Alltags ist, hat das Team in Coppenbrügge abgeschafft – den Morgenkreis. „Nicht nur im Jahr, auch an jedem Tag hatten wir zu viel geplant“, sagt Schreiber. Das Team hat dann beobachtet, womit sie sich wann und wie lange beschäftigen – und was nicht möglich ist. Dabei fiel auf, dass das Zusammentrommeln der Kinder zum Morgenkreis für alle Stress bedeutet. Die einen waren noch am Essen, die anderen am Aufräumen, wieder andere hatten gerade ein Spiel begonnen. „So war der Morgenkreis ein Spielverhinderungskreis“, ereifert sich Schreiber. Also weg damit. Vermisst hat diese Runde niemand, weder die Kinder, noch die Erzieherinnen.

„Wir sind dadurch zusammengewachsen“, meint Schreiber. Denn alle haben sich, den Alltag, die Kinder und die anderen beobachtet, sich genau angeschaut, Stärken und Schwächen – eigene wie die der anderen – erkannt. Mit dem Ergebnis waren alle glücklich, denn so ergab sich wiederum mehr Zeit für die Beobachtung der Kinder und spontane Aktionen und Angebote.

Die Rolle der Leitung

„Ich versuche, meine Erzieherinnen nicht zu stressen“, lacht Andrea Schreiber, angesprochen auf die Rolle der Leitung bei der Teambildung. Wie im Umgang mit den Kindern versucht sie auch im Team ein hohes Maß an gemeinsamer Wertschätzung umzusetzen. „Die Erzieherinnen dürfen Fehler machen“, meint sie „ohne dafür böse Blicke zu ernten oder Getuschel oder eine Anmache in der Teambesprechung.“

Das klingt erst einmal ganz normal, ist es aber nicht. Annette kennt Teams, die in Teambesprechungen durch unterschwelligen Stress nicht offen, kritisch und konstruktiv miteinander können und sich dann bei nahezu jeder Frage nicht einig werden können. Das kostet viel Zeit und Kraft und führt zu „Hintenrumgesprächen“.

Dennis Meiners wünscht sich, dass „die Leitung auch mal Flagge zeigt“, so wie es in seiner Einrichtung gelebt wird. Denn die müsse vielen Ansprüchen gerecht werden: denen der Erzieherinnen der Krippe, des Kindergartens, des Trägers, der Eltern und der Kinder – das sei manchmal „wie zwischen den Stühlen sitzen“.

Erfolgreich Konfliktgespräche führen

Was nicht passieren darf: eine Eskalation und eine Frontenbildung. Denn dann ist eine Teamarbeit ohne ordnende Eingriffe von außen kaum mehr möglich. Also: Ruhe bewahren, sich Zeit lassen. Ein Konflikt bedeutet immer Ärger, negative Emotionen – auch bei der Leitung. Nehmen Sie sich also Zeit, sich über Ihre Gefühle in dieser Hinsicht klar zu werden. Sie dürfen sie auch äußern: schreien und schimpfen sind erlaubt! Allerdings vor dem Gespräch, im Wald oder auf einer freien Wiese. Nehmen Sie sich dann Zeit, sich gut auf das Gespräch vorzubereiten. Wer ist beteiligt? Wie sind die Beziehungen der Personen? Welche Rolle haben sie in der Krippe? Was ist genau vorgefallen? Wer hat bis jetzt was geäußert? Wer ist mit welchem Wunsch an Sie herangetreten?

Was ist ihr Ziel in dem Gespräch? Eine Lösung, klar, aber die steht nicht als Erstes auf dem Programm. Daher: Sorgen Sie für eine angenehme und störungsfreie Atmosphäre. Kein Telefon, keine hereinplatzenden Kolleginnen, kein Lärm von außen. Bieten Sie Wasser oder Tee an. Beginnen Sie das Gespräch mit dem, weswegen Sie diese Konferenz führen: „Frau M. ist an mich herangetreten, weil es in ihrem Team Abstimmungsprobleme gibt. Ist das richtig?“ Geben Sie jeder Person und Partei Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Auch, die dazugehörigen Emotionen zu benennen, z.B. „das hat mich geärgert, das hat mich gekränkt“. Was nicht geht: Schuldzuweisungen oder gar Beleidigungen. Achten Sie also auf die Tonalität und die Atmosphäre, greifen Sie nötigenfalls ein: „Ich verstehe Ihre Emotionen, aber das ist nicht der Ton, in dem wir unter Kolleginnen sprechen“.

