Kinder meiden negative Informationen – ein Schutzmechanismus schon ab sieben

Studie der University of Chicago: Kinder betreiben eine frühe „Vogel-Strauß-Politik“ und blenden unangenehme Fakten bewusst aus

Auch in jungen Jahren zeigen Kinder nicht nur Neugier – sie beginnen früh damit, unangenehme Informationen bewusst zu meiden. In einer aktuellen Studie der University of Chicago wurde bei Kindern zwischen fünf und zehn Jahren nachgewiesen, dass viele ab etwa sieben Jahren gezielt weghören, wenn Nachrichten Angst, Enttäuschung oder Unsicherheit hervorrufen könnten.

Die Forschenden bezeichnen dieses Verhalten als kindliche Form der Informationsvermeidung, analog zum als „Vogel-Strauß-Effekt“ bekannten Phänomen bei Erwachsenen – auch wenn Strauße tatsächlich nicht den Kopf in den Sand stecken.

Neugier vs. Vermeidung: Der Wendepunkt um sieben Jahre

In Experimenten mit 320 Kindern zeigte sich:

  • Fünf- bis sechsjährige Kinder suchten aktiv nach Wissen – auch wenn es unangenehm sein könnte.
  • Ab etwa sieben Jahren hingegen mieden viele dieselben Kinder Informationen, die negative Emotionen auslösen könnten – beispielsweise, warum ihre Lieblingssüßigkeit schlecht für die Zähne ist.
  • Interessanterweise machten sie weniger Probleme damit, negative Informationen über weniger favorisierte Dinge zu akzeptieren.

Die Erstautorin Radhika Santhanagopalan führt fünf Motive auf, die Kinder zu dieser Informationsvermeidung treiben könnten:

  1. Vermeidung negativer Gefühle wie Angst oder Enttäuschung
  2. Schutz des Selbstwerts (z. B. kein negatives Bild von der eigenen Kompetenz)
  3. Erhalt eigener Überzeugungen ohne Widerspruch
  4. Bewahrung persönlicher Vorlieben
  5. Handeln im eigenen Interesse

Besondere Ausnahme: Wissen im Test

Ein erstaunlicher Befund: Kinder zeigen weniger Vermeidungsverhalten, wenn es um ihre eigene Leistung geht – etwa, welche Note sie in einem Test bekommen haben. Diese Information nehmen sie eher an, auch wenn sie negativ sein könnte. Die Forschenden vermuten, dies liege daran, dass sie beeinflussen können, wie sich das Ergebnis verbessert.

Vorsicht vor „Informationsvermeidung“

Dieses Verhalten, das bereits im Kindesalter beginnt, kann in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter zur Informationsvermeidung führen – mit Folgen für Bildung, Gesundheit, Demokratie und Selbstreflexion.

Santhanagopalan warnt davor, kurzfristigen psychischen Unmut zu meiden, wenn das aufgegebene Wissen langfristig wertvoll sein kann: Information, die im Moment unangenehm ist, kann später hilfreich sein.

Fazit und Ausblick

Diese Studienergebnisse zeigen, dass Informationsvermeidung kein menschliches Phänomen ist, das erst im Erwachsenenalter einsetzt, sondern bereits in der Kindheit beginnt. Für Pädagoginnen, Eltern und Psychologinnen heißt das: Wir sollten beobachten, wann und wie Kinder Informationen ablehnen, und sie behutsam darin begleiten, auch unangenehme Fakten Schritt für Schritt zu integrieren.




Wie Religion in der Familie weiterlebt – oder endet

Ob Glaube weitergegeben wird, hängt entscheidend von den Eltern ab – mit besonderer Rolle der Mütter. Im Osten Deutschlands ist Nicht-Religiosität zur Norm geworden

Ob Kinder religiös werden oder nicht, entscheidet sich laut einer neuen internationalen Studie der Universität Münster vor allem in der Familie. Besonders dann, wenn beide Elternteile derselben Konfession angehören, religiöse Rituale gemeinsam gepflegt werden und ein klares religiöses Selbstverständnis besteht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Glaube an die nächste Generation weitergegeben wird. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Rolle der Mütter, wie die Religionssoziologinnen Christel Gärtner und Linda Hennig sowie ihr Kollege Olaf Müller vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ betonen.

