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Selbst gesteuerte Entdeckungen machen klug und stark

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So entdecken Kinder ihre Fähigkeiten und machen Erfahrungen fürs Leben

In Kindergärten haben wir immer wieder erlebt, dass Kinder unabhängig voneinander – an völlig verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten – denselben Gegenstand zweimal erfanden.

In einem Kindergarten war gerade spielzeugfreie Zeit. Ein höchst kreatives Erlebnis, bei dem das sonst gewohnte Spielzeug von den Kindern durch selbst erfundenes oder gefundenes Material ersetzt werden muss, wenn man dieselbe Funktion damit erfüllen will. So war ein kaputter, luftleerer und daher eingedellter Ball zum einzigen Wasser-Transportmittel geworden. Ein Junge hatte ihn zufällig unter der Hecke gefunden. Dieser Ersatzeimer war plötzlich so wertvoll, dass er jeden Mittag bei Kindergartenende ins „Schatzversteck“ gebracht wurde.

Einige Monate später beobachteten wir Ähnliches in einem anderen Kindergarten, mehrere hundert Kilometer vom ersten entfernt. Eine Gruppe intensiv spielender Kinder hatte ein Kanalsystem in der Erde ausgehoben, das nun mit Wasser gefüllt werden sollte. Alle suchten nach dem Schlüssel für den Schuppen, in dem die Gartengerätschaften, also auch Gießkannen und Eimer, aufbewahrt wurden. Doch der Schlüssel war nicht aufzutreiben. Nach Gejammere, Schimpfen und Wutausbrüchen sah man einige Kinder intensiv nachdenken. Da fiel einem Mädchen ein, dass es auf dem Weg zum Kindergarten an einem Müllsack für Plastikabfall vorbeigekommen war, in dem durch die Folie ein „eingedellter Ball“ zu sehen war. Eine Erzieherin zog mit dem Mädchen los – und beide kamen wenige Minuten später mit dem Ball zurück, mit dem nun das Kanalsystem mit Wasser gefüllt werden konnte.

Im kindlichen Spiel herrscht eine Denk- und Arbeitsatmosphäre besonderer Art

Deshalb konnte der berühmte Nürnberger Trichter, mit dem Menschen das Wissen im Schlaf eingetrichtert werden sollte, nicht funktionieren. Denn Kinder sind nicht im Schlaf, anonym, belehrbar – schon gar nicht ohne ihr Zutun. Sie folgen ihren eigenen Fragen.

Das ist der Grund, warum Erwachsene auf kindliche Aktionen und Fragen achten und sie möglichst immer zulassen und beantworten sollten. Wollen Sie Ihr Kind tatsächlich fördern, müssen Sie seine Eigeninitiativen aufgreifen. Denn gerade dann, wenn es eine derartige Initiative zum Lernen startet, sind seine Aufmerksamkeit und sein Lernvermögen besonders groß. Jetzt müssen Sie nicht gegen Konzentrationsmängel ankämpfen. In diesen aufnahmebereiten Momenten ist Ihr Kind für jede Erfahrung offen. Es fordert mit Nachdruck Antworten und saugt die Informationen auf wie ein Schwamm. Es ist wissensdurstig.

Jetzt wird auch das neu Erfahrene und plötzlich Verstandene bestmöglich gespeichert. Das heißt: Es steht bei der nächsten passenden Gelegenheit abrufbereit als Wissen zur Verfügung.

Das Eingehen auf kindliche Fragen und Initiativen ist echte Förderung. Denn es geht um eigenes Ausprobieren und gezieltes Abfragen – jedes Mal ein wichtiger Etappensieg auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Durch die zunehmende Selbstständigkeit und Wissenserweiterung entsteht ein Gefühl von Eigenkompetenz, das in immer neuen Situationen gestärkt und durch neue Erfahrungen erweitert wird.

Wenn Sie Kinder so fördern, machen Sie diese Kinder stark.

Jedes Kind sollte das Rad nochmal neu erfinden dürfen

Sie erinnern sich: Es geht um selbst gesteuerte Entdeckungen, die klug und stark machen. Ein Kind ist aktiv, es sucht sich seine Entdeckungsmöglichkeiten selbst. Wenn es in Suchstimmung ist, wirkt alles anregend – sehr geschickt eingerichtet von der Natur. Denn durch diese Offenheit für Neues erhöht sich automatisch die Chance, dass einem nichts entgeht und man sich nicht unnötig einschränkt.

Ein „Beobachtungsjuwel“ möchten wir Ihnen in diesem Zusammenhang nicht vorenthalten:

  • Zwei sechsjährige Mädchen, Lisa und Kim, sitzen am Rand eines Sandkastens, erzählen sich etwas und graben mit den nackten Zehen im Sand. Weil es kurz zuvor geregnet hat, ist der Sand noch feucht. Die Fußbewegungen hinterlassen Muster auf der Sandoberfläche. Die Erzählungen stoppen. Und immer aufmerksamer betrachten die beiden Mädchen die entstehenden Linien und Kreise. „Sieht aus wie Zauberschrift!“ „Oder wie Zeichen auf ganz alten Grabsteinen, die nur Indiana Jones lesen kann.“ Kim steigt aus dem Sandkasten und kniet sich auf die feuchte Erde. „Lisa, komm, ich mache uns eine bessere Tafel.“ Durch seitliche Einkerbungen leitet sie aus einer Pfütze das Wasser ab. Zurück bleibt eine glänzende, glatte Oberfläche. Ganz vorsichtig malen beide Mädchen Muster in den feuchten Schlamm. „Sieht man unsere Geheimschrift noch, wenn der Boden trocknet?“ Lisa überlegt, ihr Blick wandert durch den Park. Plötzlich springt sie auf und holt eine Handvoll weißen Sand aus der Kakteen­ecke. Sie füllt den Sand in die mit den Fingern gezogenen Gräben, sodass sich helle Rillen vom dunklen Schlammuntergrund abheben „Sieht aus wie geschrieben, aber mit Weiß auf schwarzem Papier.“

In Kinderaktivitäten kann echte Teamarbeit ablaufen. Das haben wir schon beim Rollenspiel von Moritz, Kai, Steffen und Freddy mit Spannung verfolgen können. Gegenseitige Anregung und gegenseitige Inspiration wirken. Die Ideen des anderen beflügeln das eigene Nachdenken, werden aufgegriffen und ausgebaut, jeweils erweitert um die Spezialitäten eines jeden Gruppenmitglieds. Alle sehen den Fortschritt – und jeder erkennt seine Beteiligung daran. Ein typisches Vorgehen im Gruppenspiel, das das einzelne Kind belohnt und die Gruppe stärkt.

Kinder sind Entdecker und höchst erfolgreiche Autodidakten – vorausgesetzt, sie haben die für diese Aktivitäten nötigen Freiräume. Diese kommen durch eine tragfähige und sichere Bindung und durch echte, bewusst geschaffene Handlungsspielräume zustande.

Die folgenden Leistungen kindlichen Entdeckungsdrangs haben wir alle schon kennengelernt:

  • Kinder entdecken ihren eigenen Körper, seine Bewegungsfähigkeit und im Spiegel der Erwachsenen sich selbst.
  • Kinder lieben positive Verunsicherung und streben danach, einer Sache auf den Grund zu gehen.
  • Sie suchen nach Ursachen, Konsequenzen und Zusammenhängen und bemühen sich, das alles zu verstehen.
  • Sie merken ihren Einfluss und ihre Wirksamkeit an Prozessen, die sie selbst in Bewegung gebracht haben – auch an den Verhaltensänderungen ihrer Interaktionspartner.
  • Durch provokante Vorstöße ins Gruppenleben testen sie ihre Möglichkeiten, ihren Verhaltensspielraum aus. Als Messlatte dienen ihnen die Kommentare und Reaktionen der anderen.
  • Neugierig, offen und motiviert für Neues sind sie, sobald sie sich geborgen fühlen, interagieren, kommunizieren und sich frei bewegen können.

