Oder, was Glück mit Schopenhauers Stachelschweinen zu tun hat:
Der 20. März 2021 ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der internationale Tag des Glücks. Darunter verstehen viele Menschen ganz unterschiedliche Dinge. Wir haben uns das Thema von ganz unterschiedlichen Seiten angesehen und lassen verschiedene Expertinnen zu Wort kommen.
Eine Kleine Parabel
Wissen Sie, was Stachelschweine und Glück miteinander verbindet? Artur Schopenhauer, seines Zeichens Philosoph, hat vor über 160 Jahren eine kleine Parabel verfasst. In dieser drängen sich an einem kalten Wintertag Stachelschweine eng zusammen, um nicht zu erfrieren. Da pieksen sie aber die Stacheln der anderen. So suchen sie eine mäßige Entfernung voneinander, bei der sie die Wärme ihrer Artgenossen spüren aber nicht deren Stacheln.
Auch wenn der alte Philosoph in seiner Geschichte damals etwas anderes sah, könnte Sie heute doch eine Parabel zum Thema Glück sein. Der bekannte Neurobiologe Gerald Hüther hat etwa unlängst verkündet: „Glücklich sind die Menschen immer dann, wenn sie die Gelegenheit bekommen, ihre beiden Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Nähe einerseits und Wachstum, Autonomie und Freiheit andererseits stillen zu können.“
Gebunden und doch frei
Wie die Stachelschweine brauchen wir die Nähe der anderen, ohne uns dabei jedoch eingeengt zu fühlen. Schließlich wollen wir unsere Freiheit, um uns zu entwickeln.
Besonders deutlich offenbart sich das bei unseren Kindern. Wenn Sie Ihr Kind ruhig beobachten, wenn es völlig versonnen ins Spiel abgetaucht ist, oder wenn es sich völlig ausgetobt hat und nun zufrieden in Ihren Armen liegt, haben Sie Momente reinen Glücks miterlebt. Dabei sind wir Eltern immer als wärmende und sichere Ausgangsbasis für alle Abenteuer gefordert. Wir sind jene, die ihren Nachwuchs liebevoll und motivierend in seiner Entwicklung begleiten. Wenn wir dabei aber unsere Kinder in ihren Unternehmungen zu sehr einschränken, kommt ganz schnell das kleine Stachelschwein zum Vorschein und sticht zu.
Von Eltern zu „Entwicklungsassistenten“
Die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel sieht in Eltern deshalb „Entwicklungsassistenten“, die sich nicht als die großen Macher verstehen, sondern ihr Kind individuell und mit Liebe ermuntern, es aber selbst ausprobieren lassen und erst dann Unterstützung bieten, wenn es sie braucht. „Durch die zunehmende Selbstständigkeit und Wissenserweiterung entsteht ein Gefühl von Eigenkompetenz, das in immer neuen Situationen gestärkt und durch neue Erfahrungen erweitert wird“, schreibt sie in ihrem unlängst erschienenen Buch „Stark von Anfang an“.
Aber reicht das für das Glück? Die Antwort könnte lauten. Grundsätzlich ja! Zudem brauchen die Kinder noch unsere Liebe, ein ausreichend ausgestattetes Umfeld, in dem kein wirklicher Mangel herrscht und Möglichkeiten vorhanden sind, Gesundheit und … glückliche Eltern.
„Glückliche Eltern = glückliche Kinder“
„Glückliche Eltern = glückliche Kinder“ lautet eine der vielen Glücksformeln. Damit steht es zwar nicht allzu schlecht, aber dennoch bedenklich. Seit 2011 beobachtet die OECD das Glücksempfinden der Menschen in ihren Mitgliedsstaaten. Das Maß ist der Better-Life-Index, der sich auf einer Skala von Null bis Zehn ausdrücken lässt. Die Deutschen landen dabei auf den hinteren Plätzen. Rund ein Drittel der Befragten geben hierzulande sechs oder weniger Punkte an. Das hat zum einen objektive Gründe, zum anderen aber vor allem subjektive. Zu den objektiven Gründen gehören neben gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor allem finanzielle. Denn Geld allein mag zwar nicht glücklich machen, ein Mangel daran fördert jedoch das Unglück. Wer also in den unteren Einkommenskategorien darben muss, keinen Einfluss auf den Verlauf seines Lebens hat, keine Wertschätzung erfährt und für seine Kinder keine Möglichkeit sieht, aus dieser Lage zu entfliehen, ist sehr wahrscheinlich unglücklich. Für Deutschland fordert die OECD deshalb Bildungsgerechtigkeit, anständige Löhne und Steuergerechtigkeit.
Vom Glück im Unglück
Dennoch fühlen sich nicht alle, die in einer solch misslichen Lage leben, unglücklich. Und nicht alle, die finanziell abgesichert leben und gesund sind, fühlen sich glücklich. Denn unser Glücks- oder besser Wohlbefinden ist subjektiv. Es kann also in jedem Menschen stecken oder eben nicht.
Philosophen, Soziologen, Psychologen, Pädagogen und Ökonomen haben sich wissenschaftlich mit dem Thema „Glück“ auseinandergesetzt. Der Soziologe Gerhard Schulze kennt zwei Arten von Glück. 1. Die Freiheit von Leid und Mangel. 2. Das schöne Leben. Hier baut das eine auf das andere auf. Dabei unterscheiden Glücksforscher wie der Nürnberger Professor Karlheinz Ruckriegel das Zufallsglück „luck“ vom persönlichen Glück „happiness“. Letzteres lässt sich als subjektives Wohlbefinden bezeichnen und ist Gegenstand der Forschung. Wohlbefinden beinhaltet zwei Elemente oder Ebenen: Das emotionale Wohlbefinden, also das Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen, und das kognitive Wohlbefinden.
3 x positiv bei 1 x negativ
Laut Ruckriegel sollte das Verhältnis zwischen positiven und negativen Empfindungen im Tagesdurchschnitt mindestens bei drei zu eins liegen. Unter kognitivem Wohlbefinden versteht die Forschung den Grad der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben.
Und so formuliert Ruckriegel die Frage nach den Glück: „Wie zufrieden bin ich mit meinem Leben vor dem Hintergrund der Ziele, Wünsche und Erwartungen?“
Vom Glück im Märchen
Die extremen Typen erleben wir in den Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Da ist zum einen die Frau des Fischers, die noch nicht einmal glücklich und zufrieden sein kann, als sie Papst ist. Oder „Hans im Glück“, der auch noch glücklich ist, als er gar nichts mehr hat. Hans macht sich frei von allem Habenwollen und allen Erwartungen. Deshalb ist er glücklich und deshalb gehören gerade die kleinen Kinder zu den glücklichsten Menschen in unserer Gesellschaft. Wenn sie genügend Geborgenheit spüren, trüben keine Sorgen den Augenblick. Sie Leben im Hier und Jetzt, staunen über die Welt, über Blätter, Käfer und Seifenblasen. Sie freuen sich über sich und über andere Menschen und Tiere, mit denen sie ausgiebig spielen und kuscheln können. „Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem, dass ich bin“, schrieb Mascha Kaléko einst in ihrem Gedicht „Sozusagen grundlos vergnügt“.
Der Sog des Habenwollens
Leider erleben auch unsere Kinder im Laufe der Zeit viele Schattenseiten im Leben. So verlieren sie ihre Sorglosigkeit und kommen selbst in den Sog des Habenwollens und -müssens. In der Schule und später im Arbeitsleben sehen wir uns vielen Anforderungen ausgesetzt, die wir erfüllen sollen. Das bedeutet aber noch lange nicht Unglück. Solange wir noch das Gefühl haben, das eigene Leben gestalten zu können, sind wir meist noch glücklich.
Das Unglück kommt erst mit der Überforderung. Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) „…zur Stresslage der Nation“ aus dem Jahr 2013 fühlt sich jeder Dritte in Deutschland ausgebrannt. Rund 60 Prozent fühlen sich gestresst, jeder Fünfte steht sogar unter Dauerdruck. Am meisten davon betroffen ist die heutige Elterngeneration. „In der Rushhour ihres Lebens reiben sie sich auf zwischen Kind, Haushalt und Karriere und den eigenen Eltern, die auch immer mehr Hilfe brauchen.“ Hier sind rund 80 Prozent gestresst. Dabei stehen Frauen noch mehr unter Druck als Männer. Je höher Bildungsabschluss und Einkommen sind, desto höher ist auch der Belastungsgrad. Die „Stress-Hochburgen“ sind dabei die Metropolen – vor allem im Süden der Republik.
Stressig und immer stressiger
Dabei glauben viele, dass ihr Leben in den vergangenen Jahren noch stressiger geworden ist. Sobald drei und mehr Personen in einem Haushalt leben, steigt der Stresslevel enorm. „Ganz nüchtern betrachtet:“, heißt es in der Studie, „Beruf, Privatleben und Kinder – da steigt einfach der Nervfaktor. So sind 71 Prozent der Eltern im Stress – nur 29 Prozent gelingt es, gelassen zu bleiben. „Wobei die Kinder selbst gar nicht als größte Belastung empfunden werden. Die hauptsächlichen Stressfaktoren für Eltern sind der Reihenfolge nach: die Arbeit, private Konflikte, die Betreuung der Kinder, hohe Ansprüche an sich selbst sowie finanzielle Sorgen.“ Wieder sind es die Frauen, die am meisten unter dem familiären Stress leiden.
Glücklich trotz Stress
Unsere Stachelschweinherde wären bei so viel Stress wohl längst weggelaufen oder hätten den Kopf in den Sand gesteckt. Laut TK-Studie ist das aber der falsche Weg. Wer den Kopf in den Sand steckt, wird schneller krank. Am besten ist es wohl, die Dinge anzupacken und die Herausforderungen anzunehmen.
Trotz Stress sind knapp die Hälfte der Befragten zufrieden mit ihrem bisherigen Leben. Frauen sind sogar zufriedener als Männer. „Der Schlüssel zum Glück sind für die allermeisten Familie und Freunde. Für 91 Prozent der Menschen sind sie ein starker Rückhalt. Sieben von zehn Befragten ziehen Energie aus ihrem privaten Umfeld und 58 Prozent finden einen Ausgleich im Engagement in ihrer Freizeit.“
Heilmittel Familie
Glück trotz Überforderung und Stress? Und als Heilmittel Familie und soziale Beziehungen? Genau das hat auch die Glücksforschung erkannt. Laut Ruckriegel stehen an erster Stelle soziale Beziehungen, dann psychische und physische Gesundheit, eine befriedigende Tätigkeit und das Gefühl, das eigene Leben gestalten zu können. Gleiches hat auch Maike van den Boom bei den Recherchen für ihr Buch „Wo geht’s denn hier zum Glück?“ Sie hat Menschen in den so genannten glücklichsten Ländern dieser Welt befragt und kommt zu dem Schluss: Das Glück basiert
- auf gelebten Werten,
- auf Solidarität,
- Verantwortung für sich selbst und die Menschen,
- auf der Erfahrung von Freiheit, sein Leben gestalten zu können,
- auf Humor und
- Gelassenheit.
„Sich zu entscheiden und zu handeln im Sinn des Glücks, das macht die Bewohner der Glücksländer zu glücklichen Menschen“, stellt sie fest. In Deutschland dagegen, strebten die Menschen nach Geld, Status, Besitz und Macht – und hofften, dass sich das Glück schon irgendwann einstelle. Dass das so nicht funktioniert, wissen wir ja schon.
Dabei sind Glück und Zufriedenheit sicher nicht dasselbe. Denn Glück ist viel mehr Freude, Bewegung, Überschwang im Geist. Ungetrübte Lebensfreude also.