Ihre Rolle ist nicht die einer Richterin und einer Mediatorin. Die KollegInnen müssen schließlich weiter im Team zusammenarbeiten, also sollten sie auch selbst auf eine Lösung kommen. Danach können Sie direkt fragen: „Wie stellen Sie sich die weitere Zusammenarbeit vor? Was soll geändert werden? Haben Sie Vorschläge?“ Sie können und sollten auch selbst Vorstellungen einbringen, aber nicht sofort. Gut ist ein Vorschlag zur konkreten Umsetzung der Ideen der KollegInnen. So nehmen Sie die KollegInnen ernst, zeigen aber auch, dass Sie die Leitung in der Hand haben und die ErzieherInnen sich auf Sie verlassen können.

Fragen Sie nach einer gewissen Zeit, etwa einer Woche, wie es jetzt läuft, wie die Vorschläge umgesetzt wurden. So werden Sie nicht als Kontrollinstanz, sondern als Unterstützung wahrgenommen.

Was denn nun, klare Kante zeigen oder jeden zu Wort kommen und mitentscheiden lassen? „Beides“, meint Drüner. Selbstverständlich sei es wichtig, dass jedes Mitglied des Teams sich gehört und verstanden fühle, „sonst steigt es innerlich aus“. Manchmal sei das eine Gratwanderung, sorge aber für gute Stimmung im Team. Klare Haltung sei nötig, wenn gemeinsam Themen und Probleme angegangen werden müssten. „Wir haben fast zwei Jahre lang bei den Teamtagen über unser Konzept gesprochen, das war auch notwendig im Rahmen der Qualitätssicherung“, berichtet Meiners. Dafür konnten dann andere gewünschte Fortbildungen nicht stattfinden. „Das hat der Träger durchgesetzt und das war gut, denn so sind alle auf dem gleichen Stand und konnten sich gleichermaßen einbringen.“ Und tragen nun das Konzept überzeugt mit.

Teamarbeit ist wichtig. Wer sich in einem guten Team befindet, ist produktiver, hat oft mehr Freude und ist oft ausgeglichener. So treten Motivationsprobleme seltener auf und sogar Freundschaften entstehen daraus. Echte Teamarbeit steigert damit auch die sozialen Kompetenzen. Es ist leicht, eine Gruppe zusammen zu stellen, Aufgaben zu verteilen und sie zur Zusammenarbeit zu zwingen. Auf diesem Weg entstehen jedoch keine Teams. Ein wirklich funktionierendes Team aufzubauen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt. Am besten sollte diese Aufgabe von erfahrenen Teamleitern übernommen und professionellen Coaches begleitet werden.

Ralf Ruhl

Die vier Team-Entwicklungsphasen

Jedes Team durchläuft vier typische Phasen. Nach Dauer, Inhalt und Intensität können sie sehr unterschiedlich sein.

Orientierung

Am Anfang steht die Unsicherheit. Schließlich kennt man sich noch nicht untereinander, weiß nicht, welche ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln gelten. Daher sind in dieser Phase gegensätzliche Gefühle gleichzeitig vorhanden:

  • Distanz suchen und Nähe aufbauen
  • Anonym bleiben und sich zeigen wollen
  • Autonomie beanspruchen und Anleitung brauchen
  • Besonders sein wollen und genauso sein wollen wie alle anderen

