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Fortbildung als Persönlichkeits­bildung

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Ein berechtigter Anspruch, der nur schwer einzulösen ist:

Bei den meisten Fortbildungsseminaren ist zu lesen, dass auch eine Verbesserung der  Professionalität und eine Stärkung der Identität beabsichtigt sind. Das ist nur schwer einzulösen. Wie dies wirklich gelingen kann, beschreibt Prof. Dr. Armin Krenz in seinem Artikel.

Einleitung

Die Forderung, dass Fort- und Weiterbildung sowohl zum unverzichtba­ren Bestandteil der beruflichen Arbeit gehört als auch ein notwendiges Element für qualifizierte Tätigkeit ist, trifft bei Erzieherinnen und Trägern weitgehend auf Zustimmung. Viele lösen diesen Anspruch auch ein und suchen sich Fortbildungsveranstaltungen aus, die sie besuchen möch­ten: kurz-, mittel- und langfristige Angebote, ausgerichtet auf annehm­bare Bedingungen und ausgewählt hinsichtlich spezifischer Fragestellungen, von denen angenommen wird, dass sie für die Arbeit nutzbar gebraucht werden können, um den Anforderungen besser gerecht zu werden und den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtung noch besser erfüllen zu können.

Bei vielen Anbietern von Fortbildungsseminaren ist – entweder direkt oder indirekt – zu lesen, dass es einerseits um die Verbesserung der Professionalität, andererseits um die Stärkung der Identität geht. Beide Begriffe – Professionalität und Identität – werden zu Kernaussagen erklärt, die unbestritten ihren Stellenwert und ihre Bedeutung in der Pädagogik besitzen. Allerdings ist es notwendig, sie in Beziehung zu Anforderungen zu setzen, die sich auf die Fortbildungseinrichtung, auf die Fortbilder und Teilnehmerinnen beziehen. Und hier wird schon eines deutlich: Identität und Professionalität können sich bei den Teilnehme­rinnen nur dort entwickeln, wo gleichzeitig alle drei Bereiche stimmig sind bzw. aktiv in Richtung einer Stimmigkeit entwickelt werden, weil sie sich gegenseitig bedingen:

Anspruch und Voraussetzungen

Fortbildung als eine effektive Möglichkeit, Persönlichkeitsbildung und Arbeitsfeldorientierung in Zusammenhang zu bringen und in Einklang miteinander zu verbinden, ist eine gute Chance dafür, dass einerseits Teilnehmerinnen für sich als Person profitieren und andererseits erfah­rene Erkenntnisse und erlebte Erfahrungen nun in ihr Arbeitsfeld über­tragen (können). Sicherlich wird jede Person, die das liest, zustimmend nicken, weil dies einleuchtend erscheint und stimmig ist. Doch leider liegt in den „einfachen Aussagen “ oftmals das Problem der realen Umsetzung. So einfach wie das hier aufgestellte dialektische Verhältnis von Person und Arbeit theoretisch ist, so schwer ist es, dies in der Fort­bildung herzustellen, weil Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dies während der Fortbildungsarbeit als „Übungsfeld der Realität“ zu erleben.

Wenn Fortbildung damit den Anspruch erfüllt, Realität in die entsprechen­de Veranstaltung hineinzuholen, dann bedeutet dies zunächst, dass Fort­bildung immer Arbeit und Bemühen, aktive Beschäftigung und Suche ist, sowohl auf Seiten der Referenten als auch auf Seiten der Teilnehmerin­nen. Fortbildung als Persönlichkeitsbildung auf beiden Seiten heißt, die ei­gene professionelle Rolle in Frage zu stellen und sich auf den Weg einer Verunsicherung zu begeben, auf Grenzen zu stoßen, sich mit diesen Gren­zen konstruktiv auseinander zu setzen und sie produktiv zu nutzen.

Gruppenpädagogische Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass gerade hierbei immer die Gefahr besteht, dass einzelne Teilnehme­rinnen bzw. starre Referenten den eigenen Schmerz erlebter Grenzen nicht aushalten können und in Rollen verfallen, die eine vermeintliche Sicherheit vermitteln. Wenn dies geschieht, sind Machtkämpfe und Rollenkonflikte vorprogrammiert und führen dazu, dass alte Verhaltens­muster begonnene Lernprozesse unterbrechen, behindern, zerstören oder gänzlich vernichten.

