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Anderen Gutes zu tun, steigert unser Wohlbefinden

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Der Familientherapeut Dr. Phillipp Berger über das Schenken

Weihnachten steht vor der Tür und damit das geschenkereichste Fest. Das Schenken stellt für Eltern und die Verwandten wegen der Fülle des Angebots zunehmend eine Herausforderung dar: Pädagogisch wertvoll oder maximaler Spaß – wie das Richtige finden und in welchem Umfang? Der Systemische Familientherapeut Dr. Philipp Berger antwortet auf Fragen zum Thema Schenken. Er arbeitet seit April 2024 als Koordinator und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Humboldt Wissenschaftszentrum für Kindesentwicklung (HumanKind) der Universität Leipzig.

Warum ist das Schenken und das Beschenktwerden, insbesondere zu Weihnachten, für Eltern, Großeltern und Kinder so wichtig?

Dr. Phillipp Berger: Das Schenken hat vermutlich eine lange kultur- und religionsabhängige Tradition in der Geschichte der Menschen, die weit über konkrete Anlässe wie das Weihnachtsfest hinausgeht. Wir können also davon ausgehen, dass das Schenken eine Praxis ist, die tief in unserem Wesen verankert ist. Theodor W. Adorno beschreibt das Schenken als „Imagination des Glücks“ in anderen, in dem wir unser eigenes Glück in dem des anderen sehen. Diese Idee spiegelt eine zutiefst menschliche Erfahrung wider: Anderen Gutes zu tun und sie glücklich zu machen, steigert auch unser eigenes Wohlbefinden. „Geben ist seliger denn Nehmen“, so lautet ein altes Sprichwort.

In der Wissenschaft wurde dieses Prinzip auch als „Warm Glow Effect“ beschrieben und konnte in zahlreichen Studien mit Kindern und Erwachsenen auf unterschiedliche Weise gezeigt werden. In diesem Sinne ist ein Geschenk weit mehr als ein materieller Gegenstand. Es übermittelt eine Botschaft: „Du bist mir wichtig. Dein Glück liegt mir am Herzen.“. Es ist am Ende meist das, was für uns zählt: Wertschätzung und Anerkennung von Menschen, die uns nahestehen.

Schenken hat häufig eine kommerzielle Komponente. Die Wünsche der Kinder werden durch die Werbung und durch Freund:innen geprägt. Wie sollten Eltern und andere Familienmitglieder damit umgehen?

In unserer Welt ist es nicht immer leicht, den zahlreichen Versuchungen zu widerstehen. Es lohnt sich, sich selbst regelmäßig zu fragen: „Was brauche ich wirklich?“ Dass gerade Kinder damit oft Schwierigkeiten haben, ist also ganz gut nachvollziehbar. Wenn Kinder ihre Wünsche und Bedürfnisse offen kommunizieren, ist das grundsätzlich auch etwas Positives. Denn es bietet uns Erwachsenen eine wertvolle Gelegenheit, darüber mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. „Warum wünschst du dir das? Was gefällt dir daran?“ – das sind Fragen, die dabei helfen können, Wünsche und Bedürfnisse besser zu verstehen und gemeinsam herauszufinden, welche Bedeutung sie für das Kind haben. Sie spiegeln dem Kind auch: „Deine Wünsche sind mir wichtig“. Eltern und andere Bezugspersonen nehmen hierbei eine wichtige Vorbildfunktion ein. Indem sie den Fokus auf Werte wie gemeinsame Zeit, Fürsorge und Wertschätzung legen, vermitteln sie, was wirklich wichtig ist – beim Schenken und darüber hinaus.

Vor diesem Hintergrund: Gibt es das perfekte Geschenk? Welche Art von Geschenken bringen die größtmögliche Erfüllung?

Der Wert eines Geschenks ist keine objektive Größe. Was für die eine Person unpassend erscheint, kann für die andere das perfekte Geschenk sein. Es liegt total im Auge des Betrachters, wie ein Geschenk wahrgenommen wird. In einer Studie wurde belegt, dass aus der Erinnerung heraus das „beste Geschenk überhaupt“ von drei Bedingungen abhängig ist: Steht es mit einer persönlichen Erfahrung in Verbindung? Ist es mit einer Lebensphase verknüpft und ist es besonders, weil es retrospektiv unvergesslich war.

Vielleicht ist auch dieses Gefühl bekannt: Man erhält ein tolles Geschenk, aber man spürt, dass es nicht wirklich bedingungslos ist – dass es ein unsichtbares Preisschild trägt, verbunden mit Erwartungen oder Bedingungen. Am Ende lässt sich sagen, so simpel es auch klingen mag: Das perfekte Geschenk kommt von Herzen. Es trägt die Botschaft: „Das ist für dich. Du bist mir wichtig.“ Joachim Ringelnatz hat das in seinem Gedicht „Schenken“ wunderbar auf den Punkt gebracht: „Schenke mit Geist ohne List. Sei eingedenk, Dass dein Geschenk Du selber bist.”

Wie können Eltern damit umgehen, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden und im schlimmsten Fall sogar Tränen unterm Weihnachtsbaum fließen?

Das Weihnachtsfest ist eine emotional aufgeladene Zeit, die häufig auch mit hoher Anspannung verbunden ist. Wenn unter dem Weihnachtsbaum die Tränen fließen wurden ganz offensichtlich Erwartungen des Kindes nicht erfüllt. Was aber wichtig ist: Auch Eltern haben oft unbewusste Erwartungen, zum Beispiel den Wunsch nach „perfekten“ Feiertagen oder auch den Anspruch, als Eltern alles richtig zu machen. Wenn dann nicht alles wie geplant läuft, können sich auch bei Eltern starke Gefühle wie Enttäuschung, Wut oder sogar Scham zeigen – nicht selten fließen also auch bei Eltern die Tränen – zumindest innerlich. Sich bewusst zu machen, dass nicht alles reibungslos verlaufen muss, kann helfen, diesen Druck zu verringern und dann letztlich auch Verständnis und Anerkennung für die Emotionen des Kindes zu zeigen.

Interview: Dr. Madlen Mammen

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