Klärung

Unsicherheit mag niemand. Daher wird bald der Wunsch nach klaren Regeln laut – und nach Sanktionen, wenn gegen diese verstoßen wird. Rivalitäten und unterschwellige Konflikte treten hervor, Rollen und Status innerhalb der Gruppe werden verfestigt. Alle haben das Bedürfnis, sich stärker zu profilieren, eigene Interessen und Bedürfnisse klarer auszudrücken. Diese Phase fühlt sich sehr mühsam an und ein Fortschritt ist kaum ersichtlich. Langsam werden widerstreitende Meinungen in höherem Maße zugelassen – übrigens auch gegenüber der Leitung. Erste Brücken zueinander werden gebaut und ausgetestet. Am Ende dieser Phase beginnt die Gruppe sich zu organisieren und als Team zu verstehen. Regeln werden geklärt, Rollen und Funktionen verteilt, Normen für das Miteinander werden festgelegt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wächst.

Produktiv-Phase

Die Beziehungen untereinander werden enger, das Team zeigt Geschlossenheit – nach innen und nach außen. Man lernt voneinander, will zusammen arbeiten, entdeckt, wie man sich ergänzen kann und will gemeinsame Ziele erreichen:

  • Unterschiede werden als Bereicherung erlebt
  • Jeder ist anerkannt, jeder weiß um seinen Beitrag
  • Aufgaben werden konstruktiv angegangen
  • Die Gruppe stellt sich selbst neue Aufgaben und ist offen für Ideen
  • Man hilft sich untereinander
  • Das Team ist auf die Aufgaben fokussiert

So wirkt das Team auch nach außen – als funktionierende Gruppe, geschlossen und energiereich. Dadurch kann es zu Änderungen in der Rolle des Teams in der Gesamtorganisation der Kita oder des Trägers kommen. Eine Klärung sollte beizeiten angegangen werden.

Abschied

Abschluss, Transfer und Abschied sind auch in Krippenteams ein wichtiges Thema – insbesondere beim Ausscheiden einzelner Mitglieder. Aber auch der Übergang vieler Kinder in den Kindergarten und damit nötige Umstrukturierungen sind in diesem Zusammenhang relevant.

  • Abschluss bedeutet, die Themen auf der Sachebene zu einem Ende zu bringen. Dabei muss die Psychodynamik des Teams im Auge behalten werden
  • Transfer heißt, dass sich das Team überlegen muss, wie Aufgaben umverteilt werden oder der Arbeitsalltag neu organisiert wird
  • Abschied von Personen bedeutet nicht nur Trauer. Es gibt auch die Gewissheit, dass etwas beendet ist, dass etwas zum Abschluss gebracht wurde. Dies gilt es wertzuschätzen – in der ganzen Gruppe

Angelehnt an die Team-Entwicklungsuhr von Bruce Tuckman




Elterngespräche in der Krippe führen

Typische Konfliktpunkte und praktische Lösungsansätze für eine gelungene Kommunikation

„Wann sind denn die nächsten Termine für Elterngespräche?“ fragt eine Mutter. Meike Hosbach, Leiterin der Kindertagessätte in Diemarden, zu der auch drei Krippengruppen gehören, ist überrascht. Erst vor zehn Minuten hat sie das Kalendarium mit den Sprechzeiten ausgehängt – und schon sind alle Termine belegt. „Die Eltern sind heute sehr stark an der Entwicklung ihrer Kinder interessiert. Sie wollen wissen: wie geht es meinem Kind, fühlt es sich wohl, ist es genau so weit wie alle anderen?“, meint Hosbach. Dahinter stecke die meist unausgesprochene Frage: „Muss ich mir Sorgen um mein Kind machen?“

Über jeden Schritt des Kindes informiert sein?

Verstehen kann das wohl jeder Vater und jede Mutter. Schließlich geben die Eltern ihr Liebstes an eine ihnen in der Regel unbekannte Person ab. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss! Kein Wunder, dass sie möglichst laufend über jeden noch so kleinen Schritt ihres Kindes informiert sein wollen. Und das nicht nur zwischen Tür und Angel, sondern auch in ausführlichen Gesprächen. „In der Eingewöhnungszeit bieten wir monatlich Elterngespräche an, bei Bedarf selbstverständlich häufiger. Für die älteren Kinder pendelt sich die Frequenz bei ein- bis zweimal im Jahr ein“, so Hosbach. „Mehr schaffen wir in unserer Arbeitszeit nicht.“