Aber auch religiöse Institutionen bleiben ein wichtiger Faktor. Der persönliche Austausch mit religiösen Autoritäten trägt wesentlich zur Festigung der Glaubenspraxis bei. Dennoch: In einem zunehmend säkularen Umfeld werden religiöse Erziehung und Weitergabe seltener. Eltern selbst sind heute oft kaum noch religiös – und vermitteln entsprechend auch keine religiösen Inhalte mehr an ihre Kinder.

Ostdeutschland als Vorreiter säkularer Sozialisation

Die Studie vergleicht Familien in Deutschland, Finnland, Italien, Ungarn und Kanada – alles Länder mit christlich geprägter Geschichte, aber unterschiedlichen Säkularisierungsverläufen. Besonders deutlich wird der Wandel in Ostdeutschland. Dort setzte der Bruch in der religiösen Weitergabe bereits früh ein: In der Generation der bis 1948 Geborenen war er bereits sichtbar. Bei den nach 1985 Geborenen stammt heute fast jede*r Zweite aus einer konfessionslosen Familie.

In Westdeutschland hingegen ist die Weitergabe von Religion nach wie vor verbreiteter: Rund 70 Prozent der jüngeren Befragten stammen aus Haushalten mit zumindest einem konfessionell gebundenen Elternteil. Der Unterschied lässt sich unter anderem mit der antireligiösen Politik der DDR erklären, so Olaf Müller: „Wenn die Weitergabe von Nicht-Religiosität zum gesellschaftlichen Normalfall wird, fällt es Eltern schwer, ihren Kindern eine religiöse Lebensweise zu vermitteln.“

Die Adoleszenz als kritischer Wendepunkt

Ob ein Mensch religiös bleibt oder wird, entscheidet sich laut den Forschenden meist in der Jugendphase. In dieser Zeit hinterfragen junge Menschen die religiösen Praktiken ihrer Herkunftsfamilie, entwickeln eigene Haltungen – und treffen zunehmend autonome Entscheidungen.

Zugleich zeigen sich seit den 1980er Jahren neue Erziehungsideale: Eltern fördern verstärkt die Selbstbestimmung ihrer Kinder – auch im religiösen Bereich. Ob ein Kind getauft wird oder sich konfirmieren lässt, ist häufig eine Entscheidung, die der Nachwuchs selbst treffen soll.

Besonders nachhaltig wirkt religiöse Sozialisation, wenn mehrere Generationen zusammenwirken – etwa wenn Großeltern ebenfalls zur religiösen Erziehung beitragen. Allerdings, so die Studienautor*innen, können Großeltern einen fehlenden religiösen Einfluss der Eltern nicht ersetzen.

Werte bleiben – auch ohne Religion

Während sich in der religiösen Praxis zwischen den Generationen oft Brüche zeigen, bleiben zentrale Werte erstaunlich konstant. Solidarität, Toleranz und Nächstenliebe – ursprünglich religiös vermittelt – werden von vielen jungen Menschen zwar übernommen, jedoch ohne religiöse Begründung. Sie gelten heute zunehmend als allgemein gesellschaftliche Werte.

Interessant ist dabei auch die Feststellung: Nicht nur Religion kann dominant weitergegeben werden – auch eine gefestigte Haltung der Nicht-Religiosität prägt die nächste Generation nachhaltig. In Familien, in denen etwa der Vater betont säkular lebt, kann dieser Einfluss ebenso stark wirken wie eine überzeugte religiöse Praxis.

Die Studie wurde von 21 Forscher*innen aus fünf Ländern durchgeführt und durch die John Templeton Foundation gefördert. Die Ergebnisse sind im Buch „Families and Religion. Dynamics of Transmission across Generations“ im Campus Verlag erschienen. Das Projekt war am Centrum für Religion und Moderne (CRM) sowie am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster angesiedelt.




Schnuller und Daumen: Wann Kinder sich entwöhnen sollten

Viele Eltern haben laut einer Umfrage das Gefühl, den richtigen Zeitpunkt zum Abgewöhnen verpasst zu haben

Schnuller und Daumenlutschen können Babys beruhigen und ihnen helfen, besser einzuschlafen – das wissen viele Eltern aus eigener Erfahrung. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt, sich von diesen Gewohnheiten zu verabschieden? Eine landesweite Umfrage des C.S. Mott Children’s Hospital an der University of Michigan (USA) gibt Einblicke in die Erfahrungen und Unsicherheiten vieler US-amerikanischer Familien.

Häufiger als gedacht – und manchmal länger als gut ist

Fast jedes zweite Elternteil berichtet, dass das eigene Kind einen Schnuller genutzt hat oder nutzt. Ein Viertel der Kinder lutscht oder lutschte am Daumen oder an den Fingern. Dabei war das Verhalten vor allem mit Einschlafsituationen, Mittagsschlaf oder emotionalem Stress verbunden – einige Kinder griffen aber auch beim Fernsehen oder in anderen Alltagssituationen regelmäßig darauf zurück. Etwa jedes fünfte Kind nutzte den Schnuller nahezu durchgängig.

Viele Eltern gaben an, im Nachhinein das Gefühl gehabt zu haben, den richtigen Zeitpunkt zum Abgewöhnen verpasst zu haben. Und das kann Folgen haben: Ein zu langes Beibehalten der Gewohnheit kann die Zahnentwicklung stören – und möglicherweise auch die Sprachentwicklung.

Kuscheltier oder Handschuhe? Wie Eltern versuchen, das Verhalten zu beenden

Über die Hälfte der befragten Eltern ist der Meinung, dass Kinder spätestens vor dem zweiten Geburtstag mit dem Schnuller oder Daumenlutschen aufhören sollten. Manche Kinder hören von selbst damit auf, doch nicht immer geht der Abschied reibungslos. Eltern berichten von verschiedenen Strategien: Einige schnitten ein Loch in den Sauger, um ihn unattraktiver zu machen, andere setzten auf Ersatz wie ein Kuscheltier. In seltenen Fällen kamen sogar abschreckende Mittel wie scharfe Sauce oder Vaseline zum Einsatz, was sicher nicht zur Nachahmung empfohlen werden sollte. Die Eltern sind jedenfalls gefragt, ihr Kind achtsam und liebevoll beim Loslassen dieser frühen Trostspender zu begleiten.

Laut Susan Woolford, Co-Direktorin des Mott Polls, sind Schnuller und Daumenlutschen in der frühen Kindheit ein normales Beruhigungsverhalten. Wenn es aber über die Kleinkindzeit hinaus bestehen bleibt oder das tägliche Leben beeinträchtigt, könne es ein Hinweis darauf sein, dass dem Kind alternative Strategien zur Stressbewältigung fehlen.

Hier geht es zur Originalfassung des Berichts: https://mottpoll.org/

Quelle: Pressetext.com/Ann Arbor




Mehr als Noten: Was Musik Kindern wirklich bringt

Warum Musikunterricht nicht klüger macht – aber trotzdem unverzichtbar ist

Musikunterricht wird oft als Wundermittel für die kindliche Entwicklung gepriesen. Die Hoffnung: Wer ein Instrument lernt, wird nicht nur musikalischer, sondern auch intelligenter, besser im Rechnen, Lesen und Denken. Doch eine umfassende Metaanalyse zeigt: Diese Erwartungen sind oft überzogen.

Große Studie – ernüchterndes Ergebnis

Bereits 2020 werteten Dr. Giovanni Sala (Fujita Health University, Japan) und Prof. Fernand Gobet (London School of Economics) 54 Studien mit rund 7.000 Kindern aus. Ihr Ziel war es, herauszufinden, ob Musikunterricht auch über das Musizieren hinaus kognitive Fähigkeiten wie logisches Denken, Sprachverständnis oder Mathematik verbessert.

Das Ergebnis: Bei sorgfältig durchgeführten Studien – mit klaren Kontrollgruppen und zufälliger Zuteilung – zeigte sich kein nachweisbarer Einfluss von Musikunterricht auf allgemeine Intelligenz oder schulische Leistungen. Kurz: Musik macht nicht automatisch klüger.

Warum dieser „kognitive Schub“ meist ausbleibt

Der sogenannte Transfer-Effekt erklärt, warum. Fähigkeiten lassen sich nur schwer auf völlig andere Bereiche übertragen. Wer Klavier spielt, verbessert seine musikalischen Fertigkeiten – aber diese übertragen sich nicht automatisch auf Mathematik oder Sprachtests.

Musik wirkt anders – und tiefgreifend

Doch das heißt nicht, dass Musikunterricht unwirksam ist. Im Gegenteil: Er wirkt auf anderen Ebenen – und diese sind für die kindliche Entwicklung mindestens ebenso wichtig.

Musik fördert nachweislich das Selbstbewusstsein von Kindern. Ein Instrument zu beherrschen, ein Musikstück zu lernen und aufzuführen – das gibt Erfolgserlebnisse, stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und macht stolz. In einer Zeit, in der Kinder oft unter Leistungsdruck stehen, ist das ein unschätzbarer Wert.