Im folgenden Text erfahren Sie, …

  • dass Kinder hochmotiviert erforschen. Dabei beachten sie all das besonders, was vom bisher Erlebten abweicht. Gänzlich Neues lockt ihre Aufmerksamkeit. Bekanntes beruhigt sie, weil es eine Bestätigung ihrer Kenntnisse bedeutet.
  • dass Kinder auch passiv – allein durch Zuschauen – erforschen, nach dem Motto: „Man muss nicht jede Erfahrung selbst gemacht haben“.
  • dass Kinder naturgemäß Strategien haben, die ihnen Zugang zu Schlüsselqualifikationen verschaffen, die ihnen später manche Tür öffnen helfen.

Schritt für Schritt tasten sich Wissenschaftler an das Muster kindlicher Selbstbildungsprozesse heran, um zu verstehen, wie Kinder – wenn sie ungestört sind – sich selbst Wissen und Fähigkeiten aneignen.

Die ersten Zutaten sind bekannt: Erkunden, Spielen, Nachahmen, phantasievolles Gestalten und Erfinden. Diese Strategien zum Erfahrungserwerb haben ihre große Bedeutung in der Kindheit. Doch sie wirken weiter. Sie sind das naturgegebene Programm zur Entwicklung jedes Fortschritts. Sie gelten unter Heranwachsenden und Erwachsenen. Anfangs noch in Kinderausführung, später dann ausgewachsen – aber im Grunde identisch – sind sie die natürlichen Triebfedern, die letztendlich die Entfaltung von menschlicher Kultur, Wissenschaft und Kunst über Jahrmillionen möglich gemacht haben. Immer vorausgesetzt, es liegen Entwicklungsbedingungen vor, die ihre Entfaltung, ihr spielerisches Erproben und ihren kreativen Einsatz möglich machen.

Der kindlichen Selbstbildung stehen aber noch weitere Ressourcen zur Verfügung. Viele kennen wir noch gar nicht. Doch bereits bekannt ist die kindertypische Begabung, Interesse, Konzentration und Ausdauer „auf den Punkt genau“ zu bündeln, wenn etwas die Wissbegierde geweckt hat. Jetzt ergreifen Kinder auf eigene Initiative hin jede Chance, sich mehr Wissen zu verschaffen. Dazu erstellen sie sich wie Wissenschaftler Untersuchungsprogramme, um durch kontrollierte Tests mehr Einblick zu gewinnen.

Falls Sie glauben, dass wir hier wohl etwas übertreiben und Kinder überschätzen, wird Sie das nächste Beispiel vom Gegenteil überzeugen:

  • Der vierjährige Nico spielt in seiner aus Holzbausteinen errichteten Dachgarage mit Metall- und Plastikautos. Auf engstem Raum rangiert er die Wagen um und parkt sie neu ein. Dabei bricht eine Garagenwand ein und mehrere Autos stürzen zu Boden. Nico beginnt die Garage zu reparieren, hält dann aber inne und wendet sich den heruntergefallenen Autos zu. Zuerst nimmt er ein Metallauto in die Hand und lässt es mit erhobenem Arm aus etwa einem Meter Höhe auf den Boden fallen, danach aus identischer Höhe ein Plastik­auto. Abwechselnd wiederholt er diesen Vorgang mit Metall- und Plastikautos, wobei er jeweils mehrere Wagen der beiden Materialien verwendet. Lautmalerisch imitiert er das unterschiedliche Aufprallgeräusch auf dem Holzboden. Er nimmt noch einen Holzbaustein, einen alten Herrenhut und zum Abschluss einen Wollfaden in den galileischen „Fall-Test“ auf. Jeder Untersuchungsgegenstand wird mehrfach getestet. Danach scheint Nico diesen Spielabschnitt zu seiner Zufriedenheit beendet zu haben. Denn er wendet sich summend der Garagenreparatur und dem erneuten Einparken zu.