Selbstverständlich versteht sie, dass manche Eltern einfach ein offenes Ohr brauchen, über ihren immer noch neuen und sich immer wieder verändernden Tagesablauf mit dem Kind reden wollen, dass sie sich im Gespräch über Entwicklung und Erziehung klar werden wollen. „Aber wir sind keine Erziehungs- oder gar Lebensberatungsstelle. Wir sind Fachpersonen für die Betreuung von Kleinkindern.“

Mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder bis drei Jahre sei natürlich auch die Nachfrage gewachsen, so der Diplom-Pädagoge und Diplom-Supervisor Hans-Joachim Rohnke aus Grebenhain bei Fulda. Seit vielen Jahren berät er Kita- und Krippenteams in ganz Deutschland. „Die gesellschaftliche Akzeptanz für die öffentliche Erziehung der ganz Kleinen ist inzwischen sehr hoch. In den Metropolen haben wir für Kinder bis drei Jahre eine Betreuungsquote von zum Teil über 60 Prozent.“

Bindung und Beziehung ermöglichen

Den Eltern sei vor allem die „personelle Betreuungskontinuität“ wichtig. Denn sie wissen: Bindung und Beziehung sind in den ersten Lebensjahren der Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung. Beziehung kann aber nur sicher und dauerhaft aufgebaut werden, wenn in den Einrichtungen genügend nicht befristete Vollzeitkräfte für die Betreuung der Ganztagskinder vorhanden sind. „Nur so kann gewährleistet werden, dass die Kinder einen ständigen Ansprechpartner haben“, so Rohnke. Und den brauchen sie permanent, denn sie pendeln ständig zwischen dem Entdecken der Welt und der Sicherheit, die eine ihnen vertraute Person geben kann.

Daher arbeiten die meisten Krippen mit dem Bezugskindermodell. Diese Erzieherin ist auch die richtige Ansprechperson für ein Elterngespräch. Viele Einrichtungen sind inzwischen dazu übergegangen, Elterngespräche nur noch zu zweit zu führen. „Eine zweite Person kann die Sicht auf das Kind erweitern, kann Beobachtungen bestätigen, kann andere Aspekte einbringen“, so Hosbach. Wichtig sei aber auch: In einem Gespräch mit zwei Erzieherinnen eskaliert ein möglicher Konflikt nicht so schnell.

Konfliktpunkt: Eingewöhnung

Ein klassischer Konflikt ist laut Rohnke die Dauer der Eingewöhnung. Die meisten Krippen arbeiten nach dem Berliner Modell, das eine Phase von bis zu sechs Wochen vorsieht, bis das Kind allein in der Krippe bleibt. „Eltern sollten diese Zeit ihren Kindern schenken“, meint Rohnke, „schließlich handelt es sich um eine Schlüsselsituation für die Kleinen, in der sie zum ersten Mal in ihrem Leben von Mama, Papa oder andere Personen längere Zeit getrennt sind“. Immer wieder gebe es jedoch Eltern, die das nicht einsehen, oder die sich ihrem Arbeitgeber sehr stark verpflichtet fühlen. Doch gelinge die Eingewöhnung, gebe es viermal weniger Krankheitsfälle bei den Kindern und ebensoviel weniger Rückfälle wie ständiges Klammern, Weinen und Sich-nicht-beruhigen-lassen. „Das führt auch zu Fehlzeiten bei den Eltern und zu schlechteren Arbeitsergebnissen, da Väter und Mütter dann gedanklich nicht voll bei der Sache sind“, so Rohnke.