Zudem bietet Musik einen Raum für Kreativität und freien Ausdruck. Anders als viele Schulfächer verlangt sie nicht nur korrektes Denken, sondern erlaubt Emotionen, Fantasie und Individualität. Kinder lernen, sich nonverbal auszudrücken – durch Klang, Rhythmus und Bewegung.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Freude, die Musik vermittelt: Singen, Musizieren oder gemeinsames Musikhören wecken Begeisterung, fördern soziale Bindungen und schaffen Momente echter Lebendigkeit – im Klassenzimmer wie im Alltag.

Auch sprachlich ein Gewinn

Darüber hinaus zeigen Forschungen des Max-Planck-Instituts für Neurowissenschaften, dass Musik und Sprache ähnliche Bereiche im Gehirn aktivieren. Das erklärt, warum Musikunterricht oder aktives Musikhören gerade die Sprachentwicklung unterstützen kann – ein bedeutender Aspekt für jüngere Kinder.

Fazit: Musikunterricht ist kein Intelligenz-Booster – aber ein Bildungsgewinn

Musik allein steigert vielleicht nicht die Intelligenz – doch sie leistet einen entscheidenden Beitrag zur emotionalen, kreativen und sozialen Entwicklung. Sie stärkt das Selbstwertgefühl, fördert Ausdruckskraft und lässt Kinder erleben, dass Lernen Spaß machen kann.

Musik ist kein Wundermittel für schulische Höchstleistungen – aber ein unverzichtbarer Teil ganzheitlicher Bildung.

https://link.springer.com/article/10.3758/s13421-020-01060-2

Gernot Körner




Soziale Teilhabe: Was Kinder und Jugendliche wirklich brauchen

Laut der neuen Bertelsmann-Studie sind für Kinder und Jugendliche vor allem ihre Freund*innen und die digitale Teilhabe wichtig

Kinder und Jugendliche wünschen sich vor allem eines: soziale Teilhabe. Das zeigt die aktuelle Studie „Bedarfe von Kindern und Jugendlichen für ein gelingendes Aufwachsen“ der Bertelsmann Stiftung. Demnach sind Freundschaften und zwischenmenschliche Beziehungen für junge Menschen zwischen zehn und 15 Jahren zentral für ein gutes Leben. Rund ein Drittel der Befragten nennt soziale Kontakte zu Freund*innen und Gleichaltrigen als wichtigste Lebensgrundlage – noch vor der eigenen Familie, die von etwa 20 Prozent an zweiter Stelle genannt wird.

Dabei zeigt sich: Soziale Beziehungen sind auch im digitalen Raum von großer Bedeutung. Mehr als die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlichen (54 Prozent) gibt an, auf Handy und mobiles Internet am wenigsten verzichten zu können. Digitale Teilhabe ist somit eng mit sozialer Teilhabe verknüpft.

Finanzielle Mittel als Schlüssel zur Teilhabe

Die finanziellen Prioritäten der jungen Generation spiegeln diese Bedürfnisse deutlich wider. Für neun von zehn Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, Geld für gemeinsame Aktivitäten mit Freund*innen zur Verfügung zu haben. Auch Konsumgüter wie Kleidung, Technik oder Kosmetik (67 Prozent), Hobbys (61 Prozent) sowie Internet und Telefon (55 Prozent) stehen weit oben auf der Liste. Bemerkenswert: Rund die Hälfte der Befragten möchte zudem Geld sparen – ein Hinweis auf ein ausgeprägtes Bewusstsein für die eigene finanzielle Situation.

Erfreulich ist, dass sich das Taschengeld kaum nach dem Einkommen der Eltern richtet. Auch Haushalte mit geringerem Einkommen bemühen sich, ihren Kindern eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen.

Geldmangel schränkt soziale Teilhabe ein

Trotz grundsätzlich optimistischer Zukunftsperspektiven äußern viele junge Menschen Sorgen um die finanzielle Lage der Familie. Fast die Hälfte macht sich häufig oder zumindest gelegentlich Gedanken über das vorhandene Geld. Etwa ebenso viele berichten, dass sie sich regelmäßig Dinge nicht leisten konnten, die Freund*innen gekauft haben. Besonders deutlich wird: Wer für Unternehmungen mit dem Freundeskreis selbst aufkommen muss, erlebt finanzielle Engpässe oft als soziale Ausgrenzung.

