Lebenslagen und Bedürfnisse von Autistinnen und Autisten sichtbar machen
In Deutschland leben etwa 800.000 Autistinnen und Autisten. Viele von ihnen leben recht zurückgezogen und haben Schwierigkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Unsichtbarkeit führt zu Ausgrenzung. Sichtbarkeit schafft Akzeptanz und Normalität. Die Belange von Autistinnen und Autisten müssen sichtbar und akzeptiert sein, damit die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien verbessert wird.“, erklärt die Landesbehindertenbeauftragte von Baden-Württemberg, Simone Fischer. Dies gelte insbesondere für Kinder und Jugendliche in Kita und Schule sowie für Autistinnen und Autisten mit höherem Assistenzbedarf.
„Der Wissenszuwachs über Autismus und die besonderen Teilhabebedarfe ist enorm. Vielen betroffenen Kindern und jungen Menschen nutzt das aber noch zu wenig“, so Simone Fischer. Beispielsweise berichten Eltern, dass sie mit missbilligenden Blicken gestraft werden, wenn ihr autistisches Kind bestimmte Regeln nicht einhält, Kinder und Jugendliche werden missverstanden und ihnen werde unterstellt, etwas nicht zu wollen, obwohl sie es schlicht nicht könnten.
Zugang und Teilhabe in Kitas
An die Ombudsstelle der Beauftragten werden Probleme herangetragen, bei denen es um den Zugang und die Teilhabe in Kitas gehe. Es betreffe beispielsweise die drastische Reduzierung von Betreuungszeit, insbesondere bei Personalengpässen, in einem Fall auf bis zu zwei Stunden pro Woche, während Kinder ohne Beeinträchtigungen die Kita weiterhin besuchen oder höhere Betreuungszeiten nutzen konnten.
Die Umsetzung von Assistenzleistungen gestalte sich teilweise schwierig. Viele Kinder erhalten zwar dem Grundsatz nach Assistenz, zum Beispiel durch Inklusionskräfte, die Eltern sind hinsichtlich der Suche und Organisation aber häufig auf sich gestellt. Dies führe dazu, dass Kinder die Kita nicht oder nicht mehr besuchen dürfen, wenn sie keine Begleitung haben. Problematisch sei es auch, wenn bei Kindern die Diagnostik noch nicht abgeschlossen sei, der Bedarf noch nicht festgestellt wurde oder wenn sich die Zuständigkeiten zwischen SGB VIII und SGB IX aufreiben und die Kinder deshalb noch keine Eingliederungshilfe erhalten. Es liegen auch Eingaben zu Kündigungen vor.
Eltern kämpfen häufig für die Teilhabe ihrer Kinder
„Aus diesen Anfragen geht hervor, dass Eltern für die Teilhabe ihrer Kinder häufig sehr kämpfen müssen. Belastend kommt hinzu, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie das Problem sind oder wenn Wartezeiten für Beratung, Diagnostik und Therapieangebote sehr lang sind.“ Fehlende Inklusionskräfte, Erzieherinnenwechsel, steigende Gruppengrößen und die damit verbundene Reizüberflutung bei den betroffenen Kindern, Personalmangel, Unklarheiten über Zuständigkeiten und die damit zusammenhängende familiäre Belastung würden den Alltag der Familien erschweren.
Die Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg plädiert für eine gute Ausstattung der Kitas, um den Zugang der Kinder zu gewährleisten. Im Zentrum stehe die Stärkung der Erzieherinnen und Erzieher, der Eltern und Kinder. Dazu gehöre ein qualitativ-inklusiv ausgerichtetes Kita-Setting, die Bereitstellung von speziell strukturiertem Spiel- und Lernmaterial und Rückzugsmöglichkeiten, die Fort- und Weiterbildungen von Fachkräften für den Umgang mit neurodiversen Kindern sowie die Einstellung von pädagogischem Personal mit autismusspezifischer Zusatzqualifikation.
Kurze Wartezeiten für geeignete Beratungs- und Therapieplätze, eine gute Vernetzung zwischen Medizin und Kita, Beratung und Unterstützung durch Fachkräfte sowie die nachhaltige Unterstützung von Eltern und Angehörigen stellen Kriterien dar, die die Lebenssituation der Familien und die Voraussetzungen für alle Beteiligten verbessern.
Frühzeitiger Zugang zu Beratung, Diagnostik und Therapie ist wesentlich
In Freiburg tauschte sich die Landes-Behindertenbeauftragte auch mit dem Zentrum für Autismus-Kompetenz Südbaden (ZAKS) aus. Insgesamt betrügen Wartezeiten bei Beratung, Diagnostik und Therapien für Autistinnen und Autisten deutschlandweit ein Jahr und länger. Simone Fischer: „Es ist bedeutsam, dass Autistinnen und Autisten sowie ihre Familien früh die notwendige Unterstützung bekommen und auf Verständnis stoßen. Dies trägt dazu bei, dass sie weder in Kita, Schule, Ausbildung und Studium ausgegrenzt werden, im Berufsleben Fuß fassen und ihr Leben gestalten können. Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht gezielte Fördermaßnahmen und kann gute Erfolge erzielen.“
Die von der Landesregierung geförderten Interdisziplinären Frühförderstellen (IFF) bieten einen niederschwelligen Zugang zur Frühförderung, um eine gezielte ganzheitliche Therapie und Förderung einzuleiten, Entwicklungsstörungen sowie drohenden oder bestehenden Behinderungen zu begegnen. Sie arbeiten unter anderem mit den Sozialpädiatrischen Zentren für Kinder und Jugendliche (SPZ) und den Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin zusammen. Und sie bieten eine zentrale und wichtige Anlaufstelle. Für das SPZ in der Nähe gibt es eine Kartensuche.
Informationen, Beratung und Unterstützung für Autistinnen und Autisten, Angehörige und Fachkräfte bietet der Bundesverband Autismus Deutschland e.V. Dort gibt es auch eine Kartensuche für regionale Angebote.
Insolvenz der ZAKS gGmbH: Die betroffenen Land- und Stadtkreise wollen jetzige Angebote in welcher Form auch immer aufrechterhalten
Am 1. Juli 2024 hat das gemeinnützige Zentrum für Autismus-Kompetenz in Südbaden (ZAKS gGmbH) Insolvenz angemeldet. Davon betroffen sind 90 Beschäftigte in sechs südbadischen Land- und Stadtkreisen: Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Freiburg, Lörrach, Ortenau und Waldshut. Bisher wurden im ZAKS 420 autistische Kinder und Jugendliche und knapp 30 Erwachsene behandelt.
Die sechs Kreise haben umgehend Verhandlungen aufgenommen, um die jetzigen Angebote der ZAKS in welcher Form auch immer aufrechterhalten zu können. Diese Verhandlungen laufen in alle Richtungen. Auf einem Termin der sechs Kreise mit rund 30 Leistungserbringern aus Südbaden gab es gestern großes Interesse, die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gut zu versorgen und entsprechende Angebote auszuweiten oder neu zu schaffen. Dies gilt über alle beteiligten Kreise hinweg.
In wenigen Wochen werden sich die eingeleiteten Schritte konkretisieren. Die sechs Kreise werden erneut informieren, sobald konkrete Ergebnisse vorliegen. Miteinander wurde verabredet, bis dahin auf weitere Pressearbeit zu verzichten.
Quelle: Pressemitteilung Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg,
Pressemitteilung Stadt Freiburg im Breisgau