Das Modell der Eingewöhnung und wie es praktisch gehandhabt wird ist Teil des pädagogischen Konzeptes der Krippe. Das haben alle Eltern ausgehändigt bekommen, es wurde mit ihnen besprochen. Es ist die Grundlage des Betreuungsvertrages. „Das Prinzip ist die Erziehungspartnerschaft, nicht das Abgeben des Kindes“, sagt Rohnke. Und was Eingewöhnung für das Kind bedeutet, muss dann im Elterngespräch immer wieder erläutert werden: Eingewöhnung kann nur gelingen, wenn das Kind es will. Dazu braucht es die Sicherheit, dass Mama oder Papa da sind. Dass sie erst gehen, wenn das Kind dazu bereit ist. Dass die Eltern zeigen, dass sie Vertrauen zur Erzieherin haben. Dass sie ihr das Kind übergeben, es weder festhalten, noch wegstoßen. Auf Seiten der Einrichtung, dass es eine anregungsreiche Umgebung gibt, die dem Kind viele neue Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten bietet: Materialien, Spielangebote, andere Kinder. Und das braucht eben Zeit! Sechs Wochen sind in manchen Fällen dafür nicht zu viel.

Das Konzept ist dazu da, dass Eltern sich damit auseinandersetzen und schauen können, ob es ihnen für die weitere Entwicklung ihres Kindes zusagt oder nicht. „Wenn es da grundsätzliche Differenzen gibt, müssen sie nötigenfalls eine andere Einrichtung wählen“, sagt Rohnke.

Konfliktpunkt: Bildungsverständnis

Ein weiterer grundsätzlicher Konfliktpunkt ist oft das Bildungsverständnis. Bildung – da denken die meisten Menschen an Schule. Bücher lesen. Kognitiv Wissen aufnehmen und wiedergeben. Etwas erklärt bekommen und daraufhin verstehen. Für Kinder bis Drei ist ein solches Bildungskonzept nicht hilfreich. „In diesem Alter ist es nicht kindgerecht,  mit von der Schule entlehnten Programmen zu arbeiten und Kulturtechniken einzuüben“, so Rohnke. Viel wichtiger ist das Vorbildverhalten der Erwachsenen und anderer Kinder.

Daran entzünden sich auch immer wiederkehrende Alltagskonflikte mit Eltern. „Warum braucht ihr denn so lange für das Wickeln und Händewaschen?“, werde sie oft gefragt, berichtet Hosbach. Die Antwort: Weil Pflege in diesem Alter Bildung ist. Ganzheitliche Bildung im besten Sinne. Sie bittet das Kind um sein Einverständnis, wenn sie es wickeln will. Das braucht Feinfühligkeit und ein gutes Beobachten kleiner Nuancen von Gesten, schließlich können sich die wenigsten Wickelkinder verbal klar äußern. Das Kind lernt dabei: ich werde respektiert. Ich bin etwas wert. Niemand darf einfach über mich bestimmen! Sie spricht mit dem Kind, beschreibt, was sie tut, geht dabei auf seine Äußerungen, Gesten und Bewegungen ein. Kälte, Wärme, die sensitive Wahrnehmung auf der Haut, erste selbstständige Drehbewegungen auf dem Wickeltisch als zielgerichtete Handlungen – das sind Bildungserfahrungen, die grundlegend wichtig sind und absolut altersentsprechend.

„Ein eineinhalbjähriges Kind erreicht es nicht, wenn ich ihm eintrichtern will, dass sein Strampler rosa und sein Mützchen blau ist“, sagt Hosbach. Das ist erst im Kindergarten angebracht. Genau das sei aber wichtig, den Eltern zu erklären. Schließlich kann niemand erwarten, dass Mütter und Väter Expertinnen in Sachen Entwicklungspsychologie sind. Solche Erklärungen zeigen, dass die Erzieherinnen kompetent sind, dass sie wissen, was sie mit den Kindern machen. Dass sie gut beobachten und nicht nur einfach herumsitzen und die Kinder sich selbst überlassen. Dass die Kinder gut bei ihnen aufgehoben sind. Und dass sie bereit sind, sich und ihre Pädagogik zu hinterfragen. „Das ist eine wesentliche Grundlage für ein gutes Elterngespräch“, meint Hosbach, „die eigene Kompetenz zeigen und die Eltern in ihren Fragen und Beobachtungen ernst nehmen.“ Und es muss deutlich werden: Die Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Krippe kann durchaus anders sein als in der Familie. Sie ist nicht besser und nicht schlechter, aber genauso wertvoll.