„Nur die Existenz abzusichern, reicht nicht“, betont Antje Funcke, Familienpolitik-Expertin der Bertelsmann Stiftung. „Kinder und Jugendliche brauchen auch finanzielle Mittel, um aktiv am sozialen Leben teilnehmen zu können.“ Das bestätigt auch das JugendExpert*innenTeam, das die Studie begleitet hat. In der Begleitbroschüre „Mit uns!“ schreiben die Jugendlichen: „Wer nicht genug Geld hat, bleibt oft zuhause – und das kann auf Dauer einsam machen.“

Teilhabe braucht neue Rahmenbedingungen

Aktuelle staatliche Leistungen wie das Bürgergeld oder das Bildungs- und Teilhabepaket greifen zu kurz, wenn es um die tatsächlichen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen geht. Die Studie plädiert daher für eine Neuausrichtung existenzsichernder Leistungen – unter Berücksichtigung sozialer und digitaler Teilhabe. Ebenso wichtig sei der systematische Einbezug junger Menschen in politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse. Kinder und Jugendliche sind Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt – ihre Perspektiven müssen stärker berücksichtigt werden.

Gleichzeitig brauche es mehr kostenfreie Angebote in Bereichen wie Bildung, Freizeit, Sport und Kultur. Nur so lasse sich echte Teilhabe ermöglichen. Eine rein finanzielle Unterstützung genüge nicht – notwendig sei ein Zusammenspiel aus Geldleistungen und einer gut ausgebauten sozialen Infrastruktur.

Mitbestimmung im Schulalltag gewünscht

Auch im schulischen Umfeld äußern Kinder und Jugendliche ein starkes Bedürfnis nach Mitgestaltung. Zwar sind die meisten mit ihrer Schule grundsätzlich zufrieden, doch rund die Hälfte fühlt sich bei der Auswahl von Lerninhalten und Arbeitsmethoden nicht ausreichend beteiligt. Besonders Grundschulkinder bemängeln mangelnde Mitsprachemöglichkeiten.

Dabei ist Mitbestimmung ein entscheidender Motivationsfaktor: 95 Prozent der Befragten wünschen sich interessante Aufgaben, 94 Prozent genug Pausen und freie Zeit, und 93 Prozent eine zugängliche Lehrkraft, bei der man Fragen stellen kann.

„Kinder und Jugendliche besuchen ihre Schule nachweislich lieber, wenn sie das Gefühl haben, diese mitgestalten zu können“, erklärt Arne Halle, Schulpolitik-Experte der Bertelsmann Stiftung. Eine stärkere Beteiligung der Schüler*innen würde nicht nur die Zufriedenheit erhöhen, sondern auch das Lernen effektiver gestalten.

Zur Studie

Die Ergebnisse stammen aus einer bundesweiten, repräsentativen Befragung von 1.037 Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 15 Jahren sowie einer ergänzenden Elternbefragung. Zusätzlich fanden qualitative Gruppendiskussionen mit Grundschulkindern statt. Die Studie wurde im November und Dezember 2023 von der iconkids & youth international research GmbH durchgeführt und vom Institut für soziale Arbeit e.V. Münster ausgewertet. Besonderes Merkmal: Junge Menschen waren nicht nur Teil der Befragung, sondern auch aktiv an der Konzeption und Interpretation beteiligt – ein wichtiger Schritt hin zu mehr echter Beteiligung. In der Broschüre „Mit uns!“ kommentieren einige Jugendliche die Studie:

Quelle: Pressemitteilung Bertelsmann Stiftung




ADHS-Medikamente haben kaum Auswirkungen auf das Herz

Neue Studie der Universitiy of Southampton bringt Klarheit über Ritalin und andere einschlägige Medikamente

Eine umfassende internationale Studie unter der Leitung der University of Southampton hat ergeben, dass Medikamente zur Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) in der Regel nur geringe Auswirkungen auf Herzfrequenz und Blutdruck haben. Die Untersuchung liefert wichtige Erkenntnisse zur kardiovaskulären Sicherheit dieser häufig eingesetzten Präparate.

Die Ergebnisse, veröffentlicht im Fachjournal The Lancet Psychiatry, basieren auf der bislang größten und detailliertesten Analyse zu diesem Thema. Insgesamt wurden Daten aus 102 randomisierten kontrollierten Studien mit mehr als 22.000 Teilnehmenden ausgewertet. Die Forscherinnen und Forscher nutzten dabei eine sogenannte Netzwerk-Metaanalyse, mit der sich auch Medikamente vergleichen lassen, die nicht direkt gegeneinander getestet wurden.

