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Wozu soll eine eigene Handschrift heute noch gut sein?

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Während früher viel mit der Hand geschrieben wurde, wird heute viel getippt – Wozu also noch zum Stift greifen?

Kennen Sie das? Kleine Kinder im Kinderwagen, die auf einem Tablet wischen, Sprachnachrichten auf dem Handy und Programme, die Sprache in geschriebenen Text umwandeln. All dies könnten Anzeichen sein, dass eine Handschrift in Zukunft überflüssig sein könnte. Dann lernen Kinder in der Schule nur noch lesen und tippen. Da die Unterrichtszeit immer dichter, der Lehrkräftemangel zu noch volleren Klassen führen wird und die Eltern kaum Zeit zum Unterstützen haben, ist es doch nur sinnvoll, jeden nutzlosen Inhalt in der Schule abzubauen.

„Unnütze“ Lerninhalte?

Also unterrichten wir kein Schreiben mehr mit der Hand. Ähnlich wie in einigen englischen Schulen, in denen analoge Uhren entfernt wurden[1], da die Schüler und Schülerinnen diese nicht mehr gut lesen konnten und es ja digitale gibt, die viel einfacher zu lesen sind.

Warum noch Plus und Minus rechnen lernen? Dafür gibt es doch Taschenrechner. Auch hier resignieren schon einige Lehrkräfte, da die meisten Grundschüler:innen ein Mobiltelefon mit Taschenrechnerfunktion in der Tasche haben. Warum also die lieben Kleinen mit „unnützem“ Üben beschäftigen?

Ist das so? Ist das unnütz? Ist es unnütz eine leserliche Handschrift zu entwickeln?

Schreiben als Hilfsmittel

Ein schönes Video dazu finden Sie auf www.hs-tutorials.eu[2].                                                   

Hier zeigt sich sehr schön, dass wir eine gute Handschrift brauchen, um unsere Gedanken und Ideen festzuhalten. Im Film sieht man junge Menschen, die Haftzettelchen mit handschriftlichen Notizen aufkleben und sich austauschen. Wir wissen nicht, ob es sich um Auszubildende oder Studierende handelt. Der Austausch ist entscheidend.

Dies ist keineswegs der einzige Grund für das Schreiben mit der Hand. In seinem Buch „Das Neue Lernen heißt Verstehen“[3] beschreibt der Hirnforscher und Neurologe Henning Beck wie Gelerntes im Gehirn angedockt wird. Auf S.55 beschreibt er, dass handschriftliche Zusammenfassungen gegenüber mitgetippten Inhalten im Vorteil sind. Der Lernende muss die Inhalte verstehen und für sich in die wichtigsten Daten unterteilen, eine Skizze oder unterstrichene Inhalte helfen dem Auge dabei sich zu orientieren und dem Gehirn die Verknüpfungen herzustellen. Aber auch die Form des Papiers und die räumliche Darstellung auf diesem hilft dabei. Kein Wunder also, dass ein Programm wie GoodNotes uns vorgaukelt, wir würden auf einem Blatt schreiben, obwohl es sich um ein Tablet handelt. Sie kennen das Programm noch nicht? Probieren Sie es mal aus.

Die Handschrift kann dort sogar in Text umgewandelt werden. Aber fleißige Schreiber von Lerninhalten werden zustimmen, dass Inhalte optisch viel besser wahrgenommen werden kann, wenn sie mit der eigenen Hand geschrieben sind. Die getippten Informationen sind zu einförmig und zeigen sich nicht individuell genug, um gut in unserem Kopf verankert zu werden.

Zeit für eine verbundene Schrift  

Doch kommen wir noch mal auf den zeitlichen Aspekt zurück. In der Grundschule wird meist ab der zweiten Klasse eine neue verbundene Handschrift erlernt. Die Idee dabei ist, aus der verbundenen Schrift später eine Handschrift zu entwickeln. Um also in der Sekundarstufe gut leserlich und vor allem schnell schreiben zu können, braucht es hier enorme Übungszeit, um aus der verbundenen Schrift die eigene Handschrift zu entwickeln. Wird die eigene Handschrift jedoch zu früh eingesetzt, wird sogar geahndet, wenn Kinder hier nicht der Ausgangsschrift entsprechend formgerecht schreiben. Dieser Umweg ist nicht zwingend nötig[4] und angesichts der vielen Aufgaben in der Grundschule äußerst fragwürdig.

Während wir früher noch die Lateinische Ausgangsschrift (LA) gelernt haben, in der heute wohl keiner mehr schreibt, hat man in den vergangenen Jahrzehnten auch im Zuge der Wiedervereinigung vereinfachtere Formen (VA= Vereinfachte Ausgangsschrift und SAS = Schulausgangsschrift) hinzugefügt. Hier scheiden sich die Geister, bis hin zum massiven Festhalten an der Schrift, die man selbst erlernt hat und als Kulturgut einschätzt.