Kindheit verändert sich immer schneller immer mehr.

  • In den Kinderspielgruppen traditionaler Gesellschaften entstand eine eigenständige Kinderkultur, die ohne Zutun der Erwachsenen von den älteren an die jüngeren Kinder weitergegeben wird: vor allem Spiele, Reime und Verse.
  • Doch noch weit komplexere Aspekte des Sozialverhaltens wurden von den größeren Kindern an die jüngeren vermittelt.
  • Wie man miteinander Kontakt aufnimmt, Konflikte löst, seinen Verhaltensspielraum auslotet – also seine Möglichkeiten und Grenzen erkundet – und Beziehungen untereinander gestaltet, wurde vorgelebt, gezeigt und kontrolliert. Wer passen und dazugehören wollte, hielt sich daran.
  • Die Sozialisation eines Kindes lief zwar in Hör- und Blickkontaktnähe zu den Erwachsenen ab, wurde jedoch im Wesentlichen in der altersgemischten Kindergruppe vollzogen – auf der Basis von Selbstentdeckung und gewähltem und deshalb akzeptiertem Vorbild.
  • Dieses Modell entspricht mit Sicherheit den erprobten und erfolgreichen Sozialisationserfahrungen der menschlichen Stammesgeschichte. Es funktionierte so lange, bis Landwirtschaft, Industrialisierung, Trennung von Arbeits- und Familienwelt und nun vor allem Migration die Lebens- und Arbeitsbedingungen einschneidend veränderten.
  • Einen echten Ersatz gibt es noch nicht. Bei uns versuchen geschulte Erwachsene als Tagesmutter oder Erzieherin in Krippe und Kita einen Ausgleich zu bieten.

Die Simulation ist nicht perfekt:

  1. Die Einrichtung ist völlig getrennt vom Bereich der Kernfamilie, ein spontanes Aufsuchen der Eltern ist nicht möglich. Nichtverwandte, anfangs fremde Betreuerinnen treten an ihre Stelle.
  2. Die freie räumliche und soziale Entfaltung fehlt, weil Spielplatz und Spielpartner nur begrenzt zur Wahl stehen.
  3. Der Altersabstand zwischen den Kindern ist gering, sodass Vorbild, Schutz und Erfahrungen älterer Kinder kaum verfügbar sind.
  4. Erwachsene übernehmen die Strukturierung der Gruppe und die Organisation der Spielaktivitäten, was kindliche Entscheidungsmöglichkeiten einschränkt und zu Abhängigkeit und Erlebnisarmut führen kann.
  5. Alle Angebote bleiben auf den Ort der Einrichtung beschränkt, es erfolgt keine echte Integration in die Familienwelt des Kindes.
  • Die Elementarpädagogik versucht, die genannten Defizite durch Vernetzung im Sozialraum, Eingewöhnungsprozedere, vielfältig gestaltete Lebenswelten, große Altersmischung, Freispielzeit und offenes Arbeiten bewusst an kindlichen Entwicklungsbedürfnissen orientiert auszugleichen.
  • Immer mehr wird versucht, die Interessen und Fähigkeiten der Kinder zu beantworten.

 Es ist im Prinzip kein großer Unterschied zwischen der Motivation eines spielenden Kindes und eines Wissenschaftlers:

In beiden Fällen beruht sie auf Neugierde. Eine Vielzahl immer wieder systematisch variierter Versuchsanordnungen und deren konsequente Wiederholung bestätigen oder revidieren bislang vorhandenes Wissen und bereiten Gedankenblitze für ein neues, nun erweitertes Verständnis vor. Kind wie Wissenschaftler wollen dabei nicht gestört werden. Auch die Funktionslust wirkt selbstbildend. Es ist die immer und überall zu beobachtende Tatsache, dass Kinder komplizierte – also schwer zu erlernende – Bewegungsabläufe unermüdlich wiederholen, um sie zu beherrschen und zu perfektionieren.

Stark motiviert eignen sie sich ein selbst auferlegtes Bewegungsprogramm an – Kickboard-Fahren, Fahrradfahren ohne Hilfsräder, auf Stelzen gehen – allein dadurch belohnt, dass sie ihre Anstrengung spüren und ihren Erfolg sehen. Unermüdlich wird die Bewegungsfolge wiederholt: Ein Durchgang animiert zum nächsten. Einen Fehler will man sofort ausgleichen, einen Erfolg gleich wiederholen. Sie wollen es können. Freude und Selbstbewusstsein wachsen mit der Größe der Aufgabe und der gemeisterten Schwierigkeit. Das Wiederholen von Spielsequenzen ist ein Geheimtipp, der sich offensichtlich im Laufe der Evolution als wesentliche Voraussetzung für Erkenntnisgewinne herumgesprochen hat. Und Spaß macht es auch noch – besonders dann, wenn Gegenstände oder Spielpartner auffällig reagieren, etwa besonders amüsiert oder ganz unerwartet. Umweltreaktionen erfreuen Kinder, sie belohnen sie.

Doch nicht genug. Das Wiederholen im Spiel bringt wichtige Erfahrungen:

Wissenschaftlich durchaus korrekt, wiederholt ein Kind seine Handlungen auch deshalb mehrmals, weil es nur auf diesem Weg mit Sicherheit gesetzmäßige Konsequenzen seines Tuns von einem zufälligen Zusammentreffen mit anderen Ereignissen unterscheiden kann.

  • Lea (2 Jahre alt) knipst den Lichtschalter der Deckenlampe 32-mal an und aus. Dabei schaut sie auf den Schalter, knipst, schaut auf die Lampe, schaut zum Schalter, knipst wieder, schaut zur Lampe …

Sie will nicht nerven. Sie will nur feststellen und sich dann selbst noch davon überzeugen, dass es ihr Fingerdruck ist, der hier für Licht und Dunkelheit sorgt – nicht etwa Papa, der mit der Zeitung wackelt. Natürlich ist es auch schön, seinen Einfluss auf den ganzen Raum und auf die Tätigkeiten der anderen noch anwesenden Familienmitglieder festzustellen.

  • Linn (1 1/2 Jahre alt) sitzt im Hochstuhl. Auf dem Tisch vor ihr liegen Holzbausteine. Einen nach dem anderen nimmt sie in die Hand, hebt den Arm, öffnet das Händchen – und der Baustein fällt mit typischem Geräusch zu Boden. Sobald alle Bausteine gelandet sind, strahlt sie ihre Mutter an und signalisiert ihr, die Steine doch bitte wieder aufzuheben. Das Spiel beginnt von neuem. Plötzlich läutet es. Linn schaut auf, schaut ihre Mutter an. „Das ist die Türklingel,“ sagt diese. Dennoch schaut Linn misstrauisch auf die am Boden liegenden Bausteine. Vielleicht ist ja doch einer dabei, der den besonderen Ton gemacht hat.

Dass jetzt noch einige Male Bausteine hochgeholt und wieder runtergeworfen werden müssen, ist klar. Am besten klingelt Mama noch mal für Linn an der Tür. Sonst kann sie nicht sicher sein, dass das andere Geräusch tatsächlich die Türglocke war – und nicht einer ihrer Bausteine.

Abwechseln und Abwandeln von Spielhandlungen

Nico hat bei seinem Experiment neben der Wiederholung auch noch das Abwechseln und Abwandeln von Spielhandlungen eingesetzt. Durch Variationen des eigenen Verhaltens – zuerst prüfte er den Fall der Autos, dann des Bausteins, des Huts und schließlich des Wollfadens – konnte er auch Unterschiede bei den Reaktionen feststellen und die Materialien in ihren Fallbesonderheiten unterscheiden lernen.

„Jetzt hast du doch schon gesehen, wie Wasser in diesen zwei Bechern aussieht. Warum musst du denn jetzt auch noch Wasser in einem Glas ansehen – und das auch noch schmutzig machen? Gleich fällt es dir noch runter.“ Eine recht häufige, aber dennoch ungünstige Reaktion von Erwachsenen auf ihre experimentierenden Kinder.

Spielerisches Nachahmen

Eine weitere wichtige Zutat zur Selbstbildung ist spielerisches Nachahmen Von Kindern etwa ab dem siebten bis achten Lebensmonat an weiß man, dass sie ihre Mütter oder Väter bei sich wiederholenden Tätigkeiten immer wieder intensiv beobachten, um die Tätigkeiten dann schließlich selbst durchführen zu können. Der genaue Ablauf dieses speziellen Erkundungsprozesses erfolgt meist nach einem bestimmten Schema: Zuerst beobachtet das Kind mehrmals die Bewegungen der Mutter. Seine Augen begleiten mit hoher Anspannung die mütterlichen Routinetätigkeiten. Kennt es schon in etwa die Stationen des Ablaufs, kann man sehen, dass die kleinen Augen den mütterlichen Handlungen mitunter vorweg eilen, das Kind also schon ahnt, wie ihr nächster Schritt aussehen wird. Manche Kinder „durchlaufen“ den Gesamtvorgang nochmal allein mit den Augen, sozusagen „zur Probe“, bevor sie dann die Handlung selbst ausführen – übrigens unabhängig davon, was die Mutter nun zeitgleich gerade tut.

Wie viel einfacher hat es ein Kind, dessen Mutter sein Interesse bemerkt und durch ein Lächeln begrüßt, danach vielleicht einzelne ihrer Tätigkeiten kommentiert. Das Kind nun gleich gezielt anzuleiten, zum Mitmachen zu bewegen, wäre sicher nicht richtig. Die soziale Einbeziehung und das visuelle Angebot reichen für den Anfang bei weitem aus. Ist der Zeitpunkt gekommen, an dem das Kind selbst aktiv werden möchte und sich das auch zutraut, wird es diesen Entwicklungsschritt von selbst signalisieren.

Was andere Kinder– vor allem schon ältere – oder die Eltern oder andere wichtige Erwachsene machen, ist schon deshalb interessant, weil sie es machen. Es scheinen Handlungen der großen weiten Welt zu sein – sofort erkannt als aus dem „echten Leben“ stammend – die besonders attraktiv erscheinen und zum Imitieren reizen. Der Einsatz von „Echtzeug“ – Alltagsgegenständen – lockt Kinder weit mehr und vor allem längerfristig als Spielzeug.

Zu oft werden Kindern Pseudowelten zum Probeleben geboten statt echter Erlebnisse

Mit Waldtagen, Abenteuerspielplätzen, der monatli­chen Spezialaktivität und Werkbänken in Kindergärten und Schulen sind wir zwar schon ein ordentliches Stück weiter. Doch es sind immer noch „Erfahrungsinseln“, die angeboten werden. Warum, wenn doch ganze „Kontinente“ zum Erforschen zur Verfügung stehen? Ingrid Miklitz, eine der Pionierinnen des lebenspraktischen Ansatzes, drückt es passend aus: Statt in funktionsfähigen, offenen Küchen dürfen die neugierigen, intelligenten, wissenshungrigen „Kleinen“ nur in ihrer Puppenküche hantieren. Mit Holzäpfeln, die sich (man staune) mit einem stumpfen Holzmesser teilen lassen – dank Klettverschluss!

Diesen Artikel haben wir aus fogendem Buch entnommen:

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