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Die Kindergrundsicherung kommt – aber anders als geplant

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Informationen, Eckpunkte und Reaktionen auf den Kompromiss der Regierungskoalition

Bundesfamilienministerin Elisabeth Paus hat mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Eckpunkte zur Kindergrundsicherung vorgestellt. Das Ziel: ab 2025 alle relevanten Leistungen für Kinder zu einer zentralen Unterstützung zusammenzufassen. Bis zu 5,6 Millionen von Armut bedrohte Familien und ihre Kinder sollen dadurch Leistungen schneller, einfacher und direkter erhalten. Laut Familienministerin Paus werden 1,9 Millionen Kinder mit der Kindergrundsicherung aus dem Bürgergeld geholt.

Kindergrundsicherung: Die Eckpunkte

  • Sämtliche bisherigen Leistungen werden zu einer Leistung zusammengefasst. Es gibt künftig den einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag (ehemals Kindergeld) und den Kinderzusatzbetrag (ehemals Kinderzuschlag). Er wird gestaffelt nach Alter des Kindes und Einkommen der Eltern. Dafür wird der bisherige Kinderzuschlag weiterentwickelt und auch die Kinder, deren Eltern Bürgergeld oder Sozialhilfe beziehen (SGB II und SGB XII-Leistungen), in diese neu ausgestaltete Leistung aufgenommen.
  • Die Kindergrundsicherung soll online und einfach zu beantragen sein. Künftig soll es nur eine Anlaufstelle für alle Kinderleistungen geben, den Familienservice der Bundesagentur für Arbeit. Damit werden alle Kinder unabhängig von dem Erwerbsstatus der Eltern gleichbehandelt. Zudem wird ein sogenannter Kindergrundsicherungs-Check entwickelt. Dabei wird automatisiert geprüft, ob eine Familie Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag hat.
  • Für den Start der Kindergrundsicherung 2025 will die Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro bereitstellen.
  • Das soziokulturelle Existenzminimum wird neu bemessen. Damit wird der Bedarf für Kinder an die aktuelle Lebenswirklichkeit angepasst. Es wird darüber hinaus sichergestellt, dass sich für kein Kind durch die Zusammenfassung der Leistungen die finanzielle Lage verschlechtert.
  • Alleinerziehende sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen. Daher sollen bei ihnen Unterhaltszahlungen künftig nur zu 45 Prozent als Einkommen in die Berechnung des Zusatzbetrages einfließen. Für Kinder ab Schuleintritt gibt es die Ermäßigung nur, wenn das Einkommen des Unterhaltsempfängers 600 Euro übersteigt. Das soll einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit bieten.
  • Geplant ist, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie das sogenannte Schulstarterpaket einfacher zu beantragen sind. Dazu wird in den nächsten Jahren ein „Kinderchancenportal“ aufgebaut. Es soll der zentrale Ort der Kommunikation und Organisation zu diesem Thema sein.

ver.di hält die Eckpunkte zur Kindergrundsicherung für nicht ausreichend

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kritisiert die von der Regierung vereinbarten Eckpunkte zur Kindergrundsicherung als eindeutig nicht ausreichend. „Der in der Ampel ausgehandelte Kompromiss bündelt im Wesentlichen bestehende Leistungen. Eine verbesserte Unterstützung für armutsgefährdete Kinder bietet er nicht. Das ist kläglich“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Kinderarmut werde damit nicht wirksam bekämpft. Wenn von ursprünglich geforderten 12 Milliarden Euro mehr pro Jahr nun gerade mal 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen, davon zum Teil für Verwaltungskosten, zeige dies deutlich, dass der Ampel-Kompromiss falsche Schwerpunkte setze. „Für Steuererleichterungen für obere Einkommensschichten und für die Wirtschaft ist Geld da, für Kinder offensichtlich nicht“, sagte Werneke weiter. Die Kindergrundsicherung verdiene ihren Namen nur, wenn sie finanziell substanziell mehr ausmache als nur eine Umwidmung bestehender Programme, so Werneke weiter. „Denn die bestehenden Programme führen dazu, dass jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist. Das ist beschämend.“

DGB: Kindergrundsicherung – Finanzierung bleibt fraglich

Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt die Eckpunkte für die Kindergrundsicherung als substanzielle Verbesserung. Wenn die bereitgestellten Gelder allerdings nicht reichen, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, muss nachgebessert und nachgelegt werden. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte am Montag in Berlin:

„Viele der geplanten Neuregelungen stellen substanzielle Verbesserungen zum Bürgergeld dar. Mit der Kindergrundsicherung wird endlich eine bürgerfreundlichere und leichter zugängliche Leistung geschaffen. Es ist ein echter Meilenstein, wenn künftig dafür gesorgt ist, dass das dringend benötigte Geld auch bei den Familien ankommt: Geringverdienende Eltern werden zukünftig proaktiv darauf hingewiesen, dass ihnen finanzielle Hilfen für ihre Kinder zustehen. Dass die Rentenkasse künftig Angaben zum Lohn automatisch vermittelt, erspart den Familien, ihre Nachweise individuell zuzuliefern. Das und weitere Maßnahmen machen die Antragstellung viel einfacher.

