Kinder und Jugendliche bewegen sich zu wenig. Das hat Folgen für die geistige und körperliche Entwicklung
Die Zahlen sind alarmierend. Kinder und Jugendliche bewegen sich viel zu wenig. Sportwissenschaftler des WHO-Kooperationszentrums für Bewegung und Public Health an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben jetzt im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) auf Grundlage nationaler und internationaler Empfehlungen eine Bestandsaufnahme zu „Bewegungsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ entwickelt.
Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge sollten sich Säuglinge und Kleinkinder so viel wie möglich, Kindergartenkinder mindestens 180 Minuten pro Tag und Schulkinder und Jugendliche mindestens 60 Minuten pro Tag bewegen. Nationale Studien zeigen, dass der Anteil der Vier- bis Fünfjährigen, die sich ausreichend bewegen, unter 50 Prozent liegt und mit steigendem Alter sukzessive abnimmt. Unter den Elf- bis 17-Jährigen sind weniger als 20 Prozent ausreichend aktiv – Mädchen noch weniger als Jungen.
Bewegungsmangel hat sich verschärft
In diesem Kontext hat das BMG das WHO-Kooperationszentrum für Bewegung und Public Health an der FAU damit beauftragt, eine Informationsgrundlage für die Weiterentwicklung politischer Maßnahmen zu erarbeiten, um dem Bewegungsmangel entgegenzuwirken. Seit 2014 ist das Department für Sportwissenschaft und Sport WHO-Kooperationszentrum. Erst im März war die Zusammenarbeit für die kommenden vier Jahre verlängert worden. Das BMG unterstützt die Aktivitäten des WHO-Kooperationszentrums für Bewegung und Public Health seit 2020 mit einem jährlichen finanziellen Zuschuss.
Bedingt durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen und Schließungen von Sportstätten, Kitas und Schulen hat sich der Bewegungsmangel weiter verschärft. „Mit der Bestandsaufnahme haben wir eine kompakte Übersicht über den aktuellen Stand der Bewegungsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland erstellt, die auf die Bedürfnisse des Bundesministeriums für Gesundheit zugeschnitten ist und sich an Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik und Praxis richtet“, sagt Prof. Dr. Klaus Pfeifer, Leiter des Arbeitsbereichs Bewegung und Gesundheit am Department für Sportwissenschaft und Sport der FAU. „Die Corona-Pandemie hatte dramatische Auswirkungen auf das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Daher ist es nun wichtig, eine klare politische Strategie zur Bewegungsförderung zu entwickeln und dabei wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen“, erklärt Pfeifer.
Umfangreicher Empfehlungskatalog
Die Bestandsaufnahme enthält für Politik, Bildungseinrichtungen und weitere Akteure des Bewegungssektors einen umfangreichen Empfehlungskatalog, der auf diversen Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene sowie dem Globalen Aktionsplan für Bewegung der WHO aufbaut. Dazu zählen unter anderem, zukünftige Eltern und junge Familien über die Bedeutung von Bewegung zu informieren, Programme für Familien einzurichten, um das aktive Spielen der Kinder zu fördern sowie Eltern aktiv in die Bewegungsförderung ihrer Kinder einzubeziehen. Auf Kindergarten- und Kita-Ebene empfehlen die Wissenschaftler*innen eine landesweite Implementierung von Programmen zur Bewegungsförderung, ebenso die Qualifizierung von Erzieher*innen und pädagogischen Fachkräften.
Was den Schulweg betrifft, sollen das Zufußgehen sowie Radfahr- und Verkehrssicherheitstrainings für Kinder gefördert werden. Zudem ist die Stadtplanung gefragt, für sichere Verkehrswege und wohnortnahe Geschäfte, Schulen, Dienstleistungen, Parks, Erholungseinrichtungen, aber auch gute Geh- und Radwege zu sorgen.
Etablierte Maßnahmen weiterführen
Vielerorts haben sich bereits gute Bewegungspraktiken etabliert. So gehören etwa Wandertage, Eltern-Kind-Turnen, Waldtage oder tägliches Rausgehen zur Routine in vielen Einrichtungen. Die Reichweite und Effektivität dieser Bewegungsförderung sollte den Schlussfolgerungen der Bestandsaufnahme zufolge erhöht und regelmäßig überprüft werden. Auch wird darin ein systematisches Monitoring der Politik in Sachen Bewegungsförderung gefordert – und zwar sowohl auf nationaler Ebene als auch in den Bundesländern und Kommunen. Eine stärkere Vernetzung relevanter Organisationen über politische Ebenen und Sektoren hinweg ist notwendig, um die Bewegungsförderung in Deutschland strukturell zu stärken, lautet ein weiteres Fazit.
Die Bestandsaufnahme ergänzt bestehende politische Aktivitäten der Bundesregierung zur Bewegungsförderung für Kinder und Jugendliche. Das Bundesinnenministerium und das BMG richteten im Dezember 2022 gemeinsam einen Bewegungsgipfel aus, und 2023 werden weitere Maßnahmen mit dem „Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit“ des Bundesfamilienministeriums finanziell gefördert. Zudem bringt das BMG Vertreterinnen und Vertreter verschiedener politischer Ebenen und Sektoren zu einem Runden Tisch „Bewegung und Gesundheit“ zusammen, an dem Prof. Dr. Pfeifer als Vertreter des WHO-Kooperationszentrums teilnimmt. „Ich freue mich, dass das Bundesministerium für Gesundheit mit dem Runden Tisch einen Austausch über politische Sektoren hinweg fördert, und bringe dort gerne unsere vielfältigen Erfahrungen ein. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht, bestehende Aktivitäten besser zu vernetzen und Synergieeffekte zu nutzen, beispielsweise durch die Schaffung eines Nationalen Zentrums für Bewegungsförderung“, sagt Prof. Klaus Pfeifer.
Blandina Mangelkramer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg