Von großen Emotionen und bescheidenen Erfolgen:
Welche Bilanz lässt sich nach fünf Jahren mit Geflüchteten an deutschen Schulen ziehen? Ist uns die Integration gelungen? Zahlen Fehlanzeige! Probleme genügende: gefühlt oder real?! Aber es läuft!
In seinem Buch zeigt Anant Agarwala sehr klar, dass es unser Bildungssystem nicht wirklich versteht, Zahlen zu erheben und diese dann zu evaluieren. Wenn aber dann doch mal eine Evaluation stattgefunden hat und gute Ideen gefunden sind, dann setzen wir diese meist nicht um.
Während viele Meister der großen Emotionen sind, fehlt es an ernsthafter Argumentation. Agarwala entlarvt die Haltung vieler Eltern und Lehrkräfte. Sie würden nicht argumentieren, sondern ihre Einschätzungen mitteilen, die auf individuellen Erfahrungen beruhen und somit ganz individuelles Erleben widerspiegeln. Dennoch führt er einige gelungene Beispiele an, die aber mehr auf dem immensem Einsatz Einzelner beruhen. Die dünne Datenlage lässt aber auch hier keine Schlussfolgerungen zu.
Aber, und da leistet das schmale Buch Großes, Agarwala beschreibt sehr genau, was Integration gelingen lässt. Und der Witz daran ist, dass es unser gesamtes Bildungssystem für alle grundsätzlich effektiver machen würde.
Der Fokus liegt auf der Frühen Bildung, der Grundschule und einem Glauben an Veränderung sowie daran Chancen offen zu halten, auch später noch. Das hängt jedoch immer von der Situation des Einzelnen und der Umgebung ab.
So sehr eine Schülerin oder Schüler auch immer hinter anderen (auch ohne Migrationshintergrund) herhinken mag, so intensiv kann sie oder er auch aufholen. Das gilt für alle! Voraussetzung dafür wäre, dass unsere Schulen in der Lage sein müssten, individueller zu reagieren. Ein festgelegter Personalschlüssel und festgelegte Lernvorgaben in bestimmten Päckchen mit kaum durchmischten Klassen dagegen bietet wenig Hilfe. So lernen wir in diesem Buch, dass wir Schule ganz anders verstehen müssen und es im Moment hauptsächlich auf die Fähigkeiten und die Bereitschaft der einzelnen Lehrkraft ankommt, wie auf die Unterstützung der Eltern oder anderer Unterstützersysteme. Und das ist alles andere als gerecht. Schule als solche ist somit immer noch nicht in der Lage Chancengerechtigkeit herzustellen.
Agarwala räumt mit der Argumentation auf, es seien grundsätzlich die kulturellen und religiösen Hintergründe, die Steine in den Weg legten. Vielmehr seien es die prekären Lebensumstände, häufige Umzüge und damit einhergehende Bildungsbrüche (Was bei jedem Deutschen auch zu Schwierigkeiten führen könne, wenn wenig Unterstützung möglich ist), die den Geflüchteten zu schaffen machen und die Integration erschweren.
Schon dadurch, dass jedes Bundesland seine eigene Integration betreibe, obwohl es schon Bewährtes gebe, entstünden Unterschiede in einem Land, das immer noch nicht genug Geld für seine Bildung ausgebe. So unterscheiden sich auch die Kommunen erheblich in der Ausschüttung der Gelder.
Wir erfahren, dass Lernen nur bedingt von allein funktioniert, es aber mit anderen Vorgaben und Personalmodellen besonders bei den Kleinsten viel reibungsloser laufen könnte. Und dass es nie zu spät ist, zu investieren und Berufsschulen eine wichtige Funktion in diesem Bereich erfüllen, denn fast alle Eltern und auch Schüler und Schülerinnen wollen etwas leisten und weiterkommen. Wir müssen sie nur (alle) besser begleiten!
Daniela Körner
Der Autor:
Anant Agarwala, Jahrgang 1986, hat Kommunikationswissenschaft und Germanistik in Hamburg und Münster studiert und die Deutsche Journalistenschule in München besucht. Als Redakteur der ZEIT schreibt er vor allem über Bildung und Gesellschaftspolitik. Für seine Berichterstattung wurde er 2016 mit dem Goethe-Medienpreis für wissenschaftspolitischen Journalismus und 2017 mit dem Telekompreis für Bildungsjournalismus ausgezeichnet; 2019 war er für den Reporterpreis nominiert.
Bibliographie:
Anant Agarwala
Das Integrationsexperiment
Flüchtlinge an der Schule – eine Bilanz nach fünf Jahren
Taschenbuch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-411-75490-8
15 Euro