Auch profitieren Alleinerziehende deutlich, die heute Bürgergeld beziehen. Sie haben mehr Geld in der Haushaltskasse, da Unterhaltszahlungen nicht mehr so stark den Leistungsanspruch reduzieren. Auch für erwerbstätige Eltern, die aufstocken, gilt, dass sie von ihrem Lohn mehr behalten können. Erwerbsarbeit wird so stärker wertgeschätzt und eine langjährige Forderung des DGB erfüllt.

Fraglich bleibt, ob die vereinbarten Finanzmittel für wirksame Armutsbekämpfung ausreichen. Als DGB werden wir das Vorhaben eng begleiten und genau prüfen, für wen und was die 2,4 Milliarden Euro gedacht sind und wie die neue Leistungshöhe ausgestaltet wird. Wenn mit dieser Summe Kinderarmut nicht spürbar zurückgedrängt werden kann, muss das Parlament nachbessern.“

DKHW: Kindergrundsicherung bleibt hinter den Erwartungen zurück

Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt die Einigung der Bundesregierung bei der geplanten Kindergrundsicherung, ist aber gleichzeitig enttäuscht vom erzielten Kompromiss. Wir freuen uns, dass es bei der Kindergrundsicherung jetzt endlich einen Schritt vorwärts geht. Die Leistungsbündelung und verbesserte Zugänge von Kindern sind wichtige Hebel. Die Kindergrundsicherung ist aber nach jetzigem Planungsstand nicht der erhoffte große Wurf, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitigt. Dafür wurden im Laufe der regierungsinternen Beratungen zu viele Abstriche an den ursprünglichen Zielen der Kindergrundsicherung gemacht.

Die Kindergrundsicherung muss sich an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren. Dafür braucht es mehr finanzielle Mittel in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen, und vor allem eine zügige Neubemessung des kindlichen Existenzminimums. Dieses Existenzminimum darf nicht mit willkürlichen Abschlägen künstlich kleingerechnet werden, aber genau damit muss bei den veranschlagten Kosten für die Kindergrundsicherung in Höhe von 2,4 Milliarden Euro gerechnet werden“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Zusammenfassung der bisherigen Unterstützungsleistungen genügt nicht

„Wir begrüßen den Grundansatz der Kindergrundsicherung, dass nämlich Kinder und Jugendliche nicht weiter als Bittsteller von Sozialleistungen gesehen werden. Denn es ist die Aufgabe des Staates, allen Kindern die für ihr gutes Aufwachsen notwendigen finanziellen Mittel zukommen zu lassen, wenn die Eltern das nicht aus eigener Kraft schaffen. Hier kann die angestrebte Digitalisierung bei der Kindergrundsicherung einen großen Schritt nach vorne bedeuten, der auch Vorbild für andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung sein könnte. Allerdings kommen wir mit einer reinen Zusammenfassung der bisherigen Unterstützungsleistungen bei der Bekämpfung der Kinderarmut nicht den entscheidenden Schritt voran. Den Preis für diese Kompromisse zahlen die betroffenen Kinder und Familien. Wir setzen auf die parlamentarischen Beratungen, insbesondere auf die Verbändeanhörung, um doch noch zu einer Kindergrundsicherung zu kommen, die ihren Namen auch wirklich verdient“, so Krüger weiter.

Infrastrukturelle Bedingungen zur Unterstützung von Familien wichtig

Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnt die Bundesregierung gleichzeitig an, auch ein starkes Augenmerk auf infrastrukturelle Bedingungen zur Unterstützung von Familien und ihren Kindern zu legen. Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind ebenso zu berücksichtigen, wie Familien- und Bildungspolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik. So wie die Ursachen und Folgen von Kinderarmut mehrdimensional sind, müssen alle politischen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure armutssensibel bei der umfassenden Bekämpfung von Kinderarmut und sozialer Exklusion sowie beim Aufbrechen von klassistischen Strukturen zusammenarbeiten.

GEW: „Armutsfeste Kindergrundsicherung ist dringend notwendig“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) macht sich dafür stark, dass die Eckpunkte für eine Kindergrundsicherung deutlich nachgebessert werden. „Eine armutsfeste Kindergrundsicherung sieht anders aus. Zusätzlich 2,4 Milliarden Euro für 2024 sind nicht mehr als ein erster Einstieg in die Kindergrundsicherung“, betonte GEW-Vorsitzende Maike Finnern. „Arme Kinder müssen uns mehr Wert sein! Ihre Chancen auf eine gute Lebens- und Berufsperspektive, müssen dringend substanziell verbessert werden. Für eine bessere Teilhabe an der Gesellschaft und mehr Chancengleichheit brauchen die Kinder die bestmögliche Bildung.“ Finnern wies darauf hin, dass allein die wichtige Zusammenführung des Kindergeldes und -zuschlags, der Leistungen aus dem Bürgergeld sowie der Sozialhilfe für Kinder und des Bildungs- und Teilhabepakets einen Großteil der Gelder auffressen werde.

Die ursprünglich von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) geforderte Ausgabenhöhe wäre mindestens notwendig, um wirkliche Leistungsverbesserungen für Kinder – vor allem arme Kinder – umzusetzen. „Ein Viertel aller Kinder in Deutschland ist von Armut betroffen. Dies wollen wir nicht hinnehmen und werden im Verbändeverfahren mit Druck deutliche Leistungsverbesserungen und eine erheblich bessere Ausfinanzierung des Gesetzes einfordern“, sagte die GEW-Vorsitzende.

Quellen: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Pressemitteilungen: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

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