Auch für mich gehört die LA zu einem sich mir fest ins Gehirn eingebrannten Teil meiner Grundschulzeit, zumal meine Grundschullehrerin in gestochener Schrift diese an die Tafel zaubern konnte. Aber ist sie deshalb ein zu bewahrendes Kulturgut?

Halten wir fest: Wir brauchen auch in der Zukunft eine Handschrift! Diese hilft uns Inhalte gut strukturiert auf Papier zu bringen. Dies ist dringend nötig, um Inhalte zu erlernen und zu verstehen. Es darf somit nicht passieren, dass die Handschrift in der Grundschule nicht den Stellenwert bekommt, den sie braucht und alle unpädagogischen Äußerungen müssen somit in ihre Schranken gewiesen werden. (Übrigens muss auch die analoge Uhr und das Plus- und Minusrechnen erlernt werden, denn es geht hier um das Verstehen und damit die Erweiterung von Strukturen. Diese Misere wäre dann ein anderes Mal Thema.)

Wie schreiben wir wirklich?

Die wissenschaftliche Expertise[5] zeigt, dass das Erlernen einer festgelegten verbundenen Schrift auch hinderlich sein kann. Kaum ein Schüler oder eine Schülerin schreibt nach der Grundschule noch in der erlernten Schulausgangsschrift. Viel eher ähnelt die Schrift der meisten Probanden der zuerst erlernten Druckschrift. Ein Umweg über eine extra Schreibschrift ist somit nicht zwingend nötig und müsste unter dem Blick auf den zeitlichen Aufwand eigentlich eingestellt werden. Zumal es mit der Grundschrift des Grundschulverbandes[6] eine hervorragende Alternative mit bestens vorbereitetem Material gibt. Der Fall, dass gleich die verbundene Schrift erlernt wird, scheint auch zu existieren, wie mir meine Kollegin erzählte. Sie sowie ihre SchülerInnen bemängeln allerdings die Flexibilität ihrer Handschrift. Mag dieser Fall eher selten sein, zeigt er aber, dass eine verbundene Schrift auch eine Einschränkung darstellen kann. Das sieht man auch immer wieder bei SchülerInnen, die noch in der Sekundarstufe I und II in einer eher unleserlich verbundenen Schrift schreiben.

Was schon in der Kita hilft!

Kommen wir noch mal auf die Entlastung der Lehrkräfte zu sprechen. Im Grundschulbereich helfen die Erfahrungen, die Kinder im vorschulischen Bereich gemacht haben, ohne dort schon „schulisch“ auf das Schreiben vorbereitet zu werden.

Dabei ist es mehr als wichtig, dass die Bewegungsmöglichkeiten äußerst vielfältig und regelmäßig sind und auch in der Natur stattfinden. Beim Schreiben ist nicht nur die Hand beteiligt, wie viele denken, sondern der ganze Körper ist gefragt. Das Zusammenspiel aller Muskeln ist von Bedeutung und so sind Erfahrungen im Balancieren, die die Körperspannung unterstützen, ebenso wichtig wie die Fähigkeit, konzentriert an einer Sache bleiben zu können. Diese Fähigkeit wird durch konzentriertes auch freies Spielen vorbereitet, das nicht permanent durch ein von außen aufgesetztes Programm unterbrochen wird.

Dies zeigt, dass wir immer ganzheitlich an die benötigten Kompetenzen herangehen müssen. Die immer wieder verkürzten Sichtweisen auf das Lernen und das Vorziehen von schulischen Inhalten in die Kitas ist auch bei der Handschrift äußerst kontraproduktiv. So kann durch massive Stifthalteübungen die Freude am Malen und Schreiben frühzeitig im Keim erstickt werden. Unwissenheit über Lernstrukturen führt dann leider zu voreiligem Handeln und oft zur Idee, schulische Inhalte „vorzuziehen“, ohne eine gute Basis geschaffen zu haben. Wer hier Unterstützung sucht, findet bei Charmen Liebertz „Spiele zum ganzheitlichen Lernen“[7] Anregungen, die sowohl in der Kita wie auch in der Grundschule gut unterstützen.

Sind Lern-Apps die Lösung?

Auch Lern-Apps können in einer zu frühen Phase eher hinderlich sein, weil sie künstlich Bewegung unterbinden und Kinder im grundlegenden Kompetenzerwerb einschränken. Da Kinder sich von Bildschirmen sehr angezogen fühlen, scheint es dann, als würden sie in Ruhe etwas erlernen, doch da zum einen damit die Bewegungszeit drastisch eingeschränkt wird und zum anderen die haptischen Erfahrungen fehlen, zeigt sich schon jetzt in den Grundschulen, dass die Apps nicht durchweg den gewünschten und versprochenen Effekt erbringen[8].

Das mag auch daran liegen, dass die Lösungen bei Apps oft eher mechanisch erlangt werden können. Gibt es zwei Antwortmöglichkeiten, hat man eben eine 50:50 Chance und auch bei vier Lösungen tippen die SchülerInnen eben einfach mal so lange auf die Lösungen bis dann z.B. „grün“ leuchtet. Exaktes Lesen und Überlegen wird damit nicht geschult. Der Lerneffekt ist schwer zu messen und in der Lernphase somit nicht immer hilfreich, sondern eher in der Festigungsphase, wenn zuvor schon gelernt wurde. Hier müssen Lehrkräfte und Eltern die Lernende gut im Blick behalten und begleiten, also Zeit investieren.

Zudem sind Tablets auch mit Stiften beim Schreiben nicht immer haptisch genug. Aus diesem Grund hat Lamy gerade ein Schreibgerät entwickelt, dass hier Abhilfe schaffen kann. Stellt sich nur die Frage, warum Papier und Stift oder Tafel und Griffel nicht gut genug sind. Die sind und bleiben nämlich ein wirklich haptisches Erlebnis.

Die Milieuunterschiede

Interessanterweise sind es meist Eltern einer gehobenen bildungsnahen Mittelschicht, die ihren Kindern hier viele Erfahrungen vermitteln und die Mobiltelefone und Tablets noch zurückhalten, wie meine Beobachtung zeigt. Leider wird sich dadurch die Schere vermutlich noch weiter auseinanderschieben und dann werden Kinder, deren Eltern es mit den Apps gut meinten, in großem Maße in den Grundschulen beim Schrifterwerb Probleme haben.

Dieses Missverständnis wird dann wieder zum Anlass genommen, die Handschrift in Frage zu stellen. Doch genau damit beißt sich die Katze in den Schwanz, denn die Schülerschaft, die eine Handschrift als Hilfsmittel für das Lernen erlernt hat, wird diese auch gut in der Sekundarstufe nutzen können, während die anderen nicht mithalten können, da die Handschrift zu langsam oder zu unleserlich und damit fehleranfälliger ist.

Rechtschreibung

Kommen wir auch noch kurz auf die Frage der Rechtschreibung zu sprechen, denn auch diese Fähigkeit gehört zur hilfreichen und benötigten Handschrift.

Wenn Handschrift noch nicht automatisiert ist, dann benötigt der Akt des Schreibens viel Konzentration und lässt nicht genug Raum für Überlegungen zur Rechtschreibung, zudem wenn es hier auch noch Schwierigkeiten im Erwerb gibt.

Somit würde der Verzicht auf eine künstlich verbundene Schrift auch hier mehr Raum schaffen, um mit gutem Rechtschreibunterricht genutzt zu werden. Allerdings sollte auch hier klar sein, dass eine Rechtschreibentwicklung weit über die Grundschulzeit hinaus erlernt wird und somit mit der Handschrift verbunden immer weiter verfeinert werden muss.

Fazit: Auf eine Handschrift dürfen wir nicht verzichten und auch die digitale Nutzung verschiedener Geräte, ist kein Argument dagegen. Auf die langwierig einzuübenden Verbundschriften kann man verzichten und mit den Schülern und Schülerinnen die Zeit besser nutzen. Die Vorbereitung für eine gelingende Handschrift ist im vorschulischen Bereich ganzheitlich und nicht mit vorgezogenen schulischen Inhalten erledigt. Daher sollten wir Zeit schaffen und durch sinnvolle Angebote wie z.B. Brieffreundschaften oder geschriebenen Botschaften an liebe Menschen Freude am Schreiben (und Lesen) vermitteln!


[1] https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/grossbritannien-lehrer-diskutieren-ueber-die-abschaffung-analoger-uhren-a-1206027.html

[2] Im Schreibmotorik Institut finden Sie weitreichende Informationen und viele Filme zur Unterstützung. www.schreibmotorik-institut.com

[3] Beck, Henning (2021): Das Neue Lernen heißt Verstehen. Ullstein

[4] Marquardt, C. im Gespräch mit Erika Brinkmann: Aus der Forschung: Unzufrieden mit der Handschrift der Kinder – Ursachen und Abhilfen. In: Beiträge zur Reform der Grundschule (Bd.142), Grundschrift – Kinder entwickeln ihre Handschrift. S. 45ff

[5] Brügelmann, H.: Empirische Studien zum Schreiben mit der Hand. In: Beiträge zur Reform der Grundschule (Bd.142), Grundschrift – Kinder entwickeln ihre Handschrift. S. 66ff

[6] Siehe https://grundschulverband.de/grundschrift/

[7] Liebertz, Charmain (2014): Spiele zum ganzheitlichen Lernen. Bewegung, Wahrnehmung, Konzentration, Entspannung und Rhythmik in der Kindergruppe. BurckhardtHaus-Laetare

[8] https://spielen-und-lernen.online/praxis/ist-die-stiftung-lesen-fuer-die-schlechten-lesekompetenzen-mitverantwortlich/

Daniela Körner

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