Geringe Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System

„Bei der Einnahme von Medikamenten sollten Risiken und Nutzen immer gemeinsam bewertet werden“, betont Professor Samuele Cortese, leitender Studienautor und NIHR-Forschungsprofessor an der University of Southampton. „Wir beobachteten bei der Mehrheit der behandelten Kinder lediglich einen leichten Anstieg von Blutdruck und Puls.“

Im Einzelnen zeigte sich, dass nahezu alle untersuchten ADHS-Medikamente – darunter sowohl Stimulanzien wie Methylphenidat und Amphetamine als auch Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin und Viloxazin – einen geringen Einfluss auf kardiovaskuläre Parameter haben. Eine Ausnahme bildet Guanfacin, das Blutdruck und Herzfrequenz sogar leicht senken kann.

Vorsicht bei bestehenden Herzerkrankungen

Die Wissenschaftler fanden keine signifikanten Unterschiede in den Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System zwischen Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien. Dennoch empfehlen sie eine konsequente ärztliche Überwachung von Blutdruck und Puls bei allen Patientengruppen, unabhängig vom gewählten Medikament.


Das ADS-Buch

Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer: Das Optimind®-Konzept. Der Ratgeber für Erziehende: Tipps zum Umgang mit ADS bei Kindern – für einen erfolgreichen Alltag ohne Frust!

  • Alles über ADS: Symptome, Ursachen und Folgen
  • Umfassende Hilfe für Kinder mit ADS: Das Optimind-Konzept
  • Individuell abgestimmte Leitfäden für Eltern, Lehrer:innen und Kinderärzte
  • Bist du ein Zappelphilipp oder ein Träumer? Kindgerechte Erklärung von ADS
  • Mit zahlreichen Fallbeispielen, Checklisten und Tipps für den Alltag mit ADS
  • 320 Seiten, ISBN 9783963040382, 22 €


„Unsere Ergebnisse sollten Eingang in zukünftige Leitlinien finden und insbesondere die Vorstellung korrigieren, dass nur Stimulanzien potenziell belastend für das Herz sind“, sagt Dr. Luis Farhat von der Universität São Paulo, Brasilien, der Erstautor der Studie.

Menschen mit bestehenden Herzproblemen sollten eine mögliche Behandlung mit ADHS-Medikamenten vorab mit einem Kardiologen besprechen, so die Forscher.

Nutzen überwiegt Risiken – unter Beobachtung

Trotz der leichten kardiovaskulären Veränderungen überwiegt laut den Autoren der Nutzen der medikamentösen Behandlung bei ADHS deutlich. Frühere Studien belegen unter anderem eine Reduktion des Sterblichkeitsrisikos sowie eine Verbesserung schulischer Leistungen durch die Therapie.

Professor Alexis Revet von der Universität Toulouse, Co-Senior-Autor der Studie, ergänzt: „Unsere Analyse basiert auf klinischen Studien, die aus ethischen Gründen meist nur kurzzeitig durchgeführt werden. Deshalb sind begleitende Untersuchungen aus der Praxis mit längerer Laufzeit essenziell.“

Fokus auf Präzisionsmedizin

In einem nächsten Schritt will das Forschungsteam untersuchen, ob bestimmte Patientengruppen empfindlicher auf kardiovaskuläre Nebenwirkungen reagieren als andere. „Auch wenn unsere Ergebnisse auf Gruppenebene beruhigen, schließen wir nicht aus, dass es Subgruppen mit einem erhöhten Risiko gibt“, so Professor Cortese. „Zukünftige Fortschritte in der Präzisionsmedizin könnten helfen, diese besser zu identifizieren.“

Die Studie wurde im Rahmen des NIHR-Forschungsprofessuren-Programms finanziert und ist unter dem Titel Comparative cardiovascular safety of medications for attention-deficit/hyperactivity disorder in children, adolescents, and adults: a systematic review and network meta-analysis“ online in The Lancet Psychiatry verfügbar.

