Renate Zimmer: Schafft die Stühle ab! Plädoyer für einen bewegten Alltag.
Nun ist einer der Klassiker von Prof. Dr. Renate Zimmer in einer neuen, sehr ansprechenden Aufmachung erschienen, nachdem das Buch schon zuvor – seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts – in vielen Auflagen herausgegeben wurde.
In diesem Buch problematisiert die Autorin das tag-/tägliche viele Sitzen und seine Folgen im Hinblick auf die körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit, das allgemeine Wohlbefinden, die Aufmerksamkeitsbereitschaft und damit auf das kognitive, emotional-soziale und motorische Entwicklungsgeschehen bei Kindern und Erwachsenen. Auch wenn in der Veröffentlichung die Kinder und die Institutionen Kindertageseinrichtung und Schule im Fokus stehen, betreffen alle Aussagen auch die Erwachsenen in gleicher Weise! Das lateinische Wort ‚sedere‘ bedeutet übersetzt ‚sitzen‘ und gleichzeitig leitet sich das Verb ‚sedieren‘ (= ruhigstellen) auch aus dem Wortstamm ‚sedere‘ ab. Doch das LEBEN besteht aus Bewegung, dem Klettern, Laufen, Hüpfen, Tanzen, Gehen und Springen!
Nachdem im ersten Kapitel das ‚Zivilisationsübel Sitzen‘ genauer unter die Lupe genommen wird und im zweiten Kapitel dem ‚Pulverfass Bewegungsmangel‘ nachgegangen wird, folgen im dritten Kapitel Vorschläge zum alternativen Sitzen sowie für Alternativen zum Sitzen. Kapitel vier stellt Bewegungsaktivitäten im Rahmen von Bewegungspausen vor und Kapitel fünf fordert dazu auf, vom Sofa runterzukommen und sich aus dem Sessel zu erheben, verbunden mit Vorschlägen, wie die ganze (Familien)Gruppe ordentlich auf Trab gebracht werden kann. In den zwei Folgekapiteln liefert die Autorin weiterhin viele Praxisbeispiele für eine ‚bewegte/ sich bewegende Kita‘ und für eine ‚bewegte Schule‘, beschrieben unter der doppeldeutigen Aussage: „Wer sich nicht bewegt bleibt sitzen“!
Dabei spickt die Autorin ihre inhaltlichen Ausführungen ab und zu mit gezielten, humorvoll-provokanten Zitaten, z.B.: >Raus aus der Sitzfalle! Schickt die Stühle in den Urlaub< oder >Jeder Stuhl müsste im Grunde genommen mit dem Warnsignal >“Vorsicht – Sitzen schadet der Gesundheit!“ versehen werden, analog der Warnung auf den Zigarettenschachteln. < So hat sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die körperliche Inaktivität – zu langes und zu häufiges Sitzen – heute als weltweit viertgrößte der vermeidbaren Todesursachen eingestuft (2019).
Dieses Buch reiht sich wunderbar in die Vielzahl ihrer ebenso empfehlenswerten Publikationen ein, wie beispielsweise:
- >BEWEGUNG ERLEBEN in der Kita<,
- >BEWEGUNG ERLEBEN in der Krippe<,
- >Kreative Bewegungsspiele – Psychomotorik in der Kita<,
- >Der Bewegungskindergarten< oder
- >Eine kleine Ballgrammatik – Spielerische Zugänge zur Sprache<
und sorgt (hoffentlich) weiterhin dafür, dass sich die Anzahl der „Sitzkindergärten“ deutlich verringern wird. Auch Prof. Dr. Carla Hannaford, Neurophysiologin und Pädagogin, hat die Bedeutung der Bewegung für eine allumfassende (= ganzheitliche), förderliche Entwicklung des Kindes schon am Ende des letzten Jahrhunderts mit ihrem vielbeachteten Buch „Bewegung – das Tor zum Lernen“ auf den Punkt gebracht.
So kann die Neuauflage von Prof. Zimmer einerseits als ein wichtiger Ratgeber zur Reflexion der eigenen (Sitz)Pädagogik und als ein ideenliefernder Impulsgeber für Raumumbauten und spannende Spielideen dienen.
Gleichzeitig ist es aber auch möglich, ihr Buch mit dem wohl ideenreichsten PRAXISBUCH zur Kreativität von >Helge Nyncke: KINDERKUNST und KREATIVITÄT. spielen und lernen, c/o Körner Medien UG, Freiburg 2023< zu kombinieren.
So könnten als Beispiel für weitere, ungezählte Möglichkeiten, die sich aus den Impulsen des Buches ableiten lassen, farblich und größenmäßig abweichende, mit ganz unterschiedlichen Materialien erstellte (Fantasie)Vögel den Raum bevölkern, Ruhepausen in Nestern einlegen, durch den Raum fliegen und Geschichten von Beobachtungen erzählen, die sie auf ihren Flügen erlebt haben, bevor sich dann alle Vögel (an den Händen der Kinder) zum nächsten Vogelnest bewegen (S.30 f.).
Oder Kinder kleiden sich wie Marionetten, sind mit kurzen Kordelbändern an ihren Händen und Füßen verbunden und werden wie Marionetten – zum Tanzen – in Bewegung gebracht (S. 34 f.). Oder farbenfrohe Schmetterlinge und Libellen besuchen sich im Garten, treffen sich an hergestellten Blütenblättern, die im Garten verteilt sind, und erzählen erdachte oder selbst erlebte Geschichten (S. 50 f.) Oder Kinder mit selbst hergestellten Tiermasken treffen sich im Urwald (in einem entsprechend umgebauten Raum) und bauen sich mit unterschiedlichen Hilfsmitteln Höhlen usw. (S. 60 f.). Riesenbilder (S. 125 f.) könnten als Gemeinschaftsaufgabe zu einmaligen, einzigartigen Kunstwerken werden und Eltern, Nachbarn, Ortsanwohner*innen zu einer öffentlichen Ausstellung einladen.
Es könnten aus Verpackungskartons von Waschmaschinen u.Ä. kleine Städte entstehen, mit bunt bemalten Häusern und Geschäften, die von den Kindern bevölkert werden, so dass die ‚Kartonstadt‘ mit Leben gefüllt wird … Hier sind der Fantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt, alles unter dem Motto: „Auf die Plätze, fertig und los geht es mit kreativen, fantasievollen Bewegungsaktivitäten, an denen auch die Fachkräfte mitmachen.“
Armin Krenz
Renate Zimmer: Schafft die Stühle ab!
Plädoyer für einen bewegten Alltag.
Mit Illustrationen von Julia Ginsbach.
Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Br. 2023.
109 Seiten, 15,00 €.
ISBN: 978-3-451-39485-0