Der Anspruch von Persönlichkeitsbildung in der Fortbildung kann nur dort eingelöst werden, wo sich gerade auch der Anspruch an eine „ganzheitliche Pädagogik“ in den vielen Begegnungen von Seminarteil­nehmerinnen und Referenten real zeigt und dabei weder bestimmte Inhalte, noch bestimmte Fragen ausgeklammert noch gezeigte Verhal­tensweisen von einzelnen Personen negiert, verworfen oder gar bestimmte Personen ausgegrenzt werden. Wäre dies der Fall, so hätte beispielsweise der Anspruch „ganzheitlichen Lernens” seine Berechti­gung verloren. Persönlichkeitsbildung kann nur dort geschehen, wo Teilnehmerinnen/Referenten auch

  • Fehler machen dürfen,
  • Suchende sind,
  • für andere unannehmbare Äußerungen von sich geben,
  • ungewohnte Verhaltensweisen, die vielleicht der eigenen Wertewelt entgegenstehen, zeigen,
  • andere Haltungen realisieren,
  • angstauslösende Innovationen (Erneuerungen) vorschlagen.

Fortbildung als „von außen nach innen geholte Realität“ schafft damit die Möglichkeit, am konkreten Beispiel – hier und jetzt – zu arbeiten. Dies gelingt allerdings nur, wenn die Teilnehmerinnen ebenso aktiv an der Lösung eines Problems mitarbeiten wie die Referenten bereit sind, sich als Suchende auf das Problem einzulassen. Dies wird zusätzlich um so besser gelingen, je annehmbarer die Bedingungen der Fortbildungs­einrichtung sind.

Erzieherinnen wollen Methoden, wollen Medien, wollen
Wegbeschreibungen und Rezepte. Ist denn das
Naturgegebene, Eingegebene, so fremd, das Einfachste,
das Schwerste und das Naheliegende so fern? 
M. Vera Fischer

Das oben genannte Zitat verlangt eine Antwort und sie muss lauten: ja! Weil ungünstige Arbeitsbedingungen, eine entpolitisierte Sicht von Pädagogik, unaufgearbeitete Erfahrungen aus der Fachschulzeit und in vielen Fällen ein eingeschränktes Selbstwertgefühl das Naheliegende in weite Ferne rücken lassen: die Auseinandersetzung mit sich selbst. Nur so kann Fortbildung den Anspruch realisieren, bei den Teilnehmerinnen auch eine Persönlichkeitsbildung zu initiieren bzw. zu unterstüt­zen. Welch ein Drama wäre es, einerseits selbst den Anspruch an Persönlichkeitsbildung zu benennen, andererseits sich so zu verhalten, dass in Situationen von Auseinandersetzung und Konfrontation alte Verhaltensmuster zum Tragen kommen, nach dem Motto:

hier das Recht (bei mir), dort das Unrecht (beim anderen);
hier das Gute, dort das Schlechte;
hier das Richtige, dort das Falsche;
hier das Opfer, dort der Täter;
hier die schuldlose Person, dort der Schuldige.

Persönlichkeitsbildung in der Fortbildung kann nur dort geschehen, wo gerade diese Muster thematisiert und aktiv aufgegriffen werden, wo sie nicht negiert, sondern bewusst angesprochen werden, um neue Mög­lichkeiten des Umgangs zu erleben und damit den Anspruch von Ganz­heitlichkeit einzulösen.

Das bedeutet aber weiterhin, sich mit den eigenen lebensbiographischen Daten auseinander zu setzen,  mit den eigenen Werten und Normen, den eigenen Kriterien von Richtigkeit und den eigenen Ansprüchen an sich und andere Menschen, ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen, ohne vermeintlich Schuldige ins Abseits zu drängen und vor allem ohne Menschen mit anderen Haltungen zu etikettieren.

Ganz im Sinne von Martin Buber, der dazu Folgendes schreibt:

Werde unmittelbar!
Du, eingetan in die Schalen, in die dich Gesellschaft,
Staat, Kirche, Schule, Wirtschaft öffentliche Meinung
und dein eigener Hochmut gesteckt haben, Mittelbarer
unter Mittelbaren, durchbrich die Schalen, werde
unmittelbar!

Identität als Meilenstein in der Persönlichkeitsbildung kann also nur dort erfahren werden, wo die Teilnehmerinnen und Referenten mit ihren unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen bereit sind, sich auf einen langen und anstrengenden Lernprozess einzulassen (und nicht verfrüht auf Lernergebnisse ausgerichtet sind), Schmerzen und Unsicherheiten ertragen (und nicht die Schuld für erlebte Schmerzen anderen zuwei­sen), persönliche Erfahrungen ins Seminargeschehen einbringen (und nicht durch Schweigen glänzen), krisenhafte Ereignisse als Lernchance ansehen (und sich nicht durch Trennung davonstehlen), Persönlichkeits­strukturen bezüglich der eigenen Person ansehen (und nicht  über andere Menschen Bewertungen aussprechen), Übertragungen aus der eigenen Lebensbiographie als solche identifizieren (und nicht an der Aufrechterhaltung des so genannten blinden Flecks arbeiten), eigene Werte als Individualwerte anerkennen (und sie nicht zum allgemeingül­tigen Wert, verbindlich für alle anderen, erklären) sowie sich und ande­ren immer wieder die Möglichkeit geben, ins Gespräch zu kommen (mit den entsprechenden Personen zu reden, anstatt über sie herzuziehen).

Ein Wachstumsprozess im Feld der Persönlichkeitsbildung wird immer mit „Haken und Ösen“  versehen sein – er ist schwer zu gehen und kompliziert zu entdecken. Aber wie ist es anders möglich, Kinder in ihrer Einmaligkeit zu unterstützen, ihre Andersartigkeit zu akzeptieren, ihre Selbstständigkeit zu fördern und ihre Selbstbestimmung zu bejahen, wenn es den Teilnehmerinnen in Fortbildungsveranstaltungen nicht gelingt, diese Ziele zunächst für sich selbst zu realisieren?

Fortbildung als Persönlichkeitsbildung provoziert Widerstände, gerade bei Fragen von „Macht und Ohnmacht“, „Sexualität“, „Nähe und Dis­tanz“, „Offenheit und Grenzen “. Weil dies so ist, wird sich zeigen, in­wieweit die offene Diskussion mit allen Beteiligten in der Fortbildung und die grundsätzliche Auseinandersetzung wirklich mit Achtung vor dem anderen, Wertschätzung der Person, Toleranz zu anderen Haltun­gen und Respekt vor dem Menschen geführt wird; gerade dann, wenn unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen und dadurch eigene Werte ins Wanken kommen.

„Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der Ver­such eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter (…). Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin“ (Hermann Hesse, Demian, 1965, S. 10f.).

Hesse spricht hier klare Worte, nicht um zu beleidigen, sondern um deutlich zu machen, was war und ist. Dinge werden beim Namen genannt, ohne zu beschönigen, ohne zu verwässern. Persönlichkeitsbildung umfasst damit auch Selbsterfahrung, in der es darum geht, sen­sibler für eigene Denkmuster und Handlungsschienen zu werden, Konflikte als Wachstumspotentiale zu begreifen und Geschehnisse vor allem in Sinnzusammenhängen zu sehen.

Persönlichkeitsbildung kann nur dort geschehen, wo eine systemische Sicht Einzug halten kann. Dies ist gerade bei Konflikten in der Fortbil­dung in höchstem Maße notwendig. Konflikte haben immer vielschich­tige Gründe, wobei ein benannter Konfliktgrund in fast allen Fällen nicht nur einsichtig (also völlig verkürzt) und damit falsch gesehen wird, son­dern es werden auch Gründe und Auslöser für Konflikte vertauscht. Dabei hat die Praxis gezeigt, dass gerade Referenten mit starren Verhaltensmustern, die unbeirrt (und blind) an unreflektierten Wegen festhalten, die Dynamik emotionalisierter Machtkämpfe forcieren, Teilnehmerinnen (unbewusst) massiv manipulieren und aus der Erklärung eines pseudo-solidarischen Verhaltens heraus Fronten schaf­fen, die destruktive Auswirkungen auf den Seminarverlauf haben. Persönlichkeitsbildung in der Fortbildung geschieht dann nur noch in Abhängigkeit von den Referenten, wobei diese Interaktionsstruktur weder eingesehen noch verändert werden kann/wird.

Hier gilt es, sich  langsam ganz dezidierten Situationsanalysen zu nähern, mit Offenheit für alle und in ständiger Besinnung auf die eige­ne Person. Schließlich ist Persönlichkeitsbildung die Voraussetzung für soziale und fachliche Kompetenz, die dann in einer wirklich identischen und professionalisierten Handlungskompetenz mündet. Nur: Solange es Referenten in der Fortbildung gibt, die gesprochene und geforderte Werte nicht selbst leben, und solange es Teilnehmerinnen gibt, die glauben, sich selbst dadurch zu erhöhen, indem sie erfahrene Dinge in der Fortbildung zum Schaden anderer einsetzen, solange bleibt Persön­lichkeitsbildung auf der Strecke. Fortbildung unter dem Aspekt von Persönlichkeitsbildung ist notwendiger denn je; und dabei „brauchen wir keine neue Theorie, sondern ein neues Umgehen mit den bisheri­gen Ergebnissen” (R. D. Laing).

Berufseid für Erzieherinnen?

Kinder leben in einer Welt der Konsumausrichtung, in einer Zeit der Eile und Hektik, in einem Geflecht zunehmender Erwartungen und in einer Welt der Erwachsenen, die zahlreiche Unternehmungen starten, eine „Kinderkultur“ einzurichten. Dies mit dem Ergebnis, dass Kinder als Konsumenten umworben, als angehende Schüler schon in der Kinder­gartenzeit gefördert und als zukünftige Erwachsene gezielt geprägt werden. Dabei bleibt das Kind-Sein immer häufiger auf der Strecke.

Die Zahl der seelischen und körperlichen Misshandlungen ist gleichblei­bend hoch und immer wird nur die Spitze des Eisbergs sichtbar, wenn Kinder unter Erwachsenen zu leiden haben. Welch eine Welt, in der viele Kinder groß werden! Auf der anderen Seite werden Kinder aber auch übersorgt, mit Liebe erdrückt und von den Erwachsenen un­selbständig gehalten, sodass es schmerzt zu beobachten, wie aktive Autonomiebestrebungen von Kindern im Keim erstickt werden. Kindes­misshandlungen also auf ganzer Breite!

Doch wohin ich schaue, sehe ich das Gebot,
die Eltern zu respektieren.
Nirgends aber ein Gebot,
das Respekt für das Kind verlangt. 
A. Miller

Da erstaunt es nicht, wenn ernstzunehmende Berichte verdeutlichen, dass viele Erwachsene, die nach Thailand fliegen und sich aktiv an der Kinderprostitution beteiligen, sich offensichtlich auch aus den Berufs­zweigen der Pädagogen, Lehrer und Ärzte rekrutieren. Da erstaunt es nicht, wenn viele Beispiele aus deutschen Kindergärten leider belegen, dass auch innerhalb elementarpädagogischer Einrichtungen Kindersee­len nicht selten durch Wortmisshandlungen Erwachsener Wunden zugefügt werden. Da erstaunt es nicht, wenn Kinder in ihrer Entwick­lung, ihrem magischen Denken und ihrer Welt der Fantasie nicht ernstgenommen werden, sodass sie ihre Welt mit Zeit und in Ruhe nicht er­leben dürfen.

Da erstaunt es nicht, wenn es Erzieherinnen und andere pädagogische Fachkräfte gibt, die einer Frühförderung im Kindergartenalter – sei es durch einen regelmäßig stattfindenden, wöchentlichen Englischunter­richt – neben einer ganzen Reihe anderer Fördermaßnahmen zustim­men und den Leistungsaspekt schon vor der Schule hoch bewerten. Ja, da erstaunt es nicht, wenn ein Kindergartenkind laut weinend im Flur der Einrichtung sitzt und eine Erzieherin, die darauf angesprochen wird, ob sie wisse, warum der kleine Junge so traurig sei, lapidar antwortet, das könne sie nicht sagen, weil das Kind nicht zu ihrer Gruppe gehört.

Vor fast 200 Jahren hat es Jean Paul einmal so formuliert, als er sich mit der frühen Überforderung der Kinder auseinander gesetzt hat:

Wenn man Kinder mit Wissen voll stopft
Was heißt das anderes, als in einem fort einen Acker mit Samen auf Samen voll säen?
Daraus kann wohl ein toter Kornspeicher, aber kein lebendiges Ernte­feld werden.
Oder – in einer anderen Gleichung – eure Uhr geht so lange, als ihr sie aufzieht
Und ihr zieht die Kinder ewig auf und lasst sie nicht gehen.

Kinder brauchen gesunde Luft zum Atmen, sie brauchen Platz, um ihren Bewegungsmöglichkeiten Ausdruck zu geben, und sie brauchen Zeit, um sich ganz und gar zu entwickeln. Ihre Impulsivität und Lebensfreu­de, ihre ungebremste Neugierde und der Wunsch, sich zu verwirkli­chen, verlangen geradezu danach, dass Erwachsene – auch gerade in Kindergärten – sich verantwortlich fühlen, den Kindern zu helfen, die Welt zu erobern, sodass Kinder sich wohl und aufgehoben fühlen.

Die Freiheit ist dann erlangt,
wenn das Kind sich seinen inneren
Gesetzen nach, den Bedürfnissen seiner
Entwicklung entsprechend, entfalten kann.
Das Kind ist frei,
wenn es von der erdrückenden Energie der Erwachsenen
unabhängig geworden ist.

Ich schlage daher vor, dass Erzieherinnen und andere in der Pädagogik verantwortliche Personen – ähnlich wie Ärzte und Ärztinnen – einen Eid mit Beginn ihrer Berufstätigkeit ablegen, um vor sich, den Kindern und Eltern, den Kolleginnen und der Öffentlichkeit zu dokumentieren, dass sie sich deutlich, klar und kompromisslos als konsequente „Vertreterin­nen von Kindern“ verstehen. Dieser Eid würde dann ein fester  Be­standteil des Anstellungsvertrages werden und bei Nichtbeachtung arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Mitarbeiterinnen, die diesen Eid verweigern, könnten und dürften nicht im Bereich der Elementarpädagogik tätig werden, denn:

Wer nach der Wahrheit, die er bekennt, nicht lebt, ist
der größte Feind der Wahrheit selbst. 
Julius Rupp

Gleichzeitig würde ein Berufseid – und dieser Aspekt ist meines Erach­tens nicht zu unterschätzen – den politisch Verantwortlichen deutlich machen, dass mit dieser berufsethischen Erklärung unangemessene und unverantwortliche Ansprüche an die Elementarpädagogik hinfällig sind.

ln einer Welt, in der Kinder immer mehr zum Spielball von Erwachse­nen, zum Konsumgut einer Erwachsenenweit erklärt und zu medienbe­einflussten Objekten werden, wo Kinder und engagierte Erzieherinnen sich vielleicht in der Verbalakrobatik von Politikern wiederfinden, aber nicht zur real wahrgenommenen Persönlichkeit im Netz der Politik gehören, dort, wo Kinder von Institutionen und Verbänden teilweise zur eigenen Profilierung benutzt und in ihrer Individualentwicklung gehandi­capt werden, dort ist es mehr denn je nötig, dass Erzieherinnen und andere pädagogische Mitarbeiterinnen endlich ernst machen mit der Forderung, dass Kinder eine reale Lobby erhalten – jeden Tag, praktisch vor Ort, in den Kindergärten, der Politik und Gesellschaft.

Lasst uns die Erde den Kindern übergeben, wenigstens für
e i n e n Tag, wie ein bunt geschmückter Luftballon zum
Spielen, Lieder singend zwischen den Sternen. Lasst uns
die Erde den Kleinen übergeben, wie einen riesigen
Apfel, wie ein warmes Brot, wenigstens für einen Tag
sollen sie satt werden. Lasst uns die Erde den Kindern
übergeben, wenn auch nur für einen Tag soll die Welt die
Freundschaft kennen lernen. Die Kinder werden uns die
Erde wegnehmen, werden unsterbliche Bäume pflanzen.
Nazim Hikmet

Eid der Erzieherinnen und anderer Mitarbeiterinnen in Kindergärten

Ich schwöre, in Verantwortung vor Kindern und ihren Eltern, in Verant­wortung vor mir und der Öffentlichkeit, dass ich auf der Grundlage mei­nes Wissens um entwicklungspsychologische Gesetzmäßigkeiten, in Kenntnis heutiger Kindheitsdaten und unter  Berücksichtigung der schwersten Arbeit von Kindern, ihrem individuellen Wachsen, jeden Tag

  • die Wertschätzung und Achtung vor Kindern leben möchte,
  • den Kindern mit Verständnis und Respekt begegnen möchte,
  • ihr individuelles Wachstum im Sinne ihrer Individualentwicklung unterstütze,
  • jedwede Form körperlicher, seelischer oder geistiger Misshandlung ablehne,
  • Machtausnutzung oder Machtmissbrauch in meinem Erwachsenensein vermeide,
  • Kinder in ihrer besonderen Einmaligkeit schätzen und
  • Kinder in ihrer Würde weder direkt noch indirekt verletzen werde.

Dort, wo ich ein Unrecht – innerhalb oder außerhalb des Kindergartens – an Kindern beobachte, werde ich mutig, direkt und offen dafür eintre­ten, dass Unrecht an Kindern sich zum Recht wandelt. Ich werde Tag für Tag versuchen, Kindern ein „Recht auf diesen Tag” zu gewährlei­sten, mit ihnen – statt gegen sie – zu fühlen und zu spüren. Ich werde den „eigenen Entwicklungszeitraum Kindheit“ jedem Kind zugestehen und mich mit Erwachsenenratschlägen, moralisierenden Äußerungen oder Lenkungen zurückhalten, um meine eigenen Vorstellungen nicht zu denen der Kinder zu machen.

Ich verpflichte mich daher, kontinuierliche Selbsterfahrung und Supervi­sion der Arbeit wahrzunehmen und mich als eine ständig lernende Per­son zu begreifen, in der Starrheit zum Fremdwort wird und stattdessen Offenheit, Sensibilität und persönliche, pädagogische und politische Wachheit zum wesentlichen Merkmal meiner Persönlichkeit werden.

Elementarpädagogik und Professionalität

Diesne Artikel und viele andere finden Sie in dem Handbuch von Armin Krenz „Elementarpädagogik und Professionalität – Lebens- und Konfliktraum Kindergarten. Grundsätze zur Qualitätsverbesserung in Kindertagesstätten“. Dieser zweite Band – als Folgepublikation von „Elementarpädagogik aktuell“ – geht spezielle auf die Person(al)qualität von von elementar-pädagogischen Fachkräften ein. Dazu werden vier Schwerpunkte betrachtet:

  • der „Lebensraum Kindergarten“ als Interaktionsgeflecht zwischen Kindern und ErzieherInnen sowie den ErzieherInnen selbst.
  • der „Konfliktaum Kindergarten“ als Lernfeld für konfliktüberwindende Kommunikation.
  • die Leitungskraft als Ausgangspunkt und Motor für eine kompetente Profilentwicklng von Personen und der Einrichtung selbst.
  • Perspektiven für einen innovative und zeitaktuelle Elementarpädagogik.

Bibliographie:

Armin Krenz
Elementarpädagogik und Professionalität
Lebens- und Konfliktraum Kindergarten. Grundsätze zur Qualitätsverbesserung in Kindertagesstätten

Verlag Burckhardthaus
Umschlag mit Klappen, 192 Seiten
ISBN: 978-3-944548-00-5
24,95 Euro

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