Die niedrige Geburtenrate in den DACH-Regionen hat weitreichende Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft
Die offiziellen Statistiken des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Geburtenrate in Deutschland 2023 auf 1,35 Kinder pro Frau gesunken ist und weiter fällt. Damit gehören die Deutschen nun zu jenen, deren Geburtenrate laut der Definition der Vereinten Nationen mit „extrem niedrig“ (= < 1,4) eingestuft wird. Sie finden sich dabei in bester Gesellschaft. Die Schweiz und Österreich sind laut offiziellen statistischen Zahlen ebenfalls mit dabei. Dabei ist die Geburtenrate in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) keineswegs am niedrigsten. Schlusslichter in Europa sind mit weniger als 1,2 Kindern pro Frau Italien und Spanien. Selbst im einst so kinderfreundlichen Frankreich ist die Zahl der Geburten pro Frau auf 1,8 gesunken. Im Vergleich bedeutet dies aber Klagen auf hohem Niveau.
Kinderwünsche aufgeschoben
„Ganz offenbar haben die Coronakrise, der Ausbruch des Krieges in der Ukraine und die nachfolgenden Realeinkommenseinbußen aufgrund hoher Inflation viele junge Familien dazu bewogen, mögliche Kinderwünsche erst einmal aufzuschieben“, sagt Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) Niederlassung Dresden. „Das Gebärverhalten, ausgedrückt durch die Geburtenrate, hat sich in den vergangenen drei Jahren massiv verändert. Sie liegt aktuell nur noch bei 1,35 Kindern je Frau, während es 2021 noch 1,58 Kinder je Frau waren.“
Ein weiterer Teil der Erklärung ist, dass in Ostdeutschland die Zahl der Frauen im Alter zwischen 27 und 36 Jahren stark rückläufig ist. Auf sie entfallen aber die meisten Geburten. Die Analyse zeigt, dass der Rückgang der Geburtenrate bereits 2015 eingesetzt hat, sich zuletzt aber deutlich beschleunigt hat. „Insgesamt wurden in den Jahren 2022 und 2023 fast 80.000 Kinder weniger geboren, als es zu erwarten gewesen wäre“, fügt Ragnitz hinzu.
Genaue Analyse zur Vermeidung von Fehlentscheidungen
Ob es sich dabei um vorübergehende oder dauerhafte Veränderungen der Familienplanung handelt, lässt sich anhand der bislang vorliegenden Daten nicht sagen. „Die Politik wäre aber gut beraten, diese Entwicklungen genauer zu beobachten, auch um mögliche Fehlentscheidungen beim Ausbau von Kita-Betreuung und Schulversorgung zu vermeiden“, sagt Ragnitz weiter.
Dabei stellen sich in Deutschland laut einer Publikation des Bundesfamilienministeriums 90 Prozent der jungen Leute ein Leben mit Familie und Kindern. Im Durchschnitt wären das 1,8 Kinder. Das Alter der Erstgebärenden liegt in Deutschland bei 31,4 Jahren (31,1 Jahre im EU-Durchschnitt). In Spanien, Irland und Italien sogar über 32 Jahre. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für das zweite oder gar das dritte Kind, was aus gesellschaftlicher Sicht durchaus wünschenswert sein sollte. Schließlich liegt die Reproduktionsrate einer Bevölkerung bei 2,1.
Abhängigkeit von Leitbildern und Wervorstellungen
Doch offensichtlich hat der Kinderwunsch in vielen europäischen Ländern nicht mehr die Priorität wie in früheren Zeiten. Das Bundesfamilienministerium legt den Finger in die Wunde, wenn es hier heißt: „Die persönliche Entscheidung für Kinder ist sicherlich abhängig von den Leitbildern und Wertvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft sowie vom Grad des Optimismus bzw. Pessimismus insgesamt.“
Und diese Wertvorstellungen sehen aktuell eben anders aus. Schließlich bedeutet Erfolg heutzutage vornehmlich wirtschaftlicher oder auch finanzieller Erfolg. Daran orientieren sich junge Menschen selbstverständlich. Dabei stehen nicht nur hedonistische Gründe im Vordergrund. Schließlich sollen Kinder einen optimalen Start ins Leben haben.
Lebenschancen ohne Kinder deutlich verbessert
Während aber die Rahmenbedingungen und die finanzielle Unterstützung trotz einiger Verbesserungen noch immer bedenklich schlecht sind und damit auch eine Art der Wertschätzung durch Gesellschaft und Politik widerspiegeln, steigen die Lebenschancen und der Lebenskomfort junger Menschen rasant bei einem Verzicht auf Kinder und Familie. Wer denkt da schon über Jahre hinweg, wenn die Vereinzelung und damit die Einsamkeit droht. Diese gilt mittlerweile als hohes Lebensrisiko, schlimmer als Rauchen oder Übergewicht. Schwere Krankheiten und damit eine größere Belastung des Gesundheitssystems zählen heute zu den Folgen.
Schließlich haben die Kinder selbst ein einschneidendes Erlebnis am eigenen Leib erlebt: Denn während ihrer Kindheit musste sich ihre Familie meist finanziell stark einschränken, die Eltern waren gehetzt, um Beruf und Kinderbetreuung zu koordinieren. Dabei hat letztere meist schlecht funktioniert und die Schule war für viele kein nachhaltig positives Erlebnis. Und kaum sind die Kinder aus dem Haus, bekommen die Eltern auch noch die magere Unterstützung durch Staat und Gesellschaft entzogen und haben nach Jahren des Verzichts während der „Familienphase“ nun auch keine Chance mehr, ihre Altersversorgung aufzubessern, die sie sich während der Familienphase kaum leisten konnten. Für Kinder von Alleinerziehenden ist diese Erinnerung bezüglich Finanzen und Familienstress meist noch viel größer. Freilich, Eltern und Kinder hatten dieses tolle Familienerlebnis. Aber dieser Softskill erscheint vielen doch viel zu teuer.
Jahrzehntelanges Versagen zeigt seine Folgen
Dabei hat sich die Situation seit Jahrzehnten angekündigt, während in Frankreich Familien ab dem dritten Kind auf Lebenszeit von der Einkommenssteuer befreit, kostenlosen Zugang zum öffentlichen Verkehr erhielten und geförderte Kinderprodukte erwerben können, lässt sich in Deutschland das Versagen der Familienpolitik mit dem kurzsichtigen Ausspruch des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer plakativ aufzeigen. Dieser meinte „Kinder kriegen die Leute immer“. Zwar war das nicht der einzige aber wohl fatalste Irrtum des Kanzlers, dessen Folgen wir über Jahrzehnte hinweg mit einer missachtenden Familienpolitik und dem damit einhergehenden Geburtenrückgang zu spüren bekommen haben.
Die Folgen spüren wir längst durch den Mangel an Fachkräften in der Wirtschaft, durch den der Druck auf Familien weiter wächst. Schließlich sollten heute alle Eltern auch beruflich zu 100 Prozent arbeiten, damit die Misere nicht weiter zunimmt. Ein Wandel ist nicht in Sicht. Schließlich können die ohnehin seit Jahrzehnten schwachen Geburtenjahrgänge nicht für eine Zunahme der Bevölkerung sorgen. Wir brauchen also Zuwanderung aus vielen Ländern der Erde und müssen schon im Eigeninteresse dafür sorgen, dass Menschen, die zuwandern erfolgreich integriert werden.
Wunsch und Wirklichkeit
Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier jedoch weit auseinander. Und der Blick auf die kommende Bundestagswahl, bei der im wahrscheinlichsten Fall eine Partei die Regierung führen wird, deren Kanzlerkandidat in den Spitzenverdienern des Landes auch die Leistungsträger der Gesellschaft sieht, verheißt nichts Gutes.
Die Folgen häufen sich stattdessen. Denn das Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung bremst das Wirtschaftswachstum und belastet die so die Sozialsysteme, zu denen eben die Normalverdienenden mehr leisten als die Superreichen. Der Rückgang der Kinderzahl ist natürlich in Bereichen der Wirtschaft am spürbarsten, der sich Konkret am Bedarf von Kindern orientiert. Schließlich hat sich die Zahl der Geschäfte für Baby- und Kinderbedarf seit 2010 halbiert. Wer Kinder hat, weiß, dass diese sehr schnell groß werden. Es wird also nicht lange dauern, bis dies auch in vielen weiteren Bereichen der Wirtschaft spürbar wird.
Was historisch eine Kleinigkeit ist, kann für die Gesellschaft die Katastrophe sein
Historisch betrachtet durchlaufen wir hier eine gesellschaftliche Phase, die vermutlich irgendwann von selbst wieder ins Lot kommen wird. Das kann Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte dauern. Im Lauf der jahrhunderttausende alten Menschheitsgeschichte ist das eine Kleinigkeit. Für die heute lebenden Menschen dagegen vielleicht bald schon eine Katastrophe. Allerdings liegt es auch an diesen selbst, bessere Verhältnisse zu schaffen und den Lauf der Geschichte positiv zu beeinflussen.
Vermutlich brauche es, sagt der ifo-Experte Joachim Ragnitz im Gespräch mit der Deutschen Welle , auf jeden Fall ein grundlegendes gesellschaftliches Umdenken. Er nennt ein konkretes Beispiel: „Heutzutage gibt es Hotels, die werben damit, dass es bei ihnen keine Kinder gibt. Da steckt grundsätzlich ein Bild von störenden Kindern dahinter.“ Deshalb müsse sich die Gesellschaft insgesamt der Frage stellen, wie sie mit Kindern und mit Familien umgehe und was sie dafür materiell und ideell tun wolle.
(Quellen: Statitisches Bundesamt, Statista, Deutsche Welle, Pressemitteilung ifo-Insitut)
Gernot Körner