Eine US-Längsschnittstudie zeigt, warum Menschen keine Kinder haben – und was das für Bildung, Betreuung und Gesellschaft bedeutet
Die demografischen Entwicklungen in den USA zeigen einen deutlichen Trend: Immer mehr Erwachsene leben ohne Kinder – freiwillig, unfreiwillig oder unentschlossen. Doch „keine Kinder zu haben“ ist nicht gleichbedeutend mit „kinderlos sein“. Eine neue Studie von Jennifer L. Neal und Zachary P. Neal, Soziolog:innen an der Michigan State University, zeigt: Es gibt ganz unterschiedliche Formen der Nicht-Elternschaft. Mit einem fein austarierten Klassifizierungsmodell haben sie sechs Typen von Erwachsenen ohne Kinder identifiziert. Ihre Forschung liefert wichtige Erkenntnisse über gesellschaftliche Entwicklungen und bietet Impulse für Bildung, Erziehung und Sozialpolitik.
Sechs Typen, ein neues Bild der Elternschaft
Die Forscher:innen haben mit Hilfe der National Survey of Family Growth (NSFG) über zwei Jahrzehnte hinweg mehr als 80.000 Erwachsene unter 45 Jahren befragt. Dabei haben sie das sogenannte ABC-Rahmenmodell (Attitudes, Behavior, Circumstances) angewendet, um sechs differenzierte Typen von Nicht-Eltern zu unterscheiden:
- Noch keine Eltern: Personen, die Kinder wollen und keine bekannten Hindernisse sehen.
- Kinderfrei: Personen, die bewusst keine Kinder wollen.
- Biologisch kinderlos: Personen, die Kinder wollen, aber unfruchtbar sind.
- Sozial kinderlos: Personen, die Kinder wollen, aber soziale oder wirtschaftliche Hindernisse erleben.
- Unentschlossen: Personen, die nicht wissen, ob sie Kinder wollen, aber keine Hindernisse sehen.
- Ambivalent: Personen, die unentschieden sind und zudem durch Umstände gehindert werden.
Relevanz für Bildung und Betreuung
Für Lehrkräfte, Erzieher:innen und Eltern ist es zentral, gesellschaftliche Entwicklungen zu verstehen, um Kinder und Jugendliche im Kontext aktueller Lebensentwürfe begleiten zu können. Die Vielfalt der Nicht-Elternschaft betrifft auch junge Menschen:
- Berufsorientierung: Jugendliche planen zunehmend Lebensläufe ohne Familie im traditionellen Sinn.
- Bild von Familie: Die Vorstellung, was „Familie“ bedeutet, wird breiter und individueller.
- Soziale Erwartungen: Schule und Kita können junge Menschen darin stärken, eigene Vorstellungen zu entwickeln und gesellschaftliche Erwartungen zu reflektieren.
Dynamik in Zahlen
Zwischen 2002 und 2023 hat sich die Zusammensetzung der Nicht-Eltern in den USA deutlich verschoben:
- Der Anteil derer, die noch keine Eltern sind, sank von 78,6 % auf 58,7 %.
- Der Anteil der kinderfreien Erwachsenen verdoppelte sich nahezu von 13,8 % auf 29,4 %.
- Unentschlossene und ambivalente Personen nahmen ebenfalls leicht zu.

Abbildung: Entwicklung der Nicht-Eltern-Typen (2002 vs. 2022–2023) (spielen und lernen 2025)
Pädagogische Impulse
Das ABC-Modell zeigt, dass Familienplanung heute nicht nur eine biologische, sondern auch eine soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entscheidung ist. Für die Praxis bedeutet das:
- In Bildungsplänen können alternative Lebensentwürfe berücksichtigt werden.
- In Elterngesprächen kann die Vielfalt heutiger Lebensmodelle stärker thematisiert werden.
- In der Sexual- und Lebensplanung können junge Menschen dazu ermutigt werden, ihren eigenen Weg zu finden.
Perspektive
Die Ergebnisse von Neal & Neal zeigen eindrücklich, wie sich unsere Gesellschaft differenziert – nicht in „Eltern“ und „Nicht-Eltern“, sondern in vielfältige Lebensrealitäten. Das ist eine Chance für mehr Selbstbestimmung, mehr Offenheit und mehr Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe. Wer Kinder hat, ist nicht automatisch erfüllter. Wer keine hat, lebt nicht automatisch unvollständig. Diese Erkenntnis kann helfen, junge Menschen auf ein Leben vorzubereiten, das zu ihnen passt – egal wie es aussieht.
Hier geht es zur Studie: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jomf.13097