Forderungspapier der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zur inklusiven schulischen Bildung
Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern haben vor Kurzem in einem Forderungspapier dazu aufgefordert, die inklusive schulische Bildung zu stärken. Sie verweisen auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die seit 2009 in Deutschland im Range eines Bundesgesetzes gilt. Daraus folgt, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf diskriminierungsfreie inklusive Beschulung haben.
Aktuelle Zahlen der Kultusministerkonferenz zeigen jedoch, dass das Menschenrecht auf inklusive Bildung in Deutschland noch immer nicht flächendeckend gewährt wird: Zwar besuchten von den 582.400 Schüler*innen, die im Jahr 2020 sonderpädagogisch gefördert wurden, rd. 56 Prozent eine Förderschule und rd. 44 Prozent eine allgemeine Schule. Der Anteil der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung bezogen auf alle Schüler*innen ist in den letzten Jahren jedoch insgesamt gestiegen. Das führt dazu, dass der Anteil der Schüler*innen, die eine Förderschule besuchen, seit Ratifizierung der UN-BRK kaum abgenommen hat: Sie lag im Jahr 2020 bei 4,3 Prozent.
Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung: „Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht, das Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Teilhabe, Bildungs- und Aufstiegschancen ermöglicht. Im Jahr 2020 verließen mehr als 70 Prozent der Jugendlichen, die eine Förderschule besuchten, die Schule ohne Hauptschulabschluss. Mit ihrem Zögern beim Abbau der Förderschulen vergeuden viele Bundesländer Talente und Fachkräftepotenzial. In Zeiten akuten Fachkräftemangels können wir uns das auch volkswirtschaftlich nicht mehr leisten.“
Christian Walbrach, Behindertenbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt: „Artikel 24 der UN-BRK verpflichtet Deutschland dazu, ein inklusives Schulsystem sicherzustellen. Von der Erfüllung dieser Pflicht sind wir in mehreren Bundesländern jedoch weit entfernt. Leider müssen wir im Gegenteil eine nahezu ungezügelte Ausweitung von Sondersystemen und sonderpädagogischen Förderbedarfen beobachten. Das ist aus meiner Sicht eine Sackgasse, die Ohnmacht, Ignoranz, Unkenntnis oder auch Überforderung offenbart. Ich befürchte, ein Grund dafür ist auch der fehlende, krisenfeste bildungspolitische Wille. Wir müssen gemeinsam aufpassen, dass das Schulsystem auch angesichts der schwierigen Personalversorgung nicht vor Überlastung zusammenbricht. Die allgemeinen Schulen müssen wieder stärker in die Lage versetzt werden, ihrem Förderauftrag entsprechen zu können. Neben bedarfsgerechten materiell-technischen Ressourcen benötigen wir unter anderem eine stabile sonderpädagogische Grundversorgung der allgemeinen Schulen. Darüber hinaus muss man auch über gezielte Veränderungen des Schulsystems sprechen.“
Einige Bundesländer seien bei der Transformation zu einem inklusiven Schulsystem bereits auf einem guten Weg. Dass eine Reihe von Bundesländern ihrer gesetzlichen Verpflichtung, ein inklusives Regelschulsystem und die bildungspolitischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, nicht nachkomme, entspreche aus Sicht der Beauftragten jedoch einer grenzwertigen Fehlinterpretation föderalismusintendierter Gestaltungs- und Freiheitsrechte. Es bedürfe einer Ursachenforschung, warum es bundesweit zu einem Anstieg der Förderschüler*innen, insbesondere in den Bereichen der geistigen und der emotional-sozialen Entwicklung gekommen sei. Parallelstrukturen zwischen Förderschulbesuch und inklusiver Beschulung seien zugunsten letzterer konsequent abzubauen und weitestgehend aufzulösen. Ein Ausbau der Förderschulstrukturen und neuer Förderschulstandorte dürfe nicht erfolgen.
Im Einzelnen sind aus Sicht der Beauftragten folgende Schritte für eine erfolgreiche Transformation erforderlich:
- Hochwertige inklusive Bildung gewährleisten
- Transformation zügig und strukturiert voranbringen
- Unabhängige Förderdiagnostik, individuelle Förderplanung, erforderliche Nachteilsausgleiche und Hilfsmittel gewähren
- Inklusive Schulen mit qualifiziertem Personal bedarfsgerecht ausstatten
- Bauliche, technische und digitale Barrierefreiheit gewährleisten
Die komplette Erklärung finden Sie hier.