Konfliktpunkt: Mein Kind und die Gruppe

„Lisa isst morgens um 8 Uhr und schläft um 11. Sonst ist sie mir abends zu lange wach.“ Solche Äußerungen von Eltern hört Meike Hosbach immer wieder. Gemeint sind sie als Aufforderung, diesen Vorgaben zu folgen. Klar ist: Die Erzieherin gehört nicht zum Hauspersonal der Familie. Sie empfängt keine mütterlichen Weisungen und führt sie aus. Sie ist Fachfrau für frühkindliche Pädagogik, ihr Arbeitgeber ist der Träger der Kita. Gebunden ist sie an das pädagogische Konzept, auf dessen Grundlage das Jugendamt die Betriebsgenehmigung erteilt hat. Und das ist die Basis für die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern.

Im Gespräch über Ess- und Schlafgewohnheiten wird deutlich, dass die Erzieherin Lisa sehr genau beobachtet. Dass sie die Anzeichen für Müdigkeit erkennt. „Wir gehen nach Möglichkeit auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein“, sagt Hosbach. Allerdings sind die in der Gruppe sehr verschieden, was auch am unterschiedlichen Alter der Kinder liegt. „Dann kann sich nicht immer eine Erzieherin zehn Minuten Zeit nehmen, um ein Kind allein zum Schlafen zu bringen, insbesondere, wenn die anderen gerade ein großes Bewegungsbedürfnis haben oder raus gehen wollen.“ Selbstverständlich gibt es aber Ruhemöglichkeiten, die die Kinder selbstständig aufsuchen können. Dass Lisa in ihren Bedürfnissen gesehen wird, war der Mutter im Gespräch sehr wichtig. Dass eine Notwendigkeit besteht, sich den Rhythmen der Gruppe anzupassen, wollte sie nur schwer einsehen. „Aber auch das ist eine Entwicklungsaufgabe für Kinder“, meint Hosbach, „zu erkennen, wie eigene Bedürfnisse und Gruppenbedürfnisse ausgehandelt werden.“ Der respektvolle Umgang der Erzieherinnen mit den Kindern ist hierfür Basis und Modell.

Das gilt selbstverständlich auch für die Beziehung zwischen Eltern und Erzieherin. Sind sie in der Lage, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten und Konflikte auszutragen, sind sie hierin ein Modell für die Kinder. Schwelen Konflikte längere Zeit, spüren die Kinder die Missstimmung und geraten schlimmstenfalls in Loyalitätsprobleme. Denn dass es allen Personen, die für sie wichtig sind, gut geht und dass alle miteinander auskommen – das wollen alle Kinder.

Ralf Ruhl

Nutzen Sie auch den Leitfaden für Elterngespräche. Diesen können Sie hier downloaden.




Erste-Hilfe-Kurse für die Rettung von Klein- und Kindergartenkindern

Johanniter bieten maßgeschneiderte Kurse für Bildungs- und Betreuungseinrichtungen an:

Bei einem Unfall ist schnelle und vor allem richtige Hilfe wichtig. Die Johanniter bieten maßgeschneiderte Erste-Hilfe-Kurse speziell für Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder an. Dabei vermitteln sie nicht nur theoretische Kenntnisse, vor allem üben sie mit den Teilnehmerinnern und Teilnehmern intensiv und praxisnah.

Vorbeugen von Unfällen

Damit Unfälle möglichst gar nicht erst passieren, werden Ihnen im Kurs außerdem typische Gefahrenquellen aufgezeigt. „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“ lautet hier das Motto. Gerade bei bekannten Erkrankungen des Kindes sind vorbeugende Maßnahmen wichtig. Auch das Bereithalten wichtiger Notfallnummern kann im Ernstfall die Wartezeit auf den Rettungswagen verkürzen. 

Angebot für die Ersthelfer von morgen

Übrigens: Haben die Kinder ganz gespannt Ihren Erzählungen vom Erste-Hilfe-Kurs gelauscht? Die Johanniter bilden auch die (heute noch kleinen) Ersthelfer von morgen  aus. Im Alter von 4 bis 11 Jahren lernen die Kinder einfache Maßnahmen der Ersten Hilfe und wie sie Unfälle vermeiden können.

So schaffen Sie für die Kinder aber auch für sich selbst mehr Sicherheit im Krippe und Kita.

Weitere Informationen zu den Kursen in Ihrer Nähe finden Sie unter: http://www.johanniter.de/kurse/erste-hilfe-kurse/erste-hilfe-in-bildungs-und-betreuungseinrichtungen-fuer-kinder/




IW: Mehr als 340.000 Krippenplätze fehlen

Der Ausbau neuer Betreuungsangebote für Kleinkinder geht in Deutschland offenbar zu langsam voran. Zwar wurden seit 2015 mehr als 135.000 zusätzliche Plätze in Kitas und bei Tageseltern geschaffen, allerdings wollen auch viel mehr Eltern als früher ihr Kind betreuen lassen. So fehlen 2020 in Deutschland mehr als 340.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren, wie Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen.

Viele Kommunen können dem in Deutschland geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nicht nachkommen. Obwohl die Zahl der unter Dreijährigen, die in einer öffentlich geförderten Kita oder bei Tageseltern betreut werden, seit 2015 von 693.000 auf 829.000 gestiegen ist, fehlen dieses Jahr 342.000 Plätze – rund 60 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Das zeigt eine neue IW-Studie.

Immer mehr Eltern geben ihr Kind die Kita

Ein Grund für den steigenden Bedarf ist, dass immer mehr Eltern ihr Kleinkind institutionell betreuen lassen wollen. 2019 meldeten 81 Prozent der Eltern für ihre Zweijährigen und 64 Prozent der Eltern für ihre Einjährigen einen Betreuungsbedarf an – deutlich mehr als noch vor fünf Jahren. „Lange galt insbesondere in Westdeutschland ein Alter von drei Jahren als geeigneter Betreuungsbeginn. Das hat sich vollkommen geändert“, sagt IW-Familienexperte Wido Geis-Thöne. In den vergangenen Jahren stiegen außerdem die Geburtenzahlen, allerdings ist dieser Trend gestoppt.

Große regionale Unterschiede

Nicht in allen Bundesländern fehlen Kitaplätze im gleichen Ausmaß. Relativ zur Gesamtzahl der unter Dreijährigen ist die Betreuungslücke, also die Differenz aus den erforderlichen und tatsächlich bereitgestellten Betreuungsplätzen, im Saarland, in Bremen und in Nordrhein-Westfalen am größten. Knapp 20 Prozent aller Kinder unter drei Jahren hatten dort keinen Betreuungsplatz, obwohl sich die Eltern einen wünschen. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen somit knapp 100.000 Plätze. In NRW kommt hinzu, dass Eltern bei Engpässen in den Kitas oft an Tageseltern verwiesen werden, bei denen die Qualifikationsanforderungen deutlich geringer sind als beim Kita-Personal.

Gut stehen Bayern, Baden-Württemberg und Ostdeutschland mit Ausnahme Berlins dar. Allerdings wollen in Bayern und Baden-Württemberg nicht so viele Eltern ihr Kind in eine Kita geben wie in anderen Bundesländern. „Nähert sich der Betreuungsbedarf wie zu erwarten den anderen Bundesländern an, werden auch in Bayern und Baden-Württemberg sehr viel mehr Kitaplätze benötigt“, sagt Studienautor Geis-Thöne.

Im Osten ist die Betreuungslücke zwar kleiner als im Westen, allerdings haben die Kindertagesstätten zu wenig Personal, um die Kinder gut zu betreuen. So kamen im Osten im Schnitt auf eine Betreuungsperson knapp sechs Kinder – in Westdeutschland sind es vier. Dementsprechend gäbe es auch im Osten trotz des guten Kita-Angebots Handlungsbedarf, so Geis-Thöne.

IW-Kurzbericht 96/2020 als PDF zum Download



Quelle: Pressemitteilung Institut der Deutschen Wirtschaft