Weitere Informationen zu ADS für Betroffene, Eltern, Therapeuten, pädagogische Fachkräfte und Mediziner finden Sie auch unter https://opti-mind.de/home-2/

Quelle: Pressemitteilung University Southampton




Was ein gutes Spielzeug auszeichnet

Drei Lehren aus den zehn Jahren der TIMPANI-Spielzeugstudie

„Weil mir das gefällt“ ist wohl die ungünstigste Begründung, die ein Erwachsener für die Auswahl eines Spielzeugs geben kann. Schließlich sollte es bei der Entscheidung eher darum gehen, welches Spielzeug Kinder am meisten anregt. Doch selbst für pädagogische Fachkräfte ist dies oft nicht einfach. Auf Fachmessen lässt sich diese Unsicherheit deutlich beobachten. Die Empfehlungen zahlreicher Hersteller und deren vollmundige Produktversprechen tragen dabei nicht zur Klarheit bei. Im Gegenteil: Die Kluft zwischen den Aussagen vieler Hersteller und den praktischen Erfahrungen in Bildungseinrichtungen hat zu einem erheblichen Maß an Misstrauen geführt. Hinzu kommen die ernüchternden Ergebnisse zahlreicher Bildungsstudien wie PISA oder IGLU, die trotz einer Fülle an Lernspielen kaum Fortschritte zeigen.

Eine hilfreiche Orientierung

Eine hilfreiche Orientierung bei der Auswahl von geeignetem Spielzeug bieten die Forschungsergebnisse des Center for Early Childhood Education der Eastern Connecticut State University seit 2019. In der TIMPANI-Studie (Toys that Inspire Mindful Play And Nurture Imagination) untersuchten Wissenschaftler*innen über einen Zeitraum von zehn Jahren mehr als 100 Spielzeuge in Kindertageseinrichtungen. Ziel der Studie war es, Spielzeuge zu identifizieren, die Kinder am besten zu intellektuellen, kreativen, sozialen und sprachlichen Interaktionen anregen. Jedes Jahr wurde eine neue Auswahl von Spielzeugen in den Gruppenräumen verteilt, während das Spielverhalten der Kinder aufgezeichnet und anschließend mit einem wissenschaftlichen Instrument analysiert wurde (Trawick-Smith, Russell, & Swaminathan, 2010).

Drei wesentliche Merkmale

Im Laufe der Studie kristallisierten sich drei wesentliche Merkmale heraus, die dafür sorgen, dass Spielzeug hochwertiges Spiel fördert:

  1. Je einfacher, desto besser:
    Viele moderne Spielzeuge sind mit zahlreichen Funktionen und Effekten ausgestattet – sie machen Geräusche, leuchten oder sprechen. Solche Spielzeuge dienen oft mehr der Unterhaltung als dem eigentlichen Spiel. Die Studie zeigte jedoch, dass einfaches Spielzeug zu abwechslungsreicherem und intensiverem Spiel anregt. So führte beispielsweise eine schlichte Registrierkasse aus Holz zu lebhaften Gesprächen über das Kaufen und Verkaufen, während eine Plastikkasse mit Geräuscheffekten die Kinder meist nur zum wiederholten Drücken der Knöpfe animierte. Ähnlich verhält es sich mit sprechenden Puppen: Während einfache Puppen die Fantasie der Kinder herausfordern, begrenzen interaktive Puppen diese eher.
  2. Vielfältige Möglichkeiten und offenes Ende:
    Spielzeuge, die genau vorgeben, wie mit ihnen zu spielen ist – wie Brettspiele oder Puzzles – haben ihren pädagogischen Wert. Sie fördern das Lösen von Problemen, das Einhalten von Regeln und das Abwechseln. Doch die TIMPANI-Studie zeigte, dass insbesondere offene und flexible Spielzeuge die Kreativität der Kinder beflügeln. So wurden einfache Hartholzklötze in der Studie zu Häusern, Zoogehegen, Burgen und vielem mehr. Einzelne Klötze wurden zu Handys, Autos oder Sandwiches. Spielzeuge mit offenem Ende hielten die Aufmerksamkeit der Kinder zudem meist deutlich länger aufrecht.
  3. Weniger Realismus fördert mehr Fantasie:
    Realistische Nachbildungen von Alltagsgegenständen können zwar ansprechende Rollenspiele fördern. Ein Plastikgeschirr etwa regt dazu an, Mahlzeiten für Gleichaltrige oder Erwachsene zu simulieren. Doch laut der Studie ist das Spiel umso wertvoller, je weniger realistisch das Spielzeug ist. Ein einfacher Bauklotz etwa fordert die Kinder dazu heraus, selbst zu entscheiden, was sie erschaffen möchten, und ihre Ideen den Spielkamerad*innen zu vermitteln. Diese Art des Spiels führt zu komplexen Problemlösungen, fördert die Kreativität und sorgt für reichhaltige Interaktionen und Gespräche unter den Kindern.

cover-krenz-spiel

Armin Krenz: Spiel und Selbstbildung – Kitas brauchen eine pädagogische Revolution

Wenn der Bedeutung des Spiels kaum noch eine Beachtung geschenkt wird, hat dies gravierende Folgen für die Persönlichkeits- und Lernentwicklung der Kinder und damit auch auf die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung des Landes. In dieser Veröffentlichung werden fachliche Grundlagen vorgestellt, um das SPIEL wieder verstärkt in die Elementarpädagogik zu integrieren. Das gelingt nur mit einer aktiven, lebendigen, authentisch gestalteten SPIELPÄDAGOGIK und spielfreudigen kindheitspädagogischen Fachkräften.

Softcover, 176 Seiten, 21 x 14,8 cm, ISBN 978-3-96304-616-2, 22 €


Besonders wirkungsvolle Spielzeuge laut Studie

Die Forscher*innen identifizierten zwei Spielzeugarten, die sich als besonders wertvoll erwiesen:

  • Konstruktionsspielzeug:
    Spielzeuge wie Hartholzklötze, Legos und andere Bauteile, die auf vielfältige Weise zusammengesetzt werden können, schnitten in jedem Jahr der Studie hervorragend ab. Die besten Konstruktionsspielzeuge für Kindergartenkinder sind solche ohne feste Vorgaben, die ausreichend Teile bieten, um unterschiedliche Bauideen umzusetzen.
  • Nachgebildetes Spielzeug:
    Figuren wie kleine Menschen, Tiere oder Fahrzeuge schnitten ebenfalls gut ab. Beim Spielen mit diesen Spielzeugen entwickelten die Kinder ausgefeilte Szenarien, führten intensive Gespräche und spielten kooperativ mit anderen Kindern.

Die TIMPANI-Spielzeugstudie:

TIMPANI steht für Toys that Inspire Mindful Play And Nurture Imagination (Spielzeug, das achtsames Spielen fördert und die Fantasie anregt). Die Studie wurde von 2010 bis 2019 durchgeführt und untersuchte Spielzeug für Kinder im Kindergartenalter. Dabei wurden auch Unterschiede in der Spielqualität in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomischen Hintergrund analysiert. An der Durchführung der Studie waren über einen Zeitraum von zehn Jahren 26 Studierende der Eastern University beteiligt.

Weitere Informationen zur Studie finden Sie hier: TIMPANI-Studie

Quelle: Handout TIMPANI-Studie




Bundesweit fehlen über 300.000 Krippenplätze

Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft findet jedes siebte Kind unter drei Jahren findet keinen Kitaplatz

Seit mehr als zehn Jahren gibt es für Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Doch noch immer gelingt es der Politik nicht, die Vorgabe zu erfüllen: Im Frühjahr 2024 gab es bundesweit für 306.000 Kinder unter drei Jahren mit einem Betreuungsbedarf keinen Platz. Das zeigen IW-Berechnungen auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts und des Familienministeriums.

Versorgungslage im Osten am besten

Besonders schlecht ist die Lage in Westdeutschland: In Bremen gibt es für beinahe jedes vierte Kind (23,9 Prozent) keinen Platz, in Nordrhein-Westfalen ist der Anteil auf 18,6 Prozent der unter Dreijährigen gestiegen. Anders im Osten, dort gibt es nur für 7,6 Prozent der Kinder keinen Betreuungsplatz. Beim Spitzenreiter Mecklenburg-Vorpommern sind es sogar nur 3,9 Prozent. Allerdings ist die Lage dort eine andere: Gegenüber dem Jahr 2016 sind die Geburten in den neuen Bundesländern um 25 Prozent zurückgegangen (Westen: 9,6 Prozent). In den kommenden Jahren könnte es deshalb dort sogar ein Überangebot geben.

Bedarf im Westen bleibt hoch

„Im Osten muss die Politik schon heute darüber nachdenken, das Betreuungsangebot zu reduzieren“, sagt IW-Bildungsexperte Wido Geis-Thöne. Im Westen dürfte der Bedarf hingegen auf absehbare Zeit hoch bleiben, die dortigen Länder und Kommunen müssen den Ausbau deutlich forcieren. „Der Mangel an Kitaplätzen ist ein politisches Armutszeugnis. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer noch in weiten Teilen der Bundesrepublik stark eingeschränkt“.

Wido Geis